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„Nir fiel eben ein, txch «tr Verwandte in Nelvyork haben; ein Bruder von Pasta lebt seit vielen Jahren dort, vielleicht könnte der Onkel etwas über Ihren Bruder in Erfahrung bringen?" sagte sie und sah ihn mit ihren freundlichen Lugen so lieblich an, daß es ihm ganz heiß wurde. „Sie sind zu gütig, aber Rudi ist wohl. schon zu tief gesunken, als daß Ihre Verwandten ihn auffinden, ge schweige denn ihm helfen könnten," meinte Marlin traurig. Etwa vierzehn Tage nach jenem Fest bei dem Bürger meister begegnete der Doktor Keller Fräulein Magda lene Grünwald, als er um eine Straßeiwcke bog. Unwill kürlich blieben sie stehen und reichten sich die Hand. „Ich muß Ihnen etwas erzählen, Herr Doktor," sagte sie erregt, dann stockte sie, sein sonst so ernstes Gesicht war so heiter, wie sie es noch niemals gesehen. Was habe« Sie nur?" setzte sie erstaunt und fragend hinzu. „Erst erzählen Sie mir!" bat er und sah ihr tief in die sprechenden Lugen. „Ich werde nach Newyork reisen mit Papa! Ist es nicht prachtvoll? Papas Bruder, Onkel Alfred, der dort Kaufmann ist, bittet uns schon längst, einmal zu kom men. Es war schon im vorigen Herbst davon die Rede, da kam ja Mamas Krankheit, nun aber wird'S Ernst. Der Grund ist recht traurig, denn Onkel ist sehr leidend und will mit Papa über Geschäfte sprechen!" „Sie reisen nach Newyork?" Martin stieß die Worte beinahe tonlos hervor; er hatte offenbar nur diese eine Thalsache begriffen. „Ja, gratuliren Sie mir doch! Ich habe es mir immer gewünscht; man macht die Reise jetzt in zehn Tagen, und denke» Sie, wie interessant es ist!" „Gewiß, ich gratulire!" sagte er steif. „Danke, — nun aber Ihre Geschichte!" „Lch richtig! Ich bekam gestern «inen Brief von meinem Bruder!" „O wie mich das freut! Sehe» Sie, er ist doch noch am Leben. Und geht es ihm besser, als Sie dachten?" „Augenblicklich scheint er einen Aufschwung ge- nommen zu haben; er ist Setzer in einer Druckerei, aber was sagt das? Ich gebe nichts auf seine guten Vorsätze, nicht so viel!" Er schnippte mit den Fingern in die Luft. ,Me sind hart und ungerecht," sagte das junge Mädchen lebhaft, „Keiner' kann mehr thun, als Besser ung geloben und von vorne anfangen. Warum aber sahen Sie vorhin so glücklich aus, wenn Sie sich garnicht freuen?" „Ich weiß nicht, zum glücklich sein habe ich keinen Grund; mein Bruder hat mir schon zehnmal Besserung ge lobt! Uebrigens muß ich mich Ihnen hier empfehlen, Fräulein Grünwald. Glückliche Reise!" Sprachlos blickte Magdalene ihm nach. Er war doch ei» komischer Kauz! Warum freute er sich nicht mehr, und warum war er so steif und kühl mit ihr? Der komische Kauz stieg unterdessen, bis ins Innerste getroffen, die Treppen zu einem Patienten hinauf. Ja, sie hatte Recht: er hatte nicht nur glücklich aus gesehen, er war es auch gewesen. Der lang ersehnte Brief Rudis heute morgen mit der Nachricht, daß er in einem ehrbaren Berufe sein Brod verdiene, hatte ihn in einen Rausch von Freude versetzt! Und in diesem Rausche hatte er beschlossen, an diesem Tage noch um Magdalenes Hand anzuhalten ! Er konnte nicht länger mit dem lange in ihm gähren- deu Entschlüsse zurückhälten. Barum auch? Er glaubte ihrer Liebe gewiß zu sei». ISS — Und jetzt? Alle seine Hoffnungen waren in ein Meer von Zweifeln und Bitterkeit versunken! Magdalene hatte ja gestrahlt, als sie ihm von ihrer bevorstehenden Abreise erzählt hatte, natürlich sollte sie dort einen Letter heirathen. Jener Onkel Alfred war ja schwer reich, und der Bürgermeister hielt viel vom Gelde. — Nein, er konnte nur seinen Mund halten. Gat, daß die Augen ihm zu rechter Zeit geöffnet waren! Und Rudi? — Martin lachte bitter auf. Welcher Narr war er gewesen, an dessen thatsächliche Umwandlung zu glauben! Besaß er nicht hundert Beweise seines wankel- müthigen, leichtsinnigen Charakters? War der Junge nicht oft schon auf gute Wege geleitet tvvrden? Und jetzt, wo er gänzlich in den Sumpf moralischer Verkom menheit hineingerathen war, wie er ihm selbst angedeutet hatte, jetzt sollte er noch ein ordentlicher Mensch wer den können? Lächerlich, daran auch nur eine Sekunde zu glauben! Martin richtete sich hoch auf, er reckte förmlich seine kräftigen Glieder wie ein Löwe, der aus dem Schlaf er wacht. Er hatte wohl auch geschlafen und geträumt von einem sonnigen Leben, aus dein der Schatten seiner Jugendzeit gewichen war und das eine Fülle von Glück über ihn auS- schüttete. Magdalenens Liebe — ein glückliches, behagliches Heim — ja wohl, es wäre schön gewesen, aber damit war es vorbei. — Einige Wochen später stand Dr. Keller neben Magda lene auf dem Bahnsteig und hörte ihre sanfte sympa thische Stimme fragen: „Haben Äe mir keine Grüße mit zugeben für Ihren Bruder?" „Sie werden kaum in die Lage komnren, meinen Bru der zu sehen, Fräulein Grünwald," sagte er frostig. „Warum ist er nur hergekommen, wenn er so kalt sein will?" fragte Magdalene sich innerlich. Aber laut sagte sie ebenso freundlich wie vorhin: „Sie haben mir ja den Namen des Predigers verrathen, der sich seiner angenommen hat, ich werde mich also vielleicht nach ihm erkundigen können! Sieht Ihr Kruder Ihnen ähnlich?" „Nein in keiner Weise. Er ist — er war wenigstens ein hübscher Mensch!" Sie lächelte bei seiner entschiedenen Antwort. Aber jetzt wurde der Zug zum letzten Male abge rufen. „Adieu, Herr Doktor! Sorgen Sie gut für Mama!" Ihm war die Kehle wie zugeschnürt. Er konnte ihr nur die Hand drücken und flch verbeugen. Dann ver ließ der Zug langsam die Bahnhofshalle. Martin verließ mit zwei Herren vom Magistrat, welche ihrem Oberhaupt das Geleit gegeben hatten, den Bahnhof. „Der Bürgermeister sah ja so vergnügt aus, der wird wohl sein Schäfchen ins Trockene bringen, drüben in der neuen Welt!" sagte der eine lächelnd. „Wie meinen Sie das?" „Nun, der Bruder soll mehrfacher Millionär sein, und ich habe ein Liedchen ftkgen hören, daß unsere kleine Magdalene einen Vetter heirathen soll!" „Wissen Sie das bestimmt?" fragte der Andere erstaunt. „Je nun, dafür haften kann ich nicht!" meinte der erste Sprecher. „Vielleicht hat sie schon hier ihr Herz ver loren, das niedliche Ding! — Guten Morgen, meine Herren!" Fortsetzung folgt. -2S Wieder im Elternhaus. Skizze vvn B. M. RaLdruck verk olrrr. Die Strahlen der untergehenden Sonne warfen ihren Schimmer auf die schlanke Gestalt, die im schwarzen Trauerkleide am Flügel saß. Als der letzte Ton ver klungen war, verbarg sie das Antlitz in den Händen, und ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust. Tann erhob sie sich und blätterte in dem Notenhefte. Ihre Augen blieben an ihrer Hand hängen, an der zwei schwere goldene Ringe glänzten. „Wittwe," kam es leise und deutlich von ihren Lippen. Es Ivar jetzt fast ein Monat vergangen, als sie die Trauerbotschaft traf, daß das Schiff, daS ihr Mann be fehligte, untergegangen war. Die wenigen, aber inhaltsreichen Worte des Tele gramms lautete: „Alice verloren. Bon Besatzung keine Spur gefunden." Tie Tage waren zu Wochen geworden, aber jede Stunde, jede Minute klang es in ihren Ohren: „Er kommt nicht wieder." Niemand hatte sie,, dem sie sich anvertrauen konnte, und sie war weit, iveit fort vom Elternhause. Hier erinnerte sie Alles an ihn. Sie ging vom Salon ins Speisezimmer: die schweren eichnen Möbel, die dunkeln Gardinen, Alles war so düster. In seinem Zimmer stand der Schreibtisch, über ihm hing ihr Bild. Nein, hier konnte sie nicht bleiben. Tie Thür zu dem Kabinet stand offen, die rothe Ampel brannte, sie warf ihren Schein über die Palmengruppe hinter das kleine Sofa, ihren Lieblingsplatz. So idyllisch. Und doch — was nützte daS Alles? Sie setzte sich auf das Sofa, sie wollte sich ausweincn, aber die Thränen versagten. " Tas Mädchen erschien mit dem Kaffee auf dem kleinen silbernen Teller und fragte, ob sie sonst noch etwas be fehle. „Ach nein, für heute haben Sie frei, Minna. Ich möchte ungestört sein." Der Kaffee blieb unberührt. Sie saß und starrte vor sich hin. Ihre Gedanken drehten sich immer um dasselbe. Wer konnte das vorltusfehen. Oft hatte sie daran gedacht, ob ihr großes Glück nicht einmal getrübt werde. Taß cs aber so schnell kommen könnte, darauf war sie nie verfallen. Sie waren etwas über ein Jahr verheirathet gewesen. Welche Träume, lvelche Luftschlösser hatte sie sich in zwischen aufgebaut! Sieh nur den kleinen gestickten Schemel dort hinten. Jeder Stich, den sie an ihm nähte, war eng mit den Träumen von ihrem zukünftigen Heim und ihrem Glück verknüpft. Und als sie zum erstenmal hier eintrat, waren ihre Träume nichts gegen die Wirk lichkeit. Ten Sommer tvar sie mit ihm auf See gewesen. Diese herrlichen Stunden, diese entzückenden Sommer nächte auf dem weiten Meer, wenn die Natur ruhte und nur die Wogen ihren eintönigen ölesang anstimmten, gleichsam als wollten sie sie beruhigen und einlullen, bis sie in der heiligen Stille nur noch ihre Herzen für ein ander schlagen hörten. Warum war sie nicht auch im Herbst mit ihm hinaus gegangen? Dann hatte sie ihn doch in sein nasses Grab begleitet. Er hatte sie aber so eindringlich gebeten, zu Hause zu bleiben. „Meine Elli," sagte er, „darf sich nicht den rauhen Herbststürmen aussetzen!" Was sollte sie jetzt nur beginnen? Einsam hatte sie hier gekämpft und gelitten. Sollte sie nach Hause reise»?/ Hm! War dieses hier nicht ihr Heim? Ja, daS war es, abep die Einsamkeit drückte sie zu schwer. Sic lehnte sich ins Sofa zurück, die Angst leuchtete aus ihre« weichen Zügen, aus den braunen Augen, ttr denen ihre Leiden sich abspiegelten. Ta klingelte es heftig. Sie trat hinaus, um zu öffne». Vor der Thür stand ein alter, weltergebräuntcr Seemann und drehte seine Mütze zwischen den Fingern. Eftt Hoffnungsschimmer durcbströmte ihre ganze (gestalt, und mit zitternder Stimme sagte sie: „Nilson, ist Wilhekn gerettet?" ' , ; . Als wenn ihr Leben davon abhinge, wartete sie auf die Antivort, und die kleine, zarte Hand legte sich fest auf seine Schulter. „Nein, Frau Kapitän, ich glaube, daß er todt ist!" Tie rauhe Stimme bekam einen cigenthümlich weichen Klang. Sic bat ihn, einzutreten. „Nilson, erzählen Sie mir den ganzen Verlauf," sagte sie. Er berichtete ausführlich. Auch die kleinste Einzelheit wollte sie wissen. „Als der Kapitän sah, daß Alles verloren war," sagte der Alte, „nahm er dies hier und schrieb darauf." Er holte ein zerknittertes Stück Papier aus der Tasche« „Ach Frau Kapitän," fuhr der Alte fort, „nur durch ein Wunder wurde ich gerettet. Ich fand eine Planke, auf der ich mich festhielt. Tie Flasche, in die der Kapitän das Papier gesteckt hatte, trug ich in der Tasche. Ich wurde von einen« vorbeisegelnden Schiffe ausgenommen^ Bon den Andern fand man aber keine Spur. Da dachte ich bei mir, warum ich altes, verbrauchtes Wrack nicht - an Stelle nnsers jungen Kapitäns zu Grunde gegangen bin." Dabei wischte er mit der Rückseite seiner Hand ettoaS Nasses aus den Augen. Als sie wieder allein war, nahm sie das zerknittert Papier und las es. Einige Worte waren verwischt. De« Inhalt lautete: Meine liebe Frau! Wirst Du diese Zeiten je erhalten! Ich weiß es nicht. Ich stehe am Ende meines Lebens. Wo sind alle unsre Träume, wo ist . unser Glück geblieben? Und Du, meine zarte Blume, sollst einsam in der Welt dastehen. Elly, verzeih mir, wen» ick) Dich je gekränkt habe. Meine Gedanken sind nach oben gerichtet. Es ist ein eigenartiges Gefühl, an der Worte des Todes zu stehen. Elly, bete für mich. Ich dm» nicht mehr schreiben. Tas Schiff rollt fürchterlich. Jede» Augenblick wird es mit uns! zu Ende sein. Ich vertraue mich dem Schutze des Allmächtigen an. Lebe wohl, metnl lnniggeliebtes Weib. Bete für Tcinen Wilhelm." Tie letzten Grüße! Nie sollte sie seine Augen Wieder sehen, nie seine liebe Stimme hören, nie, nie — — — Elly mußte nach Hause reisen. Hier konnte sie nicht bleiben. Sie dachte an ihre Freundinnen, wie sie sie be klagen würden. Sie sah sie Alle vor sich. Ida Ström, die ihre Nebenbuhlerin gewesen war, und die frohe, ausge lassene Marie Alm. Ob der Philologe, dem sie eäst einen Korb gegeben hatte, sich jetzt wvhl wieder neu« Hoffnungen machte^ Aber nur fluchtig streiften ihre Gedanken die der» slossenen Jahre, ihre Jugend-Bekanntschaften und die Freuden, die jetzt weit hinter ihr lagen. Ihr Sehnen hatte ein andres Ziel. ES galt den lieben Alten, die sie und ihre Trauer verstehen und sie von Neuem in ihre» Schutz nehmen würden. Nur ihnen galt ihre Reise, nur zu ihnen wollte sie sich aussprechen, und sie fetzte sich