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Tietrich machte em komisches Gesicht. „Bielleicht ivar es das. Ich Hape gestern den Lchreiber gebeten, eine Droschke zu bestellen. Wer weiß —! Ra, vielleicht sind Engelberts schon beim Mittagessen. Tann drücken wir uns." Rein, sie waren nicht bei Tische. Tildchcn kam ihnen auf dem Borplatz entgegen, und als Erhards sich lvegen der späten Stunde entschuldigten, meinte sie: „Ach, das macht nichts, das Essen ist ja doch nicht fertig," und im Hineingehen: „Ich lveiß nicht, wie cs kommt, daß wir nie rechtzeitig essen können. Heut ist dies, morgen das schuld. Rudi schilt dann, — ja wirklich, er schilt, ob Sie cs glauben loder nicht. Er behauptet, er müsse das Essen rechtzeitig haben wegen des dummen Unterrichtes. Tiefer schreckliche Schul meisterberus verdirbt alles und gibt ewig Anlaß zu Verdrießlichkeiten. Na, heute nachmittag hat er keine Stunden." Tildchcn vergaß während ihrer Stoßseufzer, Plätze anznbieten. So setzten sich Erhards lohne Aufforde rung. Zugleich kam der junge Oberlehrer herein, sehr erfreut, Erhards zu begrüßen. „Tu sagtest doch, daß Tu den Herrn Professor schon öfter gesehen hättest, feit wir hier sind," wandte Tildchcn verwundert ein. „Run ja, auf der Redaktion lHcr auf der Straße- Sind, das ist doch etwas ganz anderes," war die un geduldige Antwort. „Sic habe ich nirgends getroffen," lachte Tildchcn zu Leonore. „Sie gehen wohl wenig aus?" „Besuche haben wir allerdings noch nicht gemacht. Heute ist es das erstemal, dag wir den Bekanntenkreis meines Mannes aufsuchen." „Tas erstemal?' Tildchen schlug die Hände zu sammen vor Erstaunen. „Wie haben Sic das nur aus gehalten? Immer in den vier Wänden? Wie lang »eilig must das scinl — wenigstens für meinen Ge schmack," fügte sie hinzu, sich des Unpassenden in ihren Worten bewußt werdend. „Als wir auf dem Schiffe miteinander sprachen, mein ten Sie aber, cs sei nichts jchöner, als allein mit dem Mann in den vier Wänden zu Hansen." Tildchen senkte beschämt das Köpfchen. „Run, so etwas redet man Wohl aus der Hochzeits reise und glaubte es auch. Ach, wissen Sie, Frau Pro- sefsor, in der Phantasie sicht manches anders ans als in der Wirklichkeit. Finden Sie das nicht auch?' Sie seufzte. „Freilich. Wir müssen versuchen, nüchtern zu blei ben, damit wir keine llcbcrtceibung machen." „Ich stellte mir ja alles viel schöner vor, als cs ist, Frau Professor," flüsterte Tildchen kläglich. „Ich kam gar nicht aus den Gedanke», daß es nicht immer herrlich wäre bei Leuten, die sich so schrecklich liebe», wie wir es tun." „Ich erinnere mich. Sie meinten, es müsse alle Tage Sonntag sein," sagte Leonore mit einem seine» Lächeln. „Natürlich. Und nun denken Sie bloß, Rudi ist gar nicht immer mit mir zufrieden. Selbstverständlich ist das Essen nicht immer rechtzeitig fertig. Zs ist auch mal angebrannt oder versalzen, das gebe ich gern zu. Aber das sind ja Kleinigkeiten. Darüber sollte man, wenn man sich liebt, kein Wort verlieren. Statt dessen tadelt Rudi mich, urteilt über meine schlechte Erziehung ab und verlangt, daß solche Verstöße nicht wieder vorkommen. Wenn ich mich dann wehre, schmolle loder weine, bittet er nicht einmal um Ver zeihung, kurz, kurz — aber Frau Professor, ich komme nächstens zu Ihnen, wenn Sie erlauben, und spreche mich aus. Vielleicht finden Sie Gelegenheit, Rudi sein Unrecht vorzuhalten. Sic kamen mir auf der Reise schon so verständig vor." „Wird cs Ihrem Manne recht sein, wenn wir Ihre häuslichen Vorkommnisse besprechen?" forschte Leo nore. „Warum denn nicht? Ich werde meinem Herzen doch Luft machen dürfen?' beharrte Tildchen eigen sinnig. „Wenn ich aber der Ansicht bin, daß Sic unrecht haben?" fragte Leonore ernsthaft. Tildchcn sah sie ungläubig an. Tie Antwort schnitt jedoch ihr Mann ab, der an Levnore die übliche Frage richtete, ob sie sich schon eingelelt habe. ' „Jedenfalls will ich cs tun," war die Erwiderung. „Ich finde, man muß in dem Erdreich, in das mau verpflanzt ist, Wurzel zu schlagen juchen." „Nicht wahr?" fiel Tildchen triumphierend ein. „Teshälv treibe ich auch immer, daß wir zu anderen Menschen gehen. Je öfter ich mit ihnen zusammen komme, desto schneller lebe ich mich ein." Leonore warf ihrem Mann einen verzweifelten Blick zu, und Engelbert versetzte etwas anzüglich: „Ich weiß nicht, ob dieser Ausdcmhauseweg der er sprießlichste für das Lernen des Notwendigsten im Hause ist." „Tie Hausfrau soll keine Ausfran sein, sagt Abra ham « Santa Elära," lochte Tietrich. „Soll eine junge Frau die Tage mit Scheuern und Kochen znbringen? Tazu find die Dienstboten da, und man heiratet nicht, nm Leutearbeit zu verrichten," sprudelte Tildchen heraus. „Wenn aber die junge Frau nichts versteht, wie soll sie ihre Dienstboten anleiten?" fragte Leonore freundlich. „Man nimmt sich eben ein Mädchen, das alles kann," versetzte Tildchen trotzig. „Und das einem bald über den Kopf wächst." „Ganz unser Fall," lachte Engelbert gezwungen, „nicht wahr, Tildchen? Fanny hält sich für vollkom men. Und wenn man ihr vorhält, dies Eder jenes sei unstatthaft, so kann man ihr nicht nachweifen, wo das Verkehrte liegt, and was an seine Stelle treten muß. Meinen Sie nicht, Fran Professor, daß die Er ziehung unserer jungen Mädchen gebildeter Stände viel zu wünschen übrig läßt?" „Tas meine ich aus vollem Herzen," sagte Leonore mit Inbrunst. „Sich ihrer Pflichten bewußt zu werden, das sollte ihnen viel mehr cingeprägt werden." „Tarin stimme ich meiner Fran völlig bei," sagte Tietrich. „Man sollte nicht soviel Nachdrnck auf die Rechte legen. Für jeden Menschen ist die Pflicht die Hauptsache, und die Pflicht der Frauen auf dem häus lichen Gebiete wird lange nicht gcnng gewertet. Aber wir halten wohl die Fran Doktor auch von einer häus lichen Pflicht zurück durch unfern laugen Besuch," wandte er sich lächelnd gegen Tildchcn. „Ja, und unsere Kinder erwarten uns," sagte Leo nore aufstehend. „Sie haben heute aber auch nicht Ihr Mittag ge kocht. Kann Ihre Köchin das?' flüsterte Tildchen ge spannt. „Ich hoffe, daß altes geraten sein wird. Luise pflegt sich Mühe zu geben." „Ach so. Sie haben die alte Köchin vorgefunden. Tann ist es leicht für Sic," meinte Tildchen neidisch. Leonore antwortete nicht. Sie wußte am besten, wie schwer es ist, mit jemand zu arbeiten, der lange selbständig war, und unter dessen Regiment eine Menge Unzulässigkeiten eingcrissen sind. Sie atmete so tief auf, als sic im Wagen saß, daß Dietrich das Lachen nicht verbeißen konnte. „Froh, daß es überstanden ist, nicht wahr, Herz kind?' fragte er und küßte sie. „Sehr froh. Aber Tietrich, ich habe viel gelernt bei den gefürchteten Besuchen, und ich will auch die nachfolgenden nicht als eine Last betrachten, sondern als Bereicherung." Davon aber schwieg sie, was für sie das Bedeut- Di« vuchdruckcrel von LsWrzMvIerliek kicsz Goethestraße Rr. 5S hält sich zur Anfertigung nach- stehenderDrucksachenbeisauberrr Ausführung und billlgstrrPreiS- stellung besten» empfohlen. A»ts« Adreß- und Geschäfts karte» SrteskSpse, Brltslrlstcn Bestellzettel Lraschüre», Vissels reklaratianen DanksaguasS- an» EialadnagSbrtcf» Einlaßkarten Etiketten aller Art Fakturen, Flugblätter Formulare tn div. Sorten Frachtbriefe GebrauchSanwetsungeu Fremdenzeltcl Haus- uns Fabrik- Lrbuungrn Geburtsanzeigen HochzeitSrinladungcn -Zeitungen und -Gedichte Kastcnschildcr Kostenanschläge Kataloge, Kontrakte Kontobücher Lobulisten, Mahnbriefe Mitteilungen, Menus I Musterbücher, RotaS Plakate Programme PreiSkurante Pastkarteu, Quittungen Rabattmarken Rechnungen Speisen- un» Weinkarte» I Statuten, Tauzkartca I Stimm-, Theater- uns Sackzettel Visiten- und verlobuugSkartra Wechsel, Werke Zirkulare, Zeugnisse ' re. re. re. Masseuauflagr» für RatatiauSdruck. Giesser fzgedlstt — Amtsblatt — Fernsprrchstelle Nr. 20. Telegramm-Adresse: Tageblatt Riesa. somste, das Größte, das Wunderbarste dieses Tages war. Ihrem Buch allein vertrante sic es au: Nun hab ich dich gesunden, Gott sei gedankt dafür. Das Bangen ist geschwunden. Das Glück tritt ein zur Tür. Gott, laß bs weiter dauern, Bleib selbst bei uns im Haus, Dann geht ans unfern Manern Auch nicht das Glück heraus. Z ünftcs K apitel. An einem .Herbsttage saß Leonore am Schreibtisch, nm in die alte Heimat zu schreiben, als Tietrich hinter sie trat und leise bat: „Leonore, komm mit mir." Sic wandte sich und sah unruhig in seine bewegten Züge. „Wohin?" „Heute ist mein Hochzeitstag mit Marie." Er sagte die Worte sehr leise, aber begegnete fest ihrem Blicke. „Ich soll mit Dir ans den Friedhof kommen?" Tie seltsamsten Empfindungen stürmten ans sie ein. „Wenn Tu cs kannst —" Sic nickte und stand sofort aus. Ohne lange zu überlegen, ob ihr dieser Gang schwer werden würde, erteilte sie ihre Anordnungen wegen der Zinder und des Haushalts und machte jich fertig. Oft hatte sic daran gedacht, daß dies kommen müsse, und hatte es gefürchtet. Nun stand sic vor diesem Wege zum Grabe der ersten Frau. Zögernd brach sie im Garten die letzten Rosen und band sie zu einem Strauß. Dietrich erwartete sie vor dem Hanse. Er reichte ihr seinen Arm, und ziemlich einsilbig legten sic den Weg zum Friedhöfe zurück. Jeder hing seinen Ge danken nach. Jedes Herz war übervoll von gemischten Empfindungen. Bor Dietrich ward die Vergangenheit lebendig. Tie liebe sauste Fran stand vor ihm, die sein Leben ansgefüllt und ihn glücklich gemacht hatte. Zugleich erfüllte ihn unaussprechlicher Tank, daß sein Geschick sich so wunderbar, gewendet hatte. Aus großer Not und Tnnkelheit war ihm freudiges Licht entglommen, und heiß stieg in ihm da-s Verlangen auf, auch Leo nore möchte an seiner Seite ein Glück finden, wie sie cs mit ihrem reichen Herzen verdiente, und der Wunsch, sie möge imstande sein, mit ihm ohne Schmerz, ohne, Bitterkeit am Grabe der Entschlafenen zu stehen. Leonore brannte das Herz. Immer stärker fühlte sie die Liebe zn dem Manne werden, der sic gewählt hatte, nnd der vor ihr eine andere im Hetzen trug, ja, der jene andere weiccr liebte und betrauerte über den Tod hinaus. Wohl nnd Weh zugleich war ihr. Kann ein Mann tzweimal lieben? Sie betraten den stitlen Friedhof. Buntes Herbstlanb deckte die herrlichen hohen Bäume, unter deren Kronen die Entschlafenen ruhten. Blumen blühten auf den Hü geln, kostbare Grabdenkmäler mit wehmütigen, ivnnder- lichcn, trostreichen nnd trinniphiercnden Inschriften rag ten zn Hänptcn. Tic Gatten durchkreuzten mehrere Reihen und hielten endlich vor einem eseubcwachscncn Grabe still. Frisch geharkter Kies lag rund umher, Hcrbstvcilchen, Spätroscn, Astern und Dahlien wuchsen darauf. „Marie Erhard" stand mit goldnen 'Buchstaben am Fuße dcS schwarzen Lycnijkrenzes und darunter: „Tie Liebe höret nimmer auf." - Große Tränen standen in Leonores Augen. Sie war bis ins Innerste erschüttern Tort legte er. damals sein Liebstes hin, in trostloser Vereinsamung blieb er mit den mutterlosen Kindern zurück. Sie sah ihn zum Grabe gehen, immer wieder allein. War cs nicht ihre heiligste Pflicht, ihm zu ersetzen, was einst sein war? Tat sie nicht unrecht, ihm zn verargen, daß er jener nicht vergaß? Eine Törin war sie. Sic reichte ihm schweigend die Rosen. „Leg' Du sie auf ihr Grab, Leonore, willst Tn?' bat er. Und sie kniete nieder und legte den' Strauß aus dem Garten, in den die Verstorbene mit eigenen Händen die Rosenstämmc gesetzt hatte, von denen jene Rosen gebrochen waren, nieder a'if den stummen Hügel. Sie luietc so lange, daß Dietrich sie anfhob, den Arm nm sie legte und lange schwcigsnd mit ihr auf den vertrauten Namen blickte. Ter Gärtner schreckte Tietrich And Leonore auf. Er näherte sich höflich, um ein Trinkgeld in Empfang zn nehmen. Er hatte sich alle Gedenktage der Ver storbenen ausgezeichnet und schmückte die Gräber dann besonders. Aber er erwartete anch ein besonderes Geld gescheut dafür. Tic Weihe des Augenblicks war gestört. Tic Gatten verließen den stillen Aufenthalt der Toten nnd kehrten heim. Vor der Tür des Hauses reichte Tietrich Leonore die Hand und sagte cinsach: „Ich danke Dir." Fortsetzung folgt. Deutsche Weihnacht. Erzählung von Joh. Hirsch. Es war um die Weihnachtszeit des Jahres l Von dem Frieden, den die Engel znr ersten Weihnacht der Erde verkündet hatten, war damals wenig zn spüren im deutschen Lande: draußen drohten der Türke nnd der Franzmann, und drinnen hatte die neue Lehre des Wittenberger Mönches und fein mannhaft Auftreten vor Kaiser nnd Papst einen Stnrm entfesselt, der zwar als ein Frühlingsstnrm durchs deutsche Land brauste, Leben weckend und spendend, aber auch manchen starten Baum, der bis dahin fest nnd sicher gestanden, zn Boden warf und die Geister gegeneinander führte, daß die Funken stoben. Derweilen aber manchem darob bangte, saß der Mann, der das cmgcrichtct hatte, Dr. Martin Luther, ruhig nnd friedlich zn Wittenberg in seiner Studier stube. Ihm war zwischen alt den Kämpfen, in denen er stand, gar friedevoll und hochgemut im Herzen, und was er da empfand und fühlte, das warf er in dicken, festen Schriftzügen aufs Papier, nm es seiner Witten berger Gemeinde zur Weihnachtszeit zn verkündigen: die große Botschaft von der Gnade Gottes, die uns angebotcn wird in Christo Jes» unscrin .Herrn. Draußen fiel der Schnee in dichten Flocken hernieder, ein rechtes Wcihnachtsnetter verheißend, der Toktvr aber saß nnd schrieb, bis das sinkende Tagcsgestirn nicht mehr den Eingang durch die kleinen in Blei gefaßten Fenster scheiben fand und die Täiniiicriing seinem Schreiben ein Ende bereitete. Ta legte er tief aufatmend den Gänsekiel beiseite und erhob sich von seinem Sitze. Er öffnete das Fenster — draußen war's noch Tag — nnd sog »lit tiefen Zügen die reine frische Winterlnfr ein, die ihm cntgcgcnströmte, wie ein ladend: komm heraus und bade Herz und Lungen! Und Toktor Luther nickte wie znr Antwort ans die Einladung, nahm Pelzrock nnd Kappe von der Wand und wandelte, an der Küche vorbei, wo ein verdächtig Rubbeln und Schrubbeln verkündete, daß auch Fran Käthe schon in der Weihnachtsarbcit steckte, auf die Straße, dem Tore zu: da draußen wollte er die Ge danken weiter spinnen, die ihn bewegten. Aber er kam nicht dazu. Vor dein Tore wurde er aufgehaltcn von einem Männlein, das im Gelehrten mantel und die Magistcrkappc auf dem Haupte eilige» und gewichtigen Schrittes auf ihn znkam. Das war Herr Magister Bäumlein, seines Amtes Hilfskantor nnd Vorsänger der Kurrende zu Wittenberg. „Gott zum Gruße, Herr Toktor!" so redete er den