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186 Das Kind jedoch schaute mich Hellen Blickes neugierig an. Ich stutzte, das Gesicht war mir bekannt. Diese wunder vollen, tiefblauen Augensterne, die unter dem braunen Locken- geringel hervorschauten, mußte ich schon sonstwo gesehen haben. Ja, und nun kannte ich auch plötzlich den Mann, cs war Rohlf Harms und sein Kind, das Kind Ellas, das ganz und gar der Mutter Züge trug, nur daß das Haar nicht blond, sondern tiefbraun war. Tie alten Erinnerungen wurden urplötzlich alle wieder wach. Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück. Ta zuckte es schmerzlich in dem Gesicht des Mannes. „Weichen Sie nicht zurück von mir, Herr Pastor. Ter da vor Ihnen steht, krank und müde bis zum Sterben, er hat schwer gcbüßt, was er gefehlt, die Nemesis hat ihn bald genug erreicht." Er mußte innchaltcn, das Sprechen schien ihm schwer zu werden. Schweigend bot ich ihm einen Platz im Sopha. „Uni derer willen, Herr Pastor," fuhr er fort, „die dort ruht und die Sie geliebt, besser als ick, von deren Grabe ich soeben komme, seien Sie milde, vergessen Sie das Ver gangene, denn es ist eine große Bitte, die mich zu Ihnen führt." Wieder schwieg er, von einem heftigen Hustenanfall unter brochen, seine Brus! röchelte laut, auf den Wangen zeigten sich dunkelroths Flecke. Wie tiefes Mirlcid überkam es mich. „Sic sind krank, Harms," sagte ich theilnchmend. Er lächelte leite. „Ja, Herr Pfarrer, und bald am Ende. Ein halbes Jahr noch laßt mir der Arzt, mehr nicht. Bevor ich aber gehe, muß ich mein Haus bestellen, muß ich für mein Kind sorgen, für meine klcinc liebe Lucia." Und zärtlich strich seine Hand über das glänzende Haar des Mädchens. „Ich wollte sie Ihnen bringen, Herr Pastor, ich wollte Sie bitten, das Kind zu behalten als das Ihrige, es werden zu lassen wie jene dort unter dem Rasen, still und fromm." Er schwieg und sah voll ängstlicher Spannung in mein Gesicht. Ich wußte im Augenblick nichts zu erwidern, sein An liegen kam mir jo unerwartet. Und dann sah ich auf das Kind, cs trug ganz und gar der Mutter Züge. Es mußte mich immer erinnern an jene Frau, das einzige Wesen auf der Welt, VaS ich haßte, für das noch immer keine milderen Gefühle in mir auskommen wollten, die mir so widerwärtig war. Und dieses Kind sollte ich immer um mich haben. Es schien mir unmöglich. „Und die Mutter?" fragte ich dann, „wo ist sie?" „Irgendwo in dcr Welt, Herr Pastor," entgegnete er bitter. „Ob in Freud und Lust, ob in Elend und Schande, ich weiß es nicht. Vor einem Jahre ging sie fort, verließ Mann und t.cind, um einem Offizier, einem reichen Grafen, zu folgen, den sic geblendet hatte mit ihrer Schönheit, wie einst auch mich. In einem Schreiben an mich forderte sie Scheidung, erklärend, daß sie mich nie geliebt und uni keinen Preis zu mir zurückkehren werde. Es war wahr, sic hatte mich nie geliebt, sie war mein Weib geworden des Spaßes halber, weil es ihrer Eitelkeit so gefiel. Ich hatte das längst erkannt, schon bald nach unserer Verheiratung. Sie lebte nur der Lust, dem Vergnügen von einem Tage zum andern, .von einer Freude in die andere. Anfangs begleitete ich sie überall hin, ich vergötterte ja nnin Weib. Endlich aber mußte ich doch meinem Berufe folgen und sie allein lassen. Auch das hielt sie nicht zurück, ebenso wenig die Geburt unseres Kindes. Als^dieses so.,weit war, daß sie etwas damit beginnen konnte, machte sie eine Zierpuppe daraus. Tas an sich schöne Kind wurde herausgeputzt und in den Gesellschaften präsentirt. Es mußte kleine Lieder singen, dcklamiren, tanzen n. s. w. Dafür bekam es dann Leckereien, Liebkosungen, Lobeserhebungen, alles was das Kind verderben mußte. Ich machte Ella Vorstellungen deswegen in Güte und in Strenge, aber alles erfolgt s. Ich mochte zuletzt des Kindes wegen nicht mehr fort gehen und ich mußte doch ans den Erwerb aus, mußte viel verdienen, denn mein Weib gebrauchte viel, verbrauchte unmäßig. Und dann kam die Zeit, wo sie uns verließ. Es war eigentlich eine Erlösung, und dennoch konnte ich den Schmerz, den sie mir dadurch verursachte, kaum ertragen, ich harte sie bis dahin ja immer noch geliebt. Wo sie jetzt weilt, weiß ich nicht, — aber das weiß ich, daß sie ihr Kind nach sich zu ziehen versucht hat, daß es noch immer ihr Bestreben ist, cs mir zu entreißen und mit in ihr wilde? Leben zu nehmen. Aber das darf nie geschehen, Herr Pastor, und deshalb komme ick zu Ihnen mit der Bitte, cs zu hüten, weil ich es ja nicht lange mehr werde hüten können. Ich Hütte keine Rabe im Grabe, wüßte ich das Kind in den Händen seiner Muiicr. Ich habe mein unstetiges Loos verdient, aber mein Kind soll nicht zu Grunde gehen." So hatte der Mann gesprochen, oft vom Husten unter brochen. sckwerathmend, mit fieberhaft glänzenden Allgen. Die letzten Worte kamen in wilder Hast von seinen zuckenden Lippen. „Wollen Sie mein kleines Mädchen behalten, Herr Pastor, ihm Ihren Namen geben?" Jetzt galt kein Zaudern mehr. Ob ich die Mutter auch haßte sie nun auch verachtete aus tiefster Seele, das Kind durfte nicht verloren gehen. Ick reichte dem ängstlich harrenden Mann die Hand. „Ich will cs, Kapitän, das Kind soll mein sein von diesem Augenblick an." Es schien Ruhe über den armen, kranken Mann zu kommen, er athmete erleichtert auf. „Ich danke Ihnen! Gott segne Sie dafür! Und nicht wahr, Sie haben es ein wenig lieb, das kleine verwaiste Ding. Vielleicht, vielleicht wird es einmal gut machen können, was se'nc Eltern gefehlt." Einige Tage später reiste der kranke Mann wieder ab, und nach Berlauc von vier Monaten erhielt ich schon die Nachricht seines Todes. Sein Kind aber blieb im Pfarrhause, das noch jetzt seine Heimath ist. Diese Düne aber habe ich seit jenem Tage, wo Marthas Lcbensglück hier so freventlich zerstört wurde, heute zum ersten Mal wieder betreten. Deshalb mein Zaudern, Freund, des halb anfangs meine tiefe Verstimmung." „Doch nun genug der trüben Vergangenheit, Freund, hinab zur Gesellschaft, die Gegenwart ist unser!" sagte fröhlich dcr Maler, und zusammen schritten die beiden Männer wieder die sandige Höhe hinab, am Wasser entlang, wo Schaaren von Lustwanvelndcn jetzt die Abendkühle genossen. In dem kleinen Pfarrhause, das so friedlich und traulich, fast versteckt unter den Höchen grünen Linden da lag, war es still. Draußen vor der Thür saß eine alte, einfach aber sauber gekleidete Frau. Eine schwarze Haube bedeckte das fast er graute Haar. Tie Stirn, unter der ein Paar Helle Augen freundlich in die Welt hineinblickten, war von Furchen und Falten durchgraben. Man sah es dem Antlitz dieser Frau an, daß auch sie des Lebens Last und Mühe getragen. 187 Frau Töbnings oder Mutter Rika, wie mau sie kurzweg nannte, hatte ihren Mann, einen braven, tüchtigen Fischer und Schiffsmann, früh verloren. Er war einst hinausgezogen und dann - nicht wicdergckehrt. Wo die Planken seines Schiffes, wo er selber ruhte, sie hotte cs nie erfahren. Aber sie hatte lange auf ihn gewartet, sie hatte viel ge weint und sich gehärmt, und unter Sorge und Noth ihr kärg lich Brod gegessen. Tann kam der neue Pfarrer und seitdem ward es für sie besser. Sie zog zu ihm, um dem jungen, alleinstehenden Manne den Haushalt zu führen. Sie sorgte treu und mütterlich für ihn, und unter den kleinen Sorgen und Arbeiten ihres neuen Heimwesens vergaß sie allmählich ihr Leid. Jetzt waren seitdem schon mehr als zehn Jahre verflossen, und sie wußte es kaum noch, daß das stille, trauliche Hous, in dem sie so mütterlich schaltete, nicht immer ihr Heim, ihr häuslicher Heerd gewesen. Helle Sonnenlichter spielten um das freundliche Antlitz dcr Alten, ihre welken Hände bewegten eifrig die Stricknadeln hin und her. „Mutter, Rika, kommt denn der Onkel immer noch nicht?" Tort neben ihr am offenen Fenster erschien eben ein brauner Kinderkopf. Es war ein frisches, rosiges Gesichtchen' tiefblaue Augen schauten unter langen Wimpern hervor. Schon zum dritten Male war die Kleine ans Fenster ge treten und hatte diese Frage gethan. Tie alte Frau konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. „Stoch immer nicht, Kind. Und was soll's denn auch? Der Onkel wird seinen Spaziergang machen." „O, ich meine nur," erwiderte das Mädchen ein wenig verlegen, „er bleibt doch sonst nicht so lange. Ich — ich — möchte auch gern bald fortgehen können." „Bist Du denn schon mit Deiner Arbeit fertig?" „Nein, ja , nein, noch nicht ganz," erwiderte das Kind, stockend und roth werdend, während cs hastig vom Fenster wieder zurücktrat und sich an den mit Büchern und Heften bedeckten Tisch setzte, c.n dem noch ein Knabe, um mehrere Jahre älter als sie, mit ihr arbeitete. Die alte Frau lächelte still vor sich hin, während die fleißigen Finger noch eifriger die Nadeln schoben, als wollten sie die kleine Pause von eben wieder einholen. Zehn Minuten mochten vergangen sein, da erklangen auf dem Hausflur leichte Schritte, die Thür wurde hastig geöffnet und das kleine Mädchen trat heraus. „So, nun bin ich fertig," ries sie, das braune Lockengr- ringcl aus dcr Stirn streichend, „was soll ich jetzt thun, Mutter Rika, ich habe fürchterliche Langeweile." „Du wolltest ja hinausgehen, zum Spiel," entgegnete diese lachend. „Und Langeweile?! Du hast doch bis jetzt gearbeitet, wie konntest Tu da Langeweile haben?" Die kleine Stirn zog sich kraus, die rothen Lippen warfen sich trotzig auf. „Ach, die Bücher," klang es gedehnt, „ich wollte, die wären wo der Pfeffer wächst!" „Und der böse Onkel dazu," gab die Alte neckend zurück. Ein Blick fuhr aus den Augen des Mädchens, der Mund wollte sich zu einer heftigen Erwiderung öffnen, doch im nächsten Moment schlang sie die Arme um den Hals der alten Frau. „Du böse, böse Mutter, nie Du mich doch immer quälen mußt." Sie hatte das glühende Gesichtchen an die welke Wange gedrückt, aus den blauen Augen fielen ein paar Thränen heiß auf den Hals der Alten herab. „Sag', Mütterchen, kann ich nichts für Dich thun? Es ist ja noch Niemand draußen, weder Vogts Grete «och Bäckers Lene, ich kann doch nicht allein „Verstecken" spiel«." Tie welke Hand strich liebkosend über das glänzend« Haar der Kleinen. „Komm her, mein Wildfong, das Netz ist Dir herabge glitten , laß mich das Haar wieder in Ordnung machen, Du weißt, der Onkel kann es nicht leiden, wenn eS Dir so wild vom Kopf bringt." „Der Onkel kann mich ja überhaupt nicht leiden," llaug es trotzig zurück. Tie Alte schien diese Worte zn überhör«. Sie schob die welligen Haarmaffen wieder hinein in da» leichte Netz und legte noch ein Band herum, während sie freundlich sagte: „Du wolltest also noch etwas thun? Sieh', dort stcht die Gießkanne, nimm sie und geh' damit zum Kirchhof, die Rosen auf dem Grabe der Tante sind heute noch nicht begossen." „Meinetwegen, — was kümmert das mich. Onkck Anton mag es selber thun, er vergißt es ja nie." Und wieder warfen sich des Kindes Lippen trotzig auf. „Lucia!" Diesmal klang die Stimme der Alten streng und zürnend. Die Kleine hatte sich gewandt; sie suchte sich Steine vom Boden auf und schleuderte sie dann mit geschicktem Warf eine weite Strecke fort. Fünf Minuten mochten so vergangen sein, da wandle sich das Mädchen plötzlich wieder zu der alten Frau. „Mutter Rika, warum hatte denn der Onkel die todte Tante dort drüben so lieb, sie war ja nicht seine Mutter und auch nicht seine Schwester, wie Du einmal sagtest. Warum hatte er sie denn so lieb?" Das war wieder eine Frage, wie sie von Kindern so ost gethan werden, Fragen, für die keine Antwort zu finden ist. Auch Mutter Rika fand keine. „Tas kann ich Dir nicht sagen, Lucia." „Nicht?" war die Erwiderung; „dann werde ich den Onkel selbst danach fragen." Die Alte schien zu erschrecken. „Tas wirst Tu nicht, Kind," sagte sie hastig, „es würde dem Onkel wehe, sehr wehe thun." Einen Augenblick lang sah das Mädchen starr in das Gesicht dcr alten Frau, dann barg sie daS Gesicht plötzlich 1» deren Schooß und weinte heftig. „Ich thuc es gewiß nicht, Mutter Rika, sei ruhig, ich thue ihm nicht weh, ich — ich habe ihn viel zu lieb dazu." Und dann eilte sic hastig fort; die kleinen Hände griff« noch nach dcr Gießkanne, dort an der Ecke des HauseS, im nächsten Moment war sie damit verschwunden. Kopfschüttelnd sah die Alte der kleinen dahineilendeu Gestalt nach. „Wunderbares Mädchen," murmelte sie vor sich hi», „da thut sic nun so trotzig und glcichgiltig, und ich weiß doch, daß ihr ganzes kleines, heißes Herz an dem Onkel hängt. Aber er kann sie immer noch nicht so recht leid«, wen» er auch wohl freundlich und gut mit ihr ist; ich glaube, er kann cs immer noch nicht vergeßen, daß sie die Tochter ihrer Mutter ist. Du lieber Gott, sie sieht ja auch grad' so aus wie Ella, nur bester ist sic, viel bester. Arme, kleine Lucia!" Und dann klangen die Stricknadeln wieder aneinander, die tiefer sinkende Sonne sandte ihre Strahl« durch das grüne Gewirr der Lind« hinab auf den Platz, wo die Alte saß. Auf dem nahen Friedhöfe, am Grabe der Tante, schaffte die kleine Lucia emsig. Die Rosen und Nelken hatten schrm ihr Master erhalten; nun zogen die stink« Hände hier und da ein Unkraut, ein GraShälmchen aus der Erde, ei» Stet»,