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Riesaer K Tageblatt ««v (SltrßW «V Llyetzch. Amtsktatt "«* der Königl. AmtShauptmannfchast Großenhain, des Königl. Amtsgerichts und des StadtrathS zu Ries«. s«. Donnerstag, 7. MSrz 1885, Abends. 48. Aahrg. Da» Riesaer Tageblatt erscheint jeden T-, Abend» mit Ausnahme der Sonn- und Festtag«. Vierteljährlich« Vepq»prri» bei Abholung tn den Expedition« in Micha und Strehla, d« WchMBlßMU imoi» am Schalter da laijal. Postanstalten 1 Mart 2S Ps., durch dir Träg« frei tn» Hau« 1 Mark SO Ps., durch den vrichtrilg« frei in« Hau» 1 Mart SS W. Tlizttß» Ann.hn» p» HM M»W» de» «u«gabrtage» bl» vormittag S Uhr ohne Gewahr. Druck und Verla, von Langer A Winterlich in Riesa. — «ejchäft-ftrll,: «aftautenitraß» SV. — Fltr die Rrdactimr vmnMvmtllch: G„» Gchmhh» M Ntal» Im Gasthofe zur „Linde" in Neu-Weida soll Sonnabend, den 9. März 1895, Borm. 1« Uhr I Schreibpult mit Trittbrett, 1 Taschenuhr (Remontoir) und 1 kurze Kette (Gold öoudls) gegen sofortige Bezahlung meistbietend versteigert werden. Riesa, 6. März 1895. Der Ger.-Vollz. des Kgl. Amtsger. Sekr. Eidam. Bekanntmachung. Das Geschäftszimmer des Königlichen Proviant-AmteS zu Riesa befindet sich vom 1. April d. Ihrs, ab Garteustratze «, I. * Horn, Proviant-Amts-Rendant. h sd »d hh für das „Riesaer Tageblatt" erbitten uns spätestens bis * N " Bormittags v Uhr des jeweiligen Ausgabetages. Die Geschäftsstelle. Verbot der Judeneinwanderung. Der Reichstag hatte gestern eine stürmische Sitzung. Er setzte die am letzten Schwerinstage abgebrochene Be- rathung der Anträge Freiherr v. Hammerstein und Lieber mann v. Sonnenberg, betreffend das Verbot der Judenein wanderung, fort. Damit ward die Berathung des Antrages Hasse verbunden, betreffend den Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit. Der Antrag Haffe wünscht die Vor lage eines Gesetzentwurfs, der diese Materie regelt und for dert, daß in dem Gesetzentwurf der Grundsatz der Erschwerung des Verlustes der Reichs- und Staatsangehörigkeit, sowie auch der Naturalisation Fremder in Deutschland zur Geltung komme. Adz. Hasse (nat.-lib.) begründet sein n Antrag und bemerkt, er sei ein Gegner der Anträge v. Hammerstcin und v. Liebermann und des Antisemitismus überhaupt, weil > derselbe die Unduldsamkeit nähre und Leidenschaften großziehe. I Der Antisemitismus habe eine gewisse Berechtigung in s nationaler und winhschastlicher Hinsicht. In seinem Anträge handele es sich aber nicht um diesen Punkt; sein Antrag fordere, daß für die Naturalisation nationale Gesinnung und Erwerbsfähigkeit verlangt werde und daß den Auswanderern das Ausscheiden aus dem StaatSoerbande erschwert werde. Er empfehle als Zentralbehörde zur Prüfung der Naturali- fationsgesuche das Bundesamt für Heimathswesen. Abg. Rickert (fr. Vgg.) wendet sich gegen den Antrag Hasse. Der Verkehr lasse sich durch solche chinesische Mauer nicht hemmen. Bezüglich der antisemitijchen Anträge kon- statire er, daß der Bund der Landwirthe ganz antisemitisch geworden sei. (Abg. v. Plötz und Genossen rufen: Sehr gut! Sehr wahr!) Die Antisemiten erstrebten die Aufhebung der Gleichberechtigung der Juden. Die antisemitischen Anträge widersprächen den Handelsverträgen und auch der christlichen Liebe, von der man so viel rede. Im Laufe eines ganzen Menschenalters seien in Deutschland nur 19000 Juden ein gewandert, von denen 7000 naturaliflrt wurden. Demgegen über solle Deutschland in Gefahr sein? StaaiSsekretär Dr. ».Bötticher erklärt, er habe die Meinung des BundeS- rathes noch nicht sondirt. Die Anträge erschienen zulässig, soweit sie den Erwerb der StaqtSangehörigkeit hindern, wollen. Ls widerspreche aber den Handelsverträgen, wenn die Anträge es unmöglich machen wollten, daß ein einem Ber- tragsstaat angehöriger Jude in Deutschland Handel treibe. Es sei aber nicht verwehrt, aus polizeilichen Interessen Aus länder auszuweisen. Abg. Dr. Lieber (Zentr.) meint, der Antrag Hasse sei nicht genügend molivirt. Bezüglich des Antrages von Liebermann sei zu bemerken, das Verbot der Einwanderung sei einfach vertragswidrig. Zu den bayrischen Reservatrechten gehöre auch die Regelung des Hcimaths- und Niederlassungswesens; das hätten die Konservativen in ihrem Anträge zum Ausdruck bringen sollen. Das Zentrum sei gegen jedes Ausnahmegesetz. Die jüdischen Mitbürger gäben allerdings zu manchen «lagen Anlaß; solche «lagen würden aber nicht allein durch Juden veranlaß:. Das Zentrum könne dem Ausnahmegesetz nicht zustimmen, wenn cs an die j Gese; e des Kulturkampfes zurückdenke, woran allerdings auch j Juden theilgenommen und alles Heilrge in den Staub ge- i zogen hätten. DaS Zentrum wolle mcht, duß es heiße: Heute die Juden, morgen die Polen, übermorgen wieder die Katho liken. (Beifall im Zentrum.) Abg. Dr. Hermes (fr. Bp.) erklärt es für Sünde und Schande, daß solche Anträge ge stellt und solche Reden gehalten würden, wie von den Antise miten. (Präsident erklärt diesen Ausdruck in Bezug auf Mitglieder de« Hauses für unzulässig.) Redner bespricht ein gehend die vor acht Tagen gehaltenen antisemitischen Reden und wird wiederholt durch Unruhe und Zwischenrufe recht- unterbrochen. Der Berliner fürchte sich nicht vor Berjudung. Ja Berlin leb« der Jude in Frieden mit allen anderen Konfessionen. Die Juden fürchteten sich zwar auch nicht vor dem Antisemitismus. Wir wirken in größter Harmonie mit den Juden überall in der Verwaltung, wenn wir noch einen Wunjch haben, ;o ist es der (Rufe rechts: Noch mehr Juden zu Haven! Heiterkeit.)— nein, daß Andere sich diese Har monie zum Muster nehmen. Aber Sie wollen davon nichts wissen; Sie betrachten den Juden nicht als Nächsten, sondern machen nur einmal bei einer hübschen Jüdin eine Ausnahme. (Heiterkeit, Unruhe rechts.) Sie handeln nicht im christlichen Geiste, nicht im Geiste des Stifters unserer Religion, der Jude war. (Rufe rechlS: Oho! Pfui! Unruhe.) Nach unserer Verfassung sind die Juden gleichberechtigt, sie bezeugen auch dieselbe Treue zu Kaiser und Reich, wle die anderen Bürger. Worin sind denn die Antisemiten dm Juden überlegen? Sie üben eben keine Lugenden; sie schüren den «lassenkampf und unterwüylen den Staat und die Gesellschaft. Der Antise mitismus ist eme Schmach für Deutschland und schlimmer als die Sozialdemokratie. Ich bitte, ow Anträge s limlns abzuweisen. Abg. o. Langen (kons.) kritisirt die zu der Sache ge haltenen Reden und bemerkt, wenn man so lange warten wolle, bis alle Juden Deutsche geworden, Io werde man eher erlebe«, daß alle Deutschen Juden würden. (Heiterkeit.) Das zeige stch ja schon im «leinen. Denn als man einmal einen ltemen Judenjungen, der zu sehr mauschelte, in eine Klaffe von reinen Deutschen steckte, damit er das Mauscheln ver lerne, da kam er zu den Ferien nach Hause und mauschelte noch, und als man ihn fragte, warum er noch nicht richtig deutsch sprechen könne, da sagt« er: Aber die ganze Klasse mauschelt. (Stürmische Heiterkeit.) Wenn der Abg. Rickert den Großen «urfürften erwähnt habe, so möge es sein, daß er in späteren Jahren die Juden zugclassen habe, weil er Geld zu seinen Kriegen brauchte. (Große Hetterheit.) Die Freisinnigen wollten die Anwerbung von Lhmesen verbieten, die Einwanderung der Juden aber erlauben. Jüdische Land arbeiter gebe es eben nicht; die seien noch seltener als die Germanen an der Börse. (Große Heiterkeit.) Der Abg. Paasche habe unrecht gethan, den Abg. Sachße wegen seines Dialektes zu verhöhnen. Da« sei eben gerade schön, daß alle Dialekte hier vertreten find; nur einer dürfe im Reichstage nicht laut werden, das Mauscheln. (Stürmische Heiterkeit.) Der Abgeordnete Paasche sei nicht antisemitisch, nicht philo- semitisch; se, das vielleicht nationalliberal? (Große Heiter keit.) Der Abgeordnete Rickert habe den Geist der Zeit nicht verstanden; es sei dies der deutsch-nationale Geist, oen uns Fürst Bismarck erworben. (Beifall rechts.) Darrn gebe er dem Abg. Rickert Recht, daß wir uns vor den Juden nicht zu fürchten haben. Nein, weil wir aufgewacht find. In Manchem seien sie uns über; sie seien flauer, gerissener, skrupelloser, gewissenloser. (Beifall recht«.) Die rujstschen Juden seien doch zweifellos russische Erzeugnisse (große Heiterkeit, Rufe: Aul); da sollte man doch meinen, sie seren, da sie auf die Moral ansteckend wirken würden, von oer Ein fuhr vertragsmäßig ausgeschlossen. Dem Abg. Dr. Lieber müsse er sagen, daß es sich um em Ausnahmegesetz gar nicht handele, denn gegen Ausländer könne man doch mcht von Ausnahmegesetzen reden. Der Abg. Hermes habe von der Hetze gegen die Juden gesprochen, die brutsche Staatsbürger seien; daran denke er nicht, die Hetze gegen Junker und Agrarier zu mißbilligen, nein, immer Juda« geheiligte Ma- jestät l Der Abg. Hermes verwechsele Ursache und Wirkung, wenn er darauf aufmerksam mache, daß in Sachsen, wo Juden seien, Ruhe und Wohlstand herrsche. Die Juden gingen eben nicht in arme Gegenden, wo es nichts zu holen gebe (Heiter keit); so hänge die Sache zusammen. Der Abgeordnete Hermes sei auch als Dissident am wenigsten berechtigt, Vor lesungen über Ehristenthnm zu halten. Redner bringt aus der Gieseschen Schrift eine Statistik darüber bei, daß unter den wegen Vergehen« gegen da« Sigenthum Bestraften die Juden überwiegen, ebenso auch bet den Vrrurtheilungeu wegen Vergehens gegen andere Religionsbekenntnisse rc. Weiter fehle es immer an jüdischen Arbeitern, wo es stch um Ge werbe mit schwerer Arbeit handele. Die Juden seien ein anderes Volk als wir, mit anderen geistigen Ansichten, mit anderer Moral. Aber wir wollen weiter nichts, als von dem, was wir haben, nichts mehr; wir haben mehr als genug davon. (Lebhafter Beifall rechts.) Abg. Schmidt (Elberfeld, fr. Vp.) beantragt den Ueber- gang zur einfachen Tagesordnung bezüglich de« Antrages Liebermann v. Sonnenberg. Bon anderer Seite wird be- Mich der Anträge von Hammerstein und Haffe der Schluß der Debatte beantragt. Nach der Geschäftsordnung erhält bei Antrag auf eine Tagesordnung ein, Redner für und einer gegen denselben das Wort. Abg. Richter (fr Bp.) begründet den Antrag Schmidt unter Hinweis darauf, daß bei einer solchen Debatte die Geschäfte leiden müßten, denn auf diese Weise schleppe sich die Diskussion noch bis in die nächste Woche. Außerdem sei der Antrag ohne jede «enntniß der bestehenden Gesetze und Verträge gestellt. Endlich zeige die Debatte, daß tatsächlich der Ton im Reichstag herabgekommen sei. Im alten Reichstage wären solche Debatten nicht mög lich gewesen. (Widerspruch recht»; lebhafter Beifall links.) Abg. Dr. Förster (deutsch-soz. Refp.) widerspricht diesen An- sichten. Die Debatten hätten für das Volk, dessen Vertreter sie seien, einen großen urd Hohen Werth, namentlich so sach liche Reden, wie die des Herrn v. Langen. (Lachen links ) Man müsse ihnen das Recht der Gegenwehr geben gegen die Angriffe, wie die de« Herrn Hermes. Dieselben seien gerade zu gewöhnliche Schimpfreden gewesen. (Präsident v. Levetzow rügt den Ausdruck, als gegenüber einem Mitglied des Hauses für unzulässig.) Es wäre ungerecht, einer kleinen Partei da« Wort nicht zu geben; das sei Vergewaltigung. Sie seien ja eben aufgefordert worden, statistische- Material beizubringen ; sie brächten Material, sie bekämpften den wahren Umsturz. (Glocke des Präsidenten; Mahnung, zum Anträge zu sprechen.) Redner bitter wenigstens um das Schlußwort für einen seiner Parteiangehörigen. Der Antrag auf Uebergang zur einfachen Tagesordnung bezüglich des Antrages v. Liebermann wird gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und Konservativen angenommen. Der Antrag auf Schluß der Debatte hinsicht lich der beiden anderen Anträge wird abgelehnt. Die Debatte geht also weiter. Das Wort erhält zunächst der Abg. Ahl- wardt, der unter großem Tumult di« Rednertribüne betritt. Inzwischen ist Staatssekretär Frhr. v. Marschall eingetreten. Abg. Ahlwardt führt aus, er und seine speziellen politischen Freunde (Gelächter, Redner bemerkt, gewiß habe er viele Freunde im Lande) bekämpfe die Juden nicht ihrer Religion wegen, sondern wegen ihrer Rasseeigenthümlichkeiten. Die Germanen ständen auf dem Nährboden der Arbeit; die Juden aber wollten nicht arbeiten, nicht Werthe schaffen, sondern bas von anderen Erworbene diesen nehmen. Das Gesammt- verhältniß der Juden zu den Lhristen gebe kein richtige« Bild; da« gewinne man aber, wenn man die Stellen ansähe, wo dle richtigen Erwerbsoerhältnifle wären, wie in Berlin in der Leipzigerstraße. In Frankfurt a. M. hätten die Juden die eingeborenen Frankfurter herau-gedrängt in die Vorstädte; sie selbst säßen brin. Der Jude sei eben ein Raublhier. (Große Heiterkeit.) Die Juden stehen uns ganz anders gegenüber al« die Russen, Dänen, Engländer, Polen. Diese arbeiten alle mit uns auf demselben Kulturboden und sind nach Jahren gar nicht zu unterscheiden. Bei den Juden ist da« ganz ander«; sie haben geschwindelt so lang sie bei un« waren. Herr Rickert hat gesagt, wir hätten schon zuviel Gesetze. Wenn wir die Juden hinauSwerfen, dann könnten wir die Hälfte der Gesetze abschaffen. (Heiterkeit.) Rennen Sie eine einzige groß« Judrnfirma hier in Berlin, die SOO Millionen Mark besitzt. Wo kommen die her? Sind die etwa von den Juden erarbeitet ? Rein ; an jeder klebt da« Blut und der Schweiß de» Lhristen. Wie viele möge« da-