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58 Zwei Tage später wurde der Freiherr von Linden bei der kranken Dame gemeldet und sofort empfangen. Ein hochgcwachsener, schlanker Mann von etwa fünfund dreißig Jahren trat in das luxuriös ausgestattete Schlafgemach der Baronin. M llne von Buchfeld hatte sich während dieser zwei Tage entsetzlich verändert; die schönen, braunen, einst so strahlenden Äugen waren tief in die Höhlen zurückgetreten, aus dem feinen (Besicht schien jeder Blutstropfen verschwunden zu sein, und uni den kleinen Mund hatte der nahende Tod mit scharfem Griffel eine tiefe Falte gegraben. Der Freiherr hatte die Baronin seit fünf Jahren nicht gesehen; damals war sie eine reizende sinnberückende Erscheinung gewesen, eine stadtbekannte Schönheit, der die ganze Männer welt huldigend zu Füßen gelegen Was war aus dieser glänzenden Schönheit geworden! Kaum mehr ein Schatten von dem, was sie einst gewesen, lag sic jetzt bleich und abgezehrt in den Kiffen; nur das schöne, hell braune Haar umgab in ungrmindcrter Fülle den kleinen, sein modellirten Kopf. Ter Freiherr war erschüttert am Eingänge stehen geblieben, das Wort erstarb auf seinen Lippen angesichts der Zerstörung, die aus diesem einst so frischen, blühenden Wesen ein blasses, hinfälliges Weib gemacht hatte. »Willkommen, Gerhard, treten Sie näher!" rief ihm die Baronin mit etwas unsicherer Stimme entgegen; es ist gut, daß Sie gekommen sind, vielleicht morgen schon wäre es zu spät gewesen." Der Freiherr trat an das Lager der Kranken und ergriff ihre kleine, fieberglühcnde Hand. »So schlimm wird es nicht sein, Meline," sprach er mit einer tiefen, wohlklingenden Stimme. »Sie sehen mich bereit, alle Ihre Wünsche zu erfüllen." »Weil es meine letzten sind," lächelte sie bitter, »keinen Widerspruch, Cousin Gerhard, ich weiß das nur zu wohl, sonst hätte ich Ihnen diese Reise nicht zugemuthet. Nicht wahr, Sie finden mich sehr verändert?" »Ja," versetzte er offen, »aber die Ursache dieser Ver änderung ist nicht die Krankheit allein." Sie unterbrach ihn ungeduldig. »Ich weiß, ich weiß, was Sie sagen wollen; das auf regende Leben seit dem Tode meines Gatten, der Tanz, das Spiel, dieses beständige Nomadenleben, das Alles haben mir Andere auch gejagt. Allein ich konnte nicht anders. Ich war nicht zu einem ruhigen Leben geboren, ich bedurfte der Auf regung, der Zerstreuung, ich wollte mich selbst vergessen, ich suchte dos Glück; o, wie ich es suchte! wie ost glaubte ich es in der Hand zu haben, und da war es plötzlich in Nebel zer ronnen, mein ganzes Leben war nur ein Suchen und niemals ein Finden!" Sie sprach die letzten Worte mit einem herzzerreißenden Ausdruck. »Meline, das wahre, daS echte Glück darf man nicht in der Außenwelt suchen, das Glück liegt einzig und allein in unserer eigenen Brust. Geben Sie diese aufreibende Lebens weise auf und kehren Sie in Ihre Heimath zurück. Sie haben eine keine Tochter, die Sie lieben lernen wird; in den Grenzen einer Men Häuslichkeit werden Sie sich zufriedener fühlen als draußen in der Fremde, wo Sie stets einsam bleiben; geben Sie J^rem Kinde die Mutter wieder, und das so sehnsüchtig gesuchte l.ck wird auch in Ihrem Herzen Ein kehr halten. (Fortsetzung folgt.) Ein Familiengeyeimnitz. Von Adolf Streckfuß. (Schluß) Ich glaubte, daß mein Haß gegen den Vater und den Bruder nicht mehr wachsen könne, und dennoch war eS möglich. Ein Brief des Vaters rief mich nach Berlin an das Sterbe bett der Mutter, — ehe ich das Krankenzimmer betrat, hatte ich eine Unterredung mit dem Vater; mit kalten, herzlosen Worten theilte er niir mit, daß ich nicht sein Sohn, sondern ein untergeschobenes Kind sei, er erzählte mir die Geschichte seines Verbrechens. Für mich, dem er so plötzlich den Glauben an ein gutes Recht, an eine ehrenvolle Abstammung, an eine glänzende Zukunft raubte, hatte er kein Wort der Theilnahme, — nur sich selbst und seine Söhne beklagte er. Er erkürte mir, daß er entschlossen sei, durch rechtsgültige Dokumente die Unechtheit meiner Geburt sestzustellcn. Nach seinem Tode sollten diese Tr kumcnte veröffentlicht werden. Nur einen Weg gab es für mich, mir den Namen eines Freiherrn v. Utten und einen Thcil des Uttcnschcn Vermögens zu erhalten; ich müsse das Anerkenntnis; meiner niederen Geburt und die Verpflichtung, daß ich auf die Majoratsrcchte des ältesten Sohnes verzichten wolle, unterschreiben. Sollte ich mich der Unterschrift weigern? Sollte ich mich zurückstoßen lassen in Armuth und Elend? Ich hatte ein Recht auf das Erbe des Freiherrn. War ich auch nicht sein Sohn durch die Geburt, so hatte er mich zu seinem Sohn durch seinen Betrug gemacht. Er hatte mich mit den Ansprüchen auf fein Vermögen erzogen und er war verpflichtet, sie zu erfüllen. Er war der Betrüger, nicht ich! Ich wußte, daß er seine Drohung erfüllen werde, hielt ihn doch nur die Furcht vor der Schande zurück, schon jetzt sein Verbrechen zu enthüllen und mich in Noth und Armuth zu ver stoßen. Um einem solchen Schicksal nach seinem Tode zu ent gehen, willigte ich in sein Begehren. Ich folgte ihm in das Krankenzimmer, in Gegenwart der Sterbenden wurde vor zwei Zeugen das schmachvolle Dokument niedergesetzt und unter zeichnet. Ich entsagte dem Majorat und erkaufte mir dadurch das Recht auf einen Theil der Erbschaft. Mein Haß gegen die ganze Uttensche Familie war durch diese Vorgänge bis zu einer an Wahnsinn grenzenden Leiden schaft gewachsen. Tag und Nacht sann ich, wie ich mich rächen könne. Da erfuhr ich. daß Eugen von neuem Schulden gemacht habe, daß er von seinen Gläubigern gedrängt werde, aber nicht mehr wage, sich an seinen Bater zu wenden, weil dieser doch endlich der Nachsicht müde geworden war. Eines Morgens trat ich in das Arbeitszimmer des Freiherrn, in der Thür begegnete mir Eugen, der ohne mich zu grüßen an mir vorüberging, ich fand den Freiherrn nicht in seinem Zimmer, zufällig bemerkte ich, daß der Schlüssel an seinem Arbeitstisch steckte. Da stieg plötzlich ein Plan, wie ich mich an Eugen fürch terlich rächen könne, in mir aus; eine wahnsinnige Freude er griff mich, ich überließ mich ohne Nachdenken derselben. Ich wollte und mußte mich rächen, sollte" ich auch ein Verbrech-n begehen! In dem Schreibtisch-verwahrte der Freiherr bedeu tende Geldsummen, dies wußte ich, rind darauf baute ich meinen Plan. Mit zitternder Hand öffnete ich das.Schloß, ich fand das Geld und nahm eine Summe von 10000 Thalern in Gold und Kassenanweisungen, dann eilte ich, das Arbeits zimmer zu verlassen; außer Eugen hatte mich Niemand in demselben gesehen. 59 Mein nächster Weg führte mich zu Eugens Hauptgläubiger, diesem zahlte ich, wie ich sagte, im Auftrage meines Bruders, dessen Schuld und ließ mir eine Quittung auf Eugens Namen ausgestellt ertheilen, sie trug natürlich daS Datum des Zahlungs tages, dann kehrte ich nach Haus zurück. Eugen war ausge gangen ; dies paßte zu meinem Plan. Ich begab mich auf sein Zimmer; ich wußte, daß er niemals sein Schreibpult verschloß und daß in demselben eine Brieftasche lag, in welcher er Papier geld auszubewahren pflegte. Wie ich erwartet hatte, war auch an jenem Tage das Schreibpult unverschlossen. Ich fand die Brieftasche, legte die Quittung, und einige tausend Thaler in Papiergeld in Licselbe, daun verschloß ich das Pult mit dem ansteckenden Schlüssel, zog diesen ab und nahm ihn mit mir, uni ihn bei einem kurzen Spaziergang, den ich gleich darauf machte, in die Spree zu werfen. Als ich zurückkom, fand ich den Freiherrn in großer Auf regung. Er hatte seinen Verlust entdeckt; er war bestohlen worden, und ale der alte Kammerdiener Georg ihm gesagt hatte, Niemand als Baron Eugen sei am Morgen in seinem Arbeits zimmer gewesen, war ein fürchterlicher Verdacht in ihm auf getaucht. Meine Rache vollzog sich. Ich jubelte im Herzen, aber ich bezwang mich, und versuchte es, den Verdacht des Vaters zu beschwichtigen. Ich schlug dem Freiherrn vor, er möge sich durch Nachforschungen in Eugens Schreibpult, wo dieser stets sein Geld auchuv^.e, überzeugen, daß er dem Bruder Unrecht thue. Ich hatte richtig gerechnet; der aufgeregte, verblendete Frei herr ahnte nicht, wie thöricht eine solche Nachforschung sei, daß Eugen, wenn er der Dieb gewesen wäre, den Raub sicherlich nicht in dem eigenen Schreibpult verborgen halten würde. Er brach selbst das Pult auf, fand die Brieftasche, die Quittung, das gerankte Geld und damit, wie er glaubte, den Beweis, daß sein Sohn der Dieb sei. Als Eugen bald darauf heimkehrte, gab es eine furchtbare Scene zwischen Vater und Sohn. Eugen gerieth über die schmachvolle Anschuldigung in eine wilde Wuth, deren ich ihn nie fähig gehalten hätte, er gelobte, daß er das väterliche Haus verlassen, jede Gemeinschaft mit seiner Familie abbrechen werde, so lange bis der Vater selbst ihm den schändlichen Verdacht ab gebeten habe; durch seine Wuth erregte er den heftigsten Zorn des Freiherrn, der seinerseits erklärte, er wolle den ungerathenen, entehrten Sohn nie wieder sehen, Eugen solle das Erbtheil seiner Mutier erhalten, mit demselben das Vaterhaus verkästen, auf die väterliche Erbschaft aber verzichten, sonst werde der Freiherr ihn in seinem Testament als Dieb brandmarken und enterben. So war es denn geschehen. Mein Wunsch war erreicht, ich war gerächt; aber die Hoffnung, daß Eugen durch seine Schmach auch von Valerie getrennt werden würde, " erfüllte sich nicht. Mit Valerie verließ er Berlin, ich aber blieb zurück, gequält von Eifersucht, von Haß und von Reue. Seit jener Zeit bin ich ein unglücklicher Mann. Und wem verdanke ich es? Euch, den stolzen Freiherren v. Utten; Euch, die Ihr mich betrogen habt um meine Kindheit, die Ihr Haß gesäet habt, wo ich jo gern geliebt hätte! Ihr habt mich getrieben zur Rache und zum Verbrechen. Weil Euer Vater dem verhaßten Lehnsvetter das reiche Erbe nicht gönnte, wurde er zum Verbrecher, und ich mußte seine Schuld büßen; er ruht in Ehren in dem freiherrlichen Erbbegräbniß, mich aber trifft der Fluch seiner That. Und Ihr klagt mich an, Ihr, die Söhne des Verbrechers! Nun wohl, thut cs, vollendet das Werk, welches Eure Eltern begonnen haben, Nehmt mir den Namen wieder, den sie mir ausgedrängt haben, entehrt mich vor Len Augen der Welt, entreißt mir auch das Vermögen, welches mir Euer Bater gab als eine Entschädigung für daS freventliche Spiel, welches er mit mir getrieben hatte. Ob Eure Dokumente dazu Euch das gesetzliche Recht geben, weiß ich nicht, aber sie geben Euch die Macht, mir die Ehre zu nehmen, mich als Betrüger zu brandmarken! Nachdem Ihr mir alle-, alles geraubt habt, sogar die Achtung vor mir selbst und die Liebe meines einzigen Kindes, liegt mir nichts mehr an jenem schnöden Neichtyum, der Ursache meines Unglücks. Nehmt ihn hin, ich lasse ihn Euch, ich werde von Treuenfeld fortziehen als ein elender, einsamer Mann!" Der Geheimrath hatte in einer wilden Aufregung, die sich im Laufe seiner Rede mehr und mehr steigerte, gesprochen. Zum ersten Male seit vielen, vielen Jahren konnte er offen und ohne Rückhalt reden, das lange unterdrückte Gefühl über mannte ihn, als er geredet, sank er kraftlos zurück in einen Sessel. Er bedeckte die Augen mit der Hand, noch immer war er zu stolz, um den Feinden die Thränen zu zeigen, die er nicht niehr zurückhalten konnte. Da fühlte er, wie ein weicher Arm sich um seinen Nacken legte, und als er auf schaute, erblickte er Eugenie, die sich weinend, liebevoll zu ihm niederbeugte. „Nein, Vater, nicht einsam bist Du," sagte sie zärtlich, „nicht allein sollst Du von Treuenfeld fortziehen, die Mutter und ich, wir bleiben bei Dir. Du hast viel gefehlt, aber auch viel gelitten! Dein Leiden sühnt einen Theil Deiner Schuld." „Muth, Theodor, ermanne Dich!" sagte auch die Ge heimräthin, welche zu ihrem Gatten trat und seine Hand er griff. Du wirst fortan in der Liebe der Deinen, nachdem Du den Herren von Utten ihr Eigcnthum zurückerstattet hast, glücklicher sein, als jemals im Besitz des trügerischen Reich- thums. Noch heute verlassen wir Treuenfeld. Kein Opfer darf uns groß genug sein, um die frühere Schuld zu sühnen. Mit Zins und Zinseszins wollen wir zurückerstatten, was unS nicht gehört, mein ganzes Vermögen widme ich freudig diesem Zweck, ich hoffe, es wird genügen, um jeden gerechten Anspruch zu befriedigen." Dem kleinen Herrn Wiebe war schon während der Worte des Geheimrathes garnicht recht behaglich zu Muthe gewesen, jetzt konnte er feine Bewegung nicht mehr verbergen. „So war's ja nicht gemeint," stotterte er hervor, aber weiter kam er nicht, ein anderer übernahm für ihn die Antwort, der ältere Eugen, der zum Geheimrath trat und ihm die Hand entgegen streckend mit vor tiefer Rührung zitternder Stimme sagte: „Wir haben Alle, Alle schwer an Dir gesündigt, Theodor, kannst Du uns verzeihen?" Die wenigen, herzlichen Worte übten eine wunderbare Wirkung auf den Geheimrath aus. Die zusammengesunkene Gestalt richtete sich plötzlich empor, er ergriff Eugens ihm treu herzig dargebotene Hand und sie fast krampfhaft drückend, rief er: „Ich soll Dir verzeihen? Ich, Eugen? Ich Dir?" „Ja, Theodor, Du sollst mir verzeihen, wie ich Dir! Wir haben schweres Unrecht aneinander begangen, laß uns beide die trübe Vergangenheit vergessen. Laß uns Brüder sein, nichts soll in der Zukunft mehr zwischen unS liegen!" Herr Wiebe konnte, als er diese Worte hörte, unmöglich ein paar Thränen zurAckhalten, er mußte die Hand deS alten Eugen ergreifen und sie drücken; aber damit begnügte er sich nicht. Er zog die rothe Brieftasche hervor, nahm die Dokument« heraus und legte sie in Eugens Hand. Der warf dem keinen Herrn einen dankbaren Blick zu. „Ja, ich verstehe Sie, mein vortrefflicher Freund," sagte er froh. „Ihre Mahnung soll nicht vergeblich sein. Sieh, Theodor, hier sind die traurigen Dokumente, die unser unselige« Familien- geheimniß, welches so viel Unglück gestiftet hat, enthalten. Sie sollen nie wieder unseren Frieden stören!" Mit rascher Hand