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104 herumwirthschasten. Aber diese verfluchte Hexe hab' ich dort hinter den Bäumen hervorgezerrt, wo sie zusammengekauert sich verbarg, und die hat's gethan." Während all' dies um sie her vorging, hatte Bozena still und regungslos dagestanden. Sie hatte sich nicht gewehrt, keine Bewegung gemacht, sich ihren Peinigern zu entreißen, mit keiner Wimper hatte sie gezuckt und kein Laut war über ihre Lippen gekommen. . . . Etwas Merkwürdiges ging in der Seele des Mädchens vor. . . . Jetzt lag eS in ihrer Hand, diesen stolzen, reichen, angesehenen Mann dort zu zerschmettern, diesen heuchlerischen, frevelhaften, schurkischen Mann mit den grauen Haaren in den Schmutz zu treten, wie er es ihr gethan, seinen Namen zu schänden, wie er den Ihrigen geschändet, die letzten Jahre seines Alters zu verdunkeln, wie er den Anfang ihre- Lebens, ihre Jugend zerstört.... In ihrer Macht lag es, zu jagen: Ich hab« Dich auch gesehen, wie jener Herr dort, — imd doch noch anders — leise und schleichend und mir dem lauernden, unheimlichen Zug im Gesicht, mit jenem Ausdruck, wie ihn das Verbrechen trägt .... und beschwören will ich's vor Gott und Menschen: Du — Du hast den verderben bringenden Funken an Dein Haus gelegt. .... Und sie hätte es gethan, ohne fich's zu überlegen, mit jauchzendem, triumphirenden Herzen, um all' dem Hasse Aus druck zu geben, der in ihr lebte, wenn sie auch hätte eingestehen stillen, was — sie Nachts nach der Mühle getrieben, was sie da suchte .... Aber es stand eben Einer dabei, der ihr den Haß aus dem Herzen wand, einer, der das Verderben bringende Dort i« ihrer Brust erstickte, daß es nicht den Weg über die Lippen sand . . . Einer, den sie liebte mit einer Liebe, so groß demüthig, so selbstverleugnend und wunschlos zugleich, wie rS Worte nicht auszudrücken vermögen, Einer, für den sie das Schwerste, daS Mühseligste unternommen, für den sie bereit gewesen wäre, zu sterben, jeden Tag, jede Stunde, wenn es zu seinem Glücke beigetragen, wenn er es verlangt hätte . . . Leiner sah wie sie die Blicke von Angst und Entsetzen, die sich bei de» Worten des WerksührerS aus das Antlitz des Vaters gerichtet hatten, Keiner hörte wie sie die Worte in ihrer Seele wiederklingrn, die er ihr am Nachmittage auf dem Felde gesagt : Ich halte meinen Vater hoch, so hoch, wie keinen Menschen. Es wär' der größte Schmerz meines Lebens, wenn er eine schlechte That begangen, wenn ich an ihm zweifeln müßt'. Und hier vor allen Leuten sollte er ihn seines Namens, seiner Ehr- entNcidet sehen! ... ein Brandstifter, ein Ver brecher ! und durch sie, durch sie . . . der er sich vom ersten Augenblick tdellnaduisvoll erwiesen ... der er sich schon drei mal helfend angenommen! . . . Hatte sie nicht noch vor einer Stunde Gott im Süllen angefleht, ihr etwas zu schicken, damit sie ihm zeigen könne, daß sie nicht undankbar war? Und was hatte sie zu verlieren? Nichts! Was im Leben zu hoffen ? Nichts, nichts! Oede da wie dort. . . . Sie hatte schon riumal im Zuchthaus gesessen, was log daran, ob sie wieder dahin kam und wieder auf ein paar Jahre? Geschändeter konnte ihr Nome nicht mehr werden, und auch — nicht mehr rein, und mochle ihre Tugend bis zum Himmel reichen. . . Und weun all' die Menschen, die sie umstanden, so hell sehend gewesen wären, wie sie in Wirklichkeit blind waren, ihr Inneres hätte erbeben müssen vor der Größe dieser Mädchen seele, die als Geächtete unter ihnen stand und die sie mit Füßen trete» zu dürfen glaubten. Als einige Zeit danach vier Heiducken erschienen und sie in ihre Mitte nahmen, ließ sie es ruhig geschehen: sie leistete keinen Widerstand, als man ihr Handschellen anlegte; und als sie der Kommissär, der ebenfalls erschienen war, fragte, ob eS denn möglich sei, daß sie wieder dies ungeheure Verbrechen begangen, und warüm sie eS gethan? blickte sie weder auf, noch gab sie eine Antwort, waS natürlich als stummes und zugleich trotziges Eingeständniß angenommen wurde, und so tönten ihr Drohungen, Verwünschungen, Flüche nach, als sie abgeführt wurde. Ein grauer, trüber, naßkalter, mit Regen und Schnee vermischter Morgen stieg herauf, beleuchtete da- Bild der Zer störung und machte eS noch grausiger und unheimlicher. Trümmer und Schutt, aus dem es noch leise qualmte und rauchte, ruß geschwärzte Mauern, ausgebrannte Fensterhöhlen, Steinhaufen, verkohlte Balken und fußhohe Asche, so sah die Semany'sche Mühle aus, die noch Tags zuvor in ihrer ganzen Stattlichkeit von dem Mühlenberg aus Thal und Strom geblickt. Der riesige Schlot der Dampfmühle, an dem die eisernen Ketten, die ihn hielten, geschmolzen waren, und der niederstürzte, im Falle einige halbverkohlte Baumstämme mitreißend, erhöhte noch den wüsten Eindruck. (Fortsetzung folgt.) «m Zollhaus für die Ewigkeit! Wenn du an einem Kirchhof gehst vorüber Und siehst da» Thor dessr den offen steh'n. So lenke deine Schritte schnell hinüber, Laß die Gelegenheit dir ja niemals entgeh n, Blick in dein Herz dabei und sage still: — Nur kurz ist noch die kleine Spanne Zeit — So mußt auch du Tribut bezahlen Am Zollhaus für die Ewigkeit! Trittst du hinein, so findest du der Hügel Geschmückt und ungeschmückt gar viele vor. Die Zukunft siehst du hier in einem Spiegel, Daß sich auch dir bere ust erschließt daS dunkle Thor. Denn Alle, die da unten schlummern still, Ob kurz, ob lang war ihre Erdenzeit, Sie mußten olle Zahlung leisten Am Zollhaus sür die Ewigkeit! Hier schlummern in der Eintracht stillem Fried:« S e Alle, ohne PulSschlag, ohne Traum; Ob Freund', ob Feinde sie auf Erden waren. Hier ist kein Streit und Zant aus diesem engen Raum! DaS Marmordenkmal selbst aus ihrer Emst Ist angefressen vor dem Zahn der Zeit; Auch die eS deckt, die mußten zrhlen Am Zollhaus sür die Ewigkeit! Dort ist kein Unterschied in Rang und Würde, rort sind sie Ave sich einander gleich Sie Alle mußten emen Preis bezahlen, Ob sie hier waren arm ob sie hier waren reich. D rt findet keine Eontrebande statt, Am Schalter sitzt die Gerechtigkeit! Da giebt's kein n Schmuggel, da heißt's zahlen! Am Zollhau» sür die Ewigkeit! Du hast betreten eine heil'ge Stätte, Die Samen birgt einst sür die Ewigkeit Ob's Domen werden, oder reiche warben, Ob er g sammelt wird, ob ihn der Wind zerstreut Entscheide Der, der einst die Ernte hält, Und emtest du von ihm Barmherzigkeit, So konntest du mit Wonne zahlen Am Zollhaus für die Ewigkeit! An diesem Zollhaus enden alle Pfade, Die Jeder geht durch di se« Leben hin; Ob er sie wandelte mit schwerem Kummer, Ob er die Straße zog mit leichtem frohen Sinn! — O wäre doch der Augenblick schon da " Wo ich entbunden werd' von allem Leid, — Vorüber schon gewandelt wäre — Am Zollhaus sür die Ewigkeit! M. G. Druck von Langer L Winterlich tu Riesa. Für die Redaktion verawwortltch: Hermann Schmidt in Riesa. LS» r-» -L) n Z.8 Z »Q Z S L Z s» 3 SSN-L-rSw'S Erzähler an der Lide. Belletrist. Gratisbeilage zll» »Mesaer Ta-eblai^. Rr. »«. Riesa, den »7. Jttvi 18V«. 1». Kchr». Bozena Matuschek. Roman von Caroline Deutsch. (Nachdruck verboten) (Fortsetzung) Kein Wort würde er ihr jemals wieder gönnen, keinen Blick .... jenen Blick voll unbewußter Güte und Theilnahme, nach dem ihre Seele durstete, der sich wie ein milder, er lösender Tropfen auf ihr wundes, verbittertes Herz legte.... Bei dieser Vorstellung war eS Bozena, als müffe sie ersticken; sie ertrug es nicht länger auf dem Lager. Sie verließ es und kleidete sich an. WaS sie vorhatte, wollte, wußte sie selbst nicht, nur hinaus, hinaus! Denn auch in dem Zimmer ward eS ihr zu enge. Sie schob den Riegel zurück und trat vor die Hütte. Zerrissen und fahlgrau hingen die Wolken am Himmel, schwammen zusammen, stossen auseinander, hastig, unaufhaltsam, regellos wie ohne Ziel und Zweck, und das mattweiße Horn deS Mondes blickte bald frei, bald versank es in den Dunst massen. In kurzen, pfeifenden Stößen fuhr der trockene, kalte Wind durch die Bäume, schüttelte die blätterlosen Beste und beugte die Wipfel nieder, als wolle er alles entwurzeln und niederwerfen. Aber diese wilde, zerrissene Stimmung in der Natur that dem Mädchen wohl; denn sie war im Einklang mit der ihrigen, auch der kalte Wind, der ihr um das unbedeckte Haupt fuhr und die heiße Glut kühlte. . . . Links dehnte sich wie eine verschwommene, formlose Masse das Städtchen mit seinen verdunkelten Straßen, nur der schlanke Kirchthurm ragte schärfer und bezeichnender in den Nachthimmel hinein. Und ihr gerade gegenüber, wenn auch in weiterer Entfernung, erhob sich ebenfalls eine dunkle Masse; es war dies der Mühlenberg mit der Semanyschen Mühle. . . . Und auf diesen einen Punkt richtete sich das heiße, trockene Auge des Mädchens immer wieder, als wohnte dort ein Zauber, der ihr immer von neuem winkte, der sie lockte und rief mit geheimer Gewalt. . . Bozena litt nicht an Gesühlsschwelgerei, und was sie in dieser Stunde überkam, das »rußte sie selbst nicht. Mit unbe zwinglicher Macht trieb es sie jener Stätte zu . . . der Stätte — wo Stefan wellte. Was sie dort wollte, sie wußte es nicht; nichts Bestimmtes und klares schwebte ihr vor. Sollte es eine stille Abbitte sein, eine Abbitte, von der nur sie und Gott wissen konnte? .... Sie gab sich keine Rechenschaft und hätte sich keine geben können. Unbewußt und wie von einer zwingenden Macht ge trieben, lenkte es ihren Fuß dahin, und sie schritt weiter und immer weiter in die Nacht hinein, den Weg, den sie seit Jahren nicht gegangen. Früher, als sie noch jung war, fünfzehn Jahre alt, hatte sie ost im Tagelohn da gearbeitet und später, als sie zu sticken angefangen, reichlichen Absatz gefunden und dann .... dann hatte alles ein Ende gehabt .... Nun hatte sie die Mühle erreicht und leise und behutsam umschlich sie dieselbe, und da sie barfuß ging, war ihr Schritt auf dem grasigen Grunde ganz unhörbrr. Die niedrige Thür, die daS Gitter abschloß, war nur angelehnt; sie öffnete sie leise und stand im Hofe drin, und da dämpfte auch daS Pflaster vollständig ihre Schritte. Nun sah sie sich um. Das Dunkel ließ nicht viel unterscheiden, nur die Höhe und Brette des Wohn hauses, vor dem sie stand, und die vielen Fenster, die aufblitzten, wenn der freigewordene Mondesstrahl sie traf, zeigten ihr, daß eS ein stattliches Gebäude sei; es gab kein solch stattliches im ganzen Orte. Dann die vielen Gebäude, jdie sich daran an schlossen, und dort gegenüber das große dunkle Hau- mit dem riesigen Schornstein! ... Ja, er war ein reicher, mächtiger Mann, der Gabor Semany, und hatte recht, stolz zu sein.... Doch was wollte sie hier? .... gerade sie an diesem Ort?! . . . . Und doch trat sie näher bis fast vor den Eingang und starrte zu den vielen Fenstern hinauf. Welches Zimmer wohl daS seine war, in welchem er wohl schlafen mochte? ... . O, wenn sie eS gewußt hätte? Dann nur ein Blick zu seinem Fenster und fort.... fort! ... . So stand sie und starrte hinauf, und wußte selbst nicht wie lange. Da war eS ihr, als tönten leise, schleichende Schritte vom Innern deS HauseS und als raschele etwas wie ein Schlüffe! in der HauSthüre .... Sie hatte noch so viel Geistes gegenwart, hinter den Vorsprung eines Einganges zu schlüpfen, der auS zierlichen Säulchen und Schnörkeleteu bestand; auch stand ein mächtiger Lindenbaum dabei, und so war sie voll ständig gedeckt. Sie konnte nicht gesehen werden» aber sie sah, indem sie ihre Augen an eine der vielen durchbrochenen Stellen des Vorsprunge- drückte. Die Thür öffnete sich und Jemand trat mit einer Blendlaterne heraus. TS war eine mächtige Gestalt, aber sie ging leise und behutsam und trug die Laterne vor sich her, so daß das Gesicht beleuchtet war. Es war Gabor Semany, sie erkannte ihn. Aber wie merkwürdig er auSsah! ... so merkwürdig, daß ihr daS Herz vor Schreck fast stille stand, als er dicht an ihr vorüberkam. . . . Wie blutunterlaufen waren die Augen, wie zusammeuge- zogen daS ganze Gesicht, wie lauernd und gespannt, wie un heimlich jeder Zug darauf! ... Nie hatte sie ein ähnliches Gesicht gesehen. ... So ging der Jäger, wenn er ein Wild einfangen will, der — Mord, der sein Opfer sucht, so ging der Wahnsinn oder daS Verbrechen. . . . Sie schüttelte sich, als er vorüber war, quer den großen Hof durchschritt und den Scheunen sich zuwandte. Nein, nein, nun wollte sie sich nicht noch einmal der Ge fahr auSsetzen, von ihm gesehen zu werden. Als sie sicher war, daß ihr Tritt nicht mehr gehört werden konnte, schlüpfte sie aus ihrem Versteck. Sie hatte in dieser Beziehung überhaupt nichts zu befürchten, der Sturm, der durch die Lust heulte und die offenstehende Hofthür immer auf- und zuwarf, verschlang ihre Schritte, selbst wenn sie hörbar gewesen wären. Sie aber eilte wie ein flüchtige- Reh auS dem Hof und den Berg hin unter, ja, als sie schon auf dem offenen Pfade war, eilte sie noch beflügelten Schrittes dahin, al- seien alle Schrecken des TodeS hinter ihr. AthemloS und in Schweiß gebadet kam sie in ihrer Hütte an, deren Thür »och immer offen stand, wie sie sie verlassen. Da erst ward sie ihrer Erregung Meister. Er müdet setzte sie sich auf die Bank und dachte über die Sache nach. WaS sie gesehen oder zu sehen geglaubt, hatten ihr mir ihre verstörten Sinne vorgespiegelt, die Angst, von ihm gesehen, erkannt zu werden. Und wenn er sich nach jenem Vorsprung gewendet? .... O. es wäre entsetzlich gewesen! Der Sthem stockte ihr, atz sie jetzt daran dachte. Man hätte sie wieder einer Verbrechens beschuldigt, sie hätte Feuer anlegeu, oder irgend ein andere- Unheil anrichten wollen ... ES hätte ja auch alles gegen sie gesprochen. Was hatte sie .. . sie aus