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2. Beilage zum „Riesaer Tageblatt". Rotationttruck und Verlag vo« Langer t Winterlich in Riesa. — Mr die Redaktion verantwortlich: Arthur Hähnel in Riesa. SS«. Mittwoch, IS. November l'ill. abends. «4. Jahr». Deutscher Reichstag. ros. Sitzung. 14. November, 1 Uhr. Am Tische de» BundcSratS: v. Kiderlen-Waechter. Erste Lesung des Gesetzentwurf» über die «n»Sa»« Neiuer Aktie» 1» Rtantfcha«. Staat-sekretär de» Aeußeren v. Kid«rlen-Wa echter: Der Entwurf ist von diesem Reichstag vor 1'/» Jahren ab« gelehnt worden. ES können also nur ganz gewichtige Grunde sein, die die Verbündete» Regierungen veranlassen, nach so kurzer Zeit den Gesetzentwurf wieder vorzulegen. Wenn der Entwurf nicht Gesetz wird, wird die Konkurrenzfähigkeit unserer Deutschen in Ostasien und da» Ansehen des Deutschen Reiche» dauernd geschädigt. Jetzt liegt die Sache so, daß der Ausbau der deutschen Niederlassungen mehrfach von Aktiengesellschaf« ten unter englischem Recht betrieben wird. Ohne die Einfüh rung einer kleinen Aktie ist die Heranziehung chinesischen Kapi tal» an deutschen Unternehmungen unmöglich, da die Chinesen nur mit kleinen Beträgen sich an unserem Unternehmen be teiligen. Die kleine Aktie ist nötig, wenn der Deutsche mit anderen Ländern konkurrieren wilu Biele wichtige Aufgaben werden jetzt den Engländern übergeben. Da» schadet dem deut schen Ansehen, besonder» in einem Lande, wo da» Prestige soviel auSmacht. Wenn die Chinese« sehen, daß die deutschen Gesellschaften sich unter englische» Recht und unter englischen Schutz stellen müssen, so sagen sie sich eben, daß der eng lische Schutz der wirksamer: ist. Die kleinen Aktien sollen weder in Deutschland noch in den anderen Schutzgebieten ein geführt werden. An den deutschen Börsen sollen sie nur zu den Bedingungen zugelassen werden, wie die kleinen Aktie» fremder Staaten. Ganz ausschließe» kann man sie nicht, wir können unsere Kaufleute in Ostasien mit ihren Aktien nicht fchlechter stellen, als die Aktien fremder Staaten. Die Form Tin gesunde» und nahrhafte» Familiengetränk dürfte gewiß jeder Hausfrau willkommen sein, umsomehr, wenn dasselbe auch wohlbekömmlich und nicht teuer ist. — Alle diese vorzüglichen Eigenschaften bietet Ihnen mein Wit. Ml MU welc-en ich zu nachstehenden billigen Preisen zum Verkauf bringe: I Psd. 70, 85,10«, 12«, 14«, 1««, 2««, 24« ä V« . —,22, 25, 3«, 35, 4«, 5«, 6« „ Ich führe nur gute Qualitäten erster deutscher Fabriken und gewähre auf : vorstehende billige Preise noch :: IO ^»»OLVNÜ ksdstt in lOsnIevn. <1. f. keck M Lok» Ovkul- u. OovIkvGßi». Das Geheimnis der Aktien. Roman von Jenny Hirsch. 29 „Dann müßte der Auslieferung der Hinterlassenschaft an die Erbin erst die gesetzliche Todeserklärung mit allen dazu erforderlichen Formalitäten vorangehen." „Darüber könnten noch Jahre verstreichen." „Gewiß. Aber Sie haben das leider nicht zu befürchten und werden am Tagenach derBeendigungderSchwurgerichtS- vcrhaudlung in Eutin hier die Papiere und Gelder in Emp fang nehmen können." „Ich habe Ihnen bereits gesagt, aus welchen Gründen ich das vermeiden möchte; Edith soll nicht wieder hierher kommen, die Erschütterungen bei der Gerichtsverhandlung in Eutin müssen ihr erspart bleiben." ' „Das wird sich einrichten lassen; sie kann Ihnen Gene ralvollmacht geben." „Da» möchte ich nicht; ich habe auch Rücksichten zu neh men." „Nun, schlimmsten Falles behalte ich die Verwaltung des Vermögen» bis nach Ihrer Rückkehr und sende Ihnen die Zin sen," sagte der Konsul gutmütig. „Noßwitz richtete sich steif auf und antwortete plötzlich, sehr von oben herab: „Ich danke Ihnen verbindlich, Herr Konsul, wir dürfen Ihnen zu den vielen Lasten, die Sie für das Gemeinwohl tragen, nichtauch noch diese auferlegen." „Ich hätte ja die Arbeit doch noch für zwei Jahre gehabt, wenn Lydia am Leben geblieben wäre," erwiderte der Kon sul. „Es würde für mich keinen großen Unterschied ma chen; jedoch wie Sie wollen. Am Tagenach der beende ten Gerichtsverhandlung in Enlin steht die Erbschaft zur Verfügung." „So muß die Angelegenheit in der Schwebe bleiben," antwortete Noßwitz, indem er sich erhob und dem Konsul die Hand zum Abschied bot. „Leben Sie wohl, ich werde trotz dem mit den Meinigen die Reise antreten, im Grunde ist'S ja auch einerlei, es liegt alles in guten Händen." „In besseren als in den Deinigen," murmelte Konsul Elster, in fein Zimmer zurückkehrend, nachdem er seinen Gast bi» an die Tür begleitet hatte. „Mit allen diesen Mätzchen der Kolonialgesellschaften hat sich nicht bewährt. Ich bitte dringend um Annahme de» Gesetze» zur Unterstützung unserer hochangesehenen Kaufmannschaft in Ostasien in dem schweren Wettbewerb mit anderen Staaten. Abg. Belzer (Z.): Die zahlreichen Petitionen werden wohl manchem von un» zu einer Aenderung seiner ablehnenden Hal tung veranlassen. Der nationale Standpunkt spricht für di« ISlnnahme der Vorlage. Wir hoffen, daß die Kommissions beratung einen günstigen Verlaus nimmt. Abg. Dr. Roes icke (k.): Ein großer Teil meiner Freunde wird die Vorlage auch diesmal ablehnen. Wir wollen nicht gewisser lokaler Verhältnisse wegen bewährte Grundsätze de» wirtschaftlichen Leben» ausgeben. Selbst der Konsul in Schanghai äußert sich ablehnend. Den kleinen Aktien würden weitere Er leichterungen de» AktiengesetzcS folgen. Wenn deutsche Gesell schaften sich unter englische» Recht stellen, kann da» nur au» Verärgerung geschehen sein. Die Berliner Handelskammer fordert schon Einführung der kleinen Aktien in allen Schutzgebieten. Wenn man den kleinen Finger gibt, wird gleich die ganze Hand genommen. Denken Sie an di« wilden Kolonialspeku- lationen, an die Otaviminsn. Abg. Geck (Soz): !r sind gegen da» Gesetz. ES ist schon einmal unter den Fußtritten eines Hammelsprungs ver endet, jetzt kommt es wieder die Hintertreppe herauf. Da» Zentrum ist wieder einmal umgcfallen, früher war e» da gegen, weil noch Dcrnburg im Kolonialamt saß. Wünsch« des Volkes finden keine so freundliche Aufnahme bei der Regte- rimg, wie die Wünsche einiger Kapitalisten in den Kolonien. Die Unternehmer wollen ohne Kontrolle sein, damit sie mit dem Gelbe der kleinen Leute anfangcn können,, was sie wollen. Früher war Dernburg auch gegen die kleinen Aktien. Das Zentrum lebt jetzt im Konkubinat mit dem Kapitalismus. Das Konkubinat mit uns, in dem e» früher lebte, wurde in der Kirche ringesegnet, da» neue Konkubinat ist an der Börse zu stande gekommen. (Heiterkeit.) Fregattenkapitän BrünrnghauS: Staatssekretär Dern« bürg war nicht ein Gegner der kleinen Aktien. Auch er hielt sie für die einzige Form, unter der in Zukunft ein Zusammen wirken von Chinesen und Deutschen möglich sein wird. Im vorigen Jahre ist in Ostasien ein eigenes Register angelegt, das aber die Vorbedingung für die Eintragung macht, daß AufstchtSrat und Direktoren britische Untertanen sein müssen. Unsere deutschen Gründungen können sich überhaupt nicht mehr registrieren lassen, falls die Gründer nicht britische Untertanen werden oder Engländer als Direktoren anstelle». Wenn keine kleinen Aktien für Ostasien geschaffen werden, werden unsere deutschen Gesellschaften vom Weltmarkt verschwinden. ES han delt sich darum, für das deutsche Volk, für die deutsche Ar- beiterschast einen Absatzmarkt zu schaffen, nicht darum, ein paar Kapitalisten Millionen verdienen zu lassen. Abg. Dove (Vp.): ES handelt sich nicht um lokale Rück- sichten, sondern um die Förderung unserer Wirtschaft in Ost- asien. Wir müssen die für den Wettbewerb geeigneten Formen zu sinken suchen. Die Furcht vor der Spekulation braucht vwu nicht zu haben. In den ShareS, die von Geistlichen und Lehrern und ähnlichen Leuten auf dem Lande vertrieben wur den, sind Milliarden verloren gegangen. Für uns kommt es darauf an, den Wettbewerb unserer wirtschaftlichen Anßen- Pvsten zu erleichtern. Die Aktienform ist nun einmal die ge eignetste Wirtschaftsform, das Publikum vor Verlusten zu schützen. Tie Umwälzungen in China werden ein wirtschaft liches Aufblühen in Ostasien zur Folge haben, da dürfen wir uns nicht zurückhalten. Abg. Tr. Arendt (Rp.): Meine politischen Freunde sind für die Vorlage, und auch ich habe mich in dieser Richtung überzeugt. ES muß aber in einer Form sein, die die schweren prinzipiellen Bedenken beseitigt. Das tut aber die Vorlage in der jetzigen Form nicht. Warum waren unsere Landsleute in Ostasien eigentlich so versessen auf die kleinen Aktien, auf Zwcihundcrtmark-Aktien, wahrens die Engländer doch mit Zwan- zigmark-Sharcs arbeiten? Da spielen ganz andere Absichten mit, die nicht laut gesagt weroen dürfen. Von amtlichen Stellen ist den Leuten gesagt, dann würde der Reichstag hell hörig und die Sache nicht bewilligen. Auf die chinesische Wäh-' rung kommt eS ihnen an. In Wirklichkeit ist der Kurs 185, und die Differenz soll dem Gründungsgewinn dienen. Auf keinen Fall dürfen wir rütteln an dem Verbot der kleinen Aktien in Deutschland. Vizepräsident der ReichSbank Dr. v. Glasenapp legt gegenüber dem Vorredner dar, daß der Kurs schwankend, und zwar zeitweise erheblich über 200 hinausgegangen ist. _ . Aba- Ortet tnl.) ..spricht namens seiner Freunde für das Gesetz und erNärt die Besorgnisse der Gegner wegen Anreizung der Spiclwut für unbegründet. Abg. Raab (Wirtsch. Vg.) bekämpft die kleinen Aktien mit größter Schärfe und bezieht nch dabei mehrfach auf Dernburg. Der Ruf der Solidität de» deutschen Kaufmanns in Chin« steht in Frage. Werst die Vorlage tu die Kommission auf Nimmerwiedersehen. Staatssekretär des ReichSsustizamt» Tr. L i Seo gibt namen» der Verbündeten Regierungen die bündige Erklärung ab, baß sie nicht daran denken, an der inländischen, Nktiengesrtzgebung rütteln zu lassen. Abg. Kaempf (Bp.): Herr Arendt scheint, seit er sich nicht mehr mit dem MetalliSmuS befaßt, sich übcp den Silber kur» nicht aus dem laufenden gehalten zu haben. Ter Redner tritt entschieden für die Vorlage ein. Wir müssen die Chi nesen dazu bringen, mit un» in den Aktiengesellschaften zu sammen zu arbeiten. Abg. Dr. Goercke (nl.): Auch der größte Gegner, Herr Arendt, ist ja jetzt erfreulicherweise für die Vorlage; nur über die Wege sind wir noch verschiedener Meinung. Tie Spekulan ten finden Objekte genug, ob wir nun kleine Aktien habe» oder nicht. ES handelt sich um die Heranziehung chinesischen Kapi tal» und somit um Verbreitung deutschen Einflüsse» in dem modern werdenden China. Andere Kolonien kommen nicht i» Betracht. Aba. Belzer (Z.): Man hat uns vorgeworfen, wir wären rungesallen. Da» stimmt nicht vollkommen. (Heiterkeit.) Ti« Vorlage hat jetzt ein anderes Gesicht bekommen, die Speku lation muß verhindert werden. Der Gesetzentwurf geht au die Budgetkommission. -s, - Di« Eiscnbahn-Interp«llation. ' ' Die gestern abgebrochene Besprechung wird fortgesetzt. Abg. Böhle (Soz.): Die bürgerlichen Parteien habe« de« Dahnarveitern Koalitionsfreiheit zugcbilligt. Hoffentlich ist da» nicht nur ein Versprechen vor den Wahle». Herr BÄker hat oeltern einen Eiertanz auSgesührt,. wie.es sich für ellie« Zen» ZULLST LOL« (lZolrimunäai'ücll-Liysrst'ke) kür' feinsckimsclcep? N? ZN * § S S 10 . , zn 4 s s s io pfg.ciHrk. Höchste Auszeichnung ^L.SLchs.StaatspreLs täuscht noch der edle Herr von Noßwitz nicht. Er braucht das Geld, und eben, weil ich das merke, werde ich eS ihm vorenthalten, so lange sich nur ein Vorwand dafür ersinnen läßt. WaS dieser Mensch meinem Freunde Rnffer gekostet hat, daS hat außer den beiden wohl niemand erfahren, und ich fürchte, Noßwitz ist sich selbst nie darüber klar gewor den. Nachdem Tode des Schwiegervaters hat er zwei Mil lionen Mark bekommen, nach dem Tode der guten Frau von Ruffer wieder so viel, und davon scheint nur wenig noch vorhanden zu sein. Wie lange wird denn das Vermögen vorhalten, das ihm durch daS Unglück des lieben Kindes in den Schoß geschleu dert worden ist? Arme Edith, ich fürchte, Dir stehen noch recht trübe Erfahrungen bevor. Warum Ruffer nur für sie und die Kinder nicht etwas festgesetzt hat, was der Schwie gersohn nicht angreisen kann? War so ein kluger, vorsichtiger Mann und konnte doch eine solche Dummheit machen." Er stützte den Kopf in die Hand und blickte sinnend vor sich hin. , , * Hoch erhobenen Hauptes, aber mit düsterem Blick und tief gefurchter Stirn schritt Herr von Noßwitz die schöne, breite mit Planeten, Ulmen und Kastanienbäumen besetzte Allee entlang, welche von der kleinen Villenkolonie auf dem Schiff bauerdamm bis zur Stadt führt. Die sonst recht belebte Pro menade war heute ziemlich menschenleer, denn das Wetter war zum Spazierengehen durchaus nicht einladend. Schon seit dem frühen Morgen war der Himmel bleigrau und schien sich tief auf die Erde herabsenken zu wollen. Eine schwere, druckende Luft lastete auf Menschen und Tieren und ließ auch Bäume und Pflanzen die Blätter senken. Einzelne auf springende Windstöße brachten keine Kühlung, sondern wirbel ten nur dicke Staubwolken atembeklemmend empor. Alles lechzte nach Regen, dessen Vorboten vorhanden waren und der noch nicht kommen wollte. Die wenigen Personen, welche sich auf der Promenade befanden, hatten genug zu tun, Hüte und Kleider gegen den immer heftiger werdenden Wind zu schützen und achteten weniger auf die Begegnenden; auch Herrn von Noßwitz fuhren die Staubwolken mehrmals ins Gesicht und hinderten ihn am Sehen, trotzdem setzte er die Höflichkeit einen Augenblick beiseite und lauschte mit Bekannten Grüße auS. Endlich mochte es ihm aber doch zu viel werden. In der Nähe des Tores rief er einen dort mit seinem Gefährt hal tenden Droschkenkutscher an, nannte ihm die Straße, wohin er gefahren sein wollte, und stieg ein, den Schlag dröhnend hinter sich zuwerfend. Kaum saß er im Wagen, so verschwand der hochfahrende Ausdruck seines Gesichtes, statt dessen malten sich Angst und Unruhe in seinen Zügen. „Verwünscht!" stöhnte er nnd knirschte wütend mit den Zahnen. Aufgeregt murmelte er unverständ liche Worte vor sich hin, doch gelang eS ihm uicht, sich zu beruhigen, denn sein Gesicht war erschreckend bleich, al» er den Wagen verließ, um den Rest seine» Weges wieder zu Fuß zurückznlegen. Er durchschritt ein paar der verkehrsreichsten Straßen und blieb in der Georgcnstraße vor einem Schaufenster stehen, wie unwillkürlich gefesselt von den darin auSgeleqten Ge genständen. Der Laden war nur klein und schien sich unter den rechts und links davon belegenen, prächtig auSgestat- teten Magazinen in welchen Modeware» und Möbelstoffe feilgeboten wurden völlig zu verkriechen, übte aber ans den Liebhaber und Kenner eine große Anziehungskraft au», denn er enthielt Raritäten und Antiquitäten der mannigfach sten Art. „Noßwitz trat in den Laden. Er hatte schon öfter hier verkehrt und manches seltene Stück nach Hanse getragen; heute hielt er sich jedoch bei der Betrachtung der einzelnen Stücke nicht auf, sondern bat einen der im Geschäft anwe senden jungen Leute, ihm die im Schaufenster befindliche Schildpattdose mit dem weiblichen Miniamrporträt herzu langen. „Sie sind ein feiner Kenner, Herr von Noßwitz," sagt« der Verkäufer, ein schmächtiges Bürschchen von etwa zwanzig Jah ren mit einem blassen schmalen Gesicht voll Sommersprossen mit weißblondem Haar und sehr Hellen Augen, qn welchem die Wimpern nur sehr spärlich waren und die Brauen bei nahe ganz fehlten. „Sie suchen sich sofort unser feinste» Stuck heraus. DaS Porträt stellt Maria Maucini, die Nichte deS Kardinals Mazarin, die schöne Jugendgeliebte Ludwig» deS Vierzehnten dar; eS ist von Mignard gemalt..ISl.M