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iesaer H TageblM und Anzeiger Mtblalt »i- Artiger). der Trlegramm-Adreff« „r«t«b!att'. Ries«. Amtsötalt 8«mlpnchstel, Rr. » König!. Amtshauptmannfchast Großenhain, des König!. Amtsgerichts und des StadtraHs zu Riesa. SS«. Freitag, S«. Oktober 18S4, «vendS. 47. Jahr,. Dos Rieiaei Tageblatt rrichei», icdrn Ta, Abends mit Ausnahme der Lvnn- und Fesitage. Vieneljährlicher Bezugspreis bet Abholung tn den Expedition« in Riesa und Strehla, d« NeRDatHMMh sowie am Schalter der lauert. PostanstaUrn 1 Mart 25 Ps., durch die Tröger tret ins Hau« l Mar» SO Ps., durch den Briefträger frei tu« Hau» 1 Mart «k Pf. Anzrißrn A»nehme pr hh» M»W» de» Ausgabetages bis Bormittag S Uhr ohne Gewühr. > Druck und Verlag von Langer L Winterlich in Riesa. — Geschäftsstelle: Kaftauteuftraße VS. — Für die Rchaetia« »««tmorUich: Hai«. Gchmsht s, M«I>» LVH . uuaufschiebliche Sachen ihre Erledigung. Die Expedition des Standesamtes ist an diesen Tagen Vormittags von 11 bis 12 Uhr geöffnet. > o . . Riesa, den 22. Oktober 1894. Nächste« Montag und Dienstag, den SV. «nd »v. Oktober dieses Der Stadtratl» Jahres, finden bei der unterzeichneten Behörde wegen Reinigung der Geschäftsräume nur Klütrer Laaesgeschichte. ! Die italienische Regierung hat am Dienstag einen Schlag gegen den Sozialismus geführt, der an Gründlichkeit und Kühnheit in der sozialen Bewegung der Neuzeit nicht seines gleichen hat. Durch Verfügung der Regierung sind sämmt- liche sozialistischen Vereine — von denen Mailand allein 55 aufzuweisen hatte — aufgehoben und aufgelöst worden. Die Maßregel war so gut geheimgehalten worden und wurde so pünktlich ausgeführt, daß nirgends auch nur der Versuch ge macht wurde, Widerstand zu leisten, denn Meldungen von Tumulten in Imola haben sich als unbegründet erwiesen. Es ist nicht zweifelhaft, daß die italienische Regierung schwer wiegende Gründe dafür hatte, von den weitgehenden Voll machten, welche die Gesetzgebung ihr in diesem Sommer in die Hände gelegt hat, einen solch umfassenden Gebrauch zu machen, und daß sie die Gewißheit hat, daß die Volksver tretung sie bei diesem Schritte stützen wird. Das ist um so eher anzunehmen von einer Verwaltung, an deren Spitze Erispi steht, dessen politische Vergangenheit den Verdacht e- rer planlosen Reaktion im Voraus abweist, und der noch vor einigen Jahren der Ansicht war, daß man den Sozialis mus mit den Waffen des Geistes bekämpfen muffe und könne. Ein Mann wie er wird nicht ohne zwingenden Anlaß seine Meinung geändert haben. In Italien hat sich von jeher die soziale Bewegung in allerlei Geheimbünden und Bruder schaften offenbart, die von anarchistischen Anschauungen durch tränkt, von Zeit zu Zeit geradezu in Landplagen ausartetcn. Die Maffia und die Camorra im Süden, die schwarzen Dolch brüder in Livorno und die jüngste Organisation der Fasci in Sizilien sind Beweise dafür. Wie weit die Verzweigung dieser Geheimbünde geht, zeigte sich noch im März bei der Wahl in Livorno, wo 3200 Wähler für den anarchistischen Mörder Mergu stimmten. In Italien ist auch deutlicher ls anderwärts die Thatsache zu Tage getreten, daß der -Lozialismus die eigentliche biährmutter des Anarchismus ist, und es heißt, daß die Sozialisten ihren Genossen vom Do ch und von der Sprengbombe bereitwillig Unterschlupf ge währten, nachdem letzteren die neuen Polizeigcsetze das Hand werk verdorben hatten. Sozialisten nach deutschem Muster giebl es eigentlich nur in der Lombardei, und diese haben jetzt mit ihren anarchistisch angehauchten Namensvettern büßen müssen. Wir wollen mit der „K. Ztg." das Vorgehen Italiens nicht als Vorbild für Deutschland empfehlen, wo der Männerstolz vor Königsthronen schon in Helle Entrüstung umschlägt, wenn es sich darum handelt, gesetzliche Bestimmungen gegen den Umsturz zu treffen, mit bene» alle anderen Nationen bereits voraufgegangen sind; aber der Gegensatz zwischen hier und dort, zwischen den deutschen „Polizeistaaten", die nachgerade ein Eldorado der Sozialisten und Umstürzler geworden sind, und dem freien, parlamentarisch regierten Italien, das kurzer Hand den Hehler mit dem Dieb aushebt, giebt doch zu denken. Wie ein Durcheinander von Kraut und Rüben und wer weiß was sonst noch sieht der Bericht aus, der in dem of fiziellen Parteiblatt über den zweiten Sitzungstag des sozial demokratischen Parteitages erstattet wird. Allerdings ist das nicht Schuld des Berichterstatters, sondern vielmehr nur die unausbleibliche Folge der Art, wie die Verhandlungen selbst geführt wurden. Rund 20 Anträge, welche die verschieden artigsten Gegenstände behandelten, wurden gemeinsam zur Debatte gestellt. Daß diese keine gründliche, vertiefte sein konnte, versteht sich wohl von selbst. Ebenso selbstverständlich ist cs, daß es wieder nicht an zugespitzten Bemerkungen fehlte, welche sich auf die Stellung der Parteigenoffen zu der Reichs, tagsfraktion bezogen und insbesondere durch ein paar abfällige Aeußerungen des früheren Parteisekretärs Fischer über jenes Limmelsammelsurium von Anträgen veranlaßt wurden. Ob wohl der Fraktion nicht direkt Unthätigkeit vorgeworfen wurde, so wurden doch Andeutungen laut, daß es doch etwas zu bourgeoismäßig aussehe, wenn die Fraktion die ihr Parteitage überwiesenen Anregungen muner nur zur „Er wägung" nehme, um sie, nach Art de« BundeSratheS, alsdann in ihrem Schoße zu „begraben." Angenommen wurden schließlich nur nachstehende Anträge: Einbringung eines An trages im Reichstage auf Einführung des achtstündigen Ar beitstages; Interpellation im Reichstage betreffend eine ge meinsame statistische Zusammenstellung über Einnahmen und Ausgaben, insbesondere über die Verwaltungskosten bei der Unfall- und JnvaliditätSversicherung; Lohnschutz gegenüber betrügerischen Unternehmern; Reichsenquete über Arbeils- losigkeit; Einbringung eines Gesetzentwurfs, wonach die Un terstützung aus öffentlichen Mitteln nicht mehr den Verlust der staatsbürgerlichen Rechte (Wahlrecht) zur Folge haben soll; Interpellation betreffend nichsgesetzliche Regelung des Kabrikinspektorats; Gewerbegerichtskammern für Handlungs gehilfen und Gehilfinnen; Neueinbringung des sozialdemo kratischen Arbeiterschutzgesetzentwurfes.Interpellation darüber, was die Regierung gegen die herrschende Arbeitslosigkeit zu thun gedenke; periodische Aufnahmen über Arbeitszeit, -Löhne und Arbeitslosigkeit; Reform des Altersgesetzes, insbesondere Herabsetzung der Altersgrenze; Abänderung oes Reichswahl rechts, dahin, daß Wähler, welche durch ihre Erwerbsver hältnisse verhindert find, ihr Wahlrecht am Wohnorte aus zuüben (Schiffer, Hausirer, Flößer, Bau- und Ziegeleiarbei ter rc ) am Orte ihrer Arbeitsstätte wählen dürfen; Ver- antwortlichkeit von Beamten für schuldbare Handlungen und Unterlassungen; Unzulässigkeit einer Beschränkung des Schank gewerbes durch die Landesgesetzgebung in Bezug auf Lust barkeiten und Ausschank zu einer bestimmten Zeit; reichsge setzliche Regelung des Vereinswesens; Interpellation betreffend Vorgehen der Behörden gegen die Bergarbeiterkasinos im Saarrevier; Interpellation betreffend das Amtsgericht Lan genselbold, welches sozialdemokratischen Vätern das Recht zur Erziehung ihrer Kinder aberkannt hat; Wahlrecht der Ar beiterinnen zum Gewerbegericht; endlich Verbesserung des Gewerbeinspektorats. Ausdrücklich sei noch die Ablehnung folgender Anträge erwähnt: betreffend Aufhebung des Impf zwanges, sowie betreffend Aushebung des Elsässischen Diktatur paragraphen. — Gestern lehnte der sozialistische Parteitag den Antrag v. Vollmar, die Anträge, welche die Bewilligung des bayerischen Gesammtbudgets durch die sozialistischen Ab geordneten tadeln, als erledigt zu betrachten, an. Hierauf wurde über das Amendement Stadthagen abgestimmt, welches beantragt, in der Bebelschen Resolution („Da die Regierun gen die sozialdemokratischen Bestrebungen kräftig bekämpfen, ist es nothwendig, daß die Sozialdemokraten in den Land tagen ein Vertrauenszeichen nicht geben und somit, da die Bewilligung des Gesammtbudgets als Vertrauensvotum gilt, in der Gesammtabstimmung gegen das Budget zu stimmen haben") statt der Worte: „da die Bewilligung des Gesammt- vudgets als Vertrauensvotum gilt" zu setzen: „insoweit die Bewilligung des Gesammtbudgets ein Vertrauensvotum für die Regierungen darstellt." Dieses Amendement wurde mit 131 gegen 103 Stimmen angenommen. Der in diesem Sinne geänderte Antrag Bebel wurde jedoch mit 164 gegen 64 Stimmen abgelehnr. Da alle anderen Anträge vorher zurückgezogen worden waren, war die Angelegenheit damit erledigt. Deutsches Reich. Der Empfang der ostpreußischen Deputation des Bundes der Landwirthe durch den Kaiser wird auf agrarischer Seite als Symptom des Erfolges der geschickten Versöhnungspolitik des Grasen Eulenburg bezeichnet. Es liegt die Annahme nahe, daß die Wendung, die durch diesen Empsang in der Stellung des Bundes der Landwirthe markirt wird, auch in der Leitung des Bundes zum Ausdruck gelangt. Für den hierzu erforderlichen Personenwechsel soll auch bereits gesorgt sein. Der Entwurf einer Revision des preuß. Handelskammer- Gesetzes von 1870 ist nunmehr srrtiggestellt und soll dem Landtag bei dessen nächster Tagung zugehen. Die Vorlage bringt eine Neueintheilung der Sitze von Handelskammern ; es soll kein Kreis mehr unvertreten sein, und deshalb im Osten eine Vermehrung der Handelskammern, im Westen — ' «--- " ^rgangsstadium — eine Zusammenlegung der auzu vr..» len und minder leistungsfähigen eintreten. Weiter ist ein Ersatz der Reisekosten für die nicht am Sitz der Kammer wohnenden Mitglieder vorgesehen. Endlich ist versuchsweise eine übergeordnete Instanz, eine Art HaittelS- rath angeordnet. Eine Verschuldungs-Statistik wird in Bayern von feiten des Ministeriums des Innern ausgenommen. Die Statistik soll in je drei Gemeinden jedes Regierungsbezirkes, also in 24 Gemeinden, die als typisch zu gelten haben, durch besondere, mit der Landwirtschaft in steter Kühlung stehende Kommissare und unter Mitwirkung der Organe des Landwirthschaftlichen Vereins erfolgen und insbesondere auch das Grund-Kredit wesen wie überhaupt alle Belastungen zum Gegenstände haben. In meist gut unterrichteten Kreisen ist das von uns gleichwohl nur unter Vorbehalt wicdergegebene Gerücht ver breitet, daß Kaiser Wilhelm die Absicht habe, den Fürsten Bismarck einzuladen, der geplanten Feier der Schlußstein, legung für das neue Reichstagshaus beizuwohnen. Daß der frühere Reichskanzler bei einer solchen Feier kaum bei Seite gelassen werden könnte, wird wohl niemand bestreiten mögen. Andererseits ist allerdings kaum anzunehmen, daß der Ge sundheitszustand des Fürsten Bismarck diesem gestatten würde, einer solchen Einladung zu folgen und der anstrengenden Feier in dieser ungünstigen Jahreszeit beizuwohnen. Frankreich. Das alberne Gerücht von der Vergiftung des Zaren veranlaßt den „Jntrausigeant" zu der Bemerkung: „Man hat am russischen Hofe einen französischen Arzt ver langt; aber der deutsche Professor Lehden hat sich der Inter- vention eines unserer Hospitalärzte widersetzt. Ohne Zweifel fürchten die Deutschen das Licht in dieser finsteren Geschichte." Nun ist es also heraus: Der Zar ist durch die Deutschen vergiftet worden ; es hilft kein Leugnen mehr. Die „Libre Parole" ihrerseits macht die Juden für den Tod des Zaren verantwortlich. Das Thema von der Nichtberufung eines französischen Arztes an das Krankenlager des Zaren spielt überhaupt in den Pariser Blättern eine gewisse Rolle. Be sonders beschäftigt sich, wie schon mitgetheilt worden ist, „Figaro" viel damit; als Trost für diesen Schmerz versichert er, die zu große räumliche Entfernung habe eine solche Be- rufung nicht gestattet. „Gaulois" dagegen ist erstaunt, daß man gewisse Spezialitäten systematisch vom Zaren entfernt gehalten habe, welche ihn mit mehr Einsicht und Hingebung behandelt haben würden, als diejenigen, mit denen man ihn umgeben hat. Folgen die Namen eines englischen Arzte» und dreier französischer Aerzte. Sollte der Zar wirklich seinem Leiden erliegen, so werden wir sicher in einem oder dem anderen Blatte zu lesen bekommen, daß er am Leben geblieben wäre, wenn er einen französischen Arzt berufen hätte. Rußland. Einige bemerkenswerthe Aeußerungen des Zaren über seinen Zustand werden der „Köln. Ztg." aus Petersburg mitgetheilt. Seit einiger Zeit bereits weiß der Kaiser, daß nach menschlicher Berechnung für ihn keine Rettung mehr vorhanden ist. Er nahm diese ihm auf sein bestimmtes Verlangen von den Acrzten gemachte Erklärung mit echtem Mannesmuth entgegen und bewahrt fortgesetzt seine volle Ruhe und sein ergebungsvolles Gottoertrauen. Davon zeugt auch folgende verbürgte Aeußerung, die der Zar wenige Tage später machte, als sein Befinden sich vorübergehend etwas besserte: „Es ist betrübend", sagte Alexander III., „wenn man in meinen Jahren in den Tod gehen soll, wenn ich persönlich auch nicht so sehr am Leben hänge. Sollte aber Gott der Herr mein Leben noch für mein theures Rußland für nützlich erachten, so wird er mich gesund machen, wie er mich ehedem bei Borki errettet hat." Vom Kaiser selbst gingen dann die Befehle aus, die nach seinem Hinscheiden wichtige Thronfolgerfrage sofort zu rezeln, und desgleichen der Wunsch, noch die Braut seines Sohnes persönlich segnen zu können. Seit Dienstag verlautet gerüchtweise, die Aerzte hofften noch zwei bis drei Wochen da« Leben des Zaren ver längern zu können. Im Zusammenhang damit wird be- hauptet, daß die stille Vermählung des Thronfolger« noch etwas hinausgeschoben würde und der Aufnahme der Braut in die orthodoxe Kirche nur sofort die „kirchliche Verlobung" (Obrutschenje) folgen werbe. Mit ihrem feierlichen Ring-