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— 184 — nachtschwarzen Pupillen nnd etwas blutunterlaufenen Augäpfeln. Tieser eigenartig fesselnde, diabolische Mensch »ar wie ein wohlhabender Bauer aus der Campagna ge kleidet. Ein durchdringender, habichtartiger Blick traf die bei den Mädchen, der Kate schaudern machte und Miß Gault an eiuen hungrigen Tiger erinnerte, bereit, sich aus seine Leute zu stürzen. Aber sie zeigte nicht mehr Erregung, als wenn er eine von Madame Tujsands staubigen Wachs figuren wäre; ohne irgend welche Eile verließen sie das Restaurant. Als sie ein Stück gegangen waren und nun die er bärmlich erleuchtete Straße etwas schneller entlang schrit ten, lachte Miß Gault kurz auf und sagte: „Francesco mag doch recht haben. Nie in meinem Leben sah ich je manden, der einen räuberhaftern Eindruck gemacht hätte. Ich habe auch Mörder'gesehen, aber sie erschienen wie junge Lämmer im Vergleich zu dieser dämonischen Schön heit!" ,Lch möchte wohl wissen, ob ihm seine Schönheit irgendwie in seinem Geschäfte nützte," meinte Kate. „Ich würde ihn lebensgern malen, aber ich weiß nicht, ob ich e- aushielte, wenn diese glühenden Augen die ganze Zeit unverwandt auf mich gerichtet wären. Sahst du jemals in deinem Leben solche Augen, Jane? Ich hoffe, daß er sich uns nicht in den Kops gesetzt hat, denn ich möchte wahrlich nicht in den amerikanischen Zeitungen als das Opfer eines italienischen Briganten abgebildet werden — da- wäre zu viel Auszeichnung. Aber was sollen wir tu», Jane, wenn er — still! Höre doch! — Es folgt uu- jemand — und er bemüht sich, recht leise aufzu- tretev. Sollen wir laufen ?" Kate verdoppelte unwillkürlich ihre Schritte und drängte sich gleichzeitig näher an die andere heran mit einer Art kindlichen Vertrauens, die komisch war, wenn «an die äußere Erscheinung der beiden miteinander ver gliche Kate hätte Miß Gault in ihre Arme nehmen und . mit ihr davonlaufen können. „Rein!" war die schnelle, bestimmte Antwort des kleinen Fräuleins, .^kannst du dir denn nicht denken, daß jener große, starke Mensch uns niedergerannt haben würd^ »och ehe wir den halben Weg gemacht hätten? Aber verhalte dich ruhig, Kate, was sich auch ereignen «äge, und tue genau das, was ich tue." „Gut," erwiderte Kate gehorsam, „ich will es, aber was gedenkst du zu tun ?' „Ta- weiß ich selber noch nicht. Aber ich bitte dich, gehe nicht schneller. Vielleicht ist es nur eine grundlose Furcht von uns. Ter unheimliche Blick des Mannes spricht ja freilich nicht zu seinen Gunsten, aber er kann ja dwtzdem ein ehrlicher, harmloser Mensch sein, der jetzt nchig seinen Likör im Restaurant trinkt ohne eine Ahnung, Welche Ehre wir ihm durch unsere Furcht antun. Still, die Schritte kommen näher, vielleicht ist er's und vielleicht will er wirklich — doch das tut nichts." Miß Gault Krach plötzlich ab. „Sei bereit, Kate, folge mir in allem U>ck> sei recht natürlich dabei!" Sie näherten sich einer der wenigen Straßenlaternen. Die Schritte kamen näher. Als sie sich bei der Laterne befanden, war der Verfolger, sofern es einer war, ihnen dicht auf den Fersen. Plötzlich blieb Miß Gault stehen pud, sich bückend, begann sie ihr Schuhband fest zu binden. Ter Mann hinter ihnen mußte ebenfalls Plötzlich stehen bleiben, um zu vermeiden, gegen sie zu laufen. Er Wich seitwärts ab, und sie sahen die kräftige, muskulöse Gestalt mit dem stiergleichen Nacken und den mächtigen Schultern unentschlossen weiter gehen. Sich erhebend, berührte Miß Gault Kate, und sie kehrten in der Richtung um, von welcher sie gerade ge kommen waren. Kate trabte dicht neben ihrer Freundin wie ein großes Kind. „Jane, das war er," sagte sie in flüsterndem Tone. „Ich glaube es beinahe auch," erwiderte Jane so harmlos wie möglich. „Aber wir haben sein Gesicht nicht gesehen, und dieser Mann schien mir größer als der im Restaurant. Höre doch — kommt er nicht schon wieder hinter uns her?" Er war es. Dieselben schweren Schritte näherten sich ihnen — der Mann war also auch umgekehrt. Kate warf einen ängstlichen Seitenblick aus das Gesicht ihrer Ge fährtin ; es trug einen ruhigen, bestimmten Ausdruck. Die Schritte waren jetzt wieder unheimlich nahe. „Jetzt, Kate!" sagte Miß Gault leise. „Drehe dich um und sieh ihn durchaus nicht an!" Sie machte eine jo scharfe Wendung, daß der Mann noch einmal instinktiv auf die andere Seite auswich, um einen Zusammenstoß mit ihnen zu vermeiden. Vielleicht war er sich noch nicht klar, in welchers Weise er vorgehen sollte, vielleicht auch wünschte er sie in eine seinem Zwecke günstigere Straße zu drängen. Er ging zunächst ein Stückchen weiter, aber sehr bald kehrte er wieder um, denn er merkte natürlich jetzt, daß sie seine Absicht durch schaut hatten. Seine Schritte wurden schneller, auch ver suchte er nicht mehr, leise aufzutreten. „Jane, willst du das etwa die ganze Nacht so fort setzen?" fragte Kate weinerlich, als sie noch einmal um gekehrt waren. „Würden wir nicht besser tun, davonzu laufen? Wir können ja schreien, wenn er uns angreift, und ihn dadurch zur Flucht bringen. Aber auf diese Weise machen wir ihn so wütend, daß er nächstens aus Aerger irgend etwas Unangenehmes tun wird." „Nun denn, so werde ich etwas tun," sagte Miß Gault in einem Tone, welcher zeigte, daß sie aufs äußerste auf gebracht war. „Tu hältst dich neben mir, wie du es bisher getan, und verlierst den Kopf nicht." Größer noch als die Furcht, die sie empfdnd, war die Entrüstung, daß dieser große, kräftige Bursche zwei unbe schützte Mädchen in dunkler Nacht verfolgte. Eine wilde Energie kam über sie. Schluß folgt- Himmelsblau. Nicht satt kann ich an dir mich sehen, Du wunderbares Himmelsblau, Und fühl' mein Auge übergehen Von tiefer Sehnsucht Thränentau. Ach, ewig währt der Kampf hienieden. Und wär' das Leben doch so schön, Wär' es erfüllt von eurem Frieden, Ihr ewig stillen, blauen Höh n! JuUu» Sturm. Denk- und Simrsprüche. ES gibt Stimmungen im Leben, die man bezwingen muß, wie Helden Ungeheuer bezwangen, die sich ihnen in den Weg wälzten. Wie vieles wünscht sich der Mensch und doch bedarf er nur wenig, denn die Tage sind kurz und beschränkt der Sterblichen Schicksal. Goethe. Sende nicht Worte in fliegender Eile, Zürnende Worte sind brennende Pfeile, Töten die Ruhe der Seele so schnell. Wieland. Diock mck mm 8«s« » Wvaerttch, Sttrta: tür die RrdaNtov vtnnttworlltch Henn arm Schmidt tu Rielo. Grsähler an der Elbe. Belletr. Gratisbeilage zum „Riesaer Tageblatt". Nr. SI. Ries«, de« S0. J«lt LA04. Meine Tochter. Novelle von V. v. Schlippenbach (Herbert Rtvulet). Fortsetzung. 5. Margarete Stein hat s ich von Tag zu Tag mehr bei uns eingelebt. Die fremde, seltsame Blume scheint in dem neuen Erdreich Wurzel zu fassen, und sie entfaltet sich zu eigenartiger Lieblichkeit unter dem'schützenden Dach Heimtals. Ein dritter scheint das auch zu finden; Franz Hagen, der oft aus Großlinden herüberbommt und nur mehr für Margarete Auge und Ohr hat. Thea kämpft tapfer mit ihrer Enttäuschung; nur ich merke, daß sie leidet, und zuweilen will sich meiner ein Gefühl des Bedauerns be mächtigen, daß ich die Waise aufnahm. Hagen ist nur ein Jahr jünger als seine neueste Flamme. Gegen meine Tochter hat er einen neckenden Ton angeschlagen, der ihr zeigt, wie flüchtig sein kurzes Interesse für das halbe Kind war. Margarete ist aus ihrer Zurückhaltung herausgetreten, ganz allmählich fügt sie sich! in ihre Rolle als Haus genossin. Eine große Freude ist es mir, mit ihr zusammen zu musizieren. Ich begleite sic auf der Violine, und immer besser gelingt uns das gemeinsame Spiel! Oft sitzen Thea und Hagen dabei im Nebenzimmer, und gewöhnlich entbrennt dabei irgend ein Streit zwischen Wien über einen recht nichtssagenden Punkt. Meine Tochter ist schnippisch und trotzig dem jungen Mann gegenüber, ob gleich ihr kleines Herz leidet; ihr Mädchenstolz duldet jetzt keine Entdeckung ihrer hoffnungslosen Liebe. Mar garete aber nimmt mit der Herablassung einer Königin die Huldigungen Hagens entgegen. Verbirgt sich dahinter ein wärmeres Gefühl? Entspricht der Jüngling ihrem Ideal? Er ist in vieler Beziehung ihrer würdig, ein hübscher, stattlicher Menschs wohlhabend, und sein bra ves, offenes Wesen nimmt für ihn ein. Und mein einziges Kind liebt ihn! Wäre des Freundes Tochter nicht in unser Haus gekommen, es wäre für Thea vielleicht ein Glück gewesen. Ich finde es von ihr groß gedacht, daß sie Margarete nach wie vor schwesterlich liebt, und es ihr nicht verdenkt, daß Franz sie um der Fremden willen vergessen hat. Ich habe angefangen, Margarete Reitstunden zu geben. Ein ruhiges Pferd trägt sie auf unfern Streifzügen durch Wald und Flur, und mit großem Vergnügen gibt sie sich diesem ihr noch fremden Sport hin. Bald sitzt sie fast ebenso sicher inr Sattel wie Thea, und es ist mir eine besondere Freude, zu bemerken, daß ihr bleiches Ge sicht langsam eine blühende Farbe erhält. Meine Tochter und ich haben überall in der Nachbar schaft Besuche gemacht, und Thea wird von meinen alten Freunden herzlich als erwachsenes Mädchen begrüßt. Wir machen Jagden und Gesellschaften mit und einen Ball in der Provinzstadt, die man nach halbstündiger Eijenbahnfahrt erreicht. Natürlich begleitet uns unsere HausgKwssin nicht zu solchen gesellschaftlichen Vergnügen wegen ihrer Trauer, dagegen bemerke ich, daß, wenn Franz Hagen auf diesen Veranstaltungen mit Thea zu jammentrifft, sie fast unzertrennlich sind. Thea hat tapfer mit sich gekämpft, sie vermag jetzt in 'freundschaftlich offener Art mit dem jungen Mann zu verkehren und sogar ruhig mit ihm über sein Lieblingsthema zu sprechen: über Margarete Stein. Ich bewundere meine Tochter, solche Seelengröße traute ich ihrem weichen Kindergemüte nicht zu. ' ' ' . Heimtals Nachbarn lernt Margarete aber doch allmäh lich kennen, und ihre Schönheit erregt ebenso Bewun derung, wie ihr musikalisches Talent. „Höre, lieber Brüder," sagt Selms« eines Tage-, „ver liebe du dich nur nicht in deine sogenannte Nichte! ES ist mir in letzter Zeit eingefallen." Tie Bemerkung ärgert mich mehp, als nötig ist. „Ihr Frauen müßt doch überall Liebe wittern!" platze ich her aus. „Ich denke, du kennst mich Schwester! Ich bin kein Jüngling mehr, und seit ich mein teures Weib ver lor, ist es mir noch nie eingefallen, eine neue Hausfrau nach Heimtal zu führen. Jetzt ist meine Tochter er wachsen; es wäre lächerlich, ihr eine Stiefmutter W geben, die ein paar Jahre älter ist." „Ereifere dich nicht, Walter!" Selma lacht. ,Hch gebe zu, daß manches Mißliche an der Sache wäre, aber über kurz oder lang wird Thea doch heiraten. Du wärest sehr einsam in dem großen Hause, wenn deine Tochter weit fortzöge." „Kommt Zeit, kommt Rat," erwiderte ich ruhig. „Sorge dich nicht um Tinge, die noch im weiten Felde liegen." , ' . i „Und so beauftragen Sie mich Fräulein Margarete Stein Ihre, Ihre Werbung und J^e Hand zu über mitteln, Herr Hagen," sage ich mich selbst überhastend. Ter Freier steht vor mir sehr aufgeregt und zerrt an dem Keinen, blonden Schnurrbart. „Warum versuchen Sie nicht selbst Ihr Heil?" fahre ich fort, da Franz ein undeutliches „Ja" murmelt. „Ich. . ich weiß nicht. . Ich fürchte mich. Sie ist so stolz. . so unnahbar." „Sind Sie auch sicher, daß Sie die junge Lame wahrhaft lieben? Margarete Stein ist ein ernster, stolzer Charakter; man muß es verstehen, sie zu nehmen, wie sie ist. Glauben Sie. daß Sie zu ihr passen, haben Sie sich ernstlich geprüft? Sie sind jünger .. ." „Kaum ein Jahr," wirft Hagen dazwischen. „Ich weiß es, aber Fräulein Stein hat ein schweres Leben hinter sich, sie ist in vieler Beziehung nicht das, was ein dreiundzwanzigjähriger Mann wie Sie braucht. Ich meine, daß Sie es sich doch noch überlegen sollten." „So glauben Sie, daß — daß ich keine Hoffnung habe? Aber ich muß, doch wissen, woran ich bin! Werden Sie nicht für mich sprechen?" „Nun gut, ich werde noch heute mit Fräulein Stein reden. Und ich will Mr Mühe geben, ein guter Anwalt Ihrer Wünsche zu sein." Eine kurze Verbeugung, ein Händedruck, dann geht Hagen, und ich bleibe allein — nein, nicht allein, vor mir steht eine schlanke Mädchengestalt: Thea. Sie ist totenbleich und will sprechen, aber sie kann kein einziae- Wort finden. „Komm zu mir, mein Sind!"