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Zog der König, der heißgeliebte König, die Linden entlang. Losendes Bivatrusen ««brauste ihn. Er winkte uu» grüßte lächelnd nach allen Seiten. „Wie innig fest hat doch das Unglück die Bande Putschen Fürst und Voll geknüpft!" jagte Reimer tief bewegt. ,Meil gegenseitige Liebe und Vertraue» beide von jeher umschlungen," gab Cchleiermacher bestätigend zu. Sein Auge war feucht. „Und sehen Sie dort — im Zuge der Garden — den Kronprinzen und da feinen jüngeren Bruder!" rief der lebhafte Reimer wieder. „Wie bescheiden und edel die beiden knabenhaften Jünglinge!" „Prächtige Menschenblumen," sagte Schleiermacher fast feierlich. „Tie Zukunft Preußens ruht in ihren Händen!'« Und nun folgte in einem mit acht Pferden be spannten kostbaren Staatswagen die engelsgleichc Kö nigin mit ihren jüngsten Kindern. Mit tosendem Enthusiasmus umjauchzten sie die tausend und aber tausend Menschen. Jung und att stürzten die Tränen aus den Augen. Der Jubel wollte nicht enden. — Auch jenem jungen Menschen, der die beiden Männer an Kessel gemahnt, liefen die brennenden Tränen über die eingefallenen Wangen. Festgekeilt stand er in der Menge. Keiner achtete mehr darauf, daß er nicht festtäglich gekleidet war. Nun wurde er von und mit der Menge weiter geschoben — weiter — wetter. Vor dem Schlosse staute sich die Menschen brandung. Wer der schlanke junge Mann vermochte über die Köpfe der anderen hintöeg genug doch von dem bewegten und bewegenden Schauspiel zu erspähen. Sur dem PalaiS hatte der Prinz Ferdinand, -er Bruder Friedrichs drS Großen, Aufstellung genommen. Att der König ihn erblickte, sprengte er im Salopp auf ihn zu, schwaug sich vom Pferd und umarmte ihn vor alle« Volk. Der Kronprinz und Prinz Wilhelm verließen, vor dem- Palai» angekommen, ihre Züge, stürzten auf ihren Vetter, den Prinzen von Oranien, zu, dessen sie ansichtig geworden, und fielen ihm um den Hals. Und mit einem Male traten der König und die Köni gin auf den Balkon des Schlaffes hinaus. Der Jubel de- Patte» stieg auf» höchste — wie ein« brandende See Wogte und schwoll er zum Altan hinauf. Uud daun — ganz urplötzlich — feierliche Stille. Die Königin sprach. Die stifte, klare Dezemberluft trug ihre Sstberstttume weit hiueiu in die auflauschende Menge. Sle dankte in herzergreifenden «orten ihrem Volke. M» sie geendet und mit dem König den Balkon verließ brach von neuem ein Jubel loS, der kein Ende nehmen woltte. Wau wetttte und schluchzte vor Wehmut und Rüh rung, vor Glück und Freude. Man sank einander in die Arme, »an beteuerte einander, in Treue ausharren zu wollen bei dem heißgeliebten KönigSpaare, bis der Lag der Freiheit, der Tag der Vergeltung anbrechen nnrdk Der schlanke junge Mann stahl sich aus dem Trubel davon. E» schien nicht seine Art, äußerlich zu zeigen, wa» ttr ihm »oegtng. Denn wie bewegt auch er im tiefsten Herzen war, das verriet der Ausdruck seiner blauen Auge«, den er nicht meistern konnte oder wollte. Auf einer Baak im Lustgarten unfern des Schlosses ließ er sich tief auffeufzend nieder. Da war es still um ihn her. Nur wie ferne- Meeresbrausen klang der ver- hallende Jubel herüber. ? Jo sich versank» saß er dort. Er merkte eS nicht, daß allmählich von der Menge, die sich vor dem Schlosse löste, ein Menschenstrom auch durch die Anlagen zurück flutete — auch an der Bank, auf der er saß, vorbei. Jemand ließ sich neben ihm nieder Ein Invalide war'S. Der zog sein Pfeifchen aus der Tasche, steckte «S an und fauchte und schmauchte. Tabei schielte er immer und immer wieder zu dem einsamen Träumer hinüber. „Hm! hm!" begann er endlich, sich räuspernd. Wer der andere schwieg und schaute noch immer unentwegt in sich hinein. „Hm! hm!" äußerte der Invalide sich lauter, in dem er, feinen Stelzfuß fassend, schwerfällig näher rückte. Doch als noch immer keine Antwort folgte, fügte er aufmunternd und mit einem sondierenden, Einverständ nis heischenden Blick hinzu: „Wie sagt doch der Kleist? Wir litten menschlich seit dem Tage, Da Barus bei uns eingerückt, Wir rächten nicht die erste Plage, . Mit Hohn aus uns herabgeschickt; Wir übten in der Götterlehre Uns durch viel Jahre im Verzeih», Doch endlich drückt des Joches Schwere, Und abgeschüttelt will es sein!" Da hatte der Fremde doch mit fragender Verwunde rung den Blick erhoben. „Wicher kennt Ihr das? Ist denn die „Hermanns schlacht" schon gedruckt?" „Nicht doch! Wer so was geht einem doch in Fleisch und Blut über, wenn man's nur einmal gehört. Zumal wenn man . . ." Der Invalide brach ab. „Hm! hm!" machte er dann wieder, indem er den jungen Mann mit diskretem Seitenblick einer neuen Prüfung unter warf. „'s war doch ein herzerquickendes Schauspiel eben! ES war Euch wohl nichts vom Einzuge des Königs paares bekannt?" Die Al^en des Fremden glitten, von einem ins Her schneidenden Lächeln begleitet, an seinem dürftigen An zuge hinab. ,Jhr meint, ich sehe nicht festtäglich genug aus? — Für Zivilkleider bleibt nicht viel übrig, wenn man mit der schwarzen Schar des Herzogs von Braunschweig in der freiwilligen Verbannung lebt!" „Was der Tausend! Zur schwarzen Schar gehörtet Ihr?" Die Augen des Invaliden waren rund und blank geworden. Dabei war's aber doch, als ob eine Ent täuschung über seine Züge huschte. „Da könntet Ihr aber doch Euch nicht beklagen! Der Herzog hat ein Heidenglück gehabt! Go unversehrt mit seiner Freischar nach Eng land zu gelangen! Wenn ich da an den armen Schill denke!" Tränen schossen dem Mann in die Augen. „Und an seine Offiziere — — —" „Die unglücklichen Glücklichen, die in Wesel, wie Schlachttiere aneinandergekoppelt, erschossen wurden!" murmelte der Fremde. Ein unergründlicher Ausdruck stand in seinen harmvollen Zügen. „Na, und die andern, die sitzen nun in Kolberg ihre FepungSstrafe ab." „Die andern? Welche andern?" Mt hastiger Be wegung wandte sich der Unbekannte zu dem Invaliden herum. „Nun, der Brünnow und der Bärsch und der Blankenburg — kurz jene alle, die sich aus dem Stral sunder Blutbad ins preußische Vaterland zurückgerettet! Ist Euch denn davon nichts bekannt? Sie unterwarfen sich doch dem Kriegsgericht. Der General Blücher führte den Vorsitz. Es hat sehr wohlwollend abgeurteilt!" Die blauen Augen des Unbekannten erweiterten sich, wie die reichbeschenkter Kinder unterm Weihnachts baum. „Der König hat sie in seiner Gnade nicht verstoßen?«« brachte er endlich stockend hervor. „Unser König mußte ja — Gott sei'S geklagt! >— wie die Dinge nun mal liegen, der Gerechtigkeit freien Lauf lassen," entgegnete der Invalide in gutmütig-lehr haftem Ton, indem er sich ein wenig in die Brust warf. „Wer bei den meisten siel die Strafe sehr milde auS, und sie alle werden noch, wenn der große Tag an bricht, mit Ehren in der Armee dienen!" Ein wunderbarer Schimmer flog über des Fremden Gesicht. Masseuouflaze« für Notatt»«S»nuk. Wist Adreß- und Geschäfts» karte» vtteftt-fe, vrtesletftru Bestellzettel vroschürea, vtllett Deklarationen Lauksaguu-S» und EtaladungSbrtef« Einlaßkarte« Etikette« aller Att Faktnre«, Flugblätter Sornntlare t» div. 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Glücklicher sind wir doch noch daran als jene furchtlosen Märtyrer der Freiheit, — so schwer auch die lichtlose Gegenwart aus uns lastet, so bitter auch das Brot der Fremde schmeckt!" Und mit einem Male war's, als quölle aus der Brust des jungen bis dahin so schweigsamen Menschen ein uneindämmbarer Strom herauf. „O, wenn Ihr wüßtet, wie bitter! Ich gehörte nicht zu den Schwarzen, solange sie auf deutschem Boden standen. Erst drüben in England habe ich mich ihnen, wurzellos/ wie ich war, zugesellt. Dabei habe ich mir zum Ziele gesteckt, von jenseits des Meeres her durch Wort und .Schrift meinem Volke für seine toten Helden die Ohren zu öffnen, da mit sein Gewissen erwache, damit es, angewidert von seiner eigenen Lauheit und Halbheit, die Ketten der Fremdherrschaft zerbreche und, ein Phönix, seine Schwingen endlich, endlich zu neuem Leben entfalte!" Der Invalide starrte aus den Fremden. Sein noch kurz zuvor aschgraues Gesicht war Plötzlich wie von Sonne durchleuchtet. Die ganze hagere, bis dahin in sich zu sammengesunkene Gestalt hatte sich kerzengerade auf gerichtet. „Aber nun — nun, da ich hörte, daß mein König nach Berlin zurückkehrt — in die Mitte seines Volkes — da hat mich eine Sehnsucht gepackt, eine un bezwingliche Sehnsucht. Fortgerissen hat's mich wie mit Riesenarmen! Ich mußte erst wieder einmal Heimatluft atmen, mußte erst wieder einmal den teuren Boden meines unglücklichen Vaterlandes betteten — den heili gen Boden, auf dem mein Schill verblutete . . ." Der Fremde schlug die Hand vor die Augen. Ter alte Krieger blickte ihn an, so, als ginge ihm jetzt das richtige Verständnis auf. ,Jsa so j..! Ja so. . .!" murmelte er halb pfiffig, halb ergriffen. „Hält' ich doch gleich meinen Kops dagegen verwetten mögen, daß Ihr zu den Schillschen gehört! — Na, Gott -um Gruß, Herr!" Er klopfte dem Unbekannten in Heller Freude auf dis Schulter und hielt ihm die schwielige Rechte entgegen. Der junge Mann aber blickte ihn mit fremdem, verständnislosem Blick an. „Sie dürfen die Hand ruhig nehmen!" ermunterte der Invalide. „Sie kämpfte auch fürs Vaterland unter Schill! Bei Kolberg war's.'« Da ergriff der Fremde mit aufleuchtendem Blick die ausgestteckte Hand. Die Männer schauten sich in die Augen. „Gott steh mir bei! Cie sind doch Herr Leutnant von Kessel!" Tränen der Wehmut und Freude schossen dem alten Krieger in die Augen. Und nun hatte auch Kessel den Invaliden MeSka erkannt, der ihm kürz vor dem AuSmarsch -es Regiments aus Berlin dm Brief des Leutnants von Tempski für Schill übergeben. ,Ja, Gott zum Gruß!" rief er. Wer Weiteres vermochte er nicht zu sagm. Die Erinnerung alles Er lebten stieg zu übermächtig in ihm auf. Cie beraubte ihn der Sprache. MeSka aber jubelte. „Potztausend! Wie wird da die kleine Frau und der Herr Sohn sich gefreut haben! Wie habm die gesucht! Gaben Sie schon verloren!" „Wer? Wer?" schrie Kessel. Mit beiden Häpden packte er plötzlich dm Invaliden bei beiden Schultern. „Nun, Ihre Frau Gemahlin, Herr Leutnant, und Ihr Söhnchen! Das heißt, -um Suchen ist ja der Drei käsehoch noch zu Kein!" „Mein Gott! . . . Gütiger! Hilf mir! .... Mein Weib ... mein Sohn.. .?! Wo sind sie?" hastete Kessel außer sich hervor. Mit beiden Händen griff er sich an den Kopf, um im nächsten Augenblicke den Invaliden wieder bei dm Schultern zu -packen. ,Ja, aber wissen der Herr Leutnant denn noch nicht . . .?" „Wo? wo sind sie?" drängte Kessel. ,Jn der ältm Wohnung . . ." „Du lügst! Da sind sie nicht! Da war ich! Leer das ganze Haus. Alles verschlossen!«« sprudelte Kessel heraus. . „Ganz recht," stimmte der alte Krieger zu, dem es klar geworden, daß Kessel die Seinen noch nicht ge sunden, indem er sich mit heimlich-glückseligem Lächeln die Hände rieb. „Das Haus ist auf Abbruch verkauft. Der Herr Leutnant habm sich gewiß nicht getraut, sich eingehend zu erkundigen. Von wegen, daß der Herr Leutnant nicht gern entdeckt werden wollten. Ist auch gut! Gibt noch manchen unter uns, — eine Sünde und Schande ist's — der's noch mit dem Franzmann hält!" „Spannt mich doch nicht auf die Folter!" „So lassen Sie mich doch ausreden, Herr Leutnant! Tie Frau Gemahlin hat natürlich eine neue Wohnung bezogen!" „Meska!" „Na, kommen der Herr Leutnant nur! Sonst durch bohren mich Ew. Hochwohlgeboren noch mit Ihren schwertscharfen Blicken,«« lachte der Invalide. „Und dann kann Ihnen keiner mehr dm Weg weisen." Kessel war nicht in der Stimmung, auf die Scherze des Veteranen einzugehm. Bald von seligster Hoffnung getragen, bald von bangsten Zweifeln zu Boden gedrückt, taumelte er mehr, als! er ging, an Meskas Seite dahin. Der aber lugte ihn mit echter Husarmlust spitzbübisch von der Seite an. „Das Tonnerwetter auch. Verliebte sind sich doch alle gleich! Fragt mich nicht 'n mal, woher ich denn die Frau Gemahlin kenne." — — — .. Kurze Zeit darauf stand Kessel vor einer weißlackicr- ten Tür, auf der auf einem kleinen! Schildchen „von Ncu- marck" eingegraben war. Ein Chaos von brennenden, marternden Gefühlen schoß ihm jählings beim Lesen dieses Namens durch den Kopf. Der Mädchenname seiner Frau war's. Schämte sie sich seines Namms? Hatte sie die Absicht gehabt, auch wenn sie ihn als verloren be trachtet, sich von ihm zu trennen? Mt niederschmet ternder Gewalt stürmten diese Fragen auf ihn ein. Wer schon hatte der Invalide an der Klingel gerissm, schon öffnete sich die Türe. ,Jft die Frau Leutnant zu sprechen?«« hörte er wie aus weiter Feme her seinm Begleiter fragen. Er sah nicht, wie ein altes, ihm wohlbekanntes Ge sicht ihn mit immer größer werdenden Augm anstarrte, er sah nur, wie der Diener auf eine Stubmtür zustürztc und sie weit aufriß, da hielt eS ihn nicht länger. Plötzlich stand er auf der Zimmerschwelle. Die letzten Strahlen der sinkenden Tezembersonne fülltm dm traulichen Raum und umspannten ein junges, holdes Weib, das mit einem KNäblein auf deut Cchof?, der Sonne ab und dem Eintretenden zugewandt, saß, mit einem madonnenhaften Zauber. Ihr schlichtgescheitel tes goldbraunes Haar, das das zarte Gesichtchen um rahmte, und das blonde Köpfchen deS Kindes warm wie von einem Glorienschein umwobm. Die stämmige Gestalt eines weißbärtigen Alten neigte sich eben mit liebevoller Sorgfalt über Mutter und Kind. Himmelsluft atmete der stille Raum, — so schien eS Ernst Kessel. Wie angewurzelt stand er da au/ der Schwelle, als wage er sich nicht zu rühren, aus Furcht, das süße Bild könne bei der ersten Bewegung wie ein Traum zerfließen. Und dabei kam ein ganz wundersamer Friede in seine Seele. „Viktoria!«« flüsterte er. „Du... Tu. . .!«« Der langbärtige Alte reckte sich empor, — er äugte mit scharfem Weidmannsblick auf Kessel. Viktoria aber saß wie festgebannt. Sie flog ihm nicht entgegen. Sie nahm nur ihren Knaben fester in die Arme Md drückte ihn mit einer hilflosen Bewegung an die Brust, als wollte sie mit ihm entfliehen. Diese Bewegung brachte Kessel schier von Sinnen.