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-st — DaS Schicksal und die Beweggründe zur Handlung des jungen Schreibers kümmern Hertha in diesem MrMM blick wenig. Ihr ganzes Augenmerk richtet sich auf die kurze Inhalts-Angabe des Testaments, die Rechtsanwalt Wagner ihr giebt. Darnach geht Schloß Wallerstcin mit seinen Rebengütern in die Hände ihres Vetters Hans Ulrich über. Außer der Hälfte des Baarvermögens bezieht sie selbst eine jährliche Rente aus den Einkünften des Gutes, zahlbar durch Hans Ulrich, und der linke Flügel des Schlosses bleibt ihr bis zu ihrer Verheirathung oder bis zu ihrem Tode überlassen. Sie ist reich auch in diesem Testament bedacht, und ihres Onkels Güte und Fürsorge leuchtet überall durch. Und dennoch — dort, wv sie bisher als unumschränkte Herrin gehaust hat, dort sollte sie abhängig von einem Andern, dem sie nichts weiter als eine lästige Zugabe zu dem schönen Erbe war, leben? — Mmmermehr! Lieber bei fremden Menschen fern von der Heimath eine Zufluchts stätte suchen, als von der Gnade ihres Vetters abhängig sein! Pläne und Gedanken kreuzen in wildem Durcheinander ihren Kopf, und dabei fällt ihr Eckhofs Entlassung mit jähem Erschrecken ein. Kann sie selbst Wallerstein gerade jetzt, wo es am meisten einer Oberaufsicht bedurfte, verlassen, wenn auch Eckhos ging? Ist sie nicht verpflichtet, dem neuen Herrn Alles in bester Ordnung zu hinterlassen, und ist dies mög lich, wenn sie und ihr Verwalter zu gleicher Zeit fort gingen? Und welchen Eindruck mußte es nicht zum Mindesten bei Hans Ulrich Hervorrufen, daß der Verwalter so kurz vor seiner Besitznahme des Gutes entlassen wurde? Es ist nicht anders möglich — Eckhof muß auf Waller stein bleiben, so lange wenigstens, bis Hans Ulrich an kommt und seine eignen Dispositionen treffen kann. Aber wie vermochte sie ihn zum Bleiben zu bewegen, nach dem, was heute vorgefallen war? Sic kennt seinen Stolz, der dem ihrigen nichts nachgiebt, genug, um zu wissen, daß er sich weigern wird. Trotzdem will und muß sie den Versuch machen- Sie weiß wohl, daß eine diesbezügliche Bitte an ihn demüthigend für sie ist, ja, daß sie ihren Stolz darum verleugnen muß Dennoch steht ihr Entschluß fest. Sie will ja morgen schon Waller stein verlassen, und das erleichtert ihr Vorhaben unge mein; sie braucht seine Nähe nicht zu fürchten. Nur die unvermeidliche Begegnung mit ihm steht ihr noch bevor. Ihr bangt davor, und doch erscheint ihr die Viertelstunde, die zwischen dem Weggang des Dieners und Eckhofs Er scheinen liegt, wie eine qualvolle Ewigkeit. Wird er über haupt ihrer Aufforderung Folge leisten? — Endlich steht er vor ihr im Zimmer. Sie hat sich stärker geglaubt. Sein Anblick bringt sie fast um die mühsam bewahrte Fassung, und ihr Herz Köpft zum Zer springen. „Gnädigste Gräfin befehlen?" fragt er steif und förmlich. „Befehlen?" ihre Stimme bebt leise, „das steht mir nicht mehr zu, wohl aber habe ich eine Frage oder besser — eine Bitte an Sie zu richten. Ich schicke vor ¬ aus, daß wichtige Ereignisse eingetroffen sind, die die Sachlage vollständig ändern. Doch, erst zu meiner Frage: Würden — — möchten Sie die kontraktliche Kündigungsfrist nicht innehalten?" Mit unverhohlenem Erstaunen sieht Eckhof sie an, und „nein!" kommt es gleich darauf kurz, fast unhöflich von seinen Lippen. Hertha erbleicht Ist sie denn nicht schon genug ge- demüthigt, muß sie diesem Manne gegenüber auch den letzten Rest von Stolz opfern? „Auch dann nicht, —" fragt sie stockend, ,Menn ich mein heutiges Ansuchen an Sie zurückziehe, wenn ich Ihnen sage, daß ich meine Heftigkeit heute morgen — bereue und — Ihnen freie Verfügung lasse?" „Auch dann nicht!" ' Tas ist zu viel für Hertha. Umsonst gedemüthigt, ihren Stolz verleugnet, ihre Würde sich vergeben! Ihre Selbstbeherrschung bricht darunter wie mit einem Schlage zusammen. Etwas Unerwartetes geschieht. Sie wendet sich ab, schlägt beide Hände vor ihr Gesicht und bricht in Thränen aus. Was kümmert sie noch, die Nähe des Mannes, dem eine Schwäche zu zeigen, ihr stets als die tiefste Erniedrigung erschienen war? Ter lange zurückge dämmte Thränenstrom bricht sich endlich Bahn und fließt wie ein lindernder Balsam; er netzt das feine Taschentuch und trübt die klaren Augen. Sprachlos, erschüttert verharrt Eckhof an seinem Platze. Ist das noch die Stolze, Unnahbare, die ihn so oft durch ihren Hochmuth gekränkt, der er jedes weichere Gefühl ab gesprochen hat und die nun so fassungslos und leiden schaftlich weint? Jst's dieselbe noch? Und warum dieser Schmerzensausbruch? Weil er ihre Bitte nicht erfüllen wollte? Lag ihr so viel an seinem Bleiben, oder war es nur seine kurze Abweisung, die sie verletzte? War er zu weit gegangen? Wie ein Chaos stürmt es in ihm, sekundenlang, dann bemächtigt sich seiner ein seltsames Gefühl, und was er auch vorher beabsichtigt, welche Pläne er gemacht hat, alle werden sie durch diesen Zwischenfall über den Haufen geworfen. Langsam nähert er sich der Gräfin; das Geräusch seiner Schritte läßt sie emporfahren. Sie erinnert sich jetzt erst seiner Anwesenheit, und ein hohes Roth der Be schämung fliegt über ihre Wangen, als sie sich ihm zu wendet: „Vergebung! Was müssen Sie von mir denken, Herr Eckhof! Es war so viel, was heute auf mich ein stürmte. Hier, lesen Sie diesen Brief, vielleicht giebt er Ihnen eine Erklärung!" Sie reicht Eckhof den Brief und tritt, während er liest, an ihren Schreibtisch. Nach wenigen Minuten bringt er ihr das Papier zurück. Seine Hand zittert, und sein Antlitz ist bleich. Kein Wort, lein Beileidsausdruck wird laut: stumm erfaßt er ihre Hand und läßt seine Lippen sekundenlang darauf ruhen, nnd, merkwürdig, Hertha fühlt sich durch diese stumme Theilnahme mehr getröstet und ge hoben, als es das trostreichste Wort vermocht hätte. Sie hat den Gleichmuth ihrer Seele wiedergefunden und spricht in ruhigem, ernstem Ton zu Eckhof: „Das Recht hat seinen Lauf genommen, nnd ich beklage es nicht. Tie Gewißheit ist eher zu ertragen als die beständigen Zweifel. Wollen Sie nun dem ersten Inspektor die nöthigen In struktionen bis zur Ankunft des neuen Besitzers ertheilen, ich selbst werde Wallerstein schon morgen und zwar für immer verlassen!" „Sie wollen Wallerstein verlassen? Warum das? fragt er mit seltsamer Erregung. „Weil ich heimathslos geworden bin!" „Sie sind nicht heimathslos, denn der linke Flügel des Schlosses ist Ihnen für Lebenszeit testamentarisch be stimmt!" „Ja, er ist es wohl, aber —" ein wehes Lächeln fliegt über ihre Züge, „glauben Sie^ ich könnte es er tragen, mich, die ich einst hier als Herrin geschaltet und gewaltet habe, nur als lästige, geduldete Zugabe betrachtet zu wissen? Nein, sagen Sie nichts dagegen! Wie es auch kommen möge, ich bin eine zu starke, selbständige Natur, um mein Wohl und Wehe von einem Andern ab hängig zu machen, mich einem fremden Willen zu fügen! Mein ganzer Stolz empört sich dagegen!" SL „Ihr Stolz! Immer wieder dieser Stolz, dem man Glück, Ruhe und Freude opfert, mit dem man sich und Andern das Leben verbittert! Können Sie ihn denn nicht einmal hinten ansetzen?" Es wird Hertha bei dieser eindringlichen Frage sonder bar zu Muth; sie weiß sich die innere Unruhe selbst nicht zu deuten: „Ich setzte ihn heute schon einmal hintenan!" entgegnete sie leise. „Wann war das?" fragt er mit ungläubigem Lächeln. „Als ich Sie bat, auf Wallerstein zu bleiben!" „Und warum wünschen Sie mein Bleiben?" „Weil es mir eine Beruhigung war, das Gut bis zur Ankunft meines Vetters in Ihren Händen zu wissen und —" „Und Sie selbst ohnehin Wallerstein morgen zu ver lassen gedachten, nicht so?" ergänzt er. „Ja!" Eckhof machte einige Schritte vorwärts und bleibt dicht vor Hertha stehen; seine Augen bohren sich tief in ihr Antlitz, als ob er auch den geheimsten Zug darin errathen wollte: „Gräfin —" seine Stimme klingt verschleiert, „würden Sic mich nicht gebeten haben, wenn Sie aus Wallerstein bleiben wollten?" „Nein!" stößt sie, von innerer Angst gefoltert, hervor. Eine Pause entsteht. Hertha wagt nicht, zu ihm auf zusehen. „Eine Frage habe ich noch!" nimmt er von Neuem das Wort. „Was that ich, um Ihr Mißfallen zu er regen?" „Nichts, o nichts!" „Und dennoch entließen Sie mich so plötzlich?" „Sie selbst forderten die Entlassung!" „Wohl, ich forderte sie! Aber warum zwangen Sie mich dazu?" „Eine Laune war es, nichts weiter!" „Eine Laune! Um einer Laune willen jagt eine Gräfin Hertha ihren treuesten Diener fort! Wollen Sie mich das wirklich glauben machen? Tvch gleichviel, es genügt mir, zu lvissen, daß ich Ihnen einen Dienst er- iveisen kann! Ich werde also bleiben, aber unter einer Bedingung!" „Tie wäre?" haucht Hertha kaum vernehmbar. „Daß auch Sie auf Wallerstein bleiben!" „Nimmermehr! Ich kann es nicht!" ruft sie entsetzt. „Sehen Sie? Sagte ich das nicht vorher? Sie opfern Alles Ihrem unbändigen Stolz! Sie würden Ihr Lebensglück darum geben, ja, selbst Ihre Liebe in den Rachen dieses unerbittlichen Moloch werfen, Sie würden —" „Hören Sie auf, hören Sie auf!" ruft Hertha bleich und zitternd und hebt beide Hände wie beschwörend auf. „Sie sind im Irrthum; ich bin gebrochen nnd gc- demüthigt, warum —" ihre Stimme bricht in verhaltenem Schluchzen, „warum nur wollen Sie mich noch tiefer dcmüthigen? Ich werde auf Wallerstein bleiben!" „Hertha!" Vor ihren Augen wird es dunkel. Sie fühlt nur, wie er ihre beiden Hände ergreift und au seine Brust drückt und lauscht mechanisch dem weichen Klang der Stimme, die ihr ganzes Innere in Aufruhr versetzt. „Wenn ich nun noch eiu größeres Opfer von diesem stolzen Herzen verlangte? Wenn ich es bäte, Rang, Rainen, Stolz zu verleugnen um — um eines Mannes willen?" Von heißer Herzensangst getrieben, macht Hertha eine Bewegung, nm ihm ihre .Hände zu entziehen. Er hält sie fest umspannt nnd giebt sie nicht frei. Er ist stärker als sie, sie fühlt es. Doch dieses Bewußtsein demüthigt sie nicht wie einst; es erfüllt sie mit einem nie gekannten. wonnigen Schauer. W „Hertha?" Wie von dieser stärkern Macht bezwungen, hübt sie endlich die Augen auf und begegnet einem leuchtend« Blick, den sie jetzt zum erstenmal versteht?" „Ich gebe freudig AlleS hin, sagt sie fest ihre Lug« in den seinen ruhen lassend." „Ah!" Ein Ton nur ist es, der die Luft durchzitterH glückberauscht, leidenschaftlich durchglüht; dann fühlt Hertha sich von starkem Arm umschlungen, so daß Ihr Kops an seiner Brust ruht — ein Lippenpaar sucht daS ihrige zu erstem, beseligendem Kuß. Wie ein Traum isl's ihr, aber mit voller Hingebung überläßt sie sich diesem Rausch, sie, die einst so kühl Und verächtlich darüber gedacht und gesprochen hat. Minutenlang hält Eckhof sie umschlungen, dann giebt er sie hockwthmcnd frei: „Hertha — wirst Du mir nun folgen, wohin ich Dich auch führen mag? Wirst Tu stet- bet mir Deine zweite Heimath sehen?" „Meine einzige Heimath!" „Geliebte, Dir willst zu mir halten, des einfachen Lev» Walters Weib werden?" „Natürlich, Du thörichter Mann!" „Selbst wenn — selbst wenn ich Dir eine Schuld zu gestehen hätte?" „Eine Schuld? Um Himmelswillen sprich, waS ist es? Tu bist so sonderbar!" fragt Hertha, vor Schrech erbleichend. Eckhof zieht einen Brief hervor und giübt ihn ihr» „Hier, lies selbst!" Hertha wirft einen Blick auf die Aufschrift: „Sin Bries an den Grafen Hans Ullrich, meinen Vetter! Wie kamst Tu zu ihm, und was soll es damit?" Ta richtet Eckhof seine Hünengestalt kerzengerade auf. Eine edle Schönheit liegt in dieser stolzen, selbstbewußten Haltung, in der Kraft der Muskeln und dem Glanz des Auges. Ein aufleuchtender Blick begleitet seine mit voller, fester Stimme gesprochenen Worte: „Hertha, vor. Dir steht Hans Ullrich!" „Wer? Wer sagst Tu?" „Hans Ullrich von Wallerstein!" Hertha taumelt zurück tvie vom Blitz getroffen. St« faßt an ihre Stirn, tvie um sich zu vergelvissern, ob sie wache oder träume. Ein prickelndes Gefühl rinnt durch ihre Adern und läßt ihren Herzschlag stocken. Ihr Gesicht ist todtenbleich geworden. Mit wachsender Qual betrachtet Eckhof oder jetzt Haug Ullrich die geliebte Gestalt. Ta zuckt er zusammen. Gin Aufschrei, von heißem Weh und Schmerz erpreßt, schlagt an sein Ohr: „So hast Tu mich also getäuscht, monatelang getäuscht und hintergangen, Du hast mein Herz an Dich gerissen mit List, um —" „Halt! Nicht weiter! Tu würdest es sonst bereuen!" rüst er ernst und mahnend dazwischen. „Ich bin Dir zu nächst eine Erklärung schuldig und will sie Dir gebeut Sehe Tich hierher und höre mich ruhig an! Ich werde mich so kurz wie möglich fassen!" Er hat in dem ruhig zwingenden Ton gesprochen, den seine Untergebenen an ihm fürchteten und der von vorn herein jeden Widerspruch auszuschließen schien. Willenlos läßt Hertha sich auf den Sessel ihm gegen über nieder und lehnt den Kopf an die Rücklehne, ihre Hände sind im Schooß verschlungen, und die Lider senken sich lief über ihre Augen herab. Wie aus weiter Ferna berührt sie der Klang der metallklaren geliebten Stimme. Hans Ullrich hat sich gut in der Gewalt, denn er spricht so ruhig und gleichmäßig, als ob er einem Fremden seine Erlebnisse erzähle.