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sie zurückkam, war sie unbefangen wie immer. Mir aber kam eine Besorgnis daß sie die Schrankthür nicht gehörig zugesperrt haben könnte, und ich ging gleich nachher hin, um mich zu überzeugen, daß Alles in Ordnung sei. An die Möglichkeit eines unterwegs von ihr verübten Diebstahls dachte ich natürlich nicht." „Und wie gelangte dann dieser Diebstahl zu Ihrer Kenntniß?" „Es war eine ganze Woche später, als ich zum Theaterbesuch mein Smaragdarmband anlegen wollte, ein Geschenk, das mir mein seliger Gatte aus Petersburg — ja so, das interessirt Sie wieder nicht. Also ich öffnete den Schrank und die Kassette rn der ich das Armband wußte. Ta siel mir's auf, daß der Schmetterling nicht darin war, obwohl ich mich genau erinnerte, daß ich ihn zugleich mit dem Armband hineingelegt hatte. Heftig erschrocken durchsuchte ich trotzdem auch den anderen Kasten, um mich bald zu überzeugen, daß ich von dieser Person dort auf eine schändliche Weife bestohlen worden war." „Sie hatten den Schrank in der Zwischenzeit nicht geöffnet?" Frau Haller verneinte. „Und der Schlüssel kann auch nicht in die Hände Irgend einer anderen Person gerathen sein, die sich feiner demn in sträflicher Weise bediente?" „Ganz unmöglich, Herr Präsident! Ich bin in solchem Sachen sehr vorsichtig, und ich kann einen heiligen Eid darauf leisten, daß ich den Schlüsselbund Tag und Nacht in meinem Gewahrsam gehabt habe." „Nun, Angeklagte, Sie hören, was die Zeugin be kundet. Möchten Sie sich aus diese mit solcher Be stimmtheit ausgesprochene Anschuldigung hin nicht doch lieber zu einem offenen Gestandniß bequemen?" Tie schmalen Hände Margarethe Willisens sanken bei den Worten des Präsidenten von dem blassen Gesichtchen herab, und eine müde Stimme sagte: ,Lch kann nur immer aufs Neue wiederholen, daß ich nichts zu gestehen Habe. Ich habe weder die Kassette geöffnet, wie Frau Haller vermuthet, noch den Schmetterling genommen." „Und Sie können auch keine Bermuthung darüber änßer», auf welche Weise er sonst abhanden gekommen «nd zu dem Pfandleiher gelangt sein mag?" „Nein." Der Landgerichtsrach zuckte die Achseln und wechselte «in paar leise Worte mit den Beisitzern. Dann drückte er auf die vor ihm stehende Glocke und befahl, nachdem er Krau Haller durch eine Handbewegung bedeutet hatte, auf der Zeugenbank Platz zu nehmen, dem Gerichtsdiener: „Der Pfandleiher August Jmberg." Der kleine alte Mann verbeugte sich tief vor dem Gerichtshof. Er war sehr befangen und antwortete auf die Fragen des Vorsitzenden mit leiser, schüchterner Stimme. Den Eid aber, der ihn verpflichtete, die lau tere Wahrheit zu sagen, sprach auch er fest und ohne EKocken. .^betrachten Sie die Angeklagte, Herr Zeuge, und sagen Sie uns, ob Sie sie kennen." August Jmberg leistete der Aufforderung Folge. ,La, ich glaube sie bestimmt wiederzuerkennen. Sie brachte mir am Abend des dreißigsten September einen Brillantschmetterling, um ihn bei mir zu verpfänden. Und sie gab sich dabei für ein Fräulein Melanie v. Reu- Hoff aus." „Sie find Ihrer Sache ganz gewiß? Ein Jrrthum in der Person der Angeklagten scheint Ihnen vollständig «Mgeschöofsen?" Ter Pfandleiher betrachtete die Angeklagte nochmal aufmerksam und erklärte dann, ein solcher Jrrthum schein« ihm nicht möglich. „So erinnern Sie sich vielleicht auch, wie die Ueber- bringerin des Brillantschmetterlings gekleidet war?" „Jawohl. Sie trug einen langen, eng anschließen den Regenmantel von dunkelgrauer oder dunkelblauer Farbe und einen rothen Seidenshawl um den Kopf." „Frau Haller — wollen Sie gefälligst noch einmal vortreten! — Besaß Ihre Gesellschafterin Kleidungsstücke, auf welche diese Beschreibung paßt?" „Allerdings! Sie hatte einen blauen Regenmantel, und das rothe Kopftuch habe ich ihr selbst geschenkt. Sie begleitete mich, als ich ein solches für meine Nichte kaufte, und da es ihr so sehr gefiel, nahm ich ein gleiches auch für sie." Einer der Richter flüsterte dem Vorsitzenden eine Fxage zu, und dieser nickte. „Tie Nichte, deren Sie da soeben erwähnen, ist außer allem Verdacht?" „Aber Herr Präsident! — ich bitte Sie! Tie Tochter meiner Schwester und ein adeliges Fräulein! Außerdem hat meine Nichte während der fraglichen Zeit mein Haus überhaupt nicht betteten und am Abend des dreißigsten September war sie gar nicht hier in der Stadt. Sie mußte schon am Vormittag abreisen. Ich erinnere mich dessen so genau, weil der dreißigste mein Geburtstag war und weil ich mich darüber ärgerte, daß sie mir weder gratulirt noch sich von mir verabschiedet hatte." „Ich danke Ihnen — das wäre also erledigt.' Nur noch eins: die Person, welche den Schmetterling bei dem Pfandleiher Jmberg versetzte, bediente sich zu ihrer Legi timation einer Visitenkarte mit dem Namen Melanie v. Neuhofs. Haben Sie eine Erklärung dafür, wie Ihre Gesellschafterin in den Besitz einer solchen Karte gelangt sein könnte?" Fortsetzung folgt. Eutsazem Vergangen die goldn« Ltebrszeit, Vorbei find di« Tage der Rose». Ich muß nun fort in Ferne weit, Leb wohl mein Küsten und Kosen. Dahin geweht liegt der Erntekranz, Die grünen BlStter sie wetkrn, Verklungen die Geige!ABerrauscht der^Tanz! Verblüht find Rarcisteu und Nelken. Leb wohl du Mägdlein im goldenen Haar, Ade ihr herbälichrn Auen, Wo ich, als im Lande noch Frühling war. Zum erste» Mal durfte dich schauen. D'e Finke» schlugen! Die Nachligall sang E n Lied vm lenziger Woune, .Dein bleib ich!" so rief ich mein Lrbenlang, Du bist jo mein Glück, meine Sonne. Jedoch unS kennte rin rauheS Geschick, Dein muß ich auf immer entsagen, Vorbei ist mein Frieden — entschwunden mein Glück! — Doch nein! — Ich will ja nicht klagen! Der Sturm braust, Nebel umhüllen da« Land, Will wandern hinaus in die Ferne. Vergessen, was lieb ich und theuer genannt, Gott ^ebe, daß je ich eS lerne. Adolf Lrchler >un. Druck P>» w» Sanger ä Winterlich in Aicha. — Wir bi, Redaktion verottworüich: Herman» Schmidt in Mei». Crjähln an der Elbe. velletr. GratiSveila-e r>» „Aiefaer ragetlatt". »r. 4l. do> ll. L«»d<r l»»»! g»^. Der Schmetterling. Novelle von Reinhold Oitmaun. Nortsttzung. Lilli schwieg, und erst als sie dann in der von ihrem Vater angerufenen Droschke saßen, sagte sie mit einem tiefen Seufzer: „Es ist doch eigentlich recht schlimm, wenn man nicht reich ist, Papa! Solche Sachen, wie die von heute Abend, sind so niderwärtig." Der Andere lachte etwas gezwungen., „Zu den Freuden des Daseins gehören sie wenigstens nicht — das gebe ich Dir gerne zu, mein Kind! Wer es werden ja auch wieder bessere Zeiten kommen, und Du zumal hast alle Ursache, auf s ie zu hoffen. Daß Du Dein Herzchen jemals an einen armen Schlucker verlieren könntest, brauche ich doch wohl nicht zu befürchten, nicht wahr?" Mit großer Entschiedenheit schüttelte sie den Kopf. „Niemals, Papa! Ehe ich mich mein Leben lang solchen abscheulichen Nothwendigkeiten ausgesetzt sehen möchte, wie es die heutige war, möchte ich noch lieber mit zwanzig Jahren sterben," Zärtlich streichelte der Vater ihre Hand. „Aber das eine wird so wenig nöthig sein als das andere, mein Liebling! Wenn Du Dein Herz nur vor allen Thorheiten zu hüten weißt, wird sich schon eines Tages der Rechte einfinden, der Dir das Los zu bieten vermag, aus das mein Töchterchen Anspruch erheben darf." Wieder athmete Lilli tief auf, aber es klang diesmal wie ein Seufzer heißer Sehnsucht nach diesem herrlichen Tage, und in den braunen Augen, die eben im Vorüber fahren an den hellerleuchteten Fenstern eines prächtigen Hauses dahin streiften, leuchtete es wie glühendes Ver langen nach Glück und Genuß. 2, Kapitel. Es war eine Woche später. August Jmberg befand sich allein in seinem Comptoir, als ein trotz seiner bürgerlichen Kleidung sehr soldatisch aussehender Mann in mittleren Jähren mit dem vertraulichen Gruße eines alten Bekannten eintrat. „Ah, Herr Fahrig!", sagte der Pfandleiher, indem er ihm über den Ladentisch hinweg die Hand reichte. „Habe ja seit beinahe einem Monat nicht mehr das Vergnügen gehabt. Wieder einmal eine Keine Revision des Pfandbuches — wie?" „Diesmal nicht, Herr Jmberg! Ich bringe Ihnen nur einen Laufzettel über gestohlene Sachen. Biel Be sonderes ist nicht dabei — außer einem werthvollen Brillantschmuck, der einer Frau Therese Haller schon vor acht Tagen gestohlen sein soll. Na, bei einem Manne wie Sie werde ich ihn ja schwerlich finden, das weiß ich im Voraus." Er hatte den gedruckten Zettel aus seinem Notiz buch genommen und ihn Jmberg überreicht. Der über flog ihn rasch, um dann mit einem Ausruf des Schreckens den Kvps zurückzuwerfen. „Was — was ist das?" stieß er hervor. „Eine Brosche aus Brillanten, Rubinen und Saphiren in Form eines großen Schmetterlings — Etui von rothem Leder — mit weißer Seide gefüttert und mit der Firma eines Pariser Juweliers! — Wenn Sie diesen Schmuck nun doch bei mir fänden, Herr Fahrig — was würden Sie dann sagen?" „Nun, ich würde sagen, daß die Diebin es vev- teuselt schlau angefangen haben mutz, das Ding gerade bei ihnen anzubringen," entgegnete der Beamte gelassen. „Einen gewissenhafteren und vorsichtigeren Mann giebt es ja nicht auf der ganzen Welt. Aber lassen Sie doch mal sehen." Der Pfandleiher war bereits an den Gelbschrank geeilt, in dem er die werthvolleren Pfandstücke auszu- bewahren Pflegte, und mit zitternder Hand öffnete er den besonderen Verschluß, der die allerwerthvollsten enthielt. Er drückte auf die Feder des rothen Etuis, das er ihm entnommen hatte, und las mit fast versagender Stimme: „Armand Thiebaut, Paris! Es stimmt — stimmt Alle- ganz genau. Und das mußte mir widerfahren — mir! Ah, es ist niü> er trächtig — schändlich — es ist ein Nagel zu meinem Sarges „Aber so beruhigen Sie sich doch, bester Herr Jmberg. Tas kann ja Jedem passiren. Kein Mensch wird Ihnen einen Vorwurf daraus machen, und da Sie bei der Be leihung ohne allen Zweifel vollkommen korrekt verfahren sind, wird Ihnen auch kein Schaden aus der Sache ev- wachsen. Mit dieser selbst hat es freilich offenbar seine Richtigkeit. Die Beschreibung patzt ja in allen Einzel heiten. Bon wem haben Äe denn nun den Schmuck bekommen?" Der Pfandleiher war noch immer ganz fassungslos, und der Beamte mußte seine Frage wiederholen, ehe er Antwort erhielt. „Bon einem jungen Mädchen — einer Person, aus deren Ehrlichkeit ich unbedenklich Gift genommen hätte." „Na, in der Beziehung kann man sich allerdings gründlich täuschen, namentlich bei Frauenzimmern — davon wissen wir ein Lied zu singen. Unter welchem Namen ist sie denn aufgetreten?" „Warten Sie — ich werde gleich nachsehen Da, hier steht es. Melanie v. Neuhofs, Parkstraße 2." Der Schutzmann lachte. „Als etwas Geringeres mochte sie es wahrscheinlich nicht thun. Den Herrn v. Neuhofs und seine Familie kenne ich zufällig. Er ist ein pensionirter General und besitzt durch seine Frau ein Vermögen von einigen Millionen. Das Fräulein Melanie braucht also keine Schmucksachen zu versetzen, und sie hat es noch weniger nöthig, solche zu stützten. Wodurch hat sich denn die Diebin als Fräulein v. Neu- Hoff ausgewiesen?" August Jmberg keuchte vor Aufregung. Aber er dachte nicht daran, sich mit einer Lüge herauszureben. „Durch eine Visitenkarte, Da — ich habe sie noch in meinem Pulte liegen." Der Beamte musterte den schmalen Kartonstteifen, und sein bis dahin recht vergnügtes Gesicht wurde ernster. „Aber das ist doch keine Legitimation, Herr Jmberg! Sie werden ja vermutlich bessere Ausweise von ihr ver langt haben, ehe Sie sich auf die Sache einließen." - „Tas ist ja mein Unglück, dasß ich es nicht gethan habe," ächzte der Pfandleiher, ,Lch — ich ließ mich eben bereden." „Dann sieht es allerdings einigermaßen bedenklich für Sic aus. Ich will nicht sagen, daß man etwa- Unehrenhaftes in Ihrer Handlungsweise erblick«, wird