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' - 104 jedem Blick ihrer Augen. Es gab wohl überhaupt im ganzen Schlosse niemand, der dem jungen Mädchen nicht von Herzen zugeia/r gewesen wäre. Auch Graf Eberhard hatte sich schon öfters ertappt, wie er mit bewundernden Blicken der schlanken biegsamen Gestalt gefolgt war. Wenn er jedoch in seinen Aner- kennungen, die er dein jungen Mädchen spendete, unwill- Mrlich einen wärmeren Ton anschlug, dann ließ ihn ein erstaunter Blick aus den feuchtschimmernden blauen Augen oft mitten im Satz abbrechen. Eine seltsame Unruhe war über den sanft so gesetzten Mann geknnmen. Mit aller Kraft wandte er sich den seit längerer Zeit vernachlässigten Arbeiten zu, nm in ange strengter Tätigkeit das seelische Gleichgewicht wieder zu erlangen. Doch vergebens, überall sah er einen blond lockigen Mädchenkopf vor sich, glaubte die blauen Augen wie in scheuer Frage auf sich gerichtet. In dieser Stimmung Pflegte er dann wohl das Kin derzimmer aufzusuchen und sich an dem munteren Trei ben der -leinen zu ergötzen. Aber es schien ihm dann, als ob Magda in seiner Gegenwart ihre reizende Unbe fangenheit verlöre. Die eigenartige Scheu, die sich ihrer sichtlich bemächtigte, ließ allmählich die ausgelassene Fröh lichkeit verstummen. Seitdem wurden die Besuche des Grafen im Kinder zimmer seltener, man sah sich nur bei den gemein schaftlichen Mahlzeiten. Um so mehr nahm er jedoch jÄw, sich ihm bietende Gelegenheit wahr, Magda unge sehen zu beobachten. Auch jetzt hat er wieder seinen Beobachtungsposten am Fenster seines Arbeitszimmer eingenommen, weiß er doch, daß Magda um diese Zeit von dem täglichen Spa ziergänge heimzukehren und dann noch einige Minuten mit den Knaben in> den Gängen des Parkes herumzutollen Pflegt. Schon schimmern die Hellen Gewänder des unzer trennlichen Kleeblatts durch das dämmerige Grün, als plötzlich lautes Geschrei vom Wirtschaftshof herüber jäh die abendliche Stille unterbrach Atemlos vom schnellen Lauf kam ein Knecht herbei gestürzt und rief schon von weiten: „Um Gottes Willen retten Sie sich, der große Hof- Hund drüben ist plötzlich toll geworden! Er hat die Kette zerrissen und rast jetzt im Parke umher!" Er hatte noch nicht ausgesprochen, als das wütende Tier auch schon aus dem Gebüsch hervorschoß und auf die ihm zunächst stehenden Kinder los stürzte. Doch bevor sich jemand von dem lähmenden Ent setzen erholt hatte, welches der furchtbare Anblick ver breitete, hatte sich Magda mit Gedankenschnelle zwischen ihre bedrohten Pflegebefohlenen und die wutschäumende Bestie geworfen und ein ungleicher, entsetzlicher Kampf entspann sich. Die Verzweiflung lieh dem jungen Mädchen Riesen kräfte, krampfhaft gruben sich ihre Finger in das zottige Fell des Hundes. Graf Eberhard hatte einen Hirschfänger von der Wand gerissen und sich mit einem Satz aus dem Fenster ge- phwungen. Im nächsten, Augenblick war er auf dem Kampf platz angelaugt und ein wohlgezielter Hieb spaltete dem Tiere den Schädel. ES war jedoch auch die höchste Zeit, denn dem helden mütigen Mädchen schwanden die Kräfte und aus vielen tiefen Wunden blutend sank es ohnmächtig zu Boden. Erschüttert kniete der Graf an ihrer Seite, beugte sich über sie und rief in verzweifeltem Schmerz: „Sie stirbt! O mein Gott sie stirbt!" „Holt Aerzte!" herrschte er dann wie sich besinnend den fassungslos dabei stehenden Knecht an- „nehmt die schnellsten Pferde und schont sie nicht!" Von neuem beugte er sich über die noch immer wie leblos daliegende. „Magda, liebe Magda, schlage doch nur noch ein einziges mal die Augen auf!" Da flog ein Zucken über das blasse Gesichtchen, die Lider hoben sich und mit leiser Stimme sagte sie: „Ist es wahr, bin ich Ihre liebe Magda?" „O, noch viel mehr, jetzt weiß ich erst, wie innig ich Dich liebe!" erwiderte er, sie auf Stirn und Mund küssend. Ein glückliches Lächeln, wie es oft im Schlaf über ein Kinderantlitz zieht, überflog Magdas Gesicht, darin schwanden ihr die Sinne von neuem. „Kommt Kinder!" rief der Gras jetzt in verzweifelter Angst, „wir wollen beten, daß Gott sie uns erhält." Tic Kleinen folgten seinem Wort, falteten die Händ chen und knieten neben dem Vater nieder. Da schlug die Sterbende noch einmal die Augen auf und ein Blick unendlicher Liebe streifte die Gruppe um sie. „Es geht zu Ende — Eberhard —j o es ist schwer — gleich wieder zu verlieren, was man — eben erst ge funden." „Du wirst leben, mein süßer Liebling, für mich und die Ander, Deine, unsere Kinder!" Sie schüttelte leise, unmerklich fast das Haupt und blickte die vor ihr knieenden mit weitgeöffneten, ver klärten Augen an. ,^Leb wohl — Eberhard — o es ist süß, für sein Lieb stes auf der Welt — zu sterben!" Schwer sank der leblose Körper in die Arme des Grafen zurück der sich eine Weile seinem fassungslosen Schmerz überließ. Langsam, wie gebrochen erhob er sich endlich. Sein Blick fiel auf die zitternd dastehenden Kinder. „Ihr Aermsten habt mehr verloren wie ich! Ich sarge nun meine erste Liebe ein, Ihr aber seid zum zweitenmale verwaist!" Schone die Behr«! Eia sommerlich Glühen liegt Lbrr der Wett, Etz wvgt und flüstert im Arhrrnsel^, Der Abendwwd streicht durch die Lande; E« nlize» di« Arhren, vom F-uchtkorn schwer, Auf schwaukrndkm Halme sich h!n und her, Bischeiden im schlichten Gewände. Daneben prangt aufrecht, xkich w!r «um Hahn, Die blaue Eyme, der feurige Mohn, Kornrade, die rankende Winde, Manch' Gläsleia und Krämlein blüht sarbenfchön, Im Schutze drS AkhrenseldS, ungesth'n, Belcbrnd die bräunliche R nde. Er schweifet drin Äug', dein begehrlicher Sirn Ve-langend auj'S prangende Aehrenfrld hin. Du brichst dir dir Blüten zum Kranz«, Nicht achtend, wie viel du der Halme knickst, Der schwellende» Körnlein am Boden -»drückst, Der Segen gewährenden Pflanz«! — Bedenke, die Blüten, dir heut' dich eifrrn'o, Schon morgen dir Blätter im Winde zrrstr<«'n! O, schütze und schirme die Arhren I Wohl kannst du, waS flächi gen Grnuß dir vr-.fchcfst, Umschmeichelnd di« Sinne, gibt scheinbar Kraft, — Doch nimmer drS BrotrS rntbrhren! L. E. Lu0k »d Verla, vmr Langer L Winterlich in Riesa. — Flic d!e Redaktion verantwortlich: Hermann Schmidt in Mesa. GrHler an der Me Belletr. Gratisbeilage zum „Riesaer Tageblatt". Nr. SG. Riesa, de« Jugend-Griimeruug aus dem Kriegsjahr 1864. Von M. Inger. Fortsetzung Ich wagte mich kaum heim, so schlimm war mir zu Mute. Auf der einen Seite hätte ich um alles in der Welt nicht sagen mögen, wo Jens war, auf der andern Seite wollte ich auch kein Vaterlandsverräter sein, wie Sönke sagte. Das Mittägsessen schmeckte inir diesmal nicht, und ich war so erregt und gereizt, daß die Mutter mich oft er mahnen mußte. Am liebsten wäre ich ihr um den Hals gefallen und hätte ihr alles gebeichtet, aber was wäre dann aus Jens geworden! Doch als ich abends im Bett lag und die Mutter davor kniete, um mit mir zu beten, war meine Kraft zu Ende; ich vergrub den Kopf in das Kissen und weinte zum Erbarmen. Die arme Mutter hatte große Not, ehe sie alles aus mir herausgefragt hatte und im Zusammen hang die ganze Geschichte wußte. „Glaubst Du, wirttich/daß Jens ein so schlechter Mensch ist, daß er den Tod verdient hat?" schluchzte ich, „und bin ich wirklich ein Vaterlandsverräter, weil ich ihm half?" Sie nahm meine Hand in die ihre und sann einen Augenblick nach. „Nein," sagte sie, „ich glaube, daß Jens sich garnicht überlegt hat, was er tat und überhaupt kein Verständnis dafür hat. Darum ist seine Schuld vor Gott auch nicht so groß wie sie vor den Menschen zu sein scheint. Was Dich betrifft, Max, so mach Dir keine Sorge, denn Du wolltest nur einem Freunde helfen, der in der Not war!" Ich legte meine heiße Wange auf die Hand der guten Mutter, die so trösten konnte, und lange sprachen wir über Jens und seine Zukunft, bis mir die müden Augen zufielen und ich im Traum noch einmal alles durchlebte. Am andern Morgen war die Außentür vom Schweine stall offen, und Heinrich konnte es nicht verstehen, wie dies zugegangen war. Er tröstete sich damit, daß die Schweine sich an dem Haken gerieben hätten, bis er auf gesprungen war und schlug der Sicherheit wegen einen Nagel hindurch. Ich wußte aber, daß Jens diesen Aus gang gewählt hatte, und er mußte gut entkommen sein, denn wir hörten nichts weiter über ihn. Tage und Wochen gingen hin, und hie und da hörten wir Kinder eine halbverstandene Nachricht vom Vordringen der Deutschen und Zurückweichen der Dänen. Wir hörten von Gefechten bei Düppel und Oerensen, aber es machte keinen Eindruck auf uns Kinder, weil wir nichts davon merkten, und die Lust, etwas vom Krieg zu sehen, war bedeutend herabgestimmt, seitdem es Jens so nahe ans Leben gegangen war. Der Frühling kam allmählich. Die höhersteigende Sonne taute die gefrorenen Wege aus, die sich in einen grundlosen Brei verwandelten, der es uns unmöglich machte, den Garten zu verlassen. Ein mal nur erkühnte sich Lieschen, über den Weg zu laufen, um Nachbars Katze zu streicheln, die sich an der Haus mauer sonnte. Aber nach einigen raschen Tritten war sie so'tief in den zähen Weg geraten, daß sie ihre Schuhe im Stich ließ und weinend in Strümpfen zurückkam, die kaum als solche zu erkennen waren. Heinrich mußte 27. J««i IVO». KG. Achr* mrt einer langen Stange den Weg durchwühlen, um die versunkene Fußbekleidung herauszufischen, die dann sofort in einen Eimer Wasser gesteckt wurde. Seitdem machten wir die Probe nicht wieder. Wir beobachteten nur mit wonnigem Granen, wie die vorüberfahrenden Wagen bis zur Achse im Schlamm ver sanken, der sich hinter den Rädern wieder ebnete, und eine unschuldig glatte Fläche bildete. Die auswärtigen Schul kinder konnten auch nicht mehr auf gewöhnliche Weise zur Schule kommen, sie kamen zu Pferde, wobei eS oft vorkam, daß 3 bis 4 Ander auf ein Tier gepackt wurden. — Allmählich wurde aber der Brei der Marschwege seichter. Darauf bildete sich ein fester Rand, der sich nach der Mitte hin immer weiter ausdehnte, bis der ganze Weg fest geworden war. Darüber aber war der Sommer ins Land gekommen. Es mochte Juli sein. Heinrich hatte mit den« Schimmel das erste Fuder Heu eingefahren, und wir Kircher wälzten uns voller Vergnügen in der duftenden Masse. Mit dem nächsten Wagen dursten wir hinaus aufs Feld fahren, und während Heinrich sein Vesperbrot aß, liefen Lieschen und ich nach der Guckecke im Garten, da unterdessen etwas Interessantes ans der Straße passieren konnte. Diesmal wurden unsere Erwartungen weit übertroffen. Von der Brücke her kam ein langer, schwerfälliger Zug, wunderbar anzusehen. Kanonen waren eS, von Oesterreichern geleitet, die langsam und feierlich durchs Dorf zogen. Jin Nu waren alle Nachbarn vor den Türen und tauschten in friesischer Sprache ihre Gedanken ans über diesen Anblick. Dem Pastorate schräg gegenüber wohnte eine Witwe Güde, die ihren einzigen Sohn im Kriege hatte und nun jeden deutschen Soldaten für den Mörder ihres Kindes betrachtete. Sie hatte ihr Küchenfenster aufgestoßcn und schimpfte auf erbärmliche Weise die vvrüberziehenden Oesterreicher aus. „Erst habt Ihr unsere Söhne getötet," schrie sie, in Weinen übergehend, „und nun wollt Ihr mit Euern Ballerbüchsen unsere Teiche zerschießen, damit wir alle versaufen!" Neben ihr auf dem Fensterbrett saß „Perle", ein Ausbund von Häßlichkeit im Hundegeschlecht, und stieß ab und zu einen kurzen Blaff aus, zu mehr schwang sich seine träge Natur nicht hinauf. Jedesmal, wenn ei» Soldat nach dem Fenster hinüberblickte, überlief es mich eiskalt, denn ich erwartete bestimmt, daß plötzlich einer hinlaufen würde und die Alte niederstoßen. Aber nichts der Art geschah. Der Zug passierte ohne Aufenthalt das Dorf und wandte sich dann dem Außendeich zu. Güde klappte mit einer Verwünschung das Küchen fenster zu, und die Nachbarn verliefen sich, nachdem sie noch eine Weile geschwatzt hatten, wobei einige Stichwörter wie Deich, Schleusen, Schießen mir schwer auf die Seele fielen. ! ; >s „Vielleicht hat Güde doch recht," sagte ich zu Lieschen, „daß die Ocsterreichcr die Schleusen zerschießen, und wenn sie das tun, kommt die ganze Nordsee ins Land." Lieschen machte große, erschrockene Augen, hatte aber zu viel mit dem Vesperbrot zu tun, um eine ordentliche Meinung zu fassen. Mir war es auch etwas unverständ lich, wie diejenigen, die als Freunde gekommen waren«