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Ich rüfe eS mit namenlosem Mitleid und breite meine Arme nach ihr aus, wie damals, als ihre Mutte» starb und wir zwei allein blieben. „Ich habe es gewußt," stößt sie hervor. „Wir haben ost darüber gesprochen, ich bat ihn, in mir eine Schwester zu scheu. " „Mein tapferes Mädchen! Ich habe es vermutet — Gott helfe es dst tragen." Sie lehnt das Köpfchen an meine Schulter, und ich fühle, wie ihr Leib bebt, aber die Augen bleien trocken, sie haben einen Ausdruck, der mir weh tat. „Wenn sie ihn liebte!" beginnt Thea endlich sehr leise. „Ich könnte zu Vergessen hoffen, aber ich weiß, er ist ihr gleichgültig — und — und er ist doch ein — so guter, lieber Mensch" Die Hellen Dränen fließen jetzt über ihre Wangen. Ich fürchte, meine Tochter könnte recht haben. Tie zwei Naturen passen kaum zusammen, darauf habe ich ja auch Hagen schon aufmerksam gemacht. Daß Margarete eine tief angelegte Natur ist, habe ich schon damals in Homburg gemerkt. Wenn sie aber einmal ihr Herz ver schenkt, wird es fürs ganze Leben sein, und der Mann wird glücklich werben. Noch eine Weile bleibt Thea bei mir. Sie ist sehr gefaßt, mehr als ich dem lebhaften Kinde zutraute. „Geh jetzt, mein Liebling, und Gott helfe dir," spreche ich und umarme sie. Mr stehen uns seit dieser Stunde noch näher. Ich kann nicht gleich Margarete herbeirufen lassen. Etwas wie Groll ist gegen sie> in meinem Herzen ;> sie kommt mir wie die Zerstörerin des Glückes meiner Thea vor. „Ich bin ungerecht gegen sie," sage ich mir aber bei reiferer Ueberlegung. „Kann das schöne Mädchen dafür, daß der leicht entzündliche Franz sein Herz an sie ver liert? Muß sie nicht gefallen?" Dann lasse ich durch den Diener Fräulein Stein um eine Unterredung bitten^ Jetzt heißt es ganz väterlicher Freund sein, ihr den Antrag Hagens von der besten Seite vorstellen — wer weiß, Dhea irrt sich möglicher weise doch, und Margarete sagt ja. Sie ist in allem, was ihre Gefühle betrifft, eine verschlossene Natur, ihre herbe Mädchenhaftigkeit bebt vor jeder Entdeckung zurück. Nur wenn sie einmal liebt, wird es über sie kommen wie eine Sturmflut, die alles niederreißt, dann wird sich ihr stolzes Ich dieser Macht demütig beugen; aber ohne eine große, allgewaltige Liebe nie, eher bleibt sie immer einsam. Leise rauscht es neben mir; Margaretens hohe Gestalt ist in mein Zimmer getreten. Kampfbereit blitzt es in den grauen Augen, der dunkle Kopf ist leicht erhoben, und ein trotzig abnehmender Zug liegt um den Mund. Ich rücke ihn den Sessel zurecht. „Bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen? Tas, was ich mit Ihnen zu sprechen habe, nimmt einige Zeit in Anspruch." „Ich ziehe es vor, zu stehen." Ihre Blicke mustern mein Zimmer; sie betritt es heute zum ersten Male. Gerade ihr gegenüber hängt das Bild meiner verstorbenen Frau, und wie immer schmücken es blühende Blumen. Forschend betrachtet Fräulein Stein die lieblichen Züge, aus denen der bräutliche Schmelz liegt. „Welch holdes Wesen war Ihre Frau. Sie müssen sie sehr geliebt haben!" Leise treffen diese Worte mein Ohr. Auch ich bin aufgestanden und stehe neben meiner Pflegetochter. Sie ist fast so groß wie ich hat schwarzes Haar — kurz, sie ist in allem genau das Gegenteil der zierlichen, lichtblonden Elfe, die einst mein Liebstes ge wesen. 1» - „Ja, wir waren sehr glücklich," entgegne ich kurz. „Verzeihen Sie, daß ich an diesen wunden Punkt rührte. Ich sollte es ja aus eigener Erfahrung wissen, wie schrecklich es ist, über Tinge zu reden, die tief das Gefühl berühren." Eine beklommene Pause, dann sage ich: „Ich habe Ihnen eine Bitte vorzutragen. Franz Hagen hat bei mir um Ihre Hand angehalten." „Ich wüßte nicht, was ihn dazu ermutigte!" kommt es schroff zurück, und Margarete erhebt das Haupt. „Mein liebes Kind" — ich falle in meine ehrwürdige Onkelrolle zurück — „darf ich Ihnen die Vorteile dieses Antrages klarlegen?" „Ich weiß alles, was Sie mir sagen werden. Hagen ist wohlhabend, eine sogenannte gute Partie für ein armes Mädchen wie ich, das kein Elternhaus hat und auf eigenen Füßen stehen muß." „Gewiß fällt auch das in die Wagschole, obgleich erst in zweiter Linie. Ich kenne Hagen seit Jahren; er ist ein braver, lieber Junge, sehr strebsam und wohl ge eignet, eine Frau glücklich zu machen." „Und Sie reden mir zu?" „Ja, wenn Sie ihn lieben." „Ihn lieben!" ruft Margarete. „Dieser unfertige, strebsame Junge, wie Sie ihn selbst bezeichnen, was kann er mir bieten?" „Ein treues, goldenes Herz. Genügt das Ihnen nicht? Ein solcher Schatz läßt sich nicht so leicht Von der Hand weisen." „Ich verlange mehr, einen ganzen Mann, zu dem ich hinaufblicke, jeinand, der viel weiser und klüger, viel besser und edler ist als ich selbst. Es muß eine starke, feste Hand sein, in die ich die meine lege, ein Mensch, der mein Wesen versteht — sonst bliebe ich doch ewig einsam in einer Vereinigung, die höchstes Glück oder tiefstes Leid bereitet. Nein, nein, Hagen genügt mir nicht." Ein heißes Empfinden pulsiert in diesem Bekenntnis. Ties ist ihr wahres Selbst, das, vom Rauhreif des Lebens bisher zurückgedrängt, sich jetzt gewaltsam Bahn bricht. Tas ernste Gesicht ist wunderbar belebt; so habe ich es noch nie gesehen. „Also nein," antworte ich nach einer kleinen Pause. „Ter arme Junge!" „Er wird sich trösten. Tief kann seine Neigung in den wenigen Wochen nicht gegangen sein; ich glaube vielmehr, er ist sich selbst nicht recht klar über das, was er wirklich empfindet." „Wie meinen Sie das?" frage ich erstaunt. „Im Grunde steht Ihre Tochter ihm näher. Ich bin überzeugt, daß er tiach einem Jahre eingesehen hat, wie gut Thea zu ihm paßt, viel bester als ich." Sie neigt das Haupt und will gehen. „Somit soll ich die Sache Ihrerseits als erledigt be trachten?" frage ich und halte die Tür für sie geöffnet. „Ja, und — es tut mir sehr leid, daß Ihr liebes Kind durch mich Kummer erduldet," sagt sie mit unge wöhnlicher Weichheit. „Bitte, tragen Sie es mir nicht nach. Es ist ein schlechter Lohn für alles, was ich hier empfing, wofür ich niemals —" Sie bricht bewegt ab und bedeckt die Augen mit der schmalen Hand. Ich schließe noch einmal die Türe. „Die wissen, daß Thea Hagen liebt?" „Ich ahnte es schon in Homburg; hier ist es mir zur Gewißheit geworden. Ich wünschte, daß Hagen nun nicht das Haus meiden, sondern nach wie vor kommen möchte, wenn er die erste Verlegenheit überwunden hat. Thea wird ihn in ihrer herzigen Art trösten, und er wird sich ihrem holden Zauber nicht entziehen können." — lSS mit derselben leisen, aufgeregten blicken Sic jetzt nicht Tische nahe der Tür, Mann?" Francesco sprach Stimme, den Rücken der fraglichen Person zugewandt, während er eifrig beschäftigt schien, die Krumen vom Tische abzubürsten. „Er sieht wie ein Stier aus, hat einen starken Bart und Augen wie der Teufel. Tas," feine Stimme würbe noch leiser, „ist der berüchtigste Brigant Italiens, Tiburzt!" Mit einem schnellen Wick auf die beide« Mädchen suchte er sich zu überzeugen, ob seine dramatische An kündigung auch den gebührenden Eindruck mache, uud fuhr dann fort: „Ich sah seine Augen auf Sie gerichtet, als ich hier hineinging, und der Signor« Brieftasche sieht wirklich ganz wie eine aus, die lohnend wäre zu «otben. Gehen Sie nicht eher, als bis er gegangen ist. Ich will Ihnen einen Likör bringen, den Sie langsam trinben können — Sie brauchen dafür nicht zu bezMen. Und später, wenn weniger Gäste hier find, kann ich abkommen und Sie bis zu Ihrer Tür begleiten." Er stellte die Wasserkaraffe zurecht und beugte feinen Kopf, als wenn er einen Befehl entgegennehmen wollte. „Nein, wir müssen jetzt gleich nach Hause gehen," sagte Miß Gault schnell und lächelte freundlich. „Wir müssen morgen früh aufstehen. Aber es ist hübsch von Ihnen, Francesco, daß Sie so besorgt um uns find. Ich danke Ihnen herzlich, aber ich denke, daß Ihre Begleitung nicht nötig ist, denn wenn er ein so gewaltiger Brigant ist, wird er zwei Frauen nicht belästigen." „Er würde es nicht, wenn er wüßte, daß wir Kunst schülerinnen sind," warf Kate munter ein. „Bielleicht möchte er dann ein Gemälde kaufen. Doch wenn Sie wissen, daß er ein Brigant ist, warum rufen Sie denn nicht einen Polizisten und lasten ihn gefangen nehmen?" „Oh, einer würde nicht wagen, ihn gefangen zu neh men, selbst zwei odev drei nicht!" rief FranceSco mit lieber-' zeugung und einem ganz klein wenig Stolz auf einen so hervorragenden Briganten. „Tas ist durchaus kein Spaß," fügte er schnell hinzu, denn Kates Gesicht trug ein un gläubiges Lächeln. „Ich möchte nicht, er ahnte, daß ich Sie gewarnt habe. Er duldet nicht, daß sich ein andere« in seine Angelegenheiten mischt. Die Bauern beschütze» ihn alle. Haben Sie denn keinen Bekannten hier, d« Sie begleiten könnte? Ich muß jetzt gehen, sonst »Bchte er Verdacht schöpfen." „Gut, Francesco, gehen Sie nur," sagte Miß Gault. „Wir werden trotzdem sicher nach Hause kommen, dawm bin ich überzeugt. In Amerika haben wir ja «ich Bri ganten, aber Sie sind nicht ein bißchen ronumtisch. Str nennen sie Tramps. Buona sera, Franceses, e grazie tanto. Komm, Kate." Um auf die Straße zu gelangen, mußte« sie durch das andere Zimmer gehen, und wenn sie nicht einen Umweg machen wollten, was Francesco in den Verdacht Hütte bringen können, sie gewarnt zu haben, auch « de« Dische selbst vorbei, wo der Brigant mit einer Miene faß, aS wäre er hier vollkommen zu Hause. Als sie an ihm vov- übergingen, ließ Miß Gault anscheinend gleichgüllig ihre Augen über ihn schweifen. Obgleich von der LrfrühÜgkell des jungen Kellners überzeugt, glaubte sie doch, daß siina lebhafte Phantasie ihm einen Streich gespielt habe, dem» der Gedanke, daß ein berüchtigter Bandit in ein sehr beliebtes Restaurant Roms eintreten und dort mit Muße seine Mahlzeit einnehmen könnte, schien ihr eine- Dumaü und Monte Christas Luigi Bampa würdig. Aber ihr prüfender, wenn auch flüchtiger Blick auf den unheimlichen Mann ließ sie empfinden, daß KranceSeo vielleicht doch nicht so unrecht habe. Er war von mehr als Mittelgröße, mächtig gebaut, mit breiter Brust und gewaltigem Nacken. Die niedrige Stirn und et« klein« Teil der Wange, der vom Barte unbedeckt war, zeigte» einen bronzeolivenfarbenen Teint. Ter buschige Blwt und der starke Schnurrbart sowie das dichte, gebockte Haar waren glänzend schwarz. Tie breite, wohlgestaltete Nase zeigte große Nasenlöcher, und unter den schwere«, über hängenden Brauen glühten zwei unheimliche Lug« «it Ei» Zweikampf der A«se«. Nach dem Amerikanischen v:n E. Euchler. Nachdruck verbalen. „Um Himmelswillen, tun Sie das weg!" sagte Francesco in unterdrücktem, aufgeregtem Tone. „Tas" war Miß Gaults Brieftasche. Sie und Kate hätten gerade ihr bescheidenes Abendessen in den Tue Fratelli beendet und waren im Begriff, dieses komfortable römische Restaurant zu verlassen. Miß Gault durch stöberte ihre etwas abgenutzte, vollgepfropfte Brieftasche nach Keinem Gelbe, nm ihre Mahlzeit zu bezahlen. Mit der vollen Brieftasche in der Hand konnte sic leicht für eine reiche Amerikanerin gehalten iverden. Amerikanerin war sie, das sah man ihren ausgeprägt nationalen Gesichtszügen an, aber reich war sie nur in Bezug auf die Gaben, die eine charaktervolle Persönlichkeit ausmachen. Zeitungsabschnitte über ihren Mallehrcr Carl Rosetti, ein Laschenkalender, ihr letzter Brief von Hause und ähnliche Schriftstücke waren es, die ihre un scheinbare Brieftasche so aufbauschten, aber kein Geld. Kate O'Brien, ihre Gefährtin, war ein großes, robustes Mädchen mit wohlgebauter Figur und einem offenen, sympathischen Gesicht von frischer Farbe, — ein irisch amerikanischer Typus, der etwas von einer Diana und einem Milchmädchen an sich hatte. Aber trotzdem Ivar die Keine, lebhafte, brünette Miß Gault die führende Kraft, die das Paar sicher durch die verschiedenen An fechtungen geleitete, welche zwei alleinstehenden, Kunst studierenden jungen Tamen nahe treten. Kates liebens würdige Fügsamkeit war der andern von großem Werte bei ihren impulsiven Entschlüssen in solchen Lagen, denn sie verstand ihre Gefährtin sofort, obwohl sie nach ihrer Ms ich t nicht fragte, und folgte blindlings der Richtung, die Miß Gault einzuschlagen sich entschloß. Beide besuchten oft dieses freundliche Restaurant, ob wohl es nicht zu den billigsten gehörte, und waren bald mit Francesco, dem Kellner, gut Freund geworden. Sie hatten bei ihrem ersten Besuche einen der Tische gewählt, die er bediente, weil er ihren künstlerisch geschulten Augen ein willkommenes Studium bot, denn sio hungrig sie auch manchmal waren, ihre geliebte Kunst ließen sie niemals außer acht! Ter junge Mann war von graziöser Schlank heit, mit tiefdunkeln Augen, krausem, blauschwarzem Haar und einem kecken Schnurrbart, der aber den Kassischen Schwung der schön geschnittenen Oberlippe nicht im ge ringsten beeinträchtigte. „Nun, nun, was gibt es denn, Francesco?" fragte Miß Gault heiter. Sie hatte inzwischen aus der heuch lerischen Brieftasche den Preis für ihr Abendessen heraus gefischt. Während sie mit ihrem liebenswürdig kindlichen Blick fragend zu dem jungen Manne aufjah, wartete Kate auf das, was sie zu hören bekommen sollten. „Sehen Sie dort in dem anderen Zimmer — bitte, hin, sondern später — an dem einen großen, starken, hübschen ,------ -----——----- - -----—> ———>—— Tann geht sie, und ich beginne die Sache durch ihre Augen zu betrachten „Melleicht hat sie recht," denke ich, „die beiden Kinder finden sich am Ende doch noch, und sie fühlt wirklich nichts für ihn." Fortsetzung folgt.