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206 fting einiger Rechnungen an seinem Arbeitstisch beschäftigt, Ida saß auf ihrem gewöhnlichen Platz an dem Fenster, von dem aus sie den Weg nach Bcutlingcn überblicken konnte. Werder harte versprochen, heute schon Vormittags zu kommen und den ganzen Tag in Grombcrg zu bleiben, Ida blickte deshalb recht ost v.n ihrer Stickerei auf, um zu sehen, ob denn der Er wartete nock> immer sich nicht blicken lasse. Endlich zeigte sich ein von Beutlingen kommender Wagen. „Ta kommt Herr Steinert!" rief Ida erfreut ihrem Vater zu, aber schon im nächsten Augenblicke sagte sie ent täuscht: „Rei" cr ist es nicht. Das ist nicht die kleine Ka lesche aus dem „Weißen Roß," sondern des Bürgermeisters großer offener Kutschwagen. Wie merkwürdig, drei fremde Herren sitzen darin." Der Wagen fuhr in den Hof; schon in der nächsten Minute trat unangemeldet ein hochgewachsencr, militärisch aussehcnder Herr ins Zimmer. „Habe ich die Ehre, mit Herrn v. Heiwald zu sprechen?" fragte er mit einer leichten Verbeugung. „So heiße ich." „Ich wünsche Sie allein zu sprechen!" Der Fremde sagte dies in einem kurzen, säst befehlenden Tone. „Mit wem habe ich die Ehre?" „Ich bin der Polizci-Kommissarius Dunkelword aus M**." Hcrr von Heiwald zuckte unwillkürlich zusammen, als er Namen und Stand des Fremden hörte. Die ihrer großen Thätigkeit wegen im ganzen Lande berühmte Polizei-Tirektion in M" verdankte ihren Ruf vorzugsweise dem unermüdliche,. Eifer und dem Scharfsinn von drei Beamten, denen es ge lungen war, in mehreren fast verzweifelten Fällen das Ge- heimniß verübter Verbrechen zu entdecken. Tie Slawen Werder, Dunkelword und Ewald waren berühmt und gefürchtet. Einer aus dem berühmten Kleeblatt, so nannte der Volksmund die drei, stand jetzt vor Herrn von Heiwald. Was konnte er in Gromberg wollen? Eine traurige Ahnung sagte es dem unglücklichen Manne, der todtenbleich wurde. Seine Glieder zitterten, er hielt sich krampfhaft an der Lehne seines Sessels, um nicht umzufinken; kaum brachte er die wenigen Worte hervor: „Verlaß' uns, Ida, ich habe mit dem Herrn allein zu sprechen!" Auch Ida bebte, als sie den gefürchteten Namen hörte, aber sie brach nicht zusammen. Längst hatte sie erwartet, ja fast herbeigesehnt, was jetzt geschehen sollte. Nicht einen Augen blick verlor sie die Fassung. Sie eilte zu ihrem Vater, sie schlang die Arme um dessen Hals, und indem sie ihn zärtlich küßte, sagte sie innig: „Rein, Vater, ich gehe nicht! Ich bleibe bei Dir, was auch geschehen möge! Ter Tochter Platz ist an Tciner Seite!" „Ich bitte recht inständigst, gnädiges Fräulein, lassen Sie mich mit Ihrem Herrn Vater allein. Was wir zu besprechen haben, taugt nicht für die Ohren einer jungen Dame." Ter Polizei-Kommissarius sprach dies herzlich bittend, auch auf ihn hatte Jda'S Schönheit ihren tiefen Eindruck nicht verfehlt. „Ich bin stark genug, alles zu hören, was Sie meinem Vater auch sagen mögen, mein Herr! Ich bitte Sie, schicken Sie mich nicht fort!" Ida blickte bei diesen Worten den Poli zisten so flchendlich bittend an, daß dieser nicht widerstehen konnte; er erwiderte: „Wenn Herr von Heiwald wünscht, daß Sie bleiben, gnädiges Fräul.T. la'f ick, nichts einwenden! Ich habe vom He in Polizeirath Werker den strengsten Befehl, den Herrn aus das jchenrulfle, soweit der Dienst cs gestattet, zu behandeln." „Vom Polizeirath Werder? Auch er ist hier?" ries Herr von Heiwald tief erschüttert. „Er ist in Bcutlingcn, In einer Stunde wird er in Gromberg sein." Es war kein Zweifel mehr. Tie Absendung der beiden berühmten Polizisten von M ' konnte nur einen Zweck haben, das wußte Herr v. Heiwald; cr kannte jetzt sein Schicksal. Der erste Schlag hatte ihn erschüttert, aber bald gewann er seine Fassung. Er zitterte nicht mehr, als er sagte: „Sprechen Sie, mein Herr. Was wünschen Sie von mir?" „In Gegenwart des gnädigen Fräuleins?" „Ja! Ich erwarte Ihre Antwort." „Herr von Heiwald, ich habe die traurige Pflicht, Sie zu verhaften." „Wissen Sie den Grund und dürfen Sie ihn mir sagen?" Ja! Es liegt gegen Sie der dringende Verdacht der Mitschuld am Morde und der Beraubung des Herrn von Scharnan vor." Herr v. Heiwald war geisterbleich geworden. „Ich wußte cs!" sagte er mit fast tonloser Stimme. „Tics ist das letzte, was niederträchtige Verläumdung mir authun kann. Sei ge faßt, mein Kind!" „Ich bin cs, Vater," entgegnete Ida, ihren Vater fester umschlingend. „Ich danke Gott, daß endlich, endlich eine offene Anklage gegen Dich erhoben wird! So lange Deine schändlichen Feinde im G.heimen gegen Dich wühlten, so lange sie Dich verläumdcten, war Deine Kraft gelähmt; jetzt aber wirst Tu ihnen offen und kühn ins Angesicht schauen, wirst ihre nichtswürdigen Ränke zunichte machen! Deine Unschuld wird endlich an das Tageslicht treten. Vater, ich segne diesen Augenblick, den ich von ganzer Seele herbei gewünscht habe!" „Ich danke Dir, mein liebes, liebes Kind! Deine Zu versicht giebt auch mir Muth und Kraft! — Mein Herr, ich bin bereit, Ihnen zu folgen. Darf meine Tochter mich begleiten?" „Zu meinem Bedauern kann ich dies nicht gestatten.- Jch habe den Befehl, Herrn von Heiwald allein mit einem der beiden Beamten, welche mich begleiten, nach Beutlingen zu schicken. Ich selbst bleibe mit dem zweiten Beamten hier zurück, bis der Herr Polizeirath Werder eintrifft. Ich bin beauftragt, sofort die genaueste Haussuchung zu beginnen und darf deshalb, so tief ich dies bedaure, und jo sehr ich deshalb um Entschuldigung bitten muß, nicht einmal erlauben, daß das gnädige Fräulein dies Zimmer verläßt, bis die Haussuchung beendet ist." „Thun Sie Ihre Pflicht, mein Herr!" entgegnete Ida fest und ernst. Nehmen Sie keine Rücksicht, nicht die geringste. Lebe wohl, mein Herzensvater, wir sehen uns bald und glück licher wieder!" Welche wunderbare Verwandlung hatten wenige Minuten hervorgebracht! Das kindliche, einfache Landmädchcn war plötz lich zur kraftvollen, selbstbewußten Jungfrau erhoben. Das große, bisher so träumerische Auge blickte klar, fest und ernst. Herr von Heiwald schaute mit Bewunderung und Stolz auf jein schönes Kind, auch er fühlte sich durch Idas Kraft gehinkt. — „Ja, wir sehen uns wieder, me'ünthcurcs Kind!" rief er. „Kein Lebewohl, sondern ein Gruß auf baldiges Wiedersehen! — Ich folge Ihnen, mein Herr!" Ter Polizei-Kommissarius war ei» staunender Zeuge dieses seltsamen Abschiedes gewesen. So hatte er sich die Verhaftung des Mörders nicht gedacht. Er hatte von dem Polizeirath nur ungern den Befehl, daß die größte Schonung — 207 — gegen Herrn v. Heiwald beobachtet werde, entgegengenommen, jetzt aber freute er sich desselben. Er erklärte, daß er gern bereit sei, alles zu thun, was sein Dienst irgend gestatte; wenn Herr von Heiwald oder das gnädige Fräulein einen Wunsch hätten, möchten Sie ihn nur aussprechen; aber Herr v. Heiwald hatte keinen andern Wunsch als den, die peinliche Scene bald zu beenden. Er küßte Ida noch einmal, dann folgte er einem der beiden herbeigerufenen Beamten; in dem Wagen des Bürgermeisters Wurmser trat er die kleine Reise nach Beutlingen an. Der Beamte setzte sich zu ihm, nahm aber bescheiden den Platz auf dem Rücksitz ein. Auf dem Wege nach der Stadt, nicht fern von Grombcrg, begegnete Herr v. Heiwald dem Herrn Cornelius Steinert, der in der kleinen Kalesche aus dem „Weißen Roß" eben nach Groinberg fuhr; er erkannte deu Freund schon von weitem und hätte diesem gern fein Geschick mit wenigen Worten mitgetheilt, deshalb wendete er sich an dcn Beamten: „Tort kommt ein Freund von mir ! Darf ich einige Worte mit ihm sprechen?" fragte er. Ter Beamte schaute sich nach der Kalesche um. „Meinen Sie dcn Herrn mit dem blonden Schnurrbart, der dort im Wagen sitzt?" „Ja, es ist ein Herr Steinert, der mein Gut kaufen will!" „Hm, mit dem Herrn tonnen Sie schon sprechen. Ich darf es zwar eigentlich nicht erlauben, daß Sie mit irgend Jemand Rücksprache nehmen, aber wenn Sie nur mit dem Herrn Steinert und sonst mit Niemandem sprechen wollen, so habe ich nichts dagegen." — Der freundliche Beamte befahl selbst dem Kutscher zu halten, als beide Wagen sich begegneten. Werder begrüßte Herrn von Heiwald mit seiner gewöhn lichen Unbefangenheit. „Sie fahren früh nach Beutlingen, Herr von Heiwald. Ich hoffte Sie in Gromberg zu treffen. Er lauben Sie, daß ich Sie dort erwarte? Ich möchte heut meine letzte Umschau auf dem Gute halten!" „Erwarten werden Sie mich schwerlich können, Herr Steinert, ich kehre heut nicht nach Gromberg zurück. Ich bin verhaftet!" „Verhaftet?" „Als Mörder des Herrn von Scharnau! Da haben Sie dcn ganz»» fürchterlichen Unsinn mit einem Worte!" Hotte Herr von Heiwald erwartet, daß seine Mitthellung Sleinert erschrecken oder auch nur in äußerstes Staunen setzen würde, dann sah er sich getäuscht. Der Freund hlicb mertwürdig ruhig und gefaßt. „Ich ahnte heut Morgen, daß etwas derartiges im Werke sei," sagte cr. „Ich wünsche Ihnen Glück dazu, Herr von Heiwald! Cie werden jetzt endlich im Stande sein, gewisse schändliche Gerüchte für immer zum Schweigen zu bringen!" „Dasselbe hat mir Ida zu meinem Trost gesagt, und sie hat Recht! Ich bitte Sie jetzt, Herr Steinert, fahren Sie weiter nach Gromberg. Ida achtet uud schätzt Sie, wie ich; sie hat volles Vertrauen zu Ihnen; vielleicht gestattet man Ihnen, mit ihr zu sprechen, dann bringen Sie meinem lieben Kinde noch einen Gruß von mir. Ich weiß, Sie werden in dieser Roth ein treuer Freund und Beistand sein." „Verlassen Sie sich daraus, Herr von Heiwald! Was ich irgend thun kann — —" „Ich glaube Ihnen ohne Versicherung. Leben Sie wohl! Vorwärts Kutscher!" „Leben Sie wohl. Wir sehen uns sehr bald wieder!" Mit diesen Worten trennten sich die Freunde. Werder fuhr weiter nach Gromberg. Ida war, nachdem ihr Vater sie verlassen hatte, in dessen Arbeitszimmer mit deni Polizei-Kommissarius Dunkel- wocd allein geblieben. Der zweite Beamte beaufsichtigte die Dienerschaft, damit durch diese nicht etwa die Haussuchung gestört werde, während Dunkelword vor dem Arbeitstisch des Barons Platz nahm, uin sofort die Durchsuchung der Papiere zu beginnen; cr. lud mit ehrerbietiger Höflichkeit Ida ein, seine Thätigkeit zu beaufsichtigen; es sei ihm eine peinliche Pflichterfüllung, in diesen fremden Papiere» und Geldern zu wühlen, sie werde sehr erleichtert, wenn die Tochter des Be sitzers sie kontrolire. Eine Viertelstunde mochte etwa vergangen sein, da ertönten Schritte auf den, Gange draußen; die Thür wurde geöffnet, Werder trat in das Zimmer. „Gott sei Tank, daß Sie endlich da sind!" rief Ida. Sie hatte dcn Frcund so sehnsüchtig erwartet, von ihm er hoffte sie Hilfe, Rath. Sie eilte ihm entgegen, unbewußt folgte sie dem Drange ihres Herzens, als sic seine Hand er griff, und sich an ihn lehnte. Er drückte ihr sanft die Hand. „Fassen Sie sich, liebe, liebe Ida! Wir sind nicht allein," sagte er leise, zärtlich. Fast beschämt zog sie sich zurück. Ter Polizei-Kommissarius Dunkelword war ein zu gut geschulter Beamter, um seine Verwunderung über den zärtlichen Empfang seines Vorgesetzten durch die Tochter des Mörders auch nur durch einen Blick zu vcrrathen. Er begrüßte Werder durch eine respektvolle Verbeugung. „Ihre Befehle sind pünktlich erfüllt, Herr Polizeirath," sagte er. „Herr von Heiwald ist mit der größten Rücksicht nahme verhaftet worden und ist auf dem Wege nach Beut- linge»; das Dienstpersonal wird durch dcn Sergeanten Letke beaufsichtigt. — Mit der Durchsicht der Papiere deS Verhafteten habe ich in Gegenwart des gnädigen Fräuleins begonnen." „ „Ich danke Ihnen, lieber Dunkelword. Es geht alles vortrefflich. Haben Sie jetzt die Güte, mich einen Augenblick mit Fräulein von Heiwald allein zu lassen." Gehorsam entfernte sich der Beamte. Ida glaubte, als sie Tunkelwords Anrede hörte, ein furchtbarer Traum peinige sie. Herr Polizeirath! War es denn möglich? Steinert, der Freund und Liebling ihres Vaters, der Mann, dem sich ihr Vertrauen und ihr Herz so schnell zugeneigt hatten, weil sie glaubte, seine edle Menschen freundlichkeit erkannt zu haben, es war der gefürchtete Poli- zcirath! Er hatte sich unter falschem Namen in das gastliche Haus eingcjchlichcn, cr hatte das Vertrauen des Vaters, die Liebe der Tochter erschlichen, um schnöde Spionsdienste zu thun. Ja, es war möglich, cs war nur zu gewiß! Unter diesem furchtbaren Schlage brach ihre Kraft. Sie wankte, eine Ohnmacht wandelte sie an, sie wäre zusammcngesunken, hätte Werder sie nicht in seinen Armen aufgefangen. Seine Berührung erweckte sie wieder zum Leben. Sie riß sich los, mit tiefem Widerwillen stieß sie ihn zurück. „Fort von mir! Wagen Sie cs nicht, mich anzurühren!" rief Sie mit schneidender Stimnie. Ihr Auge flammte, nie halte Werder geahnt, daß es so viel Haß, eine solche Verachtung ausdrücken könne. „Ida!" „Sie verschwenden Ihre Worte, Herr Polizeirath! Ta ich Sie jetzt kenne, werden Sie nicht mehr den Spion spielen können." Wie kalt und schneidend war der Ton ihrer Stimme, und doch brach ihr fast das Herz im tiefsten Schmerze;