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- 208 - ihre Augen füllten sich mit Thronen, ihre künstliche Fassung verließ sie. * Mit dem Schmerzensruse: „Mein Gott, dies ist furchtbar, ich ertrage es nicht!" sank sic nieder in den Lehnstuhl dis Vaters. Sie verbarg das Gesicht iu den Kissen und weinte bitterlich. Werder war tief erschüttert. Auch in sein Auge trat eine Throne. Er wagte lange Zeit nicht, die Geliebte in ihrem Schmerze zu stören, endlich aber nahte er ihr. „Ida, ch flehe Sie an, hören Sie mich; Gestatten Sie mir nur einige Worte!" sagte er leise, zärtlich bittend. Ein tiefes, krampfhaftes Schluchzen war ihre einzige Antwort. „Sie müssen mich hören, Ida. Nicht nngehört dürfen Sie mich verdammen: bin ich doch nicht weniger unglücklich als Sie. Ich liebe Sie, Ida, Ihnen gehört mein Herz von dem ersten Augenblicke an, wo ich Cie im Walde sah, und dennoch war ich verdammt, Ihr Feind zu sein. Sie kann, mir mit rührendem Vertrauen entgegen, ich suchte cs vergeblich zurückzuweisen. Ich durste Ihnen nicht sagen, wer ich bin. Eine furchtbare Pflicht, mein Eid gebot mir, meine Gefühle zu unterdrücken, mochte auch mein Herz dabei ver bluten. Ich mußte Schritt für Schritt Ihren Vater, gegen den die gewichtigsten Verdachtsgründe Vorlagen, versolgcn, mußte olle meine Geisteskraft auftvenden, um Nachforschungen nach jenem entsetzlichen Verbrechen anzustellen, obgleich ich wußte, daß ich dabei mein eigenes Lebensglück vernichtete. Ida, ich habe gesiegt in dem entsetzlichen Gewissenskampfe zwischen Pflicht nnd Liebe; Der Beamte ist seinem Eid und seiner Ehre treu geblieben, er hat dieser sich selbst geopfert. Sie m">gen ihn als Feind Haffen, aber sie dürfen ihn nicht verachten!" Er ergriff ihre Hand, sie entzog sie ihm, aber nicht hastig, wie zuvor. Sie schaute ihn mit großen, dunklen Augen, in denen der Ausdruck unsäglichen Schmerzes lag, an; sanft vorwurfsvoll fragte sie: „Sie holten wirklich meinen Vater für einen Mörder?" „Nein, Ida, Gott sei Dank, nein! Ich hielt ihn für den Mörder, als ich zuerst zu Ihnen kam. Ich suchte mit blutendem Herzen nach Beweisen seiner Schuld, ich glaubte sie zu finden, da doch das alles darf ich Ihnen hent noch nicht sagen, nur den Trost darf ich Ihnen geben: Ihr Vater ist unschuldig, morgen wird er schon wieder bei Ihnen sein. Sie haben mich in den letzten Tagen so heiter und froh, so unaussprechlich glücklich gesehen. Ich durfte es sein, Ida; denn während ich nach Beweisen für die Schuld des Mannes, den ich gern als Vater geliebt hätte, suchte, sand ich die Beweise seiner Unschuld!" „Und dennoch haben Sie ihn verhaften lassen?" fragte Ida, aber in ihren Worten lag kanm mehr ein Ton des Vorwurfs, ja sie ließ sogar Werder die Hand, die er wieder ergriffen hatte und küßte. „Es mußte geschehen, gerade um seine Unschuld zu beweisen. Auf meinen Antrag, den ich gestellt habe, als ich ihn noch für schuldig hielt, ist die Verhaftung besohlen worden; ich hätte trotzdem diesen Befehl vielleicht nicht zur Ausführung gebracht, wenn ich nicht geglaubt hätte, Herr von Heiwald werde gern einige Stunden der Hast erdulden, wenn dadurch sein Name von jedem Makel befreit wird. Zu diesem Zwecke nehme ich auch jetzt die Haussuchung vor. Ihres Vaters Gelder und Briefe sollen den vollen Beweis für eine Unschuld liefern. Hätte er sie freiwillig dem Gerichte eingereicht, dann würde vielleicht ein Zwci'cl gegen ihre Richtigkeit laut geworden sein, jetzt aber muß jeder Zweifel verstummen!" „Genug, theure Ida, ich will jetzt nicht weiter in Sie dringen, daß Sie mir ihre Verzeihung schenken. Ich hoffe alles von der Zukunft." Ihr leuchtender Blick sagte ihm besser als Worte, daß sie ihm verziehen habe; mit leichtem Muth und frohen Herzen, konnte er sich jetzt seinem wichtigen, amtlichen Geschäfte widmen. Er hielt unter Beihilfe des Polizei-Kommissarins Tunkelword die Haussuchung mit peinlicher Gründlichkeit. Alle Papiere des Herrn von Heiwald prüfte er, besondere Aufmerksamkeit wendete er auf die Durchsicht von dessen Wirthschasts- und Kassenbücher. Diese wurden zur Fortfchaffung nach Beutlingen eingepackt, dazu auch des Hausherrn grauer Jogdrock und dessen sämmtliche blauwollene Strümpfe. Mehrere Stunden vergingen, ehe die umfangreiche Arbeit vollendet war; es war saft Mittag, als endlich Werder von Ida freundlichen Abschied nehm, um mit den beiden Polizisten nach Beutlingen zurück zukehren. Herr von Heiwald war inzwischen vom Bürgermeister Wurmser mit großer Höflichkeit empfangen und in ein ent legenes Zimmer gebracht worden, wo er, wie der Bürger meister sagte, bleiben sollte, bis es dem Herrn Polizeirath Werder möglich sein werde, selbst das erste Verhör abzuhaltrn. Die Stunden vergingen dem Gefangenen mit bleierner Langsamkeit, endlich wurde ihm gemeldet, der Polizeirath erwarte ihn im Amtszimmer des Bürgermeisters; daß er nicht weniger erstaunt war als Ida, als er erkannte, daß der ihm so lieb gewordene Steinert sich in den gefürchteten Polizeirath verwandelte bedarf, wohl kaum der Erwähnung; aber er faßte sich schnell. Indem er sich vor dem Beamten mit spöttischer Höflichkeit verbeugte, sagte er: „Ich darf der Bewunderung für die Feinheit, mit welcher der Herr Polizeirath die Rolle meines Hausfreundes Steinert gespielt und gewiß manche unbedachte, von mir jetzt schon vergessene Aeußerung von mir oder meiner Tochter treulich zu Papier gebracht hat, hier keinen Ausdruck geben; jedenfalls verdanke ich der Güte des Herrn Polizeiraths die mir bisher zu Theil gewordene rüncksichtsvolle Behandlung, welche wohl der Dank für die gastliche und herzliche Aufnahme des Herrn Steinert in meinem Hause sein soll." Werder nahm den in diesen Worten liegenden Vorwurf sehr ruhig hin. (Fortsetzung folgt.) Denk- und Sinnsprüche. Wenn Alle Dich verlassen — Verlaß Dich selber nicht! Dann kann Dein Stern erblassen, Doch nie verlöscht sein Licht. Wer wird sich wersen lassen Von jedem Schicksalsschlag ? Empfang ihn fest gelassen — Nach Nacht wird wieder Tag. Ein muth'ges Selbstersassen Ist, was zumeist gebricht — Wenn Alle Dich verlaßen, Verlaß Dich selber nicht! Hamm. Druck von Langer L Winterlich tn Riesa. Für die Redaktion verantwormq. tu Riesa. Erzähler an der Elbe. Belletrist. Gratisbeilage zu» „Riesaer Tageblatt*. Nr. SS. Riesa, de»» SS. Dezember L8S4. 17. Jahrg. Der Sterakrug. Von Adolf Streckfuß. (Fortsetzung., Täglich wußte er es so einzurichten, daß sein Weg ihn zum Sternkrng führte, er machte dann gewöhnlich mit dem Professor, der sich ganz heimisch eingebürgert hatte, einen kurzen Spaziergang in den Wald, oder er leistete dem ge lehrten Herrn Gesellschaft, wenn dieser auf seinem Zimmer die eingelegten Pflanzen trocknete und seine Schmetterlinge und Käfer präparirte. Die beiden Freunde unterhielten sich bei diesen Besuchen so heiter und lebendig, daß man das heisere „Hi, hi, hi" des kleinen Professors und das kräftige, lustige Lache» des Kaufmannsreisenden oft nuten in der Gaststube hörte. Zwei verschiedenartigere Freunde könne es nicht geben, meinte Vater Grawald, und doch auch nicht zwei lustigere, harmlosere Leute als diese beiden. Besonders den Professor hielt Grawald in hohen Ehren. Das sei ein Mann, sagte er, so gcmülhlich, bescheiden, mit allem zufrieden und umgänglich, und doch solch' großer Gelehrter! Der kleine Professor war Tag und Nacht auf den Beinen. Schon mit dem frühesten Morgen brach er zu seinen Streifzügen durch Wald, Wiese und Feld auf. Uner müdlich lief er meilenweit, dafür hatte er aber auch einen glänzenden Durst. In jeder Dorfschenke kehrte er ein, um ein Glas Milch oder Bier zu trinken. Mit den Wirthen und Bauern unterhielt er sich dann in leutseligster Weise über die Wirthschaft, die Ernte, die Geschäfte; über alles wußte er zu sprechen, am liebsten aber plauderte er über seinen Wirth, den Vater Grawald, für den er eine wahre Verehrung zeigte; eine» besseren Menschen, einen aufmerk sameren Wirth, einen tüchtigeren Geschäftsmann könne cs auf der Welt nicht geben, schade, daß der Andres so wenig dem s Vater gleiche. Gegen Mittag traf der Professor gewöhnlich wieder,- beladen mit den gesammelten Schätzen, im Sternkrng ein. Nachmittags brachte er seine Naturalien in Ordnung, nnd präparirte sie für seine Sammlung, dabei mußten ihm alle Hausgenoffen helfen, und alle thaten es gern, denn der lustige, harmlose kleine Professor war der allgemeine Liebling, selbst der mürrische Andres mußte über seine heiteren Scherze lachen. Vater Grawald hatte ihm sein ganzes Haus zur Disposition gestellt. Auf dem Boden trocknete der Professor die zum Einlegen der Pflanzen dienenden Papiere. Im Keller lagen in feuchtes Moos und Papier eingcschlagen solche Pflanzen, die der Professor lebend mit nach Hause bringen und in seinen Garten pflanzen wollte, im Schuppen neben dem Hause stand eine Kiste mit Schlangen, in der Herrenstube ein Kasten voll Raupen, welche der Naturforscher züchtete. Auch Nachts hatte der rührige, kleine Mann keine Ruhe. Mit einer kleinen Laterne ging er in den Wald, um Nacht schmetterlinge und andere Nachtthicre zu fangen. Oft kehrte er erst gegen ein Uhr zurück, daun brachte er noch seinen Fang in Ordnung. Mitten in der Nacht wanderte er in den Keller, nach dem Boden oder dem Schuppen- Vater Grawald hatte ihm, »veil die Hausgenosienschaft sich gewöhnlich früh zur Ruhe legte, einen Hausschlüssel gegeben. Ta störte ihn denn Niemand beim Gehen und Kommen, selbst die Hof hunde bellten nicht mehr, auch mit ihnen hatte sich der Pro fessor befreundet. Bei ihrer unermüdlichen Thätigkeit verflossen den beiden Polizeibeamten schnell die Tage, hatte doch für beide ihre amtliche Wirksamkeit noch ein besonderes Nebeninteresse. Ewald war glücklich in seinen Sammlungen, er ritt lustig auf seinem Steckenpferd; Werder aber machte täglich seinen Besuch in Gromberg. Er besichtigte Wiese, Feld und Wald mit muster hafter Genauigkeit, ein Stündchen hatte er bei diesen Besuchen auch stets für das Herrschaftshaus übrig. In den ersten Tagen nach der Ankunft Ewalds -zeigte sich Werder gegen Fräulein Ida weit kälter und einsilbiger, als bei der ersten Bekanntschaft, er glich gar nicht dem lustigen und interessanten Reisenden des ersten Tages. Als Ida in ihrer einfachen Natürlichkeit sich erbot, nach einem fernen Felde seine Führerin zu sein, nahm er dies Anerbieten zwar an, aber er blieb aus dem ganzen Wege so schweigsam, so kalt und un liebenswürdig, daß Ida sich ost fragte, wodurch sic wohl dcn lieben Gast beleidigt habe. Um so freudiger wurde sie bewegt, als sich schon nach einigen Tagen Werders Stimmung plötzlich änderte. Er wurde wieder heiter, gesprächig, zutraulich; er bat sie selbst, auf einem Wege durch Wiese und Wald seine ortskundige Führerin zn sein; er bot ihr unterwegs dcn Arm, und sie fühlte einen leisen Truck desselben. Gegen Herrn v. Heiwald zeigte Werder in den letzten Tagen eine achtungsvolle Freund lichkeit und Herzlichkeit; während er in den ersten Tagen jede weitere Einladung, ein Gast der Familie beim Mittags- oder Abendtisch zu sein, ausgcschlagen hatte, nahm er sie jetzt bereit willig an. Er blieb bis spät Abends in Gromberg als der willkommenste Gast für Herrn von Heiwald, der nicht müde wurde, sich von dem vielgereisten Manne das amerikanische Leben schildern zu lassen. „Wenn wir handelseinig werden, Herr Steinert," so pflegte er zu sagen, nachdem er den Schil derungen des Pflanzerlebcns begierig gelauscht hatte, „dann ziehe ich mit meiner Ida über das Meer nnd suche mir ein Daheim in jenem schönen Lande, ein Asyl, in dem ich fern von lästernden Menschenzungen leben und schaffen kann. Wie will ich wieder froh und glücklich werden, wenn ich erst drüben in dem freien Lande athme!" „Nehmen Sie mich dann auch mit, Herr v. Heiwald?" fragte Werder, aber wenn er die Frage auch an den Vater richtete, so suchte sein Blick doch die Beantwortung in dcn dunklen Augen Idas, er überhörte cs fast, daß Herr v. Hei wald freundlich und herzlich sagte: „Ich wüßte keinen lieberen und willkommeneren Reisegefährten!" Viel wichtiger war ihm das strahlende Lächeln, welches Idas Gesicht verklärte, das freudige „Ja," welches ihre Augen ihm zuwinkten. Er verlebte in dem gastlichen Hause glückliche Stunden, denen er sich mit vollem Herzen hingab. Es war am Morgen des zehnten Tages nach dem ersten Besuch, den Herr von Heiwald von dem Reffenden Cornelius Steinert empfangen hatte. Der Gutsherr war mit der Prü-