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— 106 — Stimme zur Guitarre LierbeSweisen singen hören und sie wußte, daß Virginia sie sang — und daß sein ganzes Herz aus ihnen sprach. Aber sie machten keinen Eindruck auf sie. Er war doch nur ein Soldat und würde später wieder ein gewöhlicher Bauersmann werden. Sie wartete aber auf ihre Karosse und ihre Krone. Und darum schloß sie die Holzlade ihrer Kammer und wehrte Gesang und Sternenlicht den Ein tritt zu ihr. „Ich habe Dich lieb," sagte Virginia zu ihr am sieben ten Abend, wie er mit ihr einen Augenblick allein in den Kuh stall zwischen den grünen frischgeschnittenen Futterhaufen stand. „Ich liebe Dich und Du bist die Seele meiner Seele," sagte er zu ihr und vorsuchte über dem grünen duftigen Klee haufen ihre Hand zu «fasten. „Ich liebe Dich, so wahr der Allmächtige mir helfe. Kannst Du mir denn nicht glauben und meine Liebe ein klein wenig erwidern?" Umilta zog finster ihre Stirn in Falten, und dann lachte sie grausam. Sie sah ihm verächtlich ins Gesicht und ant wortete endlich kalt und gleichgültig: „Geh' und fege das den Mädchen in Turin. Viel leicht daß sie auf solches Gewäsch etras geben. Ich thue cs nicht." „Gewäsch! Wo ich Dir ehrlich mein ganzes Leben an biete. So hör' denn. Du bist meine Sonne, mein Himmel, mein Licht und meine Seligkeit!" Und sich über das wel kende Gras hinüberbeugend, verschwor er sich hoch und theuer mit der ganzen Gluth und Innigkeit eines hilflos Verliebten; dann entstand eine tiefe Stille zwischen ihnen, in der man nur das Kauen der Kühe hörte. Doch was er auch anführte, Umiltas Gesicht verzog sich nicht, sie ward etwas bleicher ihr Blick war womöglich nach etwas kälter, dcS war alles. „Ich bin nur Deiner Mutter Kuhmagd," sagte sie end lich, ihren stolzen Mund verziehend. „Aber ich halte mich für Dich doch noch zu gut. Gehe, ich haste Dich!" „Du hastest mich!" wiederholte er in Bestürzung; denn was hatte er gethan, sich ihren Haß zu verdienen. Aber Umilta gab ihm nicht einmal darauf eine Antwort. Sie stieß ihre Heugabel in den Klee und gab ihren gefange nen Lieblingen eine doppelte Futterration. Da rief sie plötz lich Donna Rosas schrille Stimme von dem Nebengebäude her, sie rief laut zurück. Der Augenblick zum Nussprechen war vorüber. Sie warcn nicht länger mehr allein. Als ein paar Sekunden später sich Alles zum Abendessen in die große Küche begab, beugte sich Virginia, wie er in dem matten Licht der Oellampe an ihr vorüber ging, an ihr Ohr und flüsterte leise zu ihr: „Das ist Dein letztes Wort?" Umilta nickte und sah kalt und verächtlich, stolz und gleichgültig drein. Im Innersten aber triumphirte sie, war eS doch Donna Rosas Sohn, den sie so hochmüthig von sich stieß. Mitleid mit Virginio fühlte Umilta nicht, nicht im geringsten. Am Morgen erfuhr sie, daß Virginio mitten in der Nacht auf und davongegangen war und sich beeilt hatte, zum Frühzug nach Turin zurecht zu kommen. Seine Mutter war ärgerlich und weinte, er hatte ihr er zählt, sein Oberst hätte ihn plötzlich zurückberufen. „Und das auch gerade, wo ich für Dich ein Lamm geschlachtet habe," sagte Donna Rosa und sandte in ihrer Wuth das Lamm zur Stadt hinab auf den Markt und speiste ihren Haushalt nur mit Oel und Bohnen ab. Umilta lächelte; die Mutter sah ihr Lächeln und errieth alles. „Wie kannst Du's wagen, Du hochnäsige Person," dachte Donna Rosa ingrimmig, der es jetzt rin ebenso großer Über- muth von Umilta schien, ihren Sohn abgewiesen zu haben, wie sie es für eine Keckheit erklärt haben würde, hätte sie auf seine Worte gehört. Aber sie sprach sich nicht aus, und Umilta verlor gleich falls keine Worte. „Ich bin froh — so froh, daß er fort ist," sagte sie sich ein Dutzend Mal den Tag über. Am Abend jedoch vermißte sie oben In ihrer Kammer die Klänge seiner Mandoline, und die Sterne glänzten kalt. „Und doch bleib' ich dabei, ich bin froh, daß er fort ist," sagte sie zu sich, und sie fing an fieberhaft zu wünschen, die goldene Karosse möchte kommen und die goldene Krone end lich auf Ihre Stirn gedrückt werden, und dabei ward sie zu ihrem Vieh ordentlich rauh. Es war ihr, als fehlte ihr etwas in ihrem Leben, als wäre ihr das Thal, das die Berge um sie einschloffen, zu eng, sie kam sich wie eine Gefangene vor. Sie fing an, sich vorzunchmen, fortzuziehen. Sie war kein Sklave. Donna Rosa konnte sie, wenn sie nicht bleiben wollte, nicht halten. Es mußte da, wo die Hausierer herkamen und wohin das arme verkaufte Vieh hinzog, auch noch andere Ortschaften geben. Darum wollte sie fort und ihr Heil anderswo versuchen — nur hing sie so sehr an den Bergen. Sie waren stets ihre Freunde gewesen, die einzigen Freunde, die sie außer den Kühen und Don Gcorgio besaß. Aber vielleicht, .daß cs anderswo keine Berge gab! Darüber war sie sich eben nicht klar. Außer Signora Rosa wurden auch die andern zu ihr unerträglich garstig. Man fühlte es unbestimmt heraus, daß sie Virginio abgewicsen hatte, und seine Schwestern wie alle Mädchen in dem ganzen Dorf haßten sie dafür, wenn sie sie freilich wohl auch noch bitterer gehaßt haben würden, hätte sie auf ihn gehört. Ein anderes Mädchen wäre in seiner Verlassenheit zu dem Priester gegangen, um sich Trost und Rath zu holen; Umilta that dies aber nicht. Sie war zwar fromm und gottcsfürcht'g in ihrer eigenen kalten, stillen Weise, allein sie war eine verschlossene Natur, die keinem Menschen, auch nicht cincni Priester, einen Einblick in ihr Inneres gestattete. Und so verschloß sie ihren Mund und ward, wie die Leute sagten, mit jedem Tag kälter, stiller und schöner. En'gegen dem toskanischen Gebrauch verschaffte Umilta ihren armen Stallgefnngenen Licht, Luft und Bewegung, so bald und so ost cs anging; das heißt, sowie das Korn geerntrt war und die Thiere hier und da, ohne Schoden anzurichten, weiden gehen konnten. Nach der Ernte führte sie sie dann den ganzen Tag auf das Feld hinaus und ließ sie ihre vom Stehen steifgrwordencn Glieder recken. Donna Rosa schalt darüber und hieß es Zeitverschwendung, hatte aber ernstlich nichts dagegen. Nach der Weinlese endlich konnte das Vieh überall hin, cs konnte keinerlei Schaden mehr thun. Und diese frischen, Hellen Herbstmorgen, an denen die Wolken vor dem Winde flogen und die Hitze verjagten, dünkten Umilta, die dann mit sich ganz allein in der freien Luft war, eine köstliche Zeit. Wie sie eines Tages wieder so mit ihrem Vieh draußen war, kam Nctta Sari zwischen der Aivor daher — Netta hatte eine Pocleukotta in Ler Hand. Sie blieb stehen und zeigte sie Umilta, mit der sie zu jeder andern Zeit kaum gesprochen hätte. „Schau! Sie sind neu! Und herrlich — nichf war? Mein Großoheim aus Pontassicva brachte sie mir gestern abend mit. Schönere Perlen gicbt es in der ganzen Gemeinde keine —" Umilta sah sie sich an. „Sie sind hübsch," sagte sie und kein Wort mehr. „Hübsch — was! Einfach hübsch fi Aest Du sie?" rief — 107 — Netta erbost. „Sie sind kostbar für unser Land viel zu kostbar. Er hat sie auf der Juweliers-Brücke selber gekauft!" „Was habe ich davon?" versetzte Umilta verdrossen. „O, Du hast freilich nichts davon," höhnte Netta. „Wür dest sie aber — was? — doch gerne haben? Hei, würdest Du Virginio Tonaldi damit zu blenden versuchen!" Tas Blut schoß Umilta ins Gesicht und das Feuer in die Augen. Zornig blickte sie auf die kleine Gestalt dcs andern Mädchens hinab. „Ich? ich? rief sie aus. „Bist Du toll Antonietta Sari? Ich? So höre denn Du, die Du Dich um Virginio Donald! grämest und härmest, daß er — er mich geliebt hat, daß ich ihn aber von mir gewiesen." Dabei stieß Umilta einen Tannenzapfen vom Boden mit der Spitze ihres Fußes die grüne Berglehne hinab. Netto erbleichte. Sie konnte an der Wahrheit der ver ächtlichen Worte ihrer Nebenbuhlerin nicht zweifeln. „Ihr macht mich so schlecht wie Ihr selbst seid," sagte Umilta, ebenso ergrimmt über sich wie über die Andere, und trieb ihre Kühe weiter hinaus auf die Höhen, wo die Tannen wachsen. Sie wußte, sie hatte nicht edel gehandelt, das Gc- heimniß des seinen Soldaten so preiszugeben, aber damit tröstete sie sich wieder damit, daß eine Heilige an ihrer Stelle ge sprochen haben würde und eine Heilige war sie noch nicht, dachte sie. Netta Sari ging heim mit ihren Perlen, über die sie so glücklich gewesen war und die ihr jetzt nicht werthvoller als die Eier eines Buchfinken dünkten. Umilta hatte ihre Rache, aber sie war doch nicht mit sich selbst zufrieden. Sie war ärgerlich und verstimmt. Was hatte ihr Virginio nach allem Böses gethan, daß sie ihn so verrieth und der Lächerlichkeit preisgab. Es war gerade die Zeit der Traubenernte. Die Trauben ernte war gut, und überall im ganzen Land herrschte dank bare Heiterkeit unter den Menschen, und Abends, wenn die Arbeit vorbei war, wurde lustig gesungen und Mandoline ge spielt und getanzt und geliebelt. Umilta arbeitete den ganzen Tag mit auf den Wein bergen, aber wenn der Abend kam und der Jubel begann, schloß sie sich ein in ihre Kammer. Netto Sari tanzte an allen Orten, daß die Perlen auf ihrem wallenden Busen sprangen. „So liebt sie Virginio," dachte Umilta tief verächtlich. Hätte sie ihn geliebt, sie hätte nicht so herumschwärmcn mögen! Als die Lese bei Signora Rosa vorbei war, wollte die beherzte Mutter es sich von Keinem anmerken lasten, wie sie sich um ihren fernen Sohn grämte. Sie veranstaltete ein größeres Erntefest denn je und lud dazu alle Welt zwei Mei len in der Runde ein. Niemand soll errathen, dachte sie bei sich, daß ihr Lieblingssohn von einem Findelkind den Korb bekommen. Sie befahl Umilta, bei dem Feste zugegen zu sein, und Umilta gehorchte auch. Sie war mit ihren dunklen, stolzen Augen und ihrem im Lampenlicht leuchtenden Haar die Schön ste deS Tages, aber die Burschen wagten sich nicht in ihre Nähe. Sie hatten Angst vor ihr und ließen sie allein. Als sie bei Tisch saßen, schlich sie sich fort in ihre Kammer und ging zu Bett. Unter ihnen allen war Keiner, dachte sie, der sich mit Virginio vergleichen konnte, mit ihm, der so vornehm und stolz, wie ein Graf und ein Kavalier ausgcsehen. Und ihn hatte sie wie den Tannenzapfen von sich gestoßen! Sie war stolz und freute sich, und doch traten ihr die Thränen in die Augen, wie sie ihren Rosenkranz abbetete, ehe sie bei dcsn Jubel und dem Trubel unten in in ihr rauhes Bett ging. Inzwischen hatte Nelta Sari beim Tanzen ihr Perlen halsband verloren. Laut auskreischend war sie auS den Armen ihres Burschen gesprungen und rief ihren Verlust auS. Wie, wann und wo sie es verlören? Sie hatte keine Ahnung davon. Unwillkürlich die Hand an den HalS hochhebend, hatte sie gemerkt, daß cs fort war. Alles drängte sich um sie, Alics suchte auf der Erde, jede Ecke wurde durchstöbert. Aber kein Halsband war zu finden. Tic Musik schwieg, und der Tanz hielt Inne, die Zungen allein regten sich lebhaft. Doch umsonst, des Halsband war fort. Netta konnte nicht sagen, wann sie cs verloren hatte, sie hatte den ganzen Abend so eifrig ge tanzt. Sie war so lustig gewesen! Und nun passirte ihr dies! Sie klagte ohne Ende. Das herrliche Halsband! Das herrliche Geschenk von ihrem Groß-Ohck n auS Pontas- sicva! Was war ein Mädchen ohne Perlen? Ein Vogel ohne Gefieder! Netta weinte salzige Thränen und Donna Rosa ereiferte sich darüber, daß solch cin Schmuck in ihrem ehrlichen HauS verloren gehen mußte. Sie crllärtc laut, ihr ganzes Gehöft absuchcn zu wollen, nahm eine große Oellampe und trug sie treppauf und treppab. Und alles folgte ihrem Beispiel, doch zu finden war nichts. „Wir haben Alle? durchsucht," rief sie in Verzweiflung. „Nur die Bodenkammer noch nicht," meinte Netta leise, und dann biß sie sich auf ihre Lippe und schien ihr Wort zu bereuen. „Wie soll es dort hinauf kommen?" fragte Signora Rosa. „Glaubst Tu, es ist hinausgeflogen? „Aber wenn Tu willst suchen wir auch dort." Sie ging selbst mit einer von ihren Töchtern und Netta die leiterartige Stiege hinauf, die aus der Küche in den Kuhstall führte. Umilta war, müde von der Tagesarbeit, fest cingeschlafen und wachte auch bei ihrem Eintritt nicht auf; den schonen Kopf in den Armen, lag sie auf dem Strohbette da. Der ihr Auge treffende Lichtschein weckte sie endlich auf. Sie fuhr erschreckt, geblendet und verwirrt hoch. „WaS ist los?" stieß sie hervor, und sie mußte gleich an ihre Kühe denken. , „Nelta hat ihr Halsband verloren," sagte Signora Rosa, „das wir natürlich hier oben nicht finden werden. Aber um sie zufrieden zu stellen —" Der Satz kam nicht zu Ende, denn wie Umilta sich auf Ihrem bloßen, sonnengebräuntcn Arm aufrichtete und sie mit großen, verwunderten Augen anstarrtr, rollte plötzlich eine ein zelne kleine weiße Perle aus dem Heulager unter ihr heraus und bl'tzte in dem Licht der Lampe auf. Es war eine Perle. Netta stürzte auf sie zu. „'s ist eine von den meinen!" rief sie aus. Donna Rosas Züge verfinsterten sich, und ihr Gesicht ward aschfahl. „Stehe auf, Umilia!" sagte sie rauh. Umilta erhob sich, und Donna Rosa durchwühlte mit den Händen hastig das Heu, auf dem sie gelegen. Nach einer Weile zog sie das Halsband Nettas daraus hervor. Tie Schnur desselben war gerissen, und die Perlen waren locker geworden. „O, Du Diebin!" kreischte Netta, während sich Donna Rosa auf das Heu setzte und mit verzogenem Gesicht, auS dem jede Farbe gewichen, auf Umilta starrte. „Es ist unmöglich," stammelte sie. Nettas Rufen hatte ein Dutzend andere neugierige Gäste auf die Stiege gerufen. Umilta wich vor dem Blick ihrer dreisten Augen zurück und suchte sich zu verbergen. Sie ver stand von alledem nichts. Sie war noch halb im Schlaf. Donna Rosa stieß die Thür heftig mit ihrem Fuß zu.