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8 I s s L »^2 Sie gewesen, Ich habe Ihnen ja mein Lebm zu verdanken, und Sie wissen noch nicht einmal, wie ich heiße." Ich suchte ihr mit einem Scherz zu antworten. »Nein, Mr. Moore, lassen Sie uns ernsthaft reden. Die Sache fing nicht gerade sonderlich lustig an, und daß sie einen so glücklichen Ausgang nahm, ist einzig und allein ihr Ver dienst. Ich glaubte einen schwachen Druck ihres Armes zu fühlen. „Mein Name ist sehr gewöhnlich — ich heiße Leigh, Nelly Leigh. Und ebenso gewöhnlich wie mein Name ist auch meine Beschäftigung — ich bin Näherin." Ich blickte in ihre schönen, tiefen Augen; ich betrachtete ihre seine, elastische Gestalt; ich sah die keine Hand an. die so vertrauensvoll auf meinem Arme ruhte. Miß Nelly Leigh mußte eine nicht ganz gewöhnliche Näherin sein. „Und sie waren eben gewiß im Begriff, sich zu einem Kunden zu begeben, nicht wahr? Daß Sie Gle hatten merkte man wohl." „Ganz recht, Mr. Moore, ich wollte zu einer reichen, alten Dame, die mich um diese Zeit bestellt hatte. Sie kön nen sich nicht vorstellen, wie eigen sie mit ihren Sachen ist! Sie ist entsetzlich eingebildet, und dabei Hot sie — aber wie kann Sie mein Geschwätz nur interessiren! Verzeihen Sie, Mr. Moore, und haben Sie herzlichen Dank für Ihre Be gleitung! Hier wohne ich!" Wir machten vor einem Hause in einer ruhigen Seiten gasse Halt. Sie sah zu einem Fenster im ersten Stockwerk hinauf, und mein Blick folgte dem ihren. Die Fensterscheiben waren spiegelblank, die Gardinen schneeweiß, und auf dem Aensterbrette stand eine ganze Reihe Blumentöpfe mit blühen den Gewächsen. Miß Nelly streckte ihre kleine Hand, um sich zu verab schieden. Aber ich wollte sie nicht so leichten Kaufes freigeben. „Ach nein, Miß Leigh, jetzt, wo ich Sie so weit beglei tet habe, gestatten Sie mir wohl, Sie die Treppe hinauszu führen. Treppen sind ja so sehr anstrengend, und Sie sehen noch ein wenig bleich aus." Diese letzten Worte entsprachen freilich der Wahrheit nicht so ganz, Miß Leigh glich einer blühenden Rose. Sie öffnete die Thür, dann wandte sie sich nach mir um und sagte: „Wie liebenswürdig von Ihnen, Mr. Moore, daß Sie mir noch ein wenig Gesellschaft leisten wollen! Meine Mutter wird sich sehr freuen." Oben angelangt, klopfte sie an die Thür. Ein Schlüffe! raffelte im Schloß. Knarrend öffnete sich die Thür. Das runzeliche Gesicht einer alten Frau blickte hervor. „Bist du es, Nelly?" Und Nelly trat ein; ich folgte ihr. Sie zeigte mit der Hand auf das altmodische Sofa und bat mich, Platz zu neh men. Tann verschwand sie im Nebenzimmer. Einige Minuten verflossen. Ich blickte mich im Ziminer um. Einige Stühle, das alte Sofa, ein braun gestrichener Tisch, einige Kupferstiche an den Wänden und der duftende Blumenflor in den Fenstern; Miß Nelly Leigh und die Mutter waren offenbar arm, aber sauber und tüchtig. Jetzt wurde die nach dem Nebenzimmer führende Thür geöffnet. Das junge Mädchen »md ihre Mutter traten heraus. Wie entzückt sah meine neue Freundin ohne Hut aus. Die dichten blonden Locken fielen ihr jetzt frei in die Stirn herab. Uud dann der Wuchs! »Mr. Moore, Mama! der mich mit eigener Lebensgefahr rettete", stellte sie mich vor. Wir setzten uns. Ich mußte wohl oder übel meinen Platz auf dem Sofa behalten. 90 — Die alte Dame sprach ihren Dank in warmen Worten aus, sie habe es Nelly schon so ost gesagt, daß sie sich auf der Straße vorsehen solle, aber das Kind sei so unvorsichtig. „Aber jetzt ist sie gewarnt; ein ander Mal wird sie sich schon in acht nehmen. Ja Nelly, da ist nicht immer ein Mr. Moore bei der Hand, der dich retten kann." Ich verbrachte eine äußerst angenehme Stunde. Wir wurden bald bekannt miteinander. Nellys Mutter sprach in der offensten Weise init mir über ihre Verhältnisse. Es war die alte Geschichte von Armuth und Unglück; der Tod hatte unbarniherzig einen im blühenden Lebensalter stehenden tüchtigen Mann aus dem Kreise der Seinen ge rissen. Da galt es, sich durch eigener Hände Arbeit zu er nähre». Nelly war damals noch ein Kind, ein Umstand, der die Lage der Wittwe sehr erschwerte. Und die alte Frau mit dem runzelichen Antlitz und dem gebeugten Rücken erzählte mir, wie sie sich abgearbeitet und gequält habe, wie oft sie der Verzweiflung nahe gewesen sei. Dann war Nelly herange wachsen und seit, der Zeit hat alle Noch ein Ende. Sie stand ihrer Mutter getreulich bei und opferte sich für sie aus. Nelly war stets eine gute Tochter gewesen. Es wurde Zeit sür mich zu gehen. Ich hatte mich schon zu lange aufgehalten. Ich erhob mich, um mich zu verabschieden. Da klopfte es an die Thür — ein, zweimal. Der Besucher hatte offenbar Eile. Nelly sprang auf. Sie erröthete. Wußte sie etwa, wer da vor der Thür wartete? „Guten Tag, Nelly! Hast du dich sehr nach mir gesehnt?" Es war eine tiefe, männliche Stimme: sie kam mir so merkwürdig bekannt vor. Wer trat so ungenirt ins Zimmer, wer drückte der Allen so herzlich die Hand, wer legte völlig unbefangen, als sei es das natürlichste Ding von der Welt, seinen Arm um Nellys schlanke Taille? Wer anders, als der Adjutant, dieser Morri son, dieser Allerweltsmensch! Er hatte mich nicht sogleich gesehen. Doch jetzt gewahrte er mich, und ich muß gestehen, mir ist selten ein so verwun dertes Gesicht begegnet. Eine Minute lang standen wir einander schweigend gegen über. Skelly hatte Morrisons Arm, auf den sie ihre Hand soeben gelegt, losgelassen, sie blickte uns mit großen Augen an. Auch die Mutier schwieg. Sie fand gewiß, daß alles in Ordnung sei. „Mr. Moore," begann der Adjutant mit leiser Simme, „Sie hier? Aber er wurde von mir unterbrochen: „Ja, Mr. Morrison, ich bin hier! Störe ich etwa? Bin ich Ihnen im Wege?" Ich hätte vielleicht noch mehr gesagt, wenn Nelly mir nicht zuvvrgekommen wäre. Sie trat schnell zwischen uns und sagte mit dem ganzen Takt eines zartfühlenden, jungen Mädchens: „Mr. Moore, erlauben Sie, daß ich Ihnen in Mr. Morrison meinen Verlobten vorstelle." Und jetzt war mir alles klar. Tas Bild, das hübsche Bild! Da stand ja das Original leibhaftig vor mir. Und ich mußte gestehen, das Original war tausendmal anziehender als das Bild. Mit wenigen Worten theiltr nun Nelly ihrem Verlobten mit, auf welche Weise ich hierher gekommen war. Sie über trieb tüchtig — nach ihrem Berichte hatte ich eine wahre Heldenthat verübt! Und doch war es nur ein wildes Pferd. Du großer Gott, es ist ost weit schwieriger, einen Menschen zu zähmen, der von Sinnen ist, als ein Thier. K«D8NSZ>8 Z L ZLS LS SLS.LL LS-SSM 8 8 —. 91 Morrison trat an mich heran. Ohne ein Wort zu sagen, reichte er mir die Hand und ich drückte sie ihm herzhaft. In diesem Augenblick fühlten wir beide, daß der alte Groll geschwunden war. Die Vergangenheit war ausgelöscht. Nelly strahlte. Ihr Verlobter erzählte ihr, woher wir uns kannten. Unsere Feindschaft erwähnte er nicht weiter. Nelly versicherte, sie freue sich herzlich darüber, daß wir Kame raden seien. Kameraden! Gemeinsame Sache — der Brief — Ich bat Morrison, mir eine kleine Unterredung unter vier Augen zu gewähren, worauf sich das junge Mädchen sofort zurückzog. Was ich sagte, versteht sich von selbst. Henry Morrison ging, ohne sich zu besinnen, auf meinen Vorschlag ein. Er selber wußte nicht das geringste. Mr. Forster sah er so gut wie gar nicht. Sein Dienst nahm ihn völlig in Anspruch und aus dem alten Thomas war nichts herauszubringen. Eine Zeitlang wollte er die Sache jedoch noch mit ansehen. Nelly Leigh kehrte zurück. Wir nahmen Abschied von einander. Sie bat mich, Morrison bald einmal zu begleiten. Ich ging — und Morrison blieb. Als ich aber wieder auf die Straße kam, zog ich ein Kouvert aus der Tasche und gleich Schneeflocken tanzten die weißen Papierstückchen im Winde. 13. Es ist Abend geworden. Ich gehe in meinem Zimmer auf und nieder. Ich warte auf einen Besuch, der bald kommen muß. Tiefe Finsternis herrscht draußen wie drinnen. Ich habe kein Licht angezündet. Wäre doch dieser Besuch erst über standen. Die Aufklärungen, die Percy Barker mir geben wollte. — Pah! das kleine Messer in meiner Tasche war tausendmal mehr werth. Und gerade des Messers wegen wün sche ich, daß Percy Barkers Besuch erst vorüber wäre. Wenn er sich nur nicht lange aufhalten wollte, ich habe heute abend noch sehr viel anszurichten. Was für eine Persönlichkeit war Mr. Perty Barker im Grunde? Hatte der Zufall ihn so hoch steigen lassen oder war er in der besten Bedeutung des Wortes s selkwack? mrm? Und in großen Umrissen zieht die Lebensgeschichte des amerikanischen Millionärs an mir vorüber, — die Bilder verweile» einen Augenblick und verschwinden dann wieder im Dunkeln. Eine wunderbare Lebensgeschichte! Wer weiß, was wahr ist, was erdichtet ist? Niemand außer Percy Barker selber ist im stände, diese Frage zu beantworten. Es war zu der Zeit, als das Goldfieber im Lande raste. Nach Kalifornien! Nach Kalifornien! fort nach dem gelobten Land! Und das Fieber, das entsetzliche Fieber steckte Tau sende, ja Millionen von Menschen an, mit glänzenden Augen und umnebelten Sinnen gaben sie der dämonischen Macht widerstandslos nach, — es war ein langer, wogender Zug, ahne Anfang, ohne Ende, ein Zug von fieberkranken, wahn befangenen Menschen, — man entsetzte sich bei dem unheim lichen Anblick, man wandte sich schauternd ab, — oder auch, man schloß sich dem Zuge an. — Und unter der unabsehbaren Schaar befand sich auch Percy Barker. Er war zu jener Zeit noch sehr jung, und er war arm. Er dachte wie alle andern, — wenn sie überhaupt dachten —: Mit einem einzigen Hieb deiner Hacke, mit einem Spatenstich kannst du im Besitz unermeßlicher Reichthümer ge langen, weshalb zögern? Weshalb Andere den Vorsprung gewinnen lassen? Ein unermeßlicher Reichthum — das stärkste Gehirn konnte bei diesem Gedanken ein Schwindel ergreifen. Percy Barker wurde Goldgräber. San Francisco war sein Ziel. — Großes Gepäck beschwerte ihn nicht. Ein Ränzel auf dem Rücken, ein Bündel in der Hand, ein Messer im Gür tel — oder im Stiefelschaft und — der unentbehrliche sechs läufige Revolver. Doch nicht Alle werden von dem Glück begünstigt. Und wem es gelingt, mit einem Schlage reich zu werden, den er faßt ein Taumel auf der schwindelnden Bahn — er verliert den Halt und stürzt rettungslos in die Tiefe hinab — da bedarf es einer harten Stirn, um nicht im Staube liegen zu bleiben. Es ist ein gefährlicher Sturz, der oft gefährliche Fol gen nach sich zieht. So erging es Percy Barker. Er arbeitete im Schweiße seines Angesichts, hatte im Anfänge viel Schwierigkeiten zu überwinden und war ost der Verzweiflung nahe. Aber in der elften Stunde lächelte die Göttin ihn freundlich an — er streckte seine Hand aus und griff in die Speichen des Glücksrades. So recht genau kannte Niemand den Zusammenhang der Geschichte, nieniand außer Percy Barker selber. Man erzählte sich von einem ungewöhnlich großen Funde — von einem Manne, der sein Glück für Zeit und Ewigkeit gemacht habe — dieser Tag in Kalifornien würde ihm unvergeßlich bleiben. — Nur wenige Stunden später, und ein neues Gerücht ver breitete sich in New Aork; dasselbe lautete ganz anders. Die Seifenblase war geplatzt. Percy Barker war wieder, was er gewesen — ein armer Goldgräber. Doch — sein Name war genannt worden! Und während ich so in den dunklen Zimmern auf- und niederschritt, war es mir, als verstehe ich den Kampf, der in dieser Stunde in seinem Inner» getobt haben mußte. Das rothe Gold funkeln sehen, zu wissen, daß alles ihm allein gehört — Macht und Glanz, schäumender Wein und schöne Frauen. Er streckte die Hand nach dem Schatz aus, und wie mit einem Zauber schlage sank derselbe zurück in die Eingeweide der Erde — unerreichbar unwiederbringlich — fort auf ewig. Es war eine wunderbare Geschichte, die noch heute, nach Jahren, an dem Schauplatz, auf welchem sie sich zugetragen hat, nicht vergessen ist. Und wenn sich die Nacht niederge senkt hat, wenn die Arbeit ruht, wenn die Flasche nicht mehr kreist und der Gesang verstummt — dann erzählt wohl Jemand mit flüsternder, geheimnißvoller Stimme von ihm, der den unermeßlichen Schatz gefunden und wieder verloren hat. Dann seufzten die wilden Gesellen und mehr als einer seufzt tief auf und meint: „Ach, wäre doch ich der Glückliche gewesen! Ich würde es schon verstanden haben, den Schatz zu halten." Percy Barker kehrte wieder nach New Aork zurück. Er hatte das Goldgraben satt. Man betrachtete ihn natürlich mit einer gewissen Neu gierde, und selbstredend waren die wunderbarsten Geschichten über ihn im Umlauf. Unter allen diesen Gerüchten, welche mehr oder weniger Anspruch auf Glaubwürdigkeit machten, beschästichte sich auch eins mit dem steifen Finger seiner linken Hand. Danach hatte Percy Barker, der sich in Begleitung eines Chinesen auf Reisen befand, eines Nachts in einem Walde gelegen. Sie waren fern von jeder menschlichen Wohnung, die Nacht war dunkel und der Wald dicht — die Versuchung war zu groß für den gclbhäutigen Sohn Chinas. Er zog sein Messer, er beugte sich über seinen Herrn, und schon blitzte der Stahl über dessen Brust. Ta erwacyte Percy Barker, wehrte mit der Linken den Stoß ab, der Chinese erschrickt