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102 — seine Flinkheit und seine Sauberkeit kannte, Umilta an, auf ihren Hof in den Dienst zu treten; und Umilta nahm daS Angebot gern an. Nur das eine wünschte sie, in den Bergen zu bleiben. Und so zog sie in daS HauS der behäbigen Signora Rosa hinüber. Donna Rosa war eine vortreffliche Frau, fleißig wie eine Mene, in altväterlicher Weise fromm und gottesfürchtig. Ihre Söhne und Töchter hatte sie gut erzogen, und sie ward von ihnen geliebt und gefürchtet. Sonst war sie gutherzig und auch gastfrei, aber herrisch. Ihr Mann durste es sich nie ein fallen lassen, seinen eigenen Willen zu haben. Er verkaufte seine Färsen und drosch sein Korn und ging mit seinem lang stieligen Spaten wie ein bloßer Arbeiter hinaus auss Feld, ganz wie sie eS wollte und befahl, und wagte nie auch nur mit einem Worte sich zubeklagen, wenn bei seiner Heimkehr die Suppe dünn oder die Polenta kalt war. Mit einer so eigen-, mächtigen Herrin stand Umilta natürlich häufig in Widerspruch und nie gab sie nach ohne schwere Selbstüberwindung. Uebrigens galt Umilta im allgemeinen für keine gute Magd. Daß sie klug und geschickt war und in einer Stunde mehr als andere in der dreifachen Zeit arbeiten konnte, wenn sie rS wollte, stritt Keiner ihr ab. Aber dafür hatte sie auch dtesen Willen so selten, daß ihr Vorzug, den sie an ihrer Flinkheit besaß, kaum zur Geltung kam. Sie konnte vorzüg lich spinnen, meisterhaft Stroh flechten und wußte verständig mit dem Vieh umzugehen, aber dabet hatte sie meistens für kaum etwa- anderes Sinn, als für ihr schmuckes Gesicht und für die Pflege ihres dichten, herrlichen HaareS. Die wunder samsten Geschichten dachte sie sich beständig über sich selbst auS, und zu ihrem Unglücke glaubte sie sich für ein besseres Schicksal als es ihr zu theil geworden war, geschaffen. In einem Wort, sie war stolz und unzufrieden. Die- waren freilich weiter keine sonderlich liebenswerthen Eigenschaschaften, wenn eS auch dahin gestellt bleiben mag, ob nicht sie und sie allein zu jeder Größe im Leben der der Sporn sind. Indeß, hier in der einsamen Dorfgemeinde hoch auf den Bergen, wo sich ein Jeder eben so gut wie ein Anderer dünkte, und eS keinem einfiel, von einer anderen Welt zu träumen, wo nicht gesäet und geerntet, gepflügt und ge droschen wird, waren diese Eigenschaften auf alle Fälle verpönt. UeberdieS war Umilta von der Natur viel zu reich be dacht worden, um von ihresgleichen nicht mit scheelem Blick angesehen zu werden. Sie war wahrhaft malerisch schön und von einer unvergleichlichen Grazie, mit der sie „wie eine Kö nigin einherschritt-, wie die unschuldigen Leute sagten, die nie eine Königin zu Gesicht bekommen und sich ihre Jllussion bewahrt hatten. Jndeß in der That, ob Umilta barfuß zwischen dem gelben Korn auf der Tenne oder im Sonntags staat unter dem blühenden Lorbeer der Dorsstraße stand, stets war sie ein königliches Geschöpf im vollsten Sinne deS ma jestätischen Wortes. Dazu besaß sie einen vorzüglichen, vornehmen Geschmack, den Reiz ihrer persönlichen Erscheinnng zu erhöhen. Nie sah man sie in auffallende grellfarbige Stoffe gekleidet und nie Lberputzt. Eine einfache rote Nelke am Busen hob den wei ßen Teint hervor, dem die Sonne nicht schaden gekonnt. So war eS nach Allem nur zu natürlich, daß Umilta an dem Orte nicht allzu beliebt war; erst hätte gern manch einer von den jungen Burschen deS Dorfes, von ihrer Schönheit geblendet, ihr Herz und Hand antragen mögen, indeß sie war stets so stolz und abstoßend zu ihnen, daß sie sich beschämt zurück zogen und sich mit ihren Anträgen an andere gefällige Zuhöre rinnen wandten. „Als ob ich einen von ihnen zum Manne nehmen möchte," meinte Umilta verächtlich zu sich, trieb die ' Ziegen weiter dnrch die Tannenwälder dahin und träumte allerhand vage, formlose Träume, in denen sie aber stets eine Krone von Gold trug und die Menschen auf den Knieen vor sich blickte. Wenn sie es doch nur erfahren konnte, wer sie war, von wem sie abstammte! Das ging ihr immerwährend im Kopfe herum. An den frohen Togen deS Dreschens, der Weinlese oder der Wollnußernte, wenn andere Mädchen lachten, schwatzten, mit großen Augen auf die Erzählung eines alten Märchens lauschten oder lustig cinstimmten in daS Lied, daS ein junger, muntercr Bursch zur Guitarre sang, saß Umilta abseits und träumte — träumte von ihrer goldenen Krone und dem vor ihr auf den Knieen liegenden Volke. Zu solchen Zeiten ging ihr keine Arbeit von der Hand. Dann ging sie am liebsten in ihre Dachkammer hinauf, stieß die Holzlädcn auf und schälte ihre Nüsse beim Lichte des Mon des, dann und wann ausblickend und träumerisch hinab in das stille dunkle Thal und hinauf auf die silberigen Berge schauend, die in die Wolken hineinrekchten; und wenn die mun tere Weise der Guitarre von unten an ihr Ohr drang, ward sie erst recht traurig und trotzig. Wie sie eines Abends wieder so in ihrem Kämmerchen saß, wohin sie sich Schoten zum Brechen mit hinauf genom men hatte — es war im Hochsommer und der Marktwagen sollte um Mitternacht nach der viele Meilen entfernten Stadt hinunterziehen — da hörte sie plötzlich einen lauten, freudigen Tumult den Singsang unten auf dem Hofe ablösen. Alles lachte und schrie durcheinander, und die Stimme der braven Signora Rosa übertönte sie alle mit dem Ruf: „Ah, mein Sohn! Ah, mein Sohn!" „Der Virginia wird endlich angekommen sein," dachte Umilta und brach ru hig ihre Schoten auf. Sie war nicht einmal so neugierig, durch ihr Fenster in den Hof hinunterzublicken. Virginia war einfach ein Sohn des Hauses — ihr war er nichts. Und so arbeitete sie ruhig weiter, und all das frohe, aufge regte Leben unten rührte sie nicht. Als sie mit ihrer Arbeit fertig war, schob sie den Korb mit den Schalen beiseite und stellte die Schüssel mit den Schoten aus die Erde und starrte auf den Mond hinauf, der silberweiß zwischen lichten Wolken über den Tannenhöhcn glänzte. Unten in den Thälern läuteten die Glocken; es war ein Heiligentag morgen. Umilta saß und träumte. Eine Stunde und mehr verging so; dann rief sie plötz lich Donna Rosas schrille Stimme: „Umilta! Umilta! Komm herunter! Sitzest Du wieder aus dem Boden?" Umilta hob ihre Schüssel mit den Schoten hoch und ging schweigend die Hozstiege hinunter. Die Thür am Fuße der Stiege ging direkt in die Küche hinein, die von ein paar Ocllampen nur schwach erhellt wurde, wo sie aber zu ihrem Erstaunen die ganze Nachbarschaft, gestikulirend und die Hälse reckend, versammelt fand. Und inmitten der lauten Versamm lung stand, die Ursache deS ganzen Tumults, ein hochgewach sener Mensch von etwa siebenundzwanzig Jahren mit einem dunk len, bleichen, schönen Gesicht, das von den grünen Federn seines Hutes halb beschattet wurde. Er trug die fesche Uni form der Bersaglieri. „Umilta," rief Donna Rosa hochroth vor Freude und Stolz. „Komm' her! Komm' her! Freue Dich mit uns! Sieh, mein Sohn Virginio ist nach Hause gekommen. Und als Korporal! Denke Dir nur — als Korporal." Umilta blickte verdrossen unter ihren langen, seidenen Wimpern auf den ältesten Sohn des Hauses und wünschte ihm ein kaltes, gleichgültiges „Willkommen", während der Versag- 103 — liere mit seinem Federhut fegte und sie artigst und freundlichst begrüßte. „Welche verwunschene Prinzessin hast Tu denn in Deinem Haus?" meinte er später leise zu seiner Mutter. Umilta fing diese Frage auf, und der verdrossne Blick schwand auS ihren schönen, braunen Sternenaugen. Der Solvat schien Verstand zu besitzen. Virginia Donaldis war ein schöner, schlanker, dabei kräf tiger Mann; muthig, klug und bei seinen Osfizieren beliebt. Ec diente sitzt schon seit sieben Jahren in dem Heer, hatte fast schon in ganz Italien in Garnison gestanden und unten in Sizilien manch einen harten, blutigen Kampf mit Räubern ausgefochten. Auch in Rom war er schon gewesen Jetzt hatte er die Seinigrn seit vier Jahren nicht mehr gesehen und war unverhofft mit Urlaub sür einen ganzen Monat heimgekehrt. Natürlich, daß er jetzt der Held der Berge war, in denen er geboren worden, und seiner Mutter größter Stolz. Ein Bergsaglieri hier oben auf den Tannenhöhen, ein Mann, der die Stadt des Heiligen, vielleicht den Heiligen selber gesehen, der über das Meer nach Sizilien und Sardi nien gefahren war und hundertfach in Lebensgefahr geschwebt — einln solchen Mann hatte Mcsclano noch niemals gesehen. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Kunde von seiner Ankunft durch das ganze Dorf verbreitet und dreiviertel der Einwoh nerschaft war zusammengelausen auS Neugier, und weil man wußte, daß Signora Rosa bei festlichen Gelegenheiten frei gebig ihre Küche und ihren Keller aufthat. Ein großes Festmahl für den Abend zu bereiten, war es freilich schon zu spät, aber dafür setzte Signora Rosa ihren besten We'n und Brot und Ziegenkäse, soviel wie Jeder haben wollte, auf den Tisch. Und Freude und Frohsinn sprach aus allen Gesichtern. Der einzige, der unter ihnen Allen still und in sich ge kehlt war, war der Bergsagliere selber. Umilta aber hatte sich sobald als möglich, wie sie glanbte unbemerkt, auS der Küche fortzustehlen versucht und war die Stiege hinauf wieder in ihre Bodenkammer gegangen. Der Anblick des über die liefen, stillen Thäler segelnden MondeS war ihr lieber, als die ausgelassene Heiterkeit unten in der Küche. „Eine verwunschene Prinzessin," wiederholte sie sich mit leichtem Lächeln. Kein Wort in der Welt hätte ihr schmeichel hafter klingen können. Sie wußte zwar nicht ganz genau, was eine Prinzessin war, jedenfalls aber war cs etwas, was in einem Palast wohnte. Sie hatte lesen gelernt, und der Hausirer, der die Berge mit seinem Maulesel. Gespann durchfuhr, und je nach der Jahreszeit wollene und leinene Maaren, Nadeln, Knöpfe, Tücher und Heiligenbilder verkaufte, hatte auch manchmal billige Romanbücher bei sich, die sie ihm abnahm und die sie verstohlen in ihrer Bodenkammer laS. Der Soldat sah sich von ihnen allen allein nach ihr um und vermißte sie; er hatte unten im Süden gar viele schöne Frauen gesehen, aber eine so schöne wie diese Magd seiner Mutter noch nie. „Wo ist daS goldhaarige Mädchen geblieben? fragte" er Donna Rosa, wie sie beim Abendessen saßen. Signora Rosa blickte uni sich. „Meinst Du Umilta? Ist sie denn nicht hier? O, daS sieht ihr ähnlich. Lauft davon, wenn sich Alles fröhlich versammelt. Wahrscheinlich sitzt sie wieder oben in ihrer Kammer." „Schläft Sie in der Kammer oben?" wollte Virginio wissen. „Natürlich — ist die Kammer nicht sür sie gut?" „Aber wer ist sie denn eigentlich? Stammt sie «O unser m Land? Ich habe sie auf meinem letzte» Bestich doch gar nicht gesehen." „Nein, lieber Sohn, sie kam auch später erst hierher. Sie diente bei dem Pfarrer, zu dem sie von de» Jmrocöcki gebracht ward, und als der Herr Pfarrer starb, »ah» ich sie aus Erbarmen in meinen Dienst." „Sie ist also ein Findelkind, waS?" „Ja — rin Findelkind, dos man auf de» Stufe» det kleinen Bigallo in Ferinzo auSgrsetzt fand. Dabei ist sie stoch wie Luzifer — seien olle Heiligen gepriesen! — und «!» sprödes, träges Geschöpf, das ich nur au» Barmherzigkeit bei mir behalte." Virginio schwieg und leerte langsam sein GlaS, sich da bei sagend, daß das Mädchen in dem HauS seiner Mutter die schönsten Tage wohl auch nicht verlebte. So sehr « seine Mutter lieb hatte, wußte er doch und hatte r» ans sei nen Wanderungen nicht vergessen, daß sie eine scharse Zu»>» besaß und daß eS kein Leichtes war, unter ihr z« diene». „Und käme sie wohl j tzt auf Ersuchen wieder herunter? fragte er endlich, von dcm Bel angen ergriffen, da- stoche schöne Haupt wiederzusehrn. ' „Da kennst Du sie schlecht," gaben ihm seine Schwestern zur Antwort, gingen jedoch, um ihm zu Willen zu sei», an de» Fuß der Bodenstiege und riefen. Allein Antwort erhielt« sie nicht. Dabei schlief Umilta keineswegs. Sie hörte ihr Rufen nur zu gut. Nctta Sari, die auch in der Küche saß, war sichtlich übelgelaunt. Sie war ein hübsches Mädchen mit regelmäßige» Gesicht, dicken rothbrauuen Flechten und lebhafte» blau« Au gen, und sie hatte so lange mit Sehnsucht auf Virginio Do naldis Heimkehr gewartet, war sie auch, als er daS letzte Mal fortging, erst fünfzehn Jahre alt gewesen, indeß Mädchen st»d, wo immer die Olive gedeiht, entwickelter mit fünfzehn Jahr«. Und der Soldat hatte zu häufig mit ihr getanzt um ihre» Herzen Ruhe zu lassen und seine Schwester hatten sie a»ch schon stets mit ihm geneckt und zu ihr lachend gemeint: „Wart' nur! Wenn erst Virginio nach Hause kommt!" Und »»» war Virginio zu Hause und dachte nur an diese — Tro» vatella! Netto, die seinetwegen und weil sie einen einfach« Bauernburschen nicht zum Mann nehmen wollte, »»verhei- rathet geblieben war, fühlte sich betrogen und bitter gekränkt wie sie stumm mit ihrer Perlenkette spielt«, der Doppelreihe großer, kostbarer Perlen, um die sie ein jedes Mädche» d» Torfe beneidete. Inzwischen ging Umilta in ihr schmales Bett, sah, wachgehalten von dem Lärm unten, die Fledermäuse «m ihrem Fenster vorbeiflattern und träumte, als sie mdlich ein schlief, von einem gekrönten König, der sie in einem gok«e» Wagen als KönkgSbraut abholen kam. Um vier Uhr früh am nächst« Morgen weckte das Blöken des Viehes unter ihr die Schläferin schon wieder auf. Am Horizonte zeigte ein breiter, rosiger Streif die Nähe deß Sonnenaufganges an. Und als sie, an ihre Tagesarbeit gehend, die Stiege hinuuterschritt, merkte sie es, daß heute gar Signora Rosa »och nicht auf war und noch nicht mit den andern Mägden zankte; roch als sie die Thür der Küche au'stirß, erblickte sie dafür die hohe, gerade Gestalt Virginia Donaldis auf der Schwelle vor sich stehen. „Guten Morgen, Signorina Umilta," sagte der Soldat, zog seine Mütze und nahm seine Zigarre aus seine« Amd.