Volltext Seite (XML)
10« unsere Familie hegt; auf ihm beruht meine einzige Hoff nung." Frau Bergen hielt erschöpft inne. Ein kurzer trockener Husten durchschüttelte ihre zarte Gestalt, und als sie das Taschentuch vom Mund wegnahm, zeigten sich große, dunkle Flecke auf dem feinen Gewebe. „Blut!" schrie Elsa entsetzt auf. „O, Mutter!" „Still," flüsterte die Kranke mit einer unnatürlichen Kraftanstrengung. „Wir müssen zu Ende kommen! Lie sen Brief mußt Du Herrn Franck übergeben, sobald Du Gelegenheit dazu findest; ist Dir dies nicht sofort mög lich, so hüte das Schreiben sorgsam, und wenn Jahre da rüber hingehen sollten, es muß in seine Hände gelangen. Sollte Franck sterben, ohne daß es zuvor geschehen konnte, so trachte, das Schriftstück seinem Sohne zu übermitteln, aber nur eigenhändig, Elsa!" Sie brach aufs neue ab. „Es wäre möglich," fuhr sie nach einer Pause fort, „daß Dir auch dies unausführbar gemacht würde. Tann soll der Brief in Deinem Besitz bleiben und an Deinem achtzehnten Geburtstag sollst Du ihn öffnen! Elsa, mein Kind, befolge genau meine Worte. Man wird Dich streng bewachen, wenn ich nicht mehr bin. Halte das Andenken Deines Vaters hoch, ivas man Dir auch immer von ihm sagen mag, er —" Sie schauerte ängstlich zusammen; draußen im Vor zimmer hörte man Männerschritte, die sich der Tür näherten. „Hast Du den Brief gut verborgen? Schnell das Schreibzeug weg!" flüsterte sie mit bebenden Lippen. Elsa beeilte sich dem Gebot Folge zu leisten; sie hatte es kaum getan, als die Tür geöffnet wurde und ein Mann ins Zimmer trat. „Onkel Rolf!" flüsterte Elsa scheu, sich an die Mutter schmiegend. Rolf Feddersen trat langsam näher. „Sie vergeben, Frau Schwägerin," sprach er zeremo- niös, mit seinen scharfen, kalten Blicken jeden Winkel des Gemaches musternd, ,chaß ich unangemeldet eintrete. Da ich hörte, daß Sie wach wären, so hielt ich eine Anmeldung für überflüssig. Wie geht es Ihnen heute abend?" Er beugte sich vornüber, um die Hand der Kranken zu erfassen. Frau Bergen hatte nicht den Mut, ihm dieselbe zu verweigern, aber man sah es ihr an, wie peinlich ihr seine Berührung war. Mit halb geschlossenen Augen und zuckenden Lippen duldete sie seinen Händedruck, ohne denselben jedoch zu erwidern. „Sie fiebern," sagte Rolf mit seiner kalten harten Stimme; „was hat Sie so sehr aufgeregt?" Die Kranke zitterte unter dem forschenden Blick, mit dem er sie ansah. „Nichts," stammelte sie leise. Achselzuckend ließ er ihre bebende Hand los. „Was hat Deine Mutter so sehr erregt?" wandte er sich an Elsa. „Mama hat Blut gehustet," stotterte die Kleine unter Tränen. „Ah! Sie fühlen sich schlechter?" „Ja," hauchte die Kranke kaum hörbar. „Elsa, verlaß das Zimmer, ich habe mit Deiner Mut ter zu reden." „Soll ich den Arzt rufen lassen?" fragte die Kleine schüchtern. „Nein, jetzt noch nicht, gehe!" „O, lassen Sie mir mein Kind!" flehte die Kranke. ,Lassen Hie Elsa bei mir!" „Nein!" Bei dieser kurzen, scharfen Antwort senkte Frau Bergen resigniert das Haupt. „Gehe, mein Kind," sprach sie zu dem weinenden Mädchen, „meine Unterredung mit Onkel Rolf wird bald zu Ende sein." Elsa umarmte ihre Mutter und drückte einen leiden schaftlichen Kuß auf deren blasse Lippen: dann verließ sie leisen Schrittes das Gemach. „Sie quälen uns beide!" flüsterte die Kranke, vor wurfsvoll zu Rolf aufsehend. Ein kaltes Lächeln überflog sein Gesicht. „Wir haben ernste Tinge zu verhandeln, Frau Schlvägerin. Sie müssen heute noch Ihr Testament machen." „Ich fühle mich zu schwach dazu!" „Eben darum," versetzte der herzlose Mann ruhig. „Ich habe den Notar und die Zeugen herbeordert, in einer halben Stunde ist alles vorbei. Ich glaube, Sie selbst werden ruhiger sein, wenn Sie die Zukunft Ihres Kindes gesichert sehen können!" Frau Bergen gab keine Antwort; die schmalen Hände wie zum Gebet gefaltet, lag sie regungslos da. Sie wollte ihren ganzen Mut zusammenraffen, um sich dem An sinnen ihres Schwagers zn widersetzen, allein sie fühlte sich zu schwach, um gegen seinen Willen anzukämpfen; ihre ganze Kraft konzentrierte sich jetzt in dem einen heißen Wunsch, Gott möge sie sterben lassen, bevor sie das Testament unterzeichnet hatte, das ihr Kind schon ungslos der Gewalt dieses Mannes überlieferte. „Nun?" fragte Feddersen ungeduldig. Adele Bergnr richtete sich halb auf. „Erbarmen!" flehte sie. „Drängen Sie nicht so sehr, warten Sie noch!" „Bis es zu spät ist!" unterbrach er sie rauh. „Nein, ich will nicht länger warten, das Testament muß noch heute unterzeichnet werden." Er nahm aus seiner Brief tasche ein Blatt Papier und breitete es vor der Kranken aus. „Sie wissen, nach Hamburger Gesetzen gibt es zwi schen Eheleuten eine unbedingte Gütergemeinschaft. Sie können daher über das ganze Vermögen disponieren, da Ihr Gatte seit Jahren tot ist." Die Kranke stöhnte schmerzlich auf. „Ich kann noch immer nicht an seinen Tod glauben," flüsterte sie. „Er ist aber tot," versetzte Feddersen heftig. „Haben Sie nicht seine Leiche gesehen und konstatiert, daß die selbe der tote Körper Ihres Gatten sei?" „Ja, aber die anfänglichen Zweifel kamen mir spä ter wieder," murmelte Frau Bergen matt. „Das ist so Ihre Art, an feststehenden Tatsachen noch immer zu zweifeln," höhnte Rolf. „Der Tod Ihres Gatten ist erwiesen und Elsas ganzes Erbe wird meiner Obhut überantwortet; sie genießt nur die Zinsen davon, das Kapital bleibt für immer im Geschäft stehen. So will ich es haben und ich rate Ihnen, den nutzlosen Widerstand aufzügeben! Alles, was sonst daraus folgt, kommt aus Elsas Haupt." Frau Adele erbebte. „Willigen Sie ein?" fragte Feddersen in drohendem Tone. „Bedenken Sie, daß ich Schmach und Schimpf auf den Namen Ihres Gatten häufen kann!" „Er ist unschuldig!" rief die gequälte Frau in schmerz lichem Tone. Rolf faßte sie rauh bei der Hand. Fortsetzung folgt. 107 Jrr-eird - Srtrmerrms a«s de» »rtessjahr 1864. Bvu M. Inger. Schluß. Leider vergaß ich, diese Botschaft auszurichten, denn es bereiteten sich allerlei Dinge vor, die uns ganz in Anspruch nahmen. Ribitsch riß die Augen noch einmal so wett auf als sonst unk sagte, es läge etwas in der Lust. Bor jedem Gefechte hätte er es gespürt und immer recht gehabt. Eines Tages kamen verschiedene Leute aus der Gegend, um den Herrn Hauptmann zu sprechen. Sie wurden alle rasch abgefertigt und gingen mit gesenktem Haupte von dannen. Ich zerbrach mir den Kopf darüber, was diese Leute mit dem Offizier zu tun hätten, und als ich einen Bekannten unter ihnen sah, lief ich ihm nach und fragte ihn, was er bei unferm Hauptmann wollte. Er sah mich mit traurigen Augen an und sagte: „Nun geht's los!" „Alle Boote sind requiriert, wie sie es nennen. Sie liegen twrt im Silzug und sollen nun nach dem Außen deich" „Was sollt Ihr dla?" fragte ich gespannt. „Ja, wenn wir das wüßten! Wir denken uns, daß wir die Oesterreicher nach den Inseln bringen sollen, und das wird kein Spaß mitten zwischen den dänischen Schif fen hindurch" Der kräftige Bootsmann ging heute ganz gebückt uiid machte ein sehr ernstes Gesicht, denn er hielt den Tag ganz bestimmt für seinen Todestag. „Jens Petersen hat zur rechten Zeit seinen Arm ge brochen," fügte er nach einer Weile hinzu, „nun kann er das Ruder nicht regieren und darf zu Hause bleiben." Seufzend sah er an seinem eigenen Arme hinunter, dem er fast ein gleiches Schicksal wünschte. Ich ging mit ihm bis zum Armenhause und blieb dort stehen, denn von der hohen Werfte aus konnte ich die Böte mit ihren braunen Segeln sehen, wie sie im Silzug lagen, eine lange, lange Reihe. „Sieh, Maß," sagte ich, wie der gerade aus der Tür trat, „da liegen die Böte, die mit in den Krieg sollen. Nur Jens Petersen ist frei, weil er den Arm gebrochen hat. Wer wird wohl für ihn sein Boot rudern?" „Na, die Arbeit gönnte ich..." Er stockte, machte ein dummschlaues Gesicht und pfiff leise vor sich hin. Ich lief bald wieder nach Hause, denn es war Mittag, und schlüpfte zunächst in die Küche, um auszukundschaften, was es gäbe. Ribitsch saß Hinterm Küchentisch und machte ein kläg liches Gesicht, indem er Mine vergeblich zum Mitleid zu bewegen suchte. „Die ganze dänische Armee ist nix," rief er pathetisch, „und alle Kanonen sind nix, aber das Wasser, das große Wasser! Wenn sie mich totschießen, da mach ich mir nix aus, aber im Wasser zu versaufen wie 'ne Katz, das ist mehr, als ein Soldat aushalteu kann!" Mine nahm hastig die Puddingform aus dem spru delnden Wasser, stellte sie auf den Küchentisch und öffnete sofort in der Verwirrung über Ribitsch' Klagen. Puff! zischte es, und klatsch saß der halbe Pudding an der Decke und leckte melancholisch herab. Ribitsch brach in ein gro ßes Gelächter aus, nachdem er sich überzeugt hatte, daß für ihn noch genug in der Form zurückgeblieben sei. So hatte er seine gute Stimmung wiedergefunden. Wir andern mußten heute etwas später essen, weil mein Vater in Amtshandlungen abwesend war, darum wollte ich die Zeit benutzen, mich draußen ein wenig um zusehen. In der Haustür rannte ich aber mit einem Manne zusammen, der mir fremd und doch bekannt war- » -L LLi .Lung, kennst Du mich nicht?" sagte er da. Mahd» hastig, es war JenS! Aber sein Backenbart fehlte ihtu, und ein stattlicher Schnurrbart gab ihm ein ganz,krie gerisches Aussehen. Während ich ihn noch verblüfft anscch fragte er, oh der Hauptmann in unserer Bodenstube wohnte, und dann sprang er die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Bald darauf kam er zurück mit sehr kühn erhobenem Haupte, und ich lief nattirlich mit ihm. „Jens," sagte ich nach einer Weile, „bist Du gar nicht bange, daß Dich die Deutschen wieder einstecken?" „Nicht ein bißchen! Ich habe gute Bekanntschaft mit ihnen gemacht und ihnen schon manche Dienste getan." „Wie ging es Dir denn, als Du damals entwischtest?" „Sehr gut. Ich lief in der Sduht nach Wrixbüll, nahm da gleich meinen Bart ab, und kein Mensch kannte mich. Ich habe halb hier bald da gearbeitet, und kein- Mensch denkt daran, mich zu fangen. WaS Du aber für mich getan hast. Junge, das vergesse ich Dir nimmer." „Hast Du da etwas zu tun, Jens?" fragte ich „Na, ich soll nicht, aber ich will. Ich habe mich a» Stellvertreter für Jens Petevsen gemeldet. Freiwillig verstehst Du, denn ich bin den Deutschen noch etwa» schuldig." .> j „Fürchtest Du Dich denn nicht?" Er schüttelte den Kopf und lachte. Wir waren bei der Brücke angelangt, die den Silzug überspannte, und hart am Ufer lag Petersen» Boot. stand daneben, den Arm in der Binde. Schweigend gab er Jens das Ruder, nickte ihm zu und ging davon. Am» löste das Boot, richtete sich stramm «lf und rief mit lauter Stimme: „Der Hauptmann läßt euch sagen, daß wir bis an die Schleuse rudern sollen und da Pille liegen, bis wir weitere Ordre kriegen." Die Bootsleute saßen alle in gebückter Stellung auf ihren Ruderbänken, und keiner rührte sich Da drängte Jens sein Boot an den andern vorüber, stellte sich an die Spitze des Zuges und fing mit kräftiger Stimme Pt singen an: „Schleswig-Holstein meerumschlungen, dend» scher Treue hohe Wacht —" Plötzlich regten sich alle Ruder, die kräftige» Gestalte» reckten sich Entschlossenheit blitzte au» den Auge», und fort ging es den Silzug hinunter, dem Meere zu. Mir aber schwoll das junge Friefenherz vor Lust, mitzufahven in Gefahr und Tod fürs liebe, meerumschlungene Vater land. Ich stand noch und sah den Booten nach, da rafsüte ein Wagen heran, unk wie ich mich umwandt^ erkannt» ich meinen Vater, der von der Amtshandlung zurückkehrte. Ich lief dem Fuhrwerk entgegen und kletterte zum Kud- scher hinauf, um ihm die Zügel ein wenig abzuschmeich^m Diesmal gelang es mir nicht, denn der alte Bauer meint», es wäre jetzt so viel Ungewohntes im Dorf, wovor sei» Pferd erschrecken könnte. DaS Pferd war wie der Friese das Ungewohnte stieß ihn ab. Im Dorf war aber nicht» Fremdes mehr zu sehen, denn in der kurzen Zeit war das Militär aufgebrochen, um an de» Lußendetch Pt, ziehen. j i Nach dem Mittagessen suchte ich Heinrich auf, um ihm meine Erlebnisse mitzuteilen, und fand ihn endlich« in seiner Kammer. Dort saß er auf der Bettkante und sah trübselig Ali an, der schwanzwedelnd vor ihm stand. „Was machst Du hier?" fragte ich „Was für 'ne dumme Frage, da» kannst D» ja selbst sehen," knurrte er. Ich schob die Hände in die Lasche» uiü> wartete gv» duldig, bis Heinrich mir weitere Eröffnungen Diese folgten auch bald. ,