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1?0 bringen, wein Herr? Die Post geht erst morgen früh 8'/^ Uhr.' .Wird nicht nöthig sein. Ich beabsichtige heut Abend noch weiter zu fahren, vielleicht mit Extrapost. Sind Extra- poschferde hier zu haben?' .In Weidenhagen, Meile von der Station, wohl; aber der Weg ist schlecht und unsicher. Ich möchte doch nicht rathen!" .Sie haben selbst Fremdenzimmer?" .Bortreffliche! Sie sollen bedient werden wie im ersten Gasthof Berlins, waS Bett, Wein, Kaffee und Aufwartung anbelangt.' .Aber die Küche?" .Ist gut! Freilich lann ich nicht mit zehn Schüsseln dienen, aber mit einem tüchtigen Teller Suppe und einem kräftigen Kalbsbraten." .Run gut, mehr wünsche ich für den Augenblick nicht. Lassen Sie mir vor allem daS Abendbrot zurecht machen, denn mich hungert, wie einen Wolf. Dazu ein paar recht gute ' Flaschen Rothwein und zwei Gläser. Ich hoffe, Herr Wirth, Sie werden mir Gesellschaft leisten. Beim Wein können wir dann weiter über meine Reise sprechen. Nur bitte ich, schnell!" .In fünf Minuten!" rief Herr Braun, und dienstfertig eilte er nach der Küche, um seine Frau zur Eile anzutreiben, während er selbst zwei Flaschen eines wirklich vortrefflichen Bordeaux aus dem Keller holte. Der Gast gefiel ihm, und er hoffte immer noch, ihn zum Uebernachten bewegen zu können. Der Fremde batte inzwischen im Passagierzimmer an einem Tische, den die hübsche Kellnerin mit einem schneeweißen Tuche deckte, Platz genommen. Er schaute ihrer eifrigen Ge schäftigkeit mit einem gutmüthig behaglichen Lächeln zu und unterließ es nicht, ihr, als sie ihm beim Bücken mit ihren blühenden rothen Wangen ein wenig nahe kam, einen tüchtigen Kuß zu geben. .Pfui, Herr, das ist abscheulich!" rief das junge Mäd chen mit einer Entrüstung, welche zu tief erschien, um ganz wahr zu sein. .Seien Sie nicht böse, Schätzchen," sagte der Fremde harmlos lachend, .das war Ihre eigene Schuld! Sie können froh sein, daß ich sie nicht gebissen habe. Weshalb haben Sie so dralle rothe Backen, rein zum Einbeißen." .Aber, mein Herr. . ." »Nun, verwogen wir uns, Kind. Ich will Sie schon gewiß nicht mehr beim Tischdecken stören; sorgen Sie nur dafür, daß ich mein Essen recht bald bekomme, sonst freilich stehe ich nicht für mich, ich vertilge am Ende Sie selber, denn Sie sind gar zu appetitlich und ich bin gar zu hungrig!" Dem Manne konnte man nicht böse sein, er sprach zu heiter und gemüthlich, auch die hübsche Kellnerin fand das, sie vergaß ihre gerechte Entrüstung über den geraubten Kuß. Wer und was mochte wohl der Fremde sein? Sie schaute ihn mit dem Kennerblick einer Kellnerin, welche zwei Jahre in einem der ersten Lokale von M** Bier kredenzt hatte, an, aber recht aus ihm llug werden konnte sie doch nicht. Zu erst: wie alt war er wohl? Schon diese Frage brachte sie in Verlegenheit. Nach dem faltenlosen, zwar durch die Lust gebräunten, aber doch rosig frischen Gesicht, den heiter leuch tenden blauen Augen, dem zierlichen blonden Schnurrbart, der glatten weißen Stirn und dem vollen blonden Lockenhaar zu urtheilen, hätte man ihn wohl kaum für älter als 24 bis 26 Jahre halten sollen; dem aber widersprach die sich etwas zur Fülle neigende hohe Gestalt, nach der er wohl sicher auf mehr als 30 Jahre taxirt werden mußte. Roch schwerer erschien die Frage zu beantworten, welchem Stande der Fremde angehöre. Schaute sie auf die beiden ansehnlichen Lederkoffer, dann drängte sich ihr der Gedanke auf, er gehöre zu den reisenden Kaufleuten, welche zuweilen eine Streispartie nach den kleinen Städten der Umgegend machten, um neue Absatzwege für die großstädtischen Fabriken aufzusuchen. Seine elegante Kleidung sprach wohl auch für diesen Stand, nicht aber die eigenthümlich soldatische Haltung der hohen Gestalt, ein gewisses Etwas im Ton, welcher an das Kommandowort des Offiziers erinnerte, wenn der Fremde auch auf das Höflichste und Unbefangenste sprach. Die kleine Menschenkennerin wurde durch Herrn Braun, der mit zwei bestäubten Flaschen aus dem Keller kam, in ihren Studien unterbrochen. »Hier mein Herr," sagte er freundlich, indem er die Flaschen gegen das Licht hielt. »Das ist ein Weinchen. Ich denke, der soll Ihnen schmecken und Sie zum Hil bleiben ver führen!" .Uns schmecken, Herr Wirth, uns! Wenn mein Gast schlechten Wein trinken muß, trägt mein Wirth die Schuld." »Ihr Gast darf sich nicht beklagen und der meinige auch nicht, wenn er gerecht sein will," ries Herr Braun in bester Laune. »Sehen Sie, da kommt schon die Suppe, der Braten folgt unmittelbar. Hatte ich Recht, wenn ich sagte, Bedienung wie im ersten Berliner Gasthof?" »Besser, Herr Wirth, denn dort läßt sie ost manches zu wünschen übrig. Wenn Essen und Wein so gut sind, wie die Bedienung, ist man bei Ihnen wie im Himmel!" Er warf bei diesen Worten der niedlichen Kellnerin einen freund lichen Blick zu; der ihr ganz offiziermäßig vorkam, — sie hatte nämlich für Offiziere eine besondere Vorliebe. Das Essen war wirklich gut und der Wein vortrefflich. Herr Braun setzte eine Ehre darein, daß alles bei ihm gut sein müsse, und diesem Umstande hatte er es ebensowohl wie dem schlechten Wege nach Weidenhagen zu danken, daß immer hier und da Fremde bei ihm einkehrten. Er freute sich, wenn es seinen Gästen schmeckte, und seine gute Laune erhöhte sich merk lich, als er sah, daß dieser Gast der einfachen aber vortreff lichen Mahlzeit die höchste Ehre anthat. Der Fremde aß mit einer bewunderungswürdigen Vir tuosität, die Bratenstücke verschwanden spurlos; erst als der Teller leer war, legte er befriedigt die Gabel nieder. — »Jetzt ein Glas Wein, Herr Wirth," sagte er schmunzelnd. »Sie sollen leben!" — Ein Wirth, der auf diesem öden, ein samen Stationshaus den Reisenden mit einem so guten Essen und mit solchem Rothwein labt, verdient, wenn die Rechnung nicht so hoch ist, die Unsterblichkeit! Stoßen Sie an! Sie sollen leben, Herr Braun!" Herr Braun hörte mit großer Verwunderung seinen Namen nennen. »Sie kennen mich?" fragte er. Der Fremde lachte. »Ich bin kein Hexenmeister! Hier auf dem Teller steht ja der Name Braun deutlich genug mit großer, schöner Schrift, außerdem aber hat mich auch der Bahnhofs- Wirth von M** an Sie verwiesen; er meinte, Sie würden aus alter Freundschaft für ihn sich meiner wohl ein bischen annehmen und mir Auskunft geben über diesen oder jenen Herrn aus hiesiger Gegend, d.a ich hier zum ersten Male reise!" Tie niedliche Kellnerin Sophie horchte hoch auf. Also doch ein Reisender, wer hätte das denken sollen, sah er doch ganz aus wie der schönste Offizier, und er küßte auch ebenso derb und unverschämt! Herr Braun war vielleicht nicht weniger überrascht; er hatte den Herrn für einen Gutsbesitzer gehalten; daß er nun in ihm einen einfachen Handlungsreiseuden sand, war ihm in dessen gar nicht unlieb; er hatte dadurch die Hoffnung, ihn iS Also zuerst" — er sah in seinem Beutlingen — nach Weidenhagen Nest nehme ich auf dem Rückwege noch einmal zu Ihnen — also in — hm — hm — seines.Haus jetzt, künftig bei jeder Reise in diese Gegend wieder zu bewirthen; deshalb entschloß er sich auch, ganz abgesehen von der Empfehlung seines alten Prinzipals in M**, dem Reisenden so gute Aus kunft zu geben, wie irgend möglich. —- »Stehe gern zu Diensten, so weit meine Bekanntschaft reicht. Mit wem aber habe ich die Ehre?" Der Fremde zog auf diese Frage des Herr Braun ein zierliches Visitenkartentäschen hervor, aus diesem nahm er eine elegante Karte, welche er dem würdigen Wirth überreichte; der las: »Cornelius Steinert, Reisender für das Haus der Herren W. .Oldecott u. Co., Berlin." — „Oldecott u. Co., große Firma, ich habe den Namen schon ost gehört, weiß aber wirklich nicht — —" „Hier, Herr Braun, diese GeschästSkarte wird Sie besser inforiniren," unterbrach ihn Herr Cornelius Steinert, indem er ihm eine zweite größere Karte übergab. Sie lautete: „W. Oldecott u. Co., Fabrik und Engros-Lager von Cigarren, Rauch- und Schnupftabaken, Engros-Verkauf der edelsten Weine aller Länder, Engros-Einkauf und Verkauf von Wolle, Fellen, aller Arten Getreide, Sämereien und aller in das landwirthschaftliche Gebiet einschlagenden Maschinen u. s. w. Empfohlen durch Cornelius Steinert." Der Name Cornelius Steinert war auf dieser sonst gedruckten Karte mit wunderschöner Schrift geschrieben. „Sie kennen mich nun, Herr Braun," fuhr Steinert fort. „Aus der Reichhaltigkeit unseres Geschäfts können Sie ersehen, daß mir daran gelegen sein muß, sowohl mit den besten Firmen in den benachbarten Städten, als auch mit den Guts besitzern, denen ich unbesorgt Kredit geben kann, in Verbindung zu treten. Ich bin hier ganz unbekannt, da kann man abscheulich reinfallen, wenn man nicht guten Rath bekommt; aber Herr Bottrich in M** hat mir gesagt: „Auf meinen alten Braun können Sie sich verlassen, der ist treu wie Gold. Entweder er sagt nichts oder er giebt Ihnen Auskunft, so gut er kann." „Soll geschehen, Herr Steinert. Natürlich strengste Diskretion!" „Selbstverständlich. Notizbuch nach, — „in kommen wir später, das mit und komme vorher Beutlingen E. H. Heiwald. Ein feines Haus. Nicht wahr?" Herr Braun machte ein ziemlich langes Gesicht: er hatte offenbar gleich bei dieser ersten Frage keine rechte Lust mit der AutwoU heraus zu gehen. — „Hm Herr Senator Heiwald! — freilich ein aber — —" „Aber?" „Aber, das heißt dabei ist eigentlich kein Aber. Wenn Sie Geschäfte mit dem Herrn Senator machen wollen, jetzt ist er ihnen ebenso sicher, wie sein Bruder, der Herr Karl von Heiwald auf Gromberg." „Jetzt!" Also früher nicht? Was ist's mit dem Senator Heiwald? Sie haben zu viel oder zu wenig gesagt, Herr Braun." „Hm, — man verbrennt sich eben nicht gern den Mund!" »Strengste Diskretion, Herr Braun! Mein Wort darauf. Was Sie mir auch sagen mögen, Niemand soll erfahren, daß Sie es mir gesagt haben. Stoßen Sie an darauf." Sie stießen an und leerten die Gläser; die zweite Flasche ging schon ziemlich auf die Neige; auf einen Wink Steinerts holte die Kellnerin eine dritte. Herrn Steinert merkte man es nicht an, daß er fleißig sein Glas gefüllt hatte, wohl aber Herrn Braun, dessen rundes Gesicht fast so roth war, wie sein guter Wein; der löste ihm auch die Zunge und machte ihn mittheilsamer als er sonst wohl gewesen wäre. Als Herr Steinert ihn nochmals freundlich aufforderte, frei von der Leber weg zu reden, schlug er mit der Faust auf den Tisch und rief: „Warum auch nicht? Was geht mich der Senator Hei wald an? Vor dem fürchte ich mich noch lange nicht und ebensowenig vor dem stolzen Herrn von Heiwald, seinem Bruder! Mag der so vornehm thun, wie er will — wo er sein bischen Geld her hat, weiß ja doch hier Jedermann, wenn man auch nicht gern davon spricht." „Heraus mit der Sprache, Herr Braun! Strengste Diskretion, mein Wort darauf!" „Sei's denn, aber das ist eine lange Geschichte! Ich bin es Ihnen übrigens ohnehin schuldig, sie zu erzählen, denn ich kann Sie doch nicht mit gutem Gewissen bei Nacht nach Beutlingen fahren lassen, damit Ihnen auch unterwegs der Hals abgeschnitten wird. Lassen Sie nur ruhig Ihre Koffer auf das Zimmer bringen, heut Abend reisen Sie doch nicht mehr, wenn Sie meine Geschichte gehört haben!" „Davon später, wir haben noch lange Tag. Jetzt aber schießen Sie los, Herr Braun, Sie haben mich mächtig neu gierig gemacht." — Herr Braun füllte sich wieder daS geleerte Glas, dann legte er sich im Bewußtsein der Wichtigkeit seiner zu erwar tenden Mittheilung im Stuhl zurück, und nachdem er kurze Zeit überlegt hatte, begann er: „Es sind jetzt gerade sechs Jahre, daß ich von M** hierher gekommen bin. Ich hatte keine Ahnung davon, waS dies hier für eine nichtsnutzige, gottvergessene Gegend ist, sonst wäre ich fein wo anders hingegangen, denn mit guter Bedienung, gutem Wein und Bier und gutem Essen bei billigen Preisen findet ein ehrlicher Wirth, der daS Geschäft versteht, überall sein Brod. Auch hier fchlt's mir nicht, ich kann nicht vagen, aber es ist doch so schlimm, wenn man jeden Tag darauf gefaßt sein muß, Mord- und Raubgeschichten auS der nächsten Nähe zu hören." „Ich habe auch schon gehört, daß Ihre Gegend hier etwas verrufen sein soll. Ist es denn wirklich so schlimm?" „Ob es schlimm ist? — Na, ich sollte denken! — Die große Haide, welche sich zwischen dem Sternkrug und Beut lingen hinzieht, heißt nicht umsonst die Diebeshaide und könnte noch viel richtiger die Mordhaide heißen. Dort ist schon vor langen Jahren ein Sammelplatz von Spitzbuben jeder Art gewesen. — Ich will nichts davon sagen, daß die Bauern in den armen zerstreuten Dörfern sämmtlich vielfach bestrafte Wild ernd Holzdiebe sind, — das ist ja nicht so schlimm, wovon sollten denn die armen Leute leben! — aber auch sonst sind sie ein gar böses Gesindel. — Der Förster Scholz, den man, es ist jetzt gerade ein Jahr her, mit ganz zerschlagenem Kopf in der Diebeshaide todt gefunden hat, ist schon der zweite Forst beamte, der seit meiner Zeit von dem Gesindel todtgeschlagen ist." „Hat der Senator Heiwald mit dem Gesindel zu thun?" „Wer kann das wissen? Auf den komme ich übrigens gleich. Gerade als ich hier vor sechs Jahren die Bahnhofs- Restauration einrichtete, war die ganze Gegend in Aufruhr über eine Mordthat, welche allgemeines Entsetzen verbreitete. Ein reicher polnischer Viehhändler, Namens Saworski, eia Jude, der in Beutlingen von dem Senator Heiwald eine große Geldsumme auf einen Wechsel eingezogen hatte, verschwand plötzlich. Er hatte seinen Wagen von Beutlingen nach dem Sternkrug vorausgeschickt, um das etwas von der Straße abseits liegende Gut Gromberg, wohin ein bei gutem Wetter kaum fahrbarer Weg führt, zu Fuß zu besuchen, well er mit Herrn Karl von Heiwald noch ein Viehlieferungsgeschäst abschließen wollte. Seitdem hat man ihn nicht wiedergesehen,"