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kniete: und aus einer Wasserflasche unaufhörlich das tod fahle, verzerrte Antlitz seines Weibes besprengte. Ein Schauspieler lief eben um Essig, und ein anderer suchte feinen Mantel, ».m den Arzt zu holen. Qualvolle Mi nuten vergingen. Kein Laut regte sich in dem düsteren, unfreundlichen Zimmer, alle standen wie gebannt und schallten nur immer in das entstellte Antlitz der Di rektorin. Endlich fiel es einem ein: „Herr Direktor, wär's nicht besser, wenn wir sie auf das Bett da legten?" ^,Ja, ja, aber nur behutsam!" Lechs Paar Arme schoben sich unter den Leib der Frau und. hoben ihn vorsichtig empor. Mittlerweile brachte der eine den Essig, und nun begann der Direktor die Schläfen der Ohnmächtigen zu reiben, netzte ihr die Lippen und wusch ihr das Gesicht. Aber es kam kein Lebenszeichen; nur das konnte man bemerken, daß der K'rampf, welcher die Züge verzerrt hatte, nachließ und diese sich glätteten. Mit steigender Angst fetzte der Direktor seine Bemühungen, sie ins Leben zurückzurufen, fort, doch vergeblich. Da hielt er eine Weile inne und starrte mit entsetzensvollem Blicke auf sein Weib nieder. Dan« saßte er mechanisch ihre Hand. Sie war kalt. Da, wußte er alles. „Rcsi! Mein Gott!" Ein erschütternder Schrei, und er warf sich wie wahnsinnig über die Tote und bedeckte ihr Gesicht mit wilden Küssen. Dazwischen.hinein ries er liebe, zärtliche Worte, streichelte Haar und Wangen der Toten, küßte sie wieder und fing von neuem an, Worte der Liebe zu flüstern. Endlich ließ er sich er schöpft ans dien Sessel neben dem Bett niedersallen, und nun begann er zu schluchzen, daß es einen Stein hätte er weichen können. Aufs tiefste ergriffen, stand das ge samte Lchouspielerpersonal um ihn herum, und einer nach dem andern zog sein Taschentuch hervor, um sich die nasser. Augen zu trocknen. Als der Arzt kam, konnte er nur den infolge eines Schlagflnsses eingetretenen Tod konstatieren. Nun war aber auch die Zett zur Vorstellung heran gekommen. Leute kamen: der Kassierer teilte ihnen den Todesfall mit, und sie zogen wieder ab. Auch die Herr schaft lam. Arthur erwartete sie auf der Straße und teilte ihr mit, was geschehen sei. Man bedauert« und schickte sich sofort zur Rückfahrt an. Aber die Schau spielerin bat, einen Augenblick zu warten, und stieg mit Arthnr die Treppe hinan. In aufrichtigem Mitgefühl stand sie vor der Tote», dann drückte sie in herzlicher Weise dem unglücklichen Witwer ihr Beileid aus und bat um die Erlaubnis, einen Kranz schicken zu dürfen. Auch legte sie einen erklecklichen Betrag zur Bestreitung der Lcichenkosten in seine Hände. „Ich würde,eS mir nicht nehmen lassen, der toten Kollegin die letzte Ehre zu er weisen, wenn ich nicht schon morgen abreisen müßte!" »egte sie noch hinzu, wehrte den Dank des Direktors ab und verabschiedete sich allseits mit freundlichem Kopf- niacn. Arthur begleitete sie. Auf der Treppe sagte sie nocb: „Es tut mir aufrichtig leid. Sie nicht spielen sehen zu können, denn ich hörte, Sie sollen Gutes leisten!"! Dann noch ein freundliches Winken, und sie fuhr davon. Run erst kam Arthur zum Bewußtsein, .was der Aus fall dieses Abends für ihn bedeute. Gesenkten Hauptes stieg er die Treppe empor. Im Flur begegnete ihm Anny. Laut aufschluchzend warf sie sich M seine Brust. La zog er sie hinein in den dämmerigen Bühnenraum, und wiederum saßen sie in ihrem.Winkel; aber diesmal toitraurig. Ein Rauhreif war auf ihre jungen hoffnungs- selif.cn Herzen gefallen, zum ersten Pale wurden sie sich des Elends ihrer Lage und deren ganzer Hoffnungslosig- keit bewußt. Wie von einem jähen Blitz erleuchtet, sahen sie ihre Zukunft vor sich, eine Zukunft voll Not Md Entbehrung, und hinter alledem das Sterben. 136 — „To Mrd es uns auch einmal gehen, Rudolf!" sagte sie unter Tränen und schmiegte sich erschauernd an ihn. „Anny!" Er fand sonst kein Wort, aber in dem einem lag all' seine Angst, seine furchtbare Angst vor der Zukunft, und zugleich die namenlose Qual, die Ge- liebte nicht trösten zu können. So saßen sie einige Mi auten stumm, er in dumpfer Verzweiflung, sie weinend. Endlich ermannte er sich doch so weit, daß er ein Trost wort fand: „Weine nicht, Anny, Mr koinmen doch noch empor!" Wer sie schüttelte traurig den Kopf uno sagte: „Nein, nein, Rudolf! Das Glück kommt nur einmal, und heute ist es an uns. vorbeigegangen. Nun Lammt es nicht mehr. Und ich habe auch keinen Glauben und keinen Mut mehr!"! Da ließ er den Kopf tief zur Brust hinuntersinken, und es war ihm, als sähe er vor seinen tränenumflorten Augen eine graue Gestalt hüstelnd an ihnen vorüber auf die Bühne schleichen. Schützen-Lied»). (Text von Major Bock von Wülfingen.) Der Morgen graut, e» dampft da» Tal, Die Höh' erglüht 1« Sonnenstrahl. «nf Feld und An erglänzt -er Tau, E» funkelt he« der stürzende Quell. So Var die Luft, im Morgenduft Erscheint die Welt so keusch, so reim Roch schweigt der Wal», «och ruht di« Flur, Rur leise atmet die Ratur. Da kltugt'S so he«, so frisch, so schnell, von Berg zu Tal et« Hörnerschall, Da» Scho hallt in Berg und Wal», ES zieh'« »te Schütze« tu da» Feld. Wer keimt sie nicht, die schwarze Schar, Die aller Feinde Schrecke« mark Sie hemmt kein See, nicht steile Höh', stein Wald, kein Tur« steht ihre« Stur«. Richt» hält sie auf i« Siegeslauf. Sie schmücke« mutz der Lorbeertranz. Im Feld bei Brie, i» heitzer Schlacht Drängt sie der Feind mit Uebermacht. Doch ««verzagt den stampf gewagt. Strömt auch das Blut, »er Schütz' hat Mut. Er hält das Feld al» echter Held Und weichen mutz der grimme Feind. Und ruft die Pflicht die Schütze« heut ! Wenn eruste Lett e» so gebeut, Sind alle schnell aufs «e«' zur Stell', Die Wehr zur Hand für» Baterlau», Dem stöntg treu, kühn wie der Le« Lum strieg, znm Lode «der Steg. Denk- und Einnsprüche. Mer trocken Brod mit Lust genießt. Dem wird es gut bekommen. 'Wer Sorgen hat und Braten ißt, Dem wird das Mahl nicht frommen. Mit Glück und mit Verwegenheit Läßt manches sich bestreiten; Das Ruder der Gelegenheit, Das laß dir nicht entgleiten. *) Schützen-Marsch, enthaltend obiges Schützen-Lied, kompo niert von A. Helblg, erschien für Piano von I. G. Seeling, DreSden-N., auch durch jede Buch- und Musikhandlung zu beziehen Truck und Verlag von Langer ä Winterlich, Riesa. — Für die Redaktion verantwortlich: Herniann Schmidt, Riesa. Erzähler an -er Elbe. Belletr. Gratisbeilage zu« „Riesaer Tageblatt". «>. »1. «A° SI. «»,>, I»»9. Alte und neue Schuld. Novelle von M. TrommerShausen (Andrae). — Fortsetzung. Wie Eva und Tassilo über die ersten Seiten hin- ivegkamen, wußten sie selber nicht; gleich Traumes- wirren ging die Musik an ihnen vorüber, und nur ge wohnheitsmäßig folgten die Finger dem Klange. Mit der Zeit wurden sie ruhiger, und als sie zu Ende waren, halten sie beide ihre Fassung wiedergewonnen. „Es wird gehen," sagte Herr von Sorgen vergnügt und legte den Bogen fort. „Was meinen Sie, Herr Warbeck? Wer ich bitte, nicht zu kritisch zu sein und mit unseren dilettantenhaften Kräften zu rechnen." „Im Gegenteil, ich bin erstaunt, eine solche Fertig keit bei zum Teil noch recht großer Jugend zu finden, Herr von Sorgen," versetzte Tassilo mit einem Blick auf Alice, die ihren Bogen mit einer Leichtigkeit und An mut geführt hatte, als sei dies die ihr am meisten an geborene Beschäftigung. Nach einigen Wiederholungen der übrigen zur Aufführung komm«,den Swmmern erklärte Alfred, daß man nun durchaus eine Pause machen müsse, was leb haften Anklang unter der Jugend fand. Frau von Sorgen ließ Erfrischungen umherreichen, und die Gesellschaft.er ging sich im Garten. Eva vermied es, mit Tassilo allein zu bleiben; sie nahm Ursulas Arm, und Heinrich schlag sich ihnen an, während Else und Alfred Tassilo zu einer Partie Krocket aufforderten. — Eva ging meist schweigend zwischen ihren beidm Begleitern dahin, das plötzliche Wiedersehen mit Tassilo machte ihr zu schaffen. Sein Name freilich war in letzter Zeit häufig an ihr Ohr ge drungen, denn Tassilo Warbeck hatte gehalten, was er versprochen; er war ein namhafter Künstler geworden, dessen Kainpositionen bereits einigen Ruf erlangt hatten. Eva hatte sogar die Absicht gehabt, eins seiner Lieder zum Vortrag zu bringen, und wenn sie sich nicht unan genehmen Fragen aussetzen wollte, durfte sie darin nichts ändern. Herr von Sorgen rief die Zerstreuten.durch Hände klatschen wieder zusammen. „Jetzt bitte ich aber dringend um Rubinstein," sagte er, „da Sie ihn jeden falls einmal vor djem Kvnzerte spielen wollen, können Sie uns andern den Genuß Wohl gönnen." Tassilo warf einen Blick auf Eva - „Ich bin bereit," sagte sie und schritt zum Flügel. Er verbeugte sich und folgte iM Sie standen allein auf dieser Seite des Saales, denn die übrigen zogen sich des besseren Hörens wegen auf den entferntesten Teil zurück. Tassilo stand dicht neben ihr „Eva!" sagte er leise und eindringlich. „Eva, be- ruhigen Sie mich mit einem Worte, erklären Sie mir alles! Weshalb sind Sie hier? Warum dieser Name und — Eva, warum diese traurige Veränderung in Ihren Zügen?" - „Weil meine Vergangenheit abgetan ist und meine Zukunft leer und dunkel vor mir liegt," sagte sie trübe; „aber rühren Sie nicht daran, Tassilo, weder an dem einen noch an dem andern." „Wie Sie »vollen, Eva." Er nahm seine Geige zur Hand nnd schlug das Notenheft auf. „Nr. 2, wenn ich bitten darf, Fräulein Hartmann," sagte er laut. X Sic spielten. Ja, das war Spiel! Ei, wie etuec in der Seele des andern gelesen hatte, wie sich die Töne ineinanderschmiegten, wie sie emporstiegen, bald wild verwirren, bald sich lösend in klaren, sanften Harmonien. „Wie müssen sie sich ineinandergelebt haben, um so spielen zu können!" dachte Heinrich, der unverwandt die Augen auf ihnen rühm ließ, auf deut süßen, blassen Gesichte Evas mit den kummergefüllten Augen und dem stolzen, jugendschönen des Künstler», dessen blitzende Augen immer lebendigeres Feuer autzr strahlten, je länger er spielte. Ein ungcteilteS Bravo folgte dem Schluß, Else umarmte Eva Mimisch, Ursula hatte Tränen in de» Augen, und Frau von Sorgen sagte: „Am liebste« würde ich auf das Konzert verzichten. Schöneres kamt es mir nicht bringen." „AaS wird dann aus unseren Abgebrannten?" riH Herr von Sorgen. „Nichts da mit der heutigen Rühruag, Mutter; die heben wir uns besser zu morgm auf. Und daß dann jeder pünktlich zur Stelle ist! Mit dem Glocken schlage sechs beginnt der Reigen." Am nächsten Morgen war die Sorgensche Jugend eifrig beschäftigt, den großen Saal, in dem dost Konzert stattfinden sollte, festlich zu schmücken. Alfred und Svrl standen auf großen Leitern und befestigte» Girladen «n dm Wänden, zwischen denen ab und zu eine bunte Fahne lustig hervorwehte. Die erhöh« Bühne im Hintergründe des Saals war aufs präch tigste mit Blattgewächsen umstellt; sie waren laubm- artig aufgebaut, und in der Wölbung stand der Flügel. Else und Alice flochten noch eine Girlande, mit der die Plätze des fürstliche» Paares bekränzt werden sollten; aber Ursula und Heinrich hielten es nicht für taktvoll, die Hoheiten an einem Abend auszuzeichnen, an dem sid nur wie jeder ander« Gast den Armen eine Wohltat erweisen wollten. Als Eva in diesem Augenblicke herein trat, wurde ihr von Else sogleich der Streit vorgelegt, »nd sie stellte sich auf der älteren Geschwister Leite. „Run, dann weiß ich, ivozu wir sie verivenden wollen," rief Etse lebhaft, „sie wird der Lorbeerkranz für Fräulein Hartmann und Herrn Warbeck nach der RubinsteinschM Sonate! Ich werfe sie ihnen zu, während daS Publikum stürmisch „Bravo" ruft; ihr sollt sehen, ich tu's." — Eva errötete peinlich, aber ehe sie etwas erwidern konnte, hörte sie Heinrich sagen: „Und ich werde sehen, daß D» das nicht tust, weder wünsche ich, daß Fräulein Hart mann in Verlegenheit gesetzt werde, »och liegt mir da ran, daß Tu eine Dummheit begehst." Sein To» klang so eigentümlich Hirz und scharf, daß Eva sich nach ihm! umsah; aber er hatte sich zu K>rl gewandt und reichte ihm einen Nagel hinauf. Dann bemerkte Alfred, daß Fräulein Hartmann ungewöhnlich blaß und angegriffen ausjähe, und es wurde ihr mit Stimmeneinheit jede» tätige Eingreifen in die Verschönerung des Saales ver boten, sie wurde vielmehr i» einm Lehnstuhl gesetzt und von drrt aus um ihren Rat und ihre „geschmackvollen Bemerkungen" gebeten. Um sechs Uhr pünktlich erschienen die Gäste. Di« Eigenart dieses Konzerts, der Ruf des fremden Künstler-, die darch die Gegenwart der hohen Herrschaften geweiht«! musikalische Veranstaltung für arme Abgebrannte zog mächtig, »nd der Saal füllte sich so rasch, daß die Herr« ein übriges tun und mit scheinbarer Opferfreudigkeit Stehplätze, teils in den Nebenzimmern, teils im Garte» cinnehmen mußten. Tie Konzertgeber saßen alle aus ihre» Plätzen; manche Herzen darunter schlugen gewaltig, und alt jetzt ein Flüstern durch den Saal ging: „Ter Fürst und die Fürstin sind angekommen," «ls die Wre»