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275. Beilage znm „Riesaer Tageblatt". Rotationsdruck m« Verlag von LangrrL Winterlich In Riesa. — Für die Redaktion verantwortlich! Arthur Hähne! in Riesa- Montag, 27. November 1911, abeuss. <»4. Jachrg. Lis «M'sn«We Nach einer offiziösen Meldung der Agentur HavaS konnten wir Sonnabend melden, daß der Artikel 3 des englisch-französischen Marokkovertrags von 1904, der bis her nicht bekannt! war, den Spaniern beziehungsweise ihren britischen Protektoren den besten Teil von Marokko sichert, in der Kommission der französischen Kammer un angenehm überrascht hat. Was alle einsichtigen Politiker außerhalb Englands längst wußten und ausgesprochen haben, war für die französischen Parlamentarier etwas Neues. In der Revue Hebdomadaire hat daher der be kannte Historiker und Staatsmann Gabriel Hanotaur die sen Marokkovertrag eingehend behandelt. Leider ist der Presse nur ein Auszug vermittelt worden, der jedoch das Wichtigste unbeachett gelassen hat. Hier der Inhalt: „Aus den dem deutsch-französischen Marokkovertrag angeschlosscnen Dokumenten (Annexen) ist zu ersehen, daß Deutschland Frankreich eine Bestimmung ausgenötigt hat, wonach die Bahn von Tanger nach FeS früher ge baut werden muß, als jede andere Bahn in Marokko. Frankreich hat ein Interesse daran, auf der einen Seite Casablanca, auf der anderen Algerien durch einen Schie nenweg mit FeS zu verbinden. Tic Ausführung dieses Planes ist nun der Verwirklichung der Bahnlinie Tanger- FcS untergeordnet und kann sogar dauernd verhindert werden, wenn Spanien, durch dessen Eiuflußgebiet die Tangcrlinic geführt werden muß, Schwierigkeiten macht, .hinter Spanien steht England. Wir lassen also nicht nur die Tür vgfcn, sondern auch den Schlüssel der Tür in fremden Händen. Wenn cS Spanien beliebt, die Bahn nicht zn bauen, so wäre, da Frankreich sich verpflichtet bat, leine andere früher hcrzustellcn, die Zukunft des Landes diesem Einspruch untergeordnet. Das herzliche Einvernehmen ist jetzt auf die Probe gestellt. Entweder England unterdrückt seine alte Eifersucht und geht offen mit Frankreich, um von Spanien die Zugeständnisse zu erlangen, die eine Lösung in unserem Sinne erleichtern würden, oder cs fährt fort, jede internationale Ab machung ausschließlich seinen eigenen Interessen untcr- znordnen. Dann setzt es sich mit dem wirklichen Geist dcS freundschaftlichen Einvernehmens in Widerspruch, und wir werden wissen, was wir von diesem zu halten ha ben. Wenn die spanische Zone um Tanger aufrecht erhalten und der Bau der Eisenbahn verboten oder ver zögert wird, so heißt das, daß mau uns das Ein leuch tendste aus dem einzigen Nutzen einer Politik entreißt, die uns bestimmt hat, Aegypten, Neufundland, Tripolis, den Kongo und einen güten Teil von Marokko aufzu geben. Wenn die englandfrcundliche Politik dazu geführt haben sollte, dann ist sie zu vcrurtcilcu." Hanotaux glaubt, daß die deutschen Diplomaten in diesem Falle i»r Auftrag einzelner Mächte gehandelt haben, oder aber Frankreich in einem Gegensatz zu England bringen wollten/ sonst müsse man ihnen die mindeste Einsicht absprcchen. — (Bon anderer Seite wird gemeldet, das; Deutschland im Einvernehmen mit Eng land gehandelt habe, daß dafür gegen die Abtretung von Spanisch-Guinea an Deutschland keinen Einspruch er heben werde.) Der „TempS", der bisher mit aller Entschiedenheit die Räumung von Larrasch und Elksar seitens der Spa nier gefordert hat, meint jetzt in Erörterung des fran- zösisch--englischen Geheimvertrages: Man hat den Spa niern ein großes Stück der Küste versprochen; mögen sie es behalten. Mer im Hintcrlande sollen sie Opfer an Gebiet bringen, welches Frankreich braucht, um die Freiheit seiner Verbindungen zwischen FeS einerseits und Algerien, Tanger und Casablanca andererseits zu sichern. In dieser Richtung könnte sich wohl die freundschaftliche Vermittlung Englands geltend machen. Der Aufstand in China. Zur Lage in China schreibt die „Nordd. Allg. Ztg.": Was Deutschland betrifft, so ist unser Pachtgebiet Kiautschou bisher nicht in Mitleidenschaft gezogen; die Provinz Schantung, in der dies Gebiet liegt, ist eine derjenigen Provinzen, in denen sich die Ereignisse ruhig entwickeln- Am Freitag hat diese Provinz sogar ihre llnabhüngigkeitserklärung widerrufen. Am Jängtsekiang dagegen, an dessen Mittellauf das Zentrum der Revolu tion mit den Städten Hankau, Hanjang und. Wutschang, und an dessen Unterlauf die großen Städte Nanking, Tschinkiang und Schanghai liegen, sind gewichtige deutsche Interessen berührt. Vor Hankau ist deshalb eine im Ver hältnis zu den übrigen Mächten ansehnliche deutsche Kriegsmacht versammelt. Mit einem Eingreifen der frem den Mächte, die alle erforderlichen Maßnahmen getroffen haben, muß dann gerechnet werden, wenn es Juanschi- kai bczw. den Führern der Revolutionäre nicht gelingt, Leben, Eigentum und Handel der Fremden in China zu schützen. Sühne für die bereits geschehenen Mord taten zu schaffen und die Finanzverhältnisse des Reichs in Ordnung zu halten. lieber die Verstärkung unserer Truppen in Peking und die militärische Gesamtlage tvird gemeldet: Für die Verstärkung der in Peking stehenden Kompagnie (Lst- asiatijchcs Marinedetachement) die übrigens nicht kriegs stark ist, sondern nur 125 Köpfe zählt, würde die Heran ziehung dcS abkommandierten kleinen Kommandos von 25 Mann, das in Tientsin unter dem Leutnant Ferber stationiert ist, nicht in Betracht kommen. Die Belassung des Detachements in Tientsin erscheint notwendig, da sonst die deutsche Flagge aus der Stadt verschwinden würde, die im übrigen jetzt in der Stärke von nicht weniger als rund 3200 Mann Truppen der andern Mächte besetzt ist. Dementsprechend würden für eine Verstärkung der Pekinger Truppen bis zu 300 Köpfen 175 Offiziere und Mannschaften aus Tsingtau entsandt werden müssen. In Peking befinden sich augenblicklich vier Offiziere Lei der Besatzung, von denen der Ober leutnant König (Infanterist) Dolmetscheroffizicr ist, wäh rend der Oberleutnant Wolff der Pionier- und Leutnant Kuhlmann der Fußartilleviewasfe angehört. Die Stärke der Besatzung von Kiautschou beträgt im ganzen 2275 Mann. Die Besatzungen der beiden Kreuzer „Emden" und „Scharnhorst", die sich noch in Nordchina aufhalten, würden natürlich nur im äußersten Notfälle zur Ver stärkung der Truppen in Betracht kommen, da die volle Aklionsbereitschast und .Bewegungsfreiheit der Schiffe gesichert bleiben soll. Was die Stärke der in Peking, Tientsin und anderen kleinen Osarnisonen befindlichen internationalen TLuppen anbctrifft, so hat England bei weitem die stärksten Kräfte aufgeboten. Sic betragen im ganzen 1957 Köpfe, von denen 270 in Peking und der größte Tiül, 1867, in Tientsin stehen. Es folgt Frank reich mit Truppen in einer Stärke von 13tz6 .Köpfen, von denen 300 in Peking stationiert sind. Dann folgt Japan mit 522 Mann, von denen 152 in Peking garni- sonieren. Amerika und Deutschland sind nur mit je 150 Mann vertreten. Italien hat 210, (200 in Peking) und Rußland hat die verhältnismäßig geringe Zahl von 37 Manu aufgeboten, von denen 26 die Gesandtschafts wache bilden. Die Niederlande haben ihre Truppen ganz zurückgezogen und nur Belgien hat noch 21 Mann st.: -Pe lina zurückbehaltcn. Der „Newyork Hcrald" meldet aus Lungtang: Eine Rebellenabteilung von 1500 Mann Stärke und zwei Feld- tänonen brachte 3000 loyalen Truppen eine schwere Nie derlage bei und nahm ihnen zwei Kanonen nach sechs stündigem Gefechte in der Nähe des Friedhofes von Ming ab. Nach Angabe der Rebellen verloren die kaiser lichen Truppen 1000 Ni an», während auf Seiten der Rebellen nur zwei Rebellen verwundet wurden. Man glaubt/ daß der Purplehügel bald in die Hände der NekLlltv- fallen wird und daß damit die Stadt Nanking den -/vnonen der Rebellen offen ist. — Wie der Korre spondent des Rcuterschen Bureaus, der sich bei den An greifern vor Nanking befindet, telegraphiert, haben die Revolutionäre gestern früh 7r/s Uhr begonnen, Nanking von einem der eine Meile nördlich gelegenen Forts aus zu bombardieren. Nach einem bisher noch unbestätig ten Gerücht sollen die Kaiserlichen bereits 800 Tote haben. j Ein kaiserlicher Erlaß billigt die Anordnung Iuan- schikais, daß General Kiangkuit mit 2000 Mann nach Tüngkuan und Sianfü in Scheust vorgehen solle, um eine Sühnung der Ermordung der Fremden herbeizu-, führen und im Verein mit dem neu ernannten Gouver neur von Sehen fr Schengyun den Aufstand in der Pro vinz niederzuwerfen. Der Erlaß spricht das Bedauern der Regierung über die Ermordung der Fremden aus. Die Darstellungen über die Vorgänge in der Provinz Schensi gehen auseinander. Wahrscheinlich hat ein großes Blut bad stattgesunden. Sriki Mki Atli« ml da Mei. Eine Aufsehen erregende, jedenfalls recht überflüssige Kundgebung gegen dick deutsche und die österreichische Presse leistete sich der der Münchener österreichisch-unga- rischen Gesandtschaft zugeteilte Graf Benes Andrassy. Er Aas Geheimnis der Akuten. Roman von Jenny Hirsch. 58 Er erzählte nun, wie Noßwitz am Tage nach dem Be gräbnis der vermeintlichen Lydia das Vermögen seines Mün dels von ihm verlangt habe, und daß dadurch bei ihm zuerst ein gewisser Verdacht erwacht sei. „Hätte ich es ihm damals ausgezahlt," fügte er hinzu, „so würde er sich damit unver züglich aus dem Staube gemacht haben, denn er wußte doch, daß über seinem Haupte das Schwert hing. Er konnte un möglich Ludolfs Erzählung für ein Märchen Helten." „Hätte er doch gesprochen, wenn eß ihm nur umS Geld zu tun gewesen wäre, ich hätte es ihm gegeben .. „Aber ich nicht, mein Kind," fiel der Konsul ein. „Ich hätte nicht noch das Deinige in den Schlund geworfen, der schon Deiner Schwester ganzes Erbe verschlungen hat. Vergiß nicht, daß sie mit ihren Kindern gänzlich auf Deine Hilfe angewie sen ist." „Meine arme, arme Eddith die unschuldigen Kinder, ich habe ihnen den Gatten und Vater entrissen, ich hätte doch schweigen sollen," sagte Lydia sich anklagend. „Nicht Du, er selbst hat es getgn," entgegnete der Kon sul fest, „wie auch die Verhandlung geendet hätte, er wäre doch nicht zu ihnen zurückgekehrt, und es ist gut so, wie es gekommen ist." Es entstand ein feierliches Schweigen, jedes war mit sei nen Gedanken beschäftigt, bis Lydia plötzlich rief: „Wen aber haben sie statt meiner an der Seite meiner Eltern begra ben? Wer ist die Unglückliche, d.e man aus dem Kellersee gefischt hat?" „Auch dieses Rätsel wird noch seilte Lösung finden," be schwichtigte sie die Försterin. „Es ist spät geworden," fügte sie hinzu, „wir alle bedürfen der Ruhe, Christine soll Dich in Dein Schlafzimmer führen, schlafe sanft, mein Töchterchen." Sie küßte Lydia ans die Stirn, und von Ludolf geführt, verließ diese in Christines Begleitung das Zimmer. Eine Viertelstunde später herrschte tiefe Stille im Forsthanse. Alle hatten sich auf ihre Zimmer zurückgezogen .. alle, bis auf «in junges Paar. Christine war vor die Tür getreten, um ihr glühendes Gesicht noch einmal im Nachtwind zu kühlen, und leise war ihr Horn gefolgt. Er stahl sich an ihre Seite und ergriff ihre Hand, aber sie erschrak nicht, hatte sie vielleicht sein Kom men erwartet? „Christine," begann er in gedämpftem Tone und versuchte ihr trotz der Dunkelheit ins Auge zu sehen, „darf ich jetzt die Frage wiederholen, die Sie mir vor Wochen vom Munde abschnitten, weil es nicht an der Zeit war, heute ..." „Sie dürfen," unterbrach sie ihn, „oder vielmehr, Sie brauchen nicht erst zu fragen." „Christine, darf ich das Wort nach meinem Herzen deu ten?" Sie nickte. „Der schlichte Förster ist Ihnen nicht zu gering?" „Mein Vater und Großvater waren dasselbe." „O, ich bin ein so plumper Gesell." „Der mir gerade so gefällt, wie er ist," fiel sie ein, ihre Arme mn seinen Hals schlingend, und ihr Gesicht an seiner Brust verbergend, „ich kann keinen besseren Garten bekommen, als den Nachfolger meines Vaters, der meiner Mutter schon ein zärtlicher Sohn, meinem Bruder ein treuer Freund ist." „Und den Du auch ein wenig lieb hast?" fragte er zag haft. „Von ganzem Herzen." Er küßte ihr die Worte von den Lippen.'„Meine Christine, mein Schatz, meine süße Braut, ich will Dich auf Händen tragen/' rief er in seiner Freude ganz laut und hob sie wie eine Feder in seinen starken Armen in die Höhe. „Still, still," bat sie, „Du weckst unsere Gäste, laß uns ins Haus gehe», auf morgen, Liebster!" Noch eine Umarmung, dann gingen sie Hand in Hand in das Haus zurück. Sie ahnten nicht, daß der Auftritt einen Zeugen gehabt hatte. Konsul Elster halte im Dunkeln nm offenen Fenster seines Zimmers gestandest und alles mit an gehört. „Sieh, sieh," murmelte er lächelnd, „das war noch ein hübscher Schluß dieses wechselvollen Tages." Behutsam schloß er das Fenster nnd suchte ohne Licht an- znzünden, sein Lager auf. Die Untersuchung gegen Noßwitz ward dem Amtsrich ter von Momsen nicht übertragen. Der Direktor seines Ge richtes gab ihm ziemlich unumwunden zu verstehen, er hätte sich Ludolf Pöplau gegenüber allzusehr von vorgefaßten Mei nungen leiten lassen und dabei mancherlei Umstände nicht be achtet, die, wenn man ihnen die gebührende Bedeutung bei gelegt hätte, vielleicht zu einem anderen Ergebnis geführt ha ben würden. So empfindlich ihn d^r Vorwurf traf, um so empfindlicher, da er ihn als völlig gerechtfertigt anerkennen mußte, gewährte es ihm doch eine Erleichterung, Noßwitz nicht in der Eigen schaft des Richters gegenüberstehen zu müssen. Noßwitz machte dem Kollegen Momsens, den, nun diese Aufgabe zufiel, dieselbe leichter, als der Richter fich vorgestellt hatte. Hatte er sich schon bei der Verhaftung als Spieler be zeichnet, der die Partie verloren habe und deshalb bezahlen müsse, so schien er sich jetzt in der Nolle dessen zu gefallen, der alle seine Karten offen auf den Tisch wirft, da doch nichts mehr zu retten ist. Aus seinen Erzählungen, denn mehr in der Gestalt von solchen, als in der Form von Fragen nnd Am.vorten, legte er seine Geständnisse ab, ging hervor, das; er das Vermö gen seiner Frau am Spieltisch und auf den Rennplätzen ver schleudert hatte. Schon beim Tode des Geheimrats von Rusfer war ein großer Teil der ihm zugefallenen Erbschaft in die Hände von Wucherern geflossen, die auf diese Aussicht hin immer offene Kassen für ihn gehabt hatten. Er war bald genug mit den Rest fertig gewesen und jenen Wucherern von neuem in die Hände gefallen, welche nun auf das Vermögen der Schwiegermuller hin neue Vorschüsse leisteten. Sils auch dieses nach Frau Ruffers Tode verbraucht, zeigten sie sich bereits schwieriger nnd stellten immer härtere Bedingungen. Noßwitz' Lage ward nach nnd nach eine mißliche, er än derte aber nichts an seinem bisherigen Lebe», spielte nnd wettete noch wilder, in der Hoffnung, große Gewinne ein- zuheimsen. Das gelang ihm auch ein paarmal, aber wie gewonnen, so zerrann das Geld auch wieder. Während der Zeit, als seine Familie sich auf dem Rodenberg aufhielt, hatten sich die Verlegenheiten so gesteigert, daß er nicht mehr aus noch ein wußte. 101,20