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96 — Wohnhause, die, wie ein Gerücht ging, bis an den Strom hinobreichen und sich durch eine verborgene Thür auf den selben öffnen sollten, — diese Keller sollten Zeugen fürch terlicher Thaten gewesen sein. Jeder, der des Verraths ver dächtig war, sollte hier ohne Erbarmen ermordet und durch die bequeme Thür in den Strom gestoßen werden. Je schauerlicher und unglaublicher die Geschichten klangen, desto lieber lauschte man ihnen. Die alte Urte, welche in früher« Zeiten in Tolmeningken gedient hotte, machten ihren Zuhörer kreis, ouS allen Knechten und Mägden des Hofes bestehend, allabendlich gruseln. Und der kleinen Mike sträubten sich vor Entsetzen die Haare auf dem Kopse, und die Augen traten ihr fast aus den Höhlen, wenn Urte zu erzählen begann. Im Bette zog sie die Decke über den Kopf und lag zitternd da, voll Angst und Schrecken. Nachts fuhr sie aus dem Schlaf empor, denn sie hatte geträumt, daß auch Georg in den tiefen, reißenden Strom geworfen werden sollte. Der Kopf deS Kindes war mit diesen wüsten Bildern so angesüllt, und ihr Herz so voll Sorge um den einzigen Menschen, der sich ihr freundlich erwiesen, daß sie schon mehrmals in Ver suchung gewesen war, über die Haide «ach Tolmeningken zu laufen, und Georg vor dem bösen Geisler und dem verhäng- uißvolleu Keller zu warnen. Sophie, die von diesen Gerüchten nichts wußte, sie in ihrer ganzen Ausdehnung wohl auch kaum für wahr ge halten haben würde, hatte neben ihrem alten Schmerz auch noch einen neuen zu überwinden. Die Birbacherin, Georgs Schwester, die gleich ihm auf dem Hofe erzogen war und bis her in allen Widerwärtigkeiten treu zu ihr gestanden hatte, war seit ihres Bruders Weggang nicht wieder auf den Hof ge kommen. Den Grund kannte Sophie, und sie konnte es ihr auch nicht verdenken, daß sie es mit dem Bruder hielt, umso mehr, als doS Recht unstreitig auf seiner Seite war. Aber eS schmerzte sie doch, daß sie die einzige Freundin, die sie besessen, verloren hatte. Auch die Mutter schien ihre einstige Pflegetochter, die ihr stets lieb gewesen, zu vermissen. Und daß eS gerade jetzt so gekommen war, wo die Birn- bacherin den Rath und die Hilfe der Mutter so nöthig hatte, daS wachte der letztem schwere Sorgen. So mochten etwa acht Tage seit Georgs Weggang ver gangen sein, als eines Abends die Birnbacherin rasch in Sophien- Kammer trat. Fast hätte diese aufgeschrien, als sie der Frau ins Gesicht sah. »Setz Dich, — Du . kannst ja kaum stehen!- sagte sie, ihrem Gast einen Stuhl zurrchtrückend, »und weshalb bist Du so blaß und verstört? Was ist vorgefallen?" »Laß mich, — die paar Minuten, die ich mit Dir zu sprechen habe, kann ich auch stehen! Ich Härte nach dem, was vorgrfallen ist, weinen Fuß nie wieder über Deine Schwelle gesetzt, kenn ich Dir nicht etwas zu sagen hätte," entgegnete die Frau mühsam nach Athem ringend. »Weißt Du, daß Georg ein verlorner Mensch ist, — und weißt Du auch, daß Du «S bist, der ihn ins Verderben gejagt hat?" Dem Mädchen wankten die Füße, — sie mußte sich mit beiden Händen auf den Tisch stützen, um nicht zu fallen. — Den ihr gemachten Vorwmf ließ sie unbeachtet, — viel leicht hatte sie ihn nicht einmal gehört. — Georg ein verlorner Mensch! »Wer sogt das? — was ist's mit ihm?" stieß sie mühsam heraus. »Weißt, wo er hingrgangen ist, als Du ibn hier fort getrieben haft?" fragte die Birnbacherin, sie mit feindseligen Blicken anstarrend. Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Zum Geisler ist er gegangen! — Und weißt auch nicht, was er mit dem treibt? Sophie schlug die Hände vors Gesicht, ohne zu ant worten. »Jetzt weißt Du's, — ich darf es Dir nicht mehr sagen — Und wenn sie ihn fasten und ins Zuchthaus stecken, dann weißt auch, wer schuld daran ist!" »Nein, nein, nein, Birnbacherin, daran bin ich nicht schuld!" rief das Mädchen wie außer sich. »O du gerechter Herrgott, Du weißt es, daß ich dos nicht gewollt habe!" „Wenn Du es nicht gewollt hast, so hast Du eS doch gethan!" sagte die Birnbacherin, durch Sophiens Schmerz etwas milder gestimmt. „Und wenn Du ihn gesehen hätt'st an jenem Abend, — ich vergess' sein Gesicht mein Lebtag nicht! Gar nicht, als wenn cs derselbe Mensch war, der da mals auf der Wies' mit uns gemäht hat. Und wie wir ihm zugered't haben, mein Mann und ich, da hat er gelacht, daß wir uns ordentlich erschreckt haben. Einem Menschen, der so brav und tüchtig ist, wie Du, wird es überall gut gehen, hab' ich gesagt. Mil dem Brovseln und Tüchtigsein ist's nicht mehr, hat er geantwortet. Geld muß man haben, wensl man nicht ein elender Kerl bleiben will, sein lebenlang. Wenn ich jetzt reich gewesen wär' und einen Hof gehabt hätt', dann hält' ich ein glücklicher Mensch sein können, ober so — Dann wurde er plötzlich still und saß da und starrte lange finster vor sich hin. Und am andern Morgen, als er fortging, sagte er noch zu mir: Vielleicht gelingt es mir, rasch viel Geld zu verdienen, dann komm ich wieder, Schwester! Aber es ist auch möglich, daß es mir nicht gelingt, — dann wollen wir Abschied nehmen, als wenn wir weit voneinander reisten. Und dann ging er fort." (Schluß folgt.) Die Tage der Nofen. Noch ist die blühende goldene Zelt, O du schöne Welt, wle bist du so weit! Und so weit ist mein Herz und p froh wie der Tag, Wie die Linie durchMelt von Lerchenschag! Ihr Fröhlichen, singt weil das Leben noch mait: Nock ist die schöne, die blühende Zeit, Noch sind die Tage der Ri jen. Frei ist das Herz und frei ist das Lied, Und stet ist der »-ursch, der die Pelt durchzieht, Und em rosiger Kuß ist nicht minder frei, So spröd und verschämt auch die riippe sei. Wo ein Lied erklingt, wo ein Kuß sich beut. Da heißl's: Noch ist die b ühende goldene Zeit, Noch sind die Tage der Rosen. Ja im Herzen tief innen ist Alles daheim, Der Freude Saat n der Schmerzen Keim. Drum s'tjch sei das He>z und lebendig der Sinn, Dann biauset ihr Stürme, daher und dahin! Dir aber sind allzeit zu singen bereit: Noch ist die blühende goldene Zeit, Noch sind die Tage der Rosen. Otto Roquete Denk- und Sinvsprüche. Hast du was Schlimmes gesagt, bald wirst du noch Schlimmere« hören. Arbeit ist nicht Schande, die Faulheit bringt die Schande. Hesiod. Ein gutes ewissen ist besser als zwei Zeugen. Es verzehrt deinen Kummer ist ein »runnen wenn dich dürstet, ein Stab wenn du sinkest ein Schirm, wenn dich die Sonne stickt, ein Kopf kissen im Tode. Lank und vertag von Langer L Winterlich in Riesa. — Für die Redaktion verantwortlich: Hermann Schmidt in Riesa. Crßhler an der Elbe. Belketr Gratisbeilage zum „Riesaer Tageblatt". Rr. 24. Riel», de» 18. Jo»! 18»8. «. z-R» Ellernbruch. Erzählung von Hans Warring. Fortsetzung. Eine Weile blieb es wieder still. Dann erhob sich Georg langsam und sprach mit heiserer Stimme: »Das ist deutlich gesprochen, und wenn ich Dich jetzt nicht verstehe, so ist das nicht Deine Schuld. Aber ein letztes Wort möchte ich Dir auch noch sagen, So lange ich zurückdenken kann, hab' ich Dir Liebes und Gutes erwiesen, so viel in meinen Kräften stand. Deinen Tank dafür hab' ich jetzt und schon früher ein mal erhalten! Aber ohne daß Tu cs gewollt, hast Du mir eine Wohllhat erwiesen; Du host mich jetzt auf einmal frei gemacht! Vier Jahre lang hab' ich in der Ferne darnach gerungen, ohne daß es mir gelungen ist, — jetzt hast Du es im Handumdrehen vollbracht!" — Er wandte sich von dem Mädchen, das starr wie eine Bildsäule vor ihm stand, weg, und reichte der Mutter die Hand. „Leben Sie wohl, Mutter, — ich kann keine Stund' länger unter diesem Dach bleiben, aber ich dank Ihnen für alles Gute, woS Sie an mir gethan!" Ohne sich umzusehen, ging er zur Thüre hinaus, und die Mutter folgte ihm, die Schürze vor den Augen. Sophiens erster Impuls war, ihnen nachzustürzen, — sie zurückzurufen! Sie hatte den Thürgriff schon in der Hand, da besann sie sich auf die Worte, die gesprochen waren. Davon gab es keine Umkehr! Sie warf sich in den Lehnstuhl der Mutter und preßte die Hände ckn die Schläfen. WaS hatte sie gethan! Jetzt war alles zu Ende! Die Welt hätte in diesem Augen blicke untergehen können, — sie hätte sich kaum darum beküm mert. — Was war ihr jetzt noch das Leben werth, da sie ihn unwiederbringlich verloren! Ueber ihr in Georgs Stube wurde gesprochen, — sie erkannte seine und der Mutter Stim me. Sie wußte nicht, wie lange sie auf diese Stimme gelauscht hatte, ihr erschien es wie eine Ewigkeit. Dann kamen Schritte die Treppe herab. Dos Mädchen sprang auf und flüchtete in ihre Kammer. Sie konnte die Mutter jetzt nicht sehen. Und nun stand sie am Fenster und schaute mit heißen, trockenen Augen in den Abend hinaus. Der Abend ging in die Nacht über, und noch stand sie am Fenster und lauschte auf den Regen, der langsam und stetig herab rieselte. In Haus und Hof war längst jedes Geräusch verhallt. Auch die Mutter hatte, nachdem sie lange ruhelos aus und ab gegangen war, sich endlich zu Bett gelegt. Das Mädchen aber fand keine Ruhe, die ganze Nacht hindurch. — DaS hatte sie nicht ge wollt, — das ging weit über ihre Absicht hinaus! — An gern hatte sie ihn wollen! Ihn in seinem Stolz demüthigen, — ihn kränken! Aber ihn von sich treiben, auf Nimmerwieder- kehr, — o mein Gott, nur das nicht, — nur das nicht! IX. Diesem Abend folgten schwere, graue Regentage, die jede Arbeit aus dem Felde unmöglich machten. Als sei alles Leben rniflohen, so düster und schweigsam log der Hof da. Kein frohes Rüsten zur Arbeit am Morgen, — fline frohe Rückkehr am Abend! Mürrisch schoben sich die Leute von einer Arbeit zur andern — sie hatte ja keine Eile und war nur vorgenommen worden, um die Hände nicht ganz müßig zu lassen. — Auch > im Hause war jeder Frohsinn erstorben. Als gebe eS eine s Leiche im Hause darin, so still ging eS zu. ES hatte in der Absicht her Mutter gelegen, Sophien inS Gewissen zu redm und ihr vorzustellen, daß ihre maßlose Heftigkeit mit der Zeit Jeden von ihr scheuchen müsse — daß sie einst ganz allein auf der Welt stehen werde. Aber daS Gesicht deS Mädchens hatte an jenem Morgen so bleich und leidend auSgesrhen, daß die Mutter diesen Vorsatz aufgab. Sie war Menschenkennerin genug, um zu sehen, daß daS Mädchen sich alles, waS sie ihr hatte sagen wollen, schon selbst gesagt hatte. So ließ sie sie still ihre Wege gehen und berührte mit keinem Worte daS Geschehene. Sie kannte ihre stolze Tochter zu wohl, um zu wissen, daß sie ihrer Reue und ihrem Schmerze, selbst der Mutter gegenüber, nicht Worte leihen, sondern sie still in sich tragen und überwinden würde. Ans dem Gemüthe deS Mädchens lasteten diese düster« Regentage mit furchtbarem Drucke. In ihrer jetzigen Stim mung wäre Arbeit — schwere Arbeit — die sie tagüber zu keinem Gedanken hätte kommen lassen und abends in einen tiefen traumlosen Schlaf versenkt hätte, der beste Freund gewesen. Und nun war sie zur Unthätigkeit verdammt! Denn was sie im Hause auch vornehmen mochte — ihre quälenden Gedanken wurde sie keinen Augenblick loS. Bleiern und schwer verlie fen die Stunden — seit dem Tode des Vaters hatte sie solch schwere nicht wieder verlebt! Ja, die gegenwärtigen waren eigentlich noch schwerer. Ter Vater war in Liebe von ihr geschieden, und an seinem Scheiden trug sie keine Schuld. Hier aber war sie es gewesen, die gewaltsam ein Band zer rissen hatte, welches ein schöner Glück an ihr Leben hätte binden können — die das einzige treue Herz, daß ihr noch blieb, in Zorn und Schmerz von sich getrieben hatte! Draußen aber rieselte der Regen unaufhattsam herab und plätscherte auf dem Dache und goß Ströme schäumenden Was sers auS der Rinne, daß das große Wafsersaß an der HauS- ecke bald überfloß. So grau und düster sah eS außen und innen aus, so daß daS Mädchen ordentlich vor Schreck zusam menfuhr, als sie drinnen in der Gesindestube ein lautes, lusti ges Lachen hörte. Da saßen die Mägde beim Säckenähen zusammen und Vertrieben sich die Zeit mit Scherzen. Sie hatten gut lachen — sie hatten keinen Kummer! Mit einem stillen Gefühl von Neid wollte Sophie an der Thüre vorüber gehen, als daS Schluchzen eines Kindes an ihr Ohr schlug. Das war Mikes Stimme — was hatte man der Kleinen ge than? Sie war mit ihrer Herde heimgekommen, weil »die Gisse! in der Kält' erllamt waren" — so hatte sie, selbst zitternd vor Kälte und Nässe, ihr Kommen erklärt. Wollte man sie wieder hinaustreiben? — Rasch trat Sophie in die Stube. Da stand das Kind, das nasse Blondhaar in Sträh nen um das gesenkte Köpfchen hängend, die Hände an die Augen gedrückt, bitterlich weinend. Um sie her waren alle Mägde des HofeS versammelt — selbst die alte, sonst so grämliche Urte fehlte nicht — und lachten mit lauter Stimme, und je heftiger der Kummer des Kindes sich äußerte, desto lauter und lärmender wurde ihre Lustigkeit. „Seht Ihr nicht, daß das Kind friert? Laßt sie anS Feuer, daß sie sich wärmt," sagte Sophie unwillig. »Es ist nicht die Kält'," erwiderte Karolive, die HauSmagd