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«lcr Eile und Stille ganz umgezogen und kamen jetzt, bekleidet mit ihren neuen Indianeranzügen, zum Vor schein. Frau Anna war nicht wenig stolz auf diese Kostüme; sie hatte sie selbst verfertigt und unglaublich viele Hahnenfedern darauf festgenäht. Leider ließen die Jungens uns keine Zeit, diese mütterliche Hand arbeit zu bewundern. Sie schwangen ihre Tomahawks und gingen zum Angriff aufeinander los. Es sah wirk lich aus, als ob sie sich gegenseitig skalpieren wollten, und die Hahnenfedern flogen wild durchs Zimmer. Bei diesem Anblick vergaß der Hausherr seinen Groll auf die Engel. Er riß die Kämpfenden auseinander, konfiszierte die Tomahawks und machte seiner Frau bittere Vorwürfe, »veil sie diesen Kampfhähnen so gemeingefährliche Geschenkt gemacht hatte. Glücklicherweise explodierte in diesem kritischen Moment die Dampfmaschine. Tas allgemeine Geschrei ließ die Zwillinge ihren persönlichen Kampf und Kum mer vergessen, sie liefen einmütig zu Bruder Siegfrieds Weihnachtsplatz. Da war dann das schönste Feuerwerk zu sehen. Die Dampfmaschine und verschiedene andere Gescheute brannten lichterloh. Ich dachte an den Zeitungsartikel, der das Ende dieser blühenden Familie lmter dem Tannenbaum schildern würde — ich dachte au den nächsten Feuermelder — ich dachte vor allem an meine eigene Rettung. Aber Frau Anna hatte schon mit starken Händen das Aquarium gefaßt und den ganzen Inhalt über das Flammenmeer ausgegossen. Das half. Es entwickelte sich ein husteuerzeugender Qualm, aber das Feuer war gelöscht, der Wasserschaden allerdings, wie eS ja in der Regel nach solchen Ereignissen der Fall ist, ein ganz beträchtlicher. Ter Besitzer des Aquariums heulte und machte energisch Ersatzansprüche geltend. Cs blieb .eine interessante, vorerst nicht zu beantwortende Frage, ob der Feuermolch verbrannt sei oder irgendwo in der Freiheit sein Leben weitcrfristcte. Fritz war der Ueberzeugung, daß ein Feucrmolch ein für allemal feuerfest sei, uno suchte oen verlorenen Schatz in allen Ecken, während die Dienstboten unter Frau Annas energischer Leitung mit Eimern und Tüchern anrückten, um den Wasserschaden möglichst zu beseitigen. Der Hausherr bot mir eine Zigarre an, und wir ließen uns recht rnhebedürftig in den bequemen Lehn sessel» am Kamin nieder. Leider waren die Zwillinge, die für musikalisch, galten, mit Trommeln, Trompeten und Drehorgeln beschenkt worden. Diese Marter instrumente holten sie jetzt rachelustig herbei und ge brauchten sie so kräftig und anhaltend, daß von der ersehnten Ruhe nichts zu spüren war. Ueberdies f^.g der Techniker an, die geretteten Eisenbahnschienen auf dem Fußboden aufzubauen, der Backfisch probierte die neuen Schlittsuchuhe aus dem. Parkett, und die Kleine fuhr ruhig ihr altes Marieihen in der Schicbekarrc spazieren, gegen Tisch- und Menschenbeine an. Das alles war sehr hübsch, wirkte aber auf die Tauer doch ziemlich angreifcnd. Ich wenigstens war ganz zufrieden, als ich später allein mit den glücklichen Eltern im Eßzimmer beim Abendessen saß. Die Köchin hatte allerdings in der Aufregung die Karpfen nicht gar gekocht und den Fasan verbraten, aber es fehlte uns allen ohnehin am rechten Appetit. „Diese Familienfeierlichkeitcn gehen doch höllisch auf die Nerven," wie Heinz Hansemann richtig bemerkte. Frau Anna wurde dann bald abgerufen. Die Zwillinge wollten sich nicht abseifen lassen, das Jüngste konnte nicht einschlafen, und der Backfisch klagte über Magenschmerzcn. Nachher saß ich dann mit Heinz Hansemann und einer guten Flasche Rheinwein noch ein Weilchen allein im Weihnachtszimmer, daß den Eindruck eines Schlacht feldes nach dem Kampf machte. Als trauernde Wal- Dkren schwebten die Engel darüber. Wir waren zu müde, um noch viel zu reden. Aber mir war durchaus glücklich und edelgesinnt zumute. Ich gönnte Heinz Hansemann alles: die gesunde Frau, die prächtigen Kinder, und ich wünschte ihm nur die nötige Gesundheit und Nervenkrast, um all sein Glück so weitergenießen zu können. Als ich dann durch den schneehellen, stillen Abend heimging, dachte ich an jene andere Nacht, die sich in wundervoller Stille mit Sternenglanz und Engelsgesang über den Hirten aus dem Felde und dein Kindlein in der Krippe unvergänglich dem Gedächtnis der Mensch heit eingeprägt hat. Was haben die Menschen von hente aus ihrem schönsten Erinnerungstraum gemacht so stille Nacht, heilige Nacht! Licve! Ein neu Gebot gebe , ich euch, daß ihr euch unter, einander liebet, wie ich euch geliebt habe (Joh. 13,34). Wenige Tage noch, mit Ungeduld von allen Kindern gezählt — dann ist wieder Weihnacht, das Fest der Liebe. Viele, die da« ganze Jahr über von echter Liebe beseelt sind, wollen dieser Liebe jetzt eine ganz besondere Kraft widmen. Viele andere aber besinnen sich erst jetzt darauf, wie angesteckt von der großen Liebesatmosphäre rings um sie h r. Bei ihnen gleicht die Liebe einem Porzcllanpracht- stück, da? von unfern Urgroßmüttern sorgsam im GlaSschrank bewahrt und nur bei ganz besonderen Festlichkeiten hervor geholt wurde. So holt mancher die kaltgewordene Liebe hervor und beschenkt die Seinen und rin paar arme Nach- barslenle. Was ist es denn eigentlich, daS bei den einen die vorhandene Liebesgesinnung zu besonderer Höhe erhebt, bei den ankern die vergessene wieder hervoiholt? Auch wo die Menschen dessen sich kaum bewußt sind, wirkt doch überall im Stillen und unerkannt die große, heilige Gottes- tat nach, die unS allen zur ersten Weihnacht den Weg zum wahren Glück eröffnet hat — aus lauter Liebe. Auch daS bescheidenste Mitleid, daS in solcher Zeit freigebig in die Tasche greift und Unglücklicher, Leidender gedenkt, ist ge weckt worden durch einen solchen Strahl jenes Liebes- leuchtens, mit dem Gott uns den Helfer sandte. Solche ihres eigentlichen Urhebers und ihres tiefste» Sinnes unbewußte Liebe ist aber noch nicht die rechte. Und damit bet immer mehr an sich gütigen und freund- lichen Menschen aus unbewußter Liebe die bewußte wird, darum ist eS wieder weihnachtliche Zeit! Tin neuer Ruf ertönt auS dem Jauchzen deS Festes heraus und in die jauchzenden Herzen hinein, damit die halbsehenden Augen wirklich sehend werden. GS ist deutlich zu erkennen, warum solches unbewußte Christentum recht mangelhaft ist. Un- bewußte Liebe ist noch nicht recht lebendig, eS ist, als ob der Mensch wie im Traume ihr folgt, ohne sich klar über sich selbst zu sein. Kann aber ein halb träumender Mensch große Taten vollbringen, die bleiben? Niemals. So hat solche Liebe keine rechte Kraft, kein rechtes Leben in sich. Wo aber der Mensch klar erkannt hat, warum er liebt und lieben muß, nämlich weil er'S weiß: weil Gott so sehr ge- liebt hat und liebt, darum liebe auch ich —, der steht in stets lebendiger Beziehung zu Gott, dessen Auge ist immer auf ihn gerichtet, und je mehr er diese Liebe übt, nm so größer wird in ihm die Freude an solche LiebeStat und die Kraft, sie zu üben. So bringt erst das bewußte Lieben die rechte Vollendung ins Christenleben. Auch das ist ein Beweis der Liebe GotteS, daß wir wieder daß große Weihnachtsfest heranziehen sehen dürfen. O laßt unS die Herzen weit anftun, damit sein festlicher Schein hineinstrahlen kann, damit auch in unS die heilige Flamme neu entzündet wird, die un> so wunderbar er wärmt und auch auf andre Licht und Wärme aus- strahlen muß! L. Druck und »«lag von Langer t Winterlich, Mesa. — Für dl« Redaktion verantwortlich: Arthur Hähnetz Riesa. ErKHIer an der Elbe. Betletr. Gratisbeilage zum „Riesaer Tageblatt". Nr 51 Mei», de» 20. Dezember 1913 S« Ans der Bahn geschlendert. Roman von Baronin G. von Schlippenbach. (Herbert Rivulet.) Fortsetzung. Auch Herr von Globoff und seine Frau dachten dasselbe. Durch Olga hörte Anastasia von Ellen, und auch deren Bild hatte sie gesehen. Traurig sagte sich die Russin, daß sie in Fräulein von Werdenstätt eine nicht zu unterschätzende Nebenbuhlerin zu fürchten hatte. Nach dem Tode der Fürsten Scharmatoff siedelte deren Tochter nach Klobischkin zum Bruder über. Es lag wenig Nachbarschaft um das Schloß. Tagelang waren die Wege verschneit, und der kleine Schlitten mit dem Traber fuhr mit Bruder und Schwester über die schlechten Wege. „Sascha," sagte Olga eines Abends, >,Du behandelst Anastasia so kalk sie leidet sehr darunter. Seit einer Woche bist Du nicht mehr bei ihr gewesen." „Ich hatte keine Zeit," brummte der Fürst ver drießlich. „Keine Zeit? Und ich finde Dich oft träumend vor dem Kaminseuer sitzen. Woran denkst Du, Sascha?" „Ach, so laß mich doch in Ruhe." Olga kam zu ihm hinüber und kniete vor seinem Sessel nieder. „Nicht so, Sascha, weise mich nicht schroff zurück. Bin ich nicht Deine beste Freundin? So sprich Dich doch aus, Bruder!" Er sprang auf und rief: „Olga, Olga, ich ertrage es nicht länger! Ich fühle die Kette, die mich fesselt, und sie ist so schwer. Sie klirrt bei jedem Schritt, und ich kann sie nicht abstreifen." „Du liebst Ellen von Werdcnstätt, vertraue Dich mir an. Ich habe gefürchtet, daß es so kommen würde, als ich Dich in Wiesbaden mit ihr zusammen sah." ,Hä, Schwesterchen, Du hast recht, ich liebe sie. Wie sehr — das habe ich erst durch die Trennung erkannt!" „Du mußt es Anastasia sagen, das bist Du ihr schuldig." „Ich kann es nicht," rang es sich über seine Lippen. „Obgleich mein Herz ihr nicht gehört, habe ich doch rin warmes Gefühl der Freundschaft für sie, und sie tut mir so furchtbar leid, wenn ich ihre traurigen Augen sehe." „Soll ich mit ihr sprechen?' „Würdest Du cs tun? Mir fehlt der Mut dazu." ,Hä, Sascha, ich will es. Sie wird einsehen, daß sie Lesser tut. Dich freizugeben." Schermatoff umarmte die Schwester dankbar. „Hast Du Antwort auf Tcinen letzten Brief an Ellen bekommen?" „Nein, sie schreibt mir selten. Nach einigem Zögern fügte Olga hinzu: „Ich muß es Dir sagen, Bruder, ich glaube nicht, daß sie wärmer für Dich empfindet." „Laß mich erst frei sein, dann kann ich anders um sie werben! Ich weiß, daß das Glück meines Lebens davon abhängt!" Olga schwieg, der Bruder tat ihr leid. -Ain nächsten Sonntage fuhr sie zu Globofss hin- über, Sascha blieb in fieberhafter Aufregung zurück. „Tu kommst allein?" sagte Anastasia enttäuscht. „Warum ist Sascha nicht mit Dir gekommen?" „Liebe Anastasia, ich muß Dich allein sprechen. Willst Du mir geduldig zuhören? Es ist etwas sehr Ernstes!" „Ist Sascha krank?" fragte Anastasia erschreckt „Körperlich nicht, aber seine Seele leidet. Ich weiß nicht, welche Worte ich brauchen soll» um es Dir zu beschreiben." Fräulein von Globoff wurde sehr bleich, bann sagte sie: ,^Zch will es Dir ersparen, Olga. Dein Bruder möchte unsere Verlobung lösen." „Ja, Anastasia. Ich kann es nicht mehr mit an- sehen, wie er sich quält." „So gib ihm den Ring zurück, den er mir einst gegeben." Scheinbar ruhig zog sie den goldenen Reif mit dem Brillanten vom Finger und hielt ihn Olga hin. „Tu bist so ruhig. Schmerzt es Dich nicht?" Ein tränenloses Schluchzen hob Anastasias Brust. „Ich muß es tragen," entgegnete sie» aber als Olga sie in die Arme zog, da verließ sie die Fassung, und sie weinte herzbrechend. „Sascha sagt, daß er Dir immer ein Gefühl warmer Freundschaft bewahren wird." „Freundschaft statt Liebe," sagte Anastasia bitter, „ein Almosen brauche ich nicht." Olga fuhr ganz erschüttert nach Hause. Cie traf ihren Bruder in höchster Aufregung auf sie wartend. „Ta ist Tein Ring," sagte sie, „Du bist frei." Wie von einem schweren Alp befreit, atmete Sascha auf. „Olga, ich danke Tir/ Und bewegt zog er die Schwester in die Arme. Frühzeitiger als sonst kam in diesem Jahre der Lenz über die Erde gezogen. Schon belaubten sich die Bäume; fröhliche Menschen in Hellen Sommer kleidern lustwandeln im Freien. In der Villa, die Werdenstätts einst bewohnt hatten, lebte nun seit einem Jahre die Familie eines Arztes. Blondlockige Kinder lugten durch das schmiede eiserne Gitter. Wenn Eckern der Weg hier vorbei führte, pflegte er stets fortzublickcn, er wollte die Veränderung nicht sehen. Ter Graf sollte bald zum Rittmeister befördert werden. Er war sehr ernst geworden. Im Dienst allein fand er Befriedigung. Heute kehrte er von einer erinüdenden Uebuug heim, «schon früh war er fortgeritten. Der Oberst hatte wohlgefällig auf den Offizier geblickt und in freundlichen Worten seine Zufriedenheit geäußert. Als Eckern müde und erhitzt in sein Arbeitszimmer trat, lag ein Brief auf seinem Schreibtisch. Er wußte, daß dieser von der Schwester seiner Mutter aus der Mark kam. Die alte unverheiratete Dame lebte ein sam auf ihrem Gute. Sie war die Pate deS Oberleut nants und hatte von" jeher eine große Vorliebe für diesen Neffen gezeigt. Lieber Heinz!* schrieb sie, „Könntest Tu mich nicht bald für einige be suchen? Es geht mir schlecht. Ich habe im Winter viel durch die llicht zu leiden gehabt; der Arzt