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138 spricht. .Es ist wahrhaftig der ungünstigste Moment, den Sie wählen konnten, und mir verderben sie wahrscheinlich timn ganz netten Spaß, eine Weinachtsüberraschung für unseren gemeinsamen Freund." .Was meinst Tu, Louis?" fragte Salberg dumpf. .Ra, mein Plan war noch nicht reif genug für Ihr Gemüth," entgegnete Louis spöttisch. .Beantworten Sie niir zuerst die Frage, warum Sie gegen meine ausdrückliche Weisung zurückkamen." Der Baron schaute mit einem ungewissen Blick auf. „Ich wollte sie sehen," sagte er halblaut. .Na, da hätten Sie auch das Reisegeld ersparen können. Ich stehe Ihnen gut dafür, daß Sie diese Eisprinzessin nicht zu sehen bekommen, so lange der Direktor noch da ist," sagte Louis. .Ich habe es Ihnen doch geschrieben. So lnhl abweisend sich das hochgeborene Schloßfräulein auch dem Manne gegenüber verhält, so ist er doch auf dem besten Wege, auch Della seinem Einflüsse zu unterwerfen." Salberg lachte laut aus. „Nur auf dem besten Wege? Ich habe sie an seiner Brust gesehen, vor kaum einer Stunde, dort im Walde. Ich sah sie an seinem Arme durch den Schloßpark schreiten, so stolz und sicher lächelnd wie am Arme eines —" .Eines Gemahls?" ergänzte Louis sarkastisch. „Tas kann sein, aber nicht wie an dem Arme eines Geliebten! Und das ist ein großer Unterschied. Peter erzählte mir übrigens, die Willis sei im Walde gestürzt; wahrscheinlich erschrak die Baronesse darüber, und der Herr Direktor, der das Glück hat, stets im rechten Augenblick zu kommen, wird die schöne Ohnmächtige in seinen Armen aufgefangen haben. So erklärt sich ihre Vision. Vorläufig wird aber der Herr Direktor von dem schönen Schloßfräulein noch gründlich und ehrlich gehaßt." „Tu bist ein Teufel, Louis!" fuhr Salberg wild auf und stellte sich drohend vor den Diener hin. „Sie beurtheilen mich sehr gütig," entgegnete dieser ironisch. „Aber setzen Sie sich lieber wieder, Sie werden noch müde sein, und seien Sie doch vernünftig; wir zwei brauchen einander," beruhigte Louis spöttisch. „Ich bin zwar nicht lediglich für Ihr Interesse besorgt, aber wir sind mit unlöslichen Banden verknüpft. Wir fallen oder stehen beide, und ich ziehe cs vor, zu stehen, fest zu stehen als treuer Kammerdiener und Faktotum an der Seite des Herrn Barons v. Solbergs und des Schwiegersohns des Herrn von Rotheim und Fernow. Sehen Sie, ich bin für meine Person nicht ehrgeizig." .Du wirst aber wahrscheinlich ans diesen bescheidenen Posten verzichten müssen," erwiderte Salberg bitter. .Vor läufig ist wenig Aussicht vorhanden, daß der Baron Sal berg noch der Gemahl der Baronesse von Rotheim wird." Louis trat einen Schritt näher an den Baron. .Glauben sie denn, ich gebe mein Ziel, dem ich so nahe war, beim ersten Widerstande auf?" sagte er fast flüsternd. .Ta irren Sie sich! Wir müssen die verlorenen Positionen wiedergewinnen, ich sage Ihnen, wir müssen! Aber dazu ist es nöthig, daß Sie sich nicht früher zeigen, als ich Sie nise. Sie machen sonst das Edelwild kopfscheu. Ich dränge mich, wo es nur angeht, zu dem persönlichen Dienst der Baronesse, und sie hat es sich bis jetzt gefallen lasten. Ich benutze jeden günstigen Moment dazu, um —" .L, Tu sprichst von mir zu Della?" unterbrach Salberg athemlos seinen Diener. .Ich werde mich l,ü> n," antwortete er trocken. .Sie existiren nicht für mich, wenn ich vor der Baronesse stehe, sondern dann denke ich einzig und allein an den Direktor Siegfried. Körnchen um Körnchen Argwohn wird dem schönen Perlhühnchen vorgestreut, uud es pickt begierig alles auf. Neulich ließ ich durchblicken, daß ich wüßte, von wem ein an Siegfried gerichteter Brief, dessen Adresse eine Frauen handschrist zeigte, geschrieben sei. Ich hatte zwar ke'ne Idee davon, aber ein kluger Mann benutzt jeden Umstand, und es wäre ja immerhin möglich, daß ihm Schön-Lenchen, die ehemalige Gouvernante der Gräfin Falkenau, wirklich geschrieben hat." „Nein, Louis, die kann ihm nicht geschrieben haben. Hast Tu ganz vergessen, daß sie bald nach jenem Unglück in der Fabrik — Du weißt ja — vollständig erblindet ist?" Tiesmal schwieg sogar Louis einige Augenblicke betroffen. „Also es ist nicht bloßes Gerede gewesen? Das ist fatal," sagte Louis; „doch läßt sich schließlich auch das ver wenden. Schön-Lenchen lebt doch bei ihrer Mutter in Lindenthal?" „Ich glaube, aber ich weiß es nicht genau," versetzte Salberg. „Nun, Herr Baron!" rief Louis händereibend, „das sind die ersten Glieder der hübschen Kette, die ich gedenke dem Direktor zum Christkindchen zu verehren. Doch Sie müssen unbedingt wieder abrcisen." „Unmöglich, ehe ich Della gesehen, gesprochen habe. Ich kann nicht früher wieder fort, Louis," ries der Baron leidenschaftlich aus. „Ich werde mich sofort umkleiden, und dann gehe ich zu ihr und werde sie fragen —" „Wenn Sie einen Schritt ohne mein Wissen thun, gebe ich das ganze Spiel verloren und rühre nicht mehr den kleinen Finger für Sie. Heute bleiben Sie hier in Ihrem Zimmer und morgen mit dem Frühesten fahren Sie nach der Stadt und von dort, wohin Sie wollen, ich werde Sie schon benachrichtigen, Wenn s Zeit ist." So energisch sprach Louis, daß Salberg den Kopf senkte und schwieg. — — In bleierner Langsamkeit verging allen Bewohnern des Schlosses der trübe Sonntag. Frau von Balten hatte Della in ihren Gemächern ausgesucht, um ihre Nichte zu fragen, ob sic den Herrn Direktor zum Tiner bitten könne. Della ertheilte ihre Einwilligung; ehe aber noch ein Diener zu Siegfried geschickt war. ließ dieser selbst sich bei den Damen melden, um sich zu verabschieden, da ihn dringende und nn.-.ujschieb- bare Geschäfte nach der Stadt riefen. „Und Sie fahren heute noch bei dem schlechten Wetter?" fragte die alte Dame mit einem besorgten Blick auf den grauen Himmel. „Tas Wetter schadet mir nichts, gnädige Frau," entgeg nete Siegfried lächelnd. „Und da sich voraussichtlich auch morgen die Witterung nicht ändern wird, so bin ich momentan hier ziemlich entbehrlich. Ich habe aber die Absicht, über morgen wieder zurück zu sein." „Wissen Sie nicht, wann mein Vater zurückkommt?" fragte Della plötzlich. „Ter Herr Baron wird jedenfalls noch vor Abend ein treffen, wenigstens hat er mir diese Absicht mitgetheilt." „Tann ist's gut," nickte Della. „Sie wissen, Herr Tirektor, daß ein Haus, welches Märchenjchätze beherbergt, leicht bösen Geistern zugänglich wird, darum wäre cs wo';l nicht ganz gerathen, wenn wir schutzlos zurückblieben." Verwundert sah die Freifrau auf. die Worte ihrer Nichte waren ihr natürlich unverständlich; auch Siegfried sah befremdet die Sprecherin an. Fürchtete sich Della in der That vor Salberg, an besten Erscheinung im Walde Siegsried noch immer nicht glaubte, oder war ihre Neugierde nach dem Märchenschatz so groß, daß sie auf geschickte Weise Auskunft darüber verlangte ? Siegfried konnte nicht ganz klar darüber 139 werden. War doch heute das Wesen des Mädchens räthsel- hafter, denn je. War sie wirklich müde, als sie vorhin bei ihrer Rückkehr aus dem Walde seinen Arm verlangt hatte? „Seien Sie unbesorgt," entgegnete er bedeutungsvoll auf Deltas letzte Worte. „Da ich den Zauberschatz mit mir nehme, so hat kein Dämon Macht über dieses Schloß und seine Bewohner. Ein etwaiges Unheil könnte also nur mich treffen." Frau v. Balten drohte dem Direktor mit dem Finger. „Ihre Bemerkungen sind mir ebenso unverständlich als unheim lich," jagte sie gütig scheltend. Siegfried erhob sich und küßte der alten Tame die Hand, die sie ihm freundlich reichte, und verbeugte sich tief und zeremoniös vor Della, ohne noch einmal bas Wort au sic zu richten. Eine Stunde später rollte der leichte Wagen, der den Direktor in die Stadt führte, durch den Schloßhof. 9. Baron Salberg hatte Schloß Rotheim wieder verlassen, nicht ohne vorher eine Unterredung mit dem Schloßherrn gehabt zu haben. Ter alte Baron empfing ihn äußerst zurückhaltend; als aber Salberg in der höflichsten Weise erklärte, daß er nur gekommen sei, einige Papiere zu holen, deren er dringend benöthigie und als er dabei durchschimmern ließ, wie die letzten Vorfälle sein Gcmüth verwundet hüten, so daß er nur aus Rücksicht auf seine Verwandtrn eine sofortige gänzliche Lösung seiner Stellung auf Schloß Rotheim unterlaste, da fühlte der gute alte Herr sein Herz weich werden. Sal berg sprach so voll Zartsinn, daß schließlich Baron Rotheim kein jungen Manne die Hand reichte und die Hoffnung aus sprach, es könne noch alles gut werden. Triumphirend berichtete Salberg seinem Getreuen die Erfolge seines Besuches bei Libor von Rotheim. Ter Schloß herr jedoch dachte, als Salberg ihn verlassen hatte, mit einem gewissen Unbehagen an — Siegfried. Cs war spät Nachmittags, da schritt Baronesse von Notheim durch den Korridor nach dem rechten Schloßflügel, um in das Erdgeschoß zu gelangen, wo in einem großen Zimmer Tante Loua ein Paar ländliche Näherinnen mit der Anfertigung von Kleidungsstücken zur Christbescheerung für die arme Dorf jugend beschäftigte. Della hatte diese eigenthümliche Idee erst mitleidig belächelt, dann aber Milka besohlen, ihre ganze Garderobe zur Besichtigung in ihr Ankleidezimmer zu bringen, uud hatte höchsteigenhändig ein halbes Dutzend nach ihrer Meinung unbrauchbar gewordener Kleider ausgewählt, die sie für die barfüßigen kleinen Torsmädchen zerschneiden lassen wollte. Lachend hatte Tante Lona davon die Hälfte zurückgcwiesen, nämlich drei reizende, nur ein klein wenig welk gewordene Ball- willetkcn aus Spitzen, Krepp und Seide. Die drei anderen aus guten Wollstoffen hatte sie jedoch dankend angenommen. Halb aus Neugierde, halb aus Langweile beabsichtigte Della nun, sich in das Arbeitszimmer zu begeben, um zu sehen, was man aus ihre» Kleidern zurechtgeschnitten habe. An Siegfrieds Gemächern vorübergehend, bemerkte sie, daß die Thür des Vorzimmers offen stand. Auf der Schwelle lag Locki lang ausgestreckt, sein zottiges, schwarzes Fell mit einer Menge kleiner Fichten- und Tannenzweigjpitzen behängt. „Wie siehst du denn aus, Locki?" fragte die junge Dam-, als sie des Hundes ansichtig wurde und trat einen Schritt näher; sie wußte ja, daß sein Herr noch nicht zu Hause sei. Locki richtete sich bedächtig aus und schaute zu dem schönen Mädchen auf, das ihm sehr viel Sympathie ein zuflößen schien, denn liebkosend stieß er mit dem Kopfe an Dellas Hand. Tie Baroneste bückte sich und löste die kleinen, grünen Zweige von dem Rücken des Thieres, dahei sah sie, daß auch auf dem Fußboden des Vorzimmers solche Reisigabfälle ver streut lagen. Zaghaft trat sie über die Schwelle. Die Thür des Wohn- und Arbeitszimmers stand offen. Hier war der Schreib tisch des Direktors mit Reisiggewinden umgeben, ebenso das Bild einer alten, mild blickenden Frau über dem Schreibtische. „Das ist seine Mutter," dachte Della; „sie sieht gütiger aus als er und doch trägt er ihre Züge." Neben dem Schreib tisch stand auf einem kleinen Tisch der elegante Violinkasten und auch dieser — Della mußte lächeln — hatte eine volle, grüne Guirlande erhalten. Unwillkürlich fiel der Baroneste das schlichte innige Lied ein: „Aennchen von Tharau," dessen Melodie wie leise Grüße zu ihr gedrungen war, als sie es zum ersten Male von Siegfried gehört hatte. Sie wandte sich zum Gehen, da stand mit vor Erstaunen halb geöffnetem Munde der Diener des Direktors vor ihr, und hinter dem jungen Mann erschien Milka, welche sich Paul wahrscheinlich zur Hilfe herbeigeholt hatte, denn eine mächtige Guirlande von Tannenzweigen hing um ihre Schulter». Das junge Mädchen wagte es beim Anblick ihrer Herrin nicht, sich von der Stelle zu bewegen. Doch Della schien sie kaum zu bemerken. „Welches Fest wird denn hier gefeiert?" fragte die Baro nesse herablassend den Diener. „Ich schmücke das Zimmer ein wenig zum Weihnachts feste, damit man nicht gar so sehr merkt, wie abgenutzt die Möbel sind," entgegnete Paul. Als Della nach einem Blick auf die geschmähten Möbel bemerkte: „Die Einrichtung sieht allerdings sehr armselig aus. Wer hat denn die hereinstellen lasten?" wandte sich die junge Dame an Milka. „Herr Baron Salberg hat ausdrücklich der Beschließerin angegeben, welche Möbel hier hereinkommen sollen," antwortete das Kammermädchen zaghaft. „So. Nun, dann bestelle einmal der Beschließerin, sie möge diese Einrichtung sofort wieder herausschaffen lassen und anordnen, daß die Möbelgarnitur aus dem vorderen Erker zimmer hierher gebracht werde. Und wenn Sie das Zimmer schmücken wollen," fuhr sie zu Paul gewendet fort, so lasten Sie sich doch vom Gärtner aus dem Warmhause ein paar Dekorationspflanzen geben." Der Diener dankte sehr vergnügt für die herablassend ertheilte Erlaubniß, fügte aber hinzu, der Herr Direktor würde sich schon freuen, seine Violine und das Bild seiner Mutter bekränzt zu finden. Die Baronesse entfernte sich, es den beiden jungen Leuten überlassend, sich das Räthsel ihres Erscheinens in Siegfrieds Zimmer zu erklären. Louis hatte die Baronesse aus den Gemächern des Di rektors treten sehen und alsbald auch von der Beschließerin erfahren, daß die kostbare Garnitur von gepreßtem Leder aus dem Erkerzimmer in das Arbeitszimmer des Direktors geschafft werden solle. Diese Umstände erschienen ihm so bedenklich, daß er nicht mehr zögerte, seinen Plan auszuführen. Am Nachmittag, als Della nach Licht klingelte, trug LouiS die angezündete Lampe in das Zimmer, wo Della allein saß und eine kleine Stickerei für Tante Lona zum Weihnachtsge schenk vollendete. Erstaunt blickte sie auf, als Louis, nachdem er die Lampe auf den Tisch gesetzt hatte, noch stehen blieb. „Wünschen Sie etwas?" fragte sie scharf. „Ich möchte allerdings an die gnädige Baronesse eine große Bitte richten," entgegnete Louis in seinem demüthigsten Tone. „Sprechen Sie," sagte Della kurz. „Tie gnädigste Baronesse werden sich jedenfalls erinnern," fuhr Louis fort, „daß vor einigen Tagen Herr Direktor Sieg-