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11» — „Wie jung vu neben unserer Tochter aussiehst!" sagte ich pr meiner Frau. „Man sollte euch nicht für Mutter und Kind halten, eher für Schwestern." „Und dich nutzt für den Later dieses großen Mädchens, Walter!" neckt meine Frau mich „Deine blauen Augen lachen noch zu sehr, und eigentlich siehst du noch gerade so Wbsch aus wie damals, wo wir uns verlobten." „Ach und ich habe doch gestern schon ein weißes Haar entdeckt!" „Armer Mann, daran bin ich gewiß schuld!" Und sie fährt mit der keinen weißen Hand liebkosend durch Mein volles, lockiges Haar. Wir stehen aneinander geschmiegt auf der Beranda unsers lieben, grauen Hauses. Es ist ein wonniger Maiabend. Aus dem Garten tönt das Ängen der Nachtigallen, und die fröhliche Stimme unsers Kindes, ganze Duftwellen blühenden Flieders stei gen zu uns empor, und auf der großen Wiese braut der Nebel phantastische Gestalten. „Wie glücklich wir sind!" sagte mein Weib leise und lehnte den Kopf an meine Schulter. „Ost kommt es über mich wie Angst, daß . . ." Sie stockt und spricht nicht weiter. Bon der Wiese herauf kommt der klagende Schrei eines Nachtvogels, erst weil entfernt, dann «näher, bis fast dicht unter ders Veranda. Thea schauert in meinen Armen zusammen, ich umfasse sie fester. Auch ich lausche, und eine seltsame Unruhe hat sich meiner bemächtigt. Jetzt ist die Nachtigall verstummt, auch Unsers Töchterchens Lachen läßtz sich nicht mehr hören, nur der mißtönende Ruf des Bogels wird lauter und deutlicher. Ich möchte sprechen, einen Scherz machen. Warum bleiben meine Lippen verschlossen? Eine sonderbare Stimmung kommt über mich- — war es eine Vorahnung des bittern Leides, das wie ein Dieb über Nacht mein Glück zerstören sollte? Tann fliegt der Bogel weiter; immer schwächer wird der Nagende Ruf, bis er ganz auf hört. „Du zitterst! Ist dir nicht wohl, mein Lieb?" „Es wird nichts sein," antwortet sie. „Sorge dich nicht unnütz um mich Ich war, heute im Dorfe, und der weite Gang hat mich ermüdet? morgen bin ich wieder frisch und munter." „Im Dorf! Dort ist eine böse Typhus-Epidemie!" rufe ich „Warum setzest du dich der Ansteckung aus?" ,F), ich fürchte sie nicht. Die alte Katharina ist krank, da brachte ich ihr Wein und sonst noch allerlei." Am andern Tage weiß ich, daß meine geliebte Frau sich den tödlichen Keim der Krankheit geholt hat. Sie ist schwer daran, gleich zu Anfang gibt der Arzt wenig Hoff nung, und er sagt es mir. Unsere Docht« habe ich nach Grotzlinden zu Selma geschickt, ich aber wache viele, viele NäcHe am Bett meines höchsten Erdenglückes. Ich kann nicht über ihr Sterben schreiben. Es zerreißt mir das Herz. Nun wölbt sich der Hügel feit fast vier Wochen über dem Sarge. Ich hrche meine Tochter nur am Beerdigungs tage wiedergesähen; die Epidemie ist zwar im Vergehen, aber erst nachdem sie völlig erloschen' ist, soll Thea Heim kehrern — heim in das verödete Haus, dem der Sonnen schein fehlt, die Mutter, di« Gattich der Lute Geist der jetzt stillen Räume. Meine Dochter! In diesen Worten liegt jetzt einzig und allein mein Lebenszweck, meine Zukunft. Und ich werbe dafür arbeiten, leben, sorgen ... Fortsetzung folgt. Bekamt. Bon O. Müller. Schluß „Die find sehr gut," wiederholte sie langsam, ,>aber es kann nicht sein/1 „Kann nicht sein! — Ich hoffte. Sie hätten gelernt, mich ein wenig gern zu haben, Ella." Sie sah ihn aufrichtig an. „Ich habe Sie gern," sagte sie, — ,-anders als einst Rolf," fuhr sie mit tiefem Erröten schnell fort, — „abers ich habe Sie Von Herzen gern. Es ist nicht das. Aber Sie sehen, Gott hat nicht gewollt, daß ich in der Weise glücklich sein sollte, wie Sie mich machen möchten, darum hat er mich krank gemacht. Ich habe nach und nach gelernt, das einzusehen. Wollte ich, was halb Mitleid, halb Erinnerung an vergangene Zeit in Ihnen ist, benutzen, um Sie an ein« kranke Frau zu ketten und nur mein eigenes Glück zu sichern,' ich täte Sünde." ,/Llla," sagte er und faßte ihre beiden Hände in die seinen, „meinen Sie denn recht zu tun, wenn Sie wie ein trotziges Kind reden u. handeln? Mir werden Sie immer rocht sein, wie Sie sind. Wenn ich wünsche. Sie möchten gesund sein, so ist es um Ihretwillen, nicht um meinet willen. Warum wollen Sie mir das nicht glauben?" Es wurde still im Zimmer.^ Durch beider Herzen gingen mancherlei Gedanken. „Ich danke Ihnen, daß-Sie jo gut und treu sind," jagte Ma endlich „aber ich kann heute weder entscheiden, noch gestatten, daß Ihr Wort Sie binde. — Seit ich ruhiger geworden bin, hat sich mein Leiden nicht mehr ver- schlimmert. Vielleicht — ich wage fast, es zu hoffen, — wird es nun nicht mehr fortschreiten; aber das muß ich abwarten. Denken Sie nach einem halben Jahre noch wie heute, und bin ich dann nicht tauber als jetzt —" „So find Sie mein?" rief er mit tiefem Aufatmen. Sie nickte leise. „Mer nur dann, — vergessen Sie das nicht, nur dann.— Was heute gesprochen ist, bindet Sie nicht. Haben Sie nach einem halben Jahre einge sehen —" „Ich werde das nie einsehen, Ma," sagte Erich lächelnd, „und nur, weil ich das ganz gewiß weiß, füge ich mich Ihrer Bedingung so ruhig." Ma saß lange still und nachdenklich/ als er gegangen war. Wie seltsam, wie unerwartet war dies alles ge kommen. Sie war so dankbar, daß jemand sie lieb hatte, nicht als Tochter, nicht als Schwester, nur eben als die Ella, „trotz alledem und alledem". Es war ein so inniges, demütiges Tankgefühl, wie sie es vielleicht noch nie im Leben empfunden hatte. Es war ihr nie in den Sinn gekommen, es könne Erich noch etwas anj ihr liegen, und nun, da er fort war, konnte sie es auch wieder kaum glauben. Sie liebte ihn nicht so wie einst Rolf, ihr Gefühl für ihn war so ganz, ganz anders, wohl mehr Hochachtung und Gewöhnung als Liebe, aber er wußte ja, daß ihr frischestes, jugendlichstes Lieben einem andern gehört hatte, und war zustieden mit dem, was sie noch geben konnte. Sie schätzte niemanden aus der Welt so wie ihn, und das Gefühl sicheren Frie dens und Geborgenseins überkam sie bei dem Gedanken an eine Zukunft an seiner Seite. Er schien ihr so inner lich ruhig und stark. Es schellte heftig an der Haustür. Ella ging, sie zu öffnen. Draußen stand ein! Postmann und reichte ihr ein Telegramm. 10. Kapitel. Tie Depesche kam aus H.; Ella öffnete sie hastig. Sie enthielt nur wenige Worte, aber sie ließen sie in Tränen auSbrechen: ,Molf ist jehr krank, vielleicht zum Dode. 111 Ich bin unglücklich und einsam. Kommt um Gottes wil len! HaNna!" Ein paar Minuten saß Ella fassungslos. „O Rolf, Rolf!" schrie es in ihr wie einst. Vergessen war alles, alles, was zwischen einst und jetzt lag. Er könnte sterben, — er! und sie war nicht da! — Sie fing in fieberhafter Hast an, das Nötigste in ihren keinen Handkoffer zu packen, denn daß sie und die Mutter sofort reisen würden, war ihr selbstverständ lich, Tas schöne, friedliche Zukunftsbill), das sie sich noch eben ausgemalt hatte, verblaßte völlig, die alte, mühsam besiegte Liebe erwachte mit einem Schlage wieder. Weshalb kam denn die Mutter nicht nach Haus? Ging nicht der letzte Zug in einer halben Stunde? Tie Minuten verrannen, sie konnte nicht noch die ganze Nacht hierbleiben, während er vielleicht starb. Ms Frau Franziska heimkam- fand sie das Tele gramm und ein paar Zeilen von Gllch die ohne sie ab gereist war und sie bat, am nächsten Morgen zu folgen. Noch in der Nacht desselben Tages langte Ella ängst lich, erschöpft und sehr blaß, aber doch äußerlich ruhig, in H. an. Wie lang war der Weg vom' Bahnhofe bis zu Reichenbachs Wohnung, wie langsam schlichen die Troschkenpferde, wie trübe, wie winterlich und öde sah alles in der matten Mvndbeleuchtung aus! Der Wagen hielt, sie stieg aus. Niemand schien sie schon erwartet zu haben; es dauerte lange, bis die alte Liese mit rotge weinten Augen erschien und sie einließ. Hanna war nicht da. „Ist er tot?" fragte Ma in unsäglicher Angst. „Nein, Fräulein, — noch nicht, Fräulein. — Ach du lieber Gott, was sollen wir anfangen, wenn der Herr stirbt, — und es ist niemand bei ihch Fräulein, als die Wärterin, denn die Fräst Doktorin fürchtet sich." „Wo ist meine Schwester?" „Sie ist drinnen im Wohnzimmer und weint, aber sie fürchtet sich, ins Krankenzimmer zu gehen, weil das Fieber ansteckt, und sie sagt- sie will nicht auch sterben," und die Alte schluchzte bitterlich. Nur mit! Mühe konnte Ma sie dazu bringen, ihr zu erzählen, wie alles so plötzlich ge kommen fei. , Rolf hatte einen Schwerkranken mit Aufopferung besucht, war aber dann Von der Krankheit desselben, einem gefährlichen, ansteckenden Fieber, heftiger ergriffen wor den als sein Patient. Tagelang schon hatte er schwer gelitten, aber erst, als die Aerzte die Hoffnung auf Ge nesung aufgaben, rief Hanna die Ihrigen herbei. Sie hatte ihn während der ganzen Zeit nicht gepflegt, sie „konnte ihn nicht leiden sehen," sie fürchtete sich vor An steckung, sie wollte auch jetzt Ella zurückhalten, als sie auf die Tür des Krankenzimmers zuschritt. Ella sah sie fast verächtlich an, als sie sich von ihr losmächte. „Laß mich, Hanna, mein Leben ist nicht so kostbar, daß ich Rolf einsam sterben lassen könnte, um es nicht zu gefährden." „Ella!" rief der Kranke eben, als die Tür des Zim mers leise geöffnet wurde. Ma hörte ihn nicht- sie sah nur sein todblasses Ge sicht und die fieberhaft glänzenden, gar nicht auf sie ge richteten Augen, die bleichen, rastlosen Hände, die halb geöffneten trockenen Lippen. „Ma, kleine Ilse, warum kommst du denn nicht?" murmelte der Kranke wieder. Ella sah sich nach der Krankenwärterin um, die neben dem Bette saß und einge schlafen war; die Anstrengung der letzten Dage und Nächte mochte ihre Kräfte überstiegen haben. Ella fetzte sich auf den Rand des Bettes. Der Gedanke an Ansteckung kam ihr nicht. Sie nahm eine der bleichen Hände in die ihren. Wie fest und kräftig hatte diese Hand sie früher manchmal gestützt, wie matt und kvafüos wast sie nun! — „Rolf, mein Liebling-" sagte sie leise, rächt za sich selbst, als zu ihm und strich ihm das wirre,' stachle Haast aus der heißen Stirn. War es die liebe, altgewohnte Berührung, der »dich,, wohlbekannte Klang der Stimme? War eS ein Zufall? Ueber des Kranken Züge flog ein Strahl von So lennen. „Ilse," sagte er, und der Schatten eines Lächelns flog über sein Gesicht. Sie hatte das Wort von seinen Lippen gestsen. ,La- Rolf, ich bin nun gekommen," sagte sie einfach. „Ich habe so lange gerufen, — so lange," murmelte er und hielt ihre Hand fest, „aber meine keine Lerche kam nicht. Singe, keine Lerche." „Ich kann ja nicht," sagte sie und bezwang mühsam ihre Tränen Er seufzte tief auf. „Du bist nicht Ella," sagte er plötzlich und sah sie mit irren Augen an, „sie konnte singen." . Sie verstand jedes Wort, was er sagte, sie hätte ihr Leben hingegeben, um in diesem Augenblick singen zu können. ' Etwas berührte Ellas Hand. Es war Hanna. Sie hatte sich ihrer Feigheit doch geschämt urck war der Schwester gefolgt. „Singe," sagte sie leise. Ter Kranke mochte sie gehört haben, er wandte de» Blick auf sie. „Sie hatte mich lieb, Ma, so kam eS, — und ich bin gut gegen sie gewesen, — aber du' bist nicht Ella- — sie sang vom Wickerseh'n," und er ließ ihre Hiand loS und wandte langsam und müde den Kopf <ch. Ma verstand, was er meinte. Woher sie die Kraft nahm, wußte sie nicht, <cker leise, ganz leise fing sie au, halb zu sprechen, halb zu singen das LiÄ>, das er früher hundertmal von ihren Lippen gehört hatte: „Wenn ich einst sterben muß, Gib mir zum Scheidegrnß Auf meinen, bleichen Mund Ten letzte« Kuß. Drück' mir die Auge» zu. Wünsch' mir die sel'ge Ruh', Sage: Auf Wiedersehen, Mf W-d-E»!" Ob es die richtigen Töne waren, die sie sang, wnßte wohl niemand im Zimmer. Der Sterbende hatte die Augen geschlossen. Nun war alles Ml umher. Mötzlich richtete er sich mit letzter Anstrengung ein.wenig empor und öffnete die Lugen weit. Die Fieberglut war au» Ihne» gewichen, groß uiä» frei sah er die Schwestern an. Die eine Hand schloß sich um Hannas Finger, aber der Blick haftete auf Mas Gesicht. „Auf Wiederseh'n!" sagte er, ,-bei dem Gott, zu de« du betest, Ma, —möge er mich nicht Verstoße»."' Dan» sank er zurück. Eine Welle wagte keine der beiden Schwestern sich z» regen. „Er ist tot," sagte Ella endlich tonlos, und mit einem lauten Schrei warf sich Hanna über sei» Bett. Biele, viele Dränen! weinte Hann» um Rolf. Sie hatte ihn in ihrer ein wenig launenhaften und selbstsüchti gen Weise lieb gehabt^ und sie war während der Küpe», Zeit ihr?r Ehe glücklich an seiner Seite gewesen. Sie hatte nie vermißt, was er ihr nicht geben konnte- denn « hatte red lich gestrebt, es sie nie entbehren zu lassen. Daß« glück lich gewesen sei, daron^ zweifelte sie keine» AstgmckliL Selbst daß er in den, letzten Momenten seine» Lebe«» sstst