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— 130 — hat ihnen gor nichts geholfen. Auch weiß ich, warum. Wenn ei» Mann, wie unser Direktor, einmal so recht von Herzen liebt, so kümmert er sich um keine andere mehr!" Diese schöne Sentenz war mit einer gewissen Bezüglich keit gesprochen und wohl auch von Milka verstanden worden, denn das junge Mädchen schmiegte sich zärtlich an Paul, der ihr leise etwas ins Ohr flüsterte. „Milka!" rief jetzt die Baroneste laut, und die beiden Leute flogen auseinander. Paul verschwand unten im Korri dor und das Kammermädchen eilte die Treppe hinauf und fland mit hochrothem, schuldbewußten Gesicht vor ihrer Herrin. „Ich habe geläutet," sagte Della, die, von ihrer Diene rin gefolgt, ihrem Zimmer züHritt. „Ich war in der Plättkammer," stotterte Milka verlegen. Della antwortete nicht. In ihrem Zimmer angekommen, setzte sich die Baronesse an ihren Sekretär und begann zu schreiben, während im an stoßenden Boudoir Milka alles nöthige zur Tagestoilette ihrer Herrin zurechtlegte. „Milka!" rief die Baroneste nach einer Weile, und als das Kammermädchen erschien, reichte Della ihr ein Billet mit der Weisung, cs zu Direktor Siegfried tragen zu lasten. Ter Diener sollte aus Antwort warten. Millas frisches Gesichtchen verlor alle Farbe bei diesem Auftrage. Aufgeregt, wie sic war, schoß ihr ein fürchterlicher Gedanke durch ihr Köpfchen. „Mein Gott," rief sie außer sich, „das gnädige Fräulein haben gehört, was ich mit Paul gesprochen habe, und wollen dem Herrn Direktor Alles mittheilen?" Die Baronesse sah das zitternde Mädchen staunend an. „Tu bist eine Närrin," sagte sie nach einer Pause, während zum ersten Male seit langer Zeit ein wirklich heiteres Lächeln über ihr blasses Gesicht glitt. „Ich habe allerdings zufällig Deine glänzende Vertheidigung meiner Person gegen die Anklage des Hochmuths gehört, meine Herablassung geht aber nicht so weit, um mit einem Fremden die Privatangelegenheit meiner Dienerschaft zu besprechen. Sei nur auf der Hut, daß Dich dieser Paul nicht zum besten hat." Milka schüttelte den Kopf mit dem schwarzen, krausen Haar, und ihre thränenfeuchten Augen strahlten in so rührender Zuversicht, daß die Baronesse zum ersten Male eine Entdeckung machte, daß ihre Dienerin ein wirklich hübsches Mädchen sei. „Geh jetzt, Milka," sagte sie in ungewöhnlich mildem Ton, „ich werde dann sofort Toilette machen." In kaum zehn Minuten kehrte Milka bereits mit der Antwort zurück, d. h. mit einem Billet des Direktors, das in der schönen, festen Schrift Siegfrieds nur die wenigen Worte enthielt: „Es wird mir eine angenehme Pflicht sein, Ihre Mittheilungen entgegenzunehmen." „Bleibe im Borsaal, Milka," sagte die Baroneste, als sie gelesen hatte, „und wenn der Herr Direktor Siegfried kommt, so führe ihn in mein Empfangszimmer." Eine Viertelstunde später stand Rolf Siegfried in dem eleganten Salon der Baroneste und wartete auf besten Herrin. Der Direktor vermochte sich nicht zu denken, was sie von ihm verlangen könne; einer bloßen Laune wegen hatte sie ihn wohl kaum rufen lasten. Dem widersprach Dellas ganzes Benehmen ihm gegenüber. Nachdenklich betrachtete der Direktor ein keines Aqua- rellblld über dem Piano neben einem Fenster des Salons. Er kannte die Landschaft wohl. Am Fuße eines stellen, mit spärlichem Unterholz bewachsenen Abhanges schoß, weiße Schaum kämme aufwerfend, der wilde Rotheimbach rasch vorüber. Das rechte Ufer senke sich minder stell, aber doch immer abschüssig genug zuui Bache hinab. Man sah den steinigen, unter waschenen Waldboden und die verschränkten, knorrigen Wur zeln bloß liegen, zum Zeichen, daß der Bach zu Zeiten wohl auch höher, viel höher steige, und daß das Moos welches so sammtweich das an einer Stelle etwas in den Fluß hinein vorspringende Ufer überkleidete, nur eine trügerische Sommerdekoration sei. Und über diese Landzunge hinweg sah man auch ein Stück in den Wald hinein. Aus einer kleinen Lichtung stand eine riesige, prachtvoll gewachsene Tanne, deren mächtige Aeste sich ties zur Erde senken. Das war die Königstanne, die am sogenannten „Paste" stand. Ta hörte der Direktor das Rauschen eines Frauenkleides; Della stand vor ihm und sagte mit ihrer Karen Stimme: „Entschuldigen Sie, Herr Direktor, daß ich Sie einige Augen blicke warten ließ." „Ich habe es nicht bemerkt," entgegnete Siegfried ruhig, „mich fesselte jenes Aquarell." „Sie sind sehr aufrichtig, Herr Direktor; doch um so besser, dann kann ich meine Entschuldigung zurücknehmen," erwiderte Della hochmüthig. - Ohne dies zu bemerken, sagte Siegfried: „Erlauben Sie mir eine Frage, gnädiges Fräulein: Wer hat dieses Aquarell gemalt, welches den Rotheimpaß sehr treu wiedergiebt?" Schon wollte die Baronesse mit „ich" antworten, als sie sich plötzlich eines anderen besann. Wer weiß, welchen Tadel der verhaßte Mann wieder in Bereitschaft hatte, und sie wollte nichts von ihm, gar nichts, weder Lob noch Tadel! „Eine Dame, mit der ich sehr gut befreundet bin, hat das Bild gemalt," sagte Della scheinbar unbefangen und ersuchte den Direktor mit einer Handbewegung, Platz zu nehmen. „Herr Direktor," begann sie, als Siegfried schweigend der Einladung gefolgt war, „ich bin gezwungen. Sie einige Augenblicke in Anspruch zu nehmen. Ich war bis jetzt gewöhnt, alle Bestellun gen für meine Person durch Solberg — ich meine, durch unseren srüheren Verwalter — besorgen zu lassen. Die Begleichung meiner Bestellungen war selbstverständlich auch die Sache der Gutsverwaltung, jo daß ich mich um weiter nichts zn kümmern hatte. Heute erhielt ich nun von dem Modegeschäft Welsing in der Residenz ein Schreiben, sowie diese Rechnung." Della legte die Papiere auf den Tisch und fuhr fort: „Die einzelnen Posten dieser Rechnung datieren so weit zurück, daß ich überzeugt bin, daß hinsichtlich der Bezahlung ein Jrrthuin der Firma vorliegt. Ich ersuche Sie also, Herr Direktor, da Sie, wie mein Vater gejagt hat, provisorisch die Verwaltung übernommen haben, die Quittungen Welsings suchen zu lassen. Sollten sich dieselben aber nicht finden, — eine flüchtige Röthe glitt über Dellas Gesicht —, so haben sie wohl die Güte, diese Rechnung sofort begleichen zu lasten." Die Baronesse schwieg. Der Direktor, der noch immer den Blick vrüsend auf dem Konto ruhen ließ, begann erst nach einer k'einen Weile: „Ich muß Sie bitten, gnädige Baro neste, von diesem Vorkommniß dem Herrn Baron Mittheilung zu machen." „Weshalb?" fragte Della rasch. „Vielleicht, weil Sie nur provisorisch Papas Geschäfte leiten? Das thut gar nichts, wenn ich nur Ihnen den Auftrag gebe. Ich möchte nicht," fuhr sie zögernd fort, „daß Papa erfahre, daß ich gerade ' jetzt eine so große Summe brauche. ' Ich fürchte, Papa hat Kummer. Nicht wahr, ich habe recht?" Die stets so kalt und kühl klingende Stimnie der Baronesse wurde bei den letzten Worten weich und warm. Der Direktor ließ das Konto sinken und blickte auf. „Ja, gnädiges Fräulein, Ihr Vater hat große und schwere Sorgen, aber der Herr Baron wünscht nicht, daß Sie etwas davon erfahren." „Warum?" fragte Della heftig. werden kau 131 „Wahrscheinlich traut er Ihnen nicht Seelenstärke genug zu, sich in eine bescheidenere Lage zu fügen." „Ich hoffe, mein Vater wird von einem edleren Beweg grund geleitet," entgegnete die Baronesse erzürnt; „er will mein Leben, das ohnehin so farblos ist, nicht noch bunker gestalten dadurch, daß er mir seine momentanen Verlegenheiten mittheilt." Della überlegte einen Augenblick. „Ich bitte", sagte sie, „theilen Sie mir rücksichtslos die ganze Wahrheit mit!" Es blitzte dunkel in den ruhigen Augen des Direktors. „Sie wünschen die Wahrheit zu hören, Baronesse, und Sie sollen sie hören, da ich finde, daß Sie nicht nur das Recht, son dern auch die Pflicht haben, sie zu vernehmen. Ihrem Wun sche, tiefe Rechnung sofort zu begleichen, kann nicht ent sprochen werden, weil der Gutsverwaltung diese Summe nicht zur Verfügung stehen wird. Der Herr Baron befindet sich in so mißlicher finanzieller Lage, daß er wichtigere Dinge in Ordnung zu bringen hat, als diese Rechnung eines Händlers von Sammt und Seide, um so mehr, als dieser Mann Tausende fordert." Dellas schönes Gesicht war sehr blaß geworden. „Sie wären ja »och grausamer, als Sie mir ohnedies er scheinen," antwortete Della langsam, wenn Sie mir nicht die Wahrheit unentstelll gesagt hätten. Ich muß diese demüthigende Wahr heit ertragen und frage Sie nur: Was bleibt mir zu thun übrig? Denn meine Selbstachtung fordert, daß diese Summe möglichst umgehend bezahlt wird." „Beruhigen Sie sich, gnädiges Fräulein. Der Chef der betreffenden Modehandlung wird zufrieden sein, wenn man ihm mittheilt, daß sein Schreiben zur Krnntniß genommen wurde und daß seine Forderung baldmöglichst beglichen werden wird. Wollen Sie übrigens noch meinen Rath, so will ich Ihnen denselben aufrichtig geben, selbst auf die Gefahr hin, von Ihnen für noch rücksichtsloser gehalten zu werden, als dies bereits der Fall ist." Tie seinen Lippen der Baronesse preßten sich fest auf einander. Sie hätte wohl am liebsten ein „Empörend!" oder ein „Unerträglich!" ausgestoßen, aber es galt ja nicht ihr eigenes Interesse allein, es galt auch das ihres Vaters, der diesem Mann die Ordnung seiner Vermögensverhältnisse an vertraut hatte. „Sprechen Sie," sagte Della, nachdem sie ihre Aufwallung niedergedämpft hatte, wandte dabei aber das Gesicht ab; sie sand nicht nur Siegfrieds Worte, sondern auch seinen Blick „unerträglich". Der Direktor begann in ruhigem Ton: „Nachdem ich dem Herrn Baron volle Klarheit über den Stand seiner finanziellen Angelegenheiten verschafft hatte, be schloß er sofort, sich einzuschränken. Er wird einen Theil seiner Diener entlassen und einen Theil seiner Pferde verkaufen. Glauben Sie nicht, gnädiges Fräulein, daß die Tochter die Pflicht hat, den Vater die ungewohnte Last nicht allein tragen zu lasten?" „Soll ich, sobald mein Vater die Pferde verkauft hat, vielleicht meine Garderobe versteigern?" Gn mitleidiges Lächeln umspielte eine Sekunde lang den Mund des Direktors. „Wenn sich daraus ein nennenswerther Ertrag erzielen ließe, würde ich auch dazu rathen," sagte Siegfried so ruhig, als hätte er die Worte der Baronesse ernst genonimcn. „Modeartikel werden jedoch gewöhnlich weit über ihren wirklichen Werth bezahlt, sodaß sie von Anfang an nur in der Einbildung eine entsprechende Summe repräsentiren; beim Verkauf erhält man nun obendrein nicht einmal den wahren Werth, sondern nur einen Bruchtheil. Deshalb bin ich nicht so grausam, einen Toilettcnverkauf zu empfehlen. Mein Rath bezieht sich nur auf die Zukunft. Lasten Sie sich von nun an mit der Hälfte der Summe genügen, die diese vor liegende Jahresrechnung aufweist. Nach zwei, drei Jahren wird bei kluger Verwaltung seiner Güter der Baron dann wieder in der Lage sein, seiner Tochter jeden Wunsch, falls er nicht zu kostspielig ist, zu gewähren." Della stand hastig auf; ein kostbares, mit reichen Spitzen geschmücktes Gewand umschloß auch heute die wunderschöne Gestalt, die das Haupt so stolz zurückwarf, daß diese Gebärde allein schon entschiedenen Protest gegen die Zumuthung Sieg frieds ausdrückte, während sie rief: „Ich kann mich doch nicht wie eine Nähmamsell kleiden!" Auch der Direktor war aufgestandcn. „Kennen Sie die Fürstin Altmark, Baroneste?" fragte er. Della sah ihn überrascht an. „Ja, sehr gut, wie kommen Sie auf die Fürstin?" „Wollen Sic die Güte haben, mir Ihre Meinung über die Dame zu sagen?" „Fürstin Altmark ist eine der liebenswürdigsten Damen, die ich kenne," entgegnete Della. „Und trauen Sic ihr guten Geschmack zu?" „Ich weiß, daß die Fürstin tonangebend in ihren Krei sen ist." „Es freut mich, daß Sie das sagen, Baroneste; denn ich theile diese Ansicht vollkommen. Fürstin Altmark ist eine Dame, deren Toilette ich bisher fürstlich d. h. graziös und zugleich von wahrhaft eleganter Einfachheit gefunden habe," sagte der Direktor mit Betonung. „Die Fürstin ist eine so schöne Frau, daß sie getrost aus jeden Schmuck durch die Toilette verzichten kann," bemerkte Della. „Ja, die Fürstin Altmark ist sehr schön, aber Della von Rotheim ist schöner," erwiederte Siegfried so ruhig, als spräche er ein Urtheil über ein Kunstwerk. Della fühlte das, und nie hatte eine Anerkennung ihrer Schönheit, die sie doch schon tausendfach hatte preisen hören, sie so in Verwirrung gesetzt als dies einfache Wort. Wie in verlegenem Spiele schob sic einen Ring an dem keinen Finger ihrer Rechten auf und ab und sagte beinahe schüchtern: „Ich werde ver suchen, Jhreu Rath zu befolgen." „Thun Sie das, Baronesse. Sie werden dabei nur gewinnen," entgegnete Siegfried in herzlichem Tone. In diesem Augenblicke fiel Dellas Ring zu Boden. Der Baron bückte sich schnell danach. „Ein schönes Kleinod," sagte er, um Della über das Peinliche des Moments wegzu helfen. „Ja, diese Steine sind sehr rein," entgegnete sie- „Leider ist. dieser Ring das einzige Stück, das uns von unserem Familienschmuck geblieben ist. Vor beinahe einem Jahre wurde die Kasteite mit dem ganzen Schmuck aus meinem Boudoir gestohlen, und keiner Bemühung gelang es, eine Spur der Thäter zu finden." „Das ist sonderbar! Jedenfalls müssen dem Diebe die Oertlichkcit und sonstige Umstände genau bekannt gewesen sein." „Von unseren Dienern war keiner der Dieb," entgeg nete Della; „der Einbruch geschah von außen, die Fenster waren eingedrückt." „Der Direktor legte die ihm vorhin von Della über gebenen Papiere zusammen. „Sie erlauben, gnädiges Fräu lein, daß ich diesen Brief und die Rechnung zu mir nehme, um die nothwendigen Vergleiche anzustellen." „Wie Sie es für richtig finden, Herr Direktor," sagte Della ziemlich hochfahrend. „Ich würde Sie auch bitten, über unsere Unterredung und alles Besprochene zu schweigen,