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— 198 — .Vortrefflich, Herr Vetter, ich danke Ihnen und werde Ihre große Bereitwilligkeit nicht zu erwähnen vergessen. Morgen früh fahre ich selbst nach der Station Weidenhagen. Ich erwarte dort einen von M** kommenden Bekannten, einen Naturforscher, der hier in den Sümpfen und Wäldern Pflanzen und Ungeziefer, Schmetterlinge, Käfer, Schlangen u. s. w. suchen will. Er wird wahrscheinlich im Sternkrug seinen Aufenthalt für einige Zeit nehmen. Ich darf wohl darauf rechnen, daß er von den Polizeidienern aus Beutlingen oder von den Gendarmen nicht weiter nach Paß u. s. w. gefragt wird. Ich stehe für den Mann ein, er ist ein guter Be kannter von mir; dies aber muß, beiläufig gesagt, unter uns bleiben!" .Ich verstehe, Herr Vetter! Soll alles bestens besorgt werden! Werder hatte seinen ersten offiziellen Besuch in Beut lingen glücklich zu Ende gebracht, sein Zweck war erreicht, er kehrte daher nach seinem Gasthof zurück, um den wichtigen Bericht über seine bisherige Täthigkeit an seine vorgesetzte Behörde zu schreiben. Er erzählte in diesem Berichte zuerst mit einfachen Worten, ohne eine Schlußfolgerung daran zu knüpfen, was er gehört und erlebt hatte: die Erzählung Brauns, der Kaufleute in Weidenhagen, des Herrn von Willbrand, des Vater Grawald, sein nächtliches Abenteuer mit dem alten Friedrich Grunzig, seinen Besuch beim Senator, seine Entdeckung im Walde, endlich seinen Besuch in Gromberg und beim Bürgermeister Wurmser. Der kurzen und gedrängten Erzäh lung fügte Werder in dem Berichte eine Darstellung der Schlußfolgerung bei, welche seiner Ansicht nach aus den Thatsachen zu ziehen seien. Er sagte: .Ich war anfangs der Ansicht, Herr von Heiwald habe im Sternkrug seinem Kutscher den Befehl gegeben, mich im Walde zuni Aussteigen zu nöthigen, mich dann zu überfallen, zu ermorden und zu berauben; zu diesem Zwecke habe er Friedrich befohlen, sein Beil zu gebrauchen und ihn zu der That durch die Mittheilung, daß ich viel Geld bei mir trüge, gereizt. Die Thatsachen schienen meine Ansicht zu bestätigen. Die wenigen Worte, welche ich von dem Gespräch zwischen Herrn.von Heiwald und Friedrich erlauscht hatte, das Verhalten Friedrichs unterwegs, die Wahr nehmung, daß wahrscheinlich ein Genosse Friedrichs, ich glaubte Herr von Heiwald selbst, hinter der Fichte am Wege versteckt schien, Friedrichs mörderische Drohung mit dem Beil, sprachen, wie es mir schien, deutlich für meine Annahme, zu der ich um jo leichter verführt wurde, als ich absichtlich, um einen Angriff auf mich hcrbeizuführen, Herrn von Heiwald in der Herrenstube des Sternkrugs den reichen Inhalt meiner Brief tafel hatte sehen taffen. Genauere Forschungen und ernsteres Nachdenken haben mich inzwischen überzeugt, daß meine An nahme eine irrige, von Anfang bis zu Ende auf einer Ein bildung beruhende gewesen ist. Welche Deutung ich den aus in m Gespräch zwischen Herrn von Heiwald und Friedrich erlauschten Worte geben soll, weiß ich noch nicht, aber ich weiß, daß die Deutung, welche ich ihnen früher gegeben habe, eine falsche gewesen ist. Herr von Heiwald hat nicht hinter der Fichte gestanden, ich hätte sonst nothwendige Spuren im hohen Grase finden müssen. Friedrich ist allein gewesen und geblieben. Er hat von seinem Herrn den Befehl erhalten, mich im hohen Sande zum Verlassen des Wagens aufzu fordern, damit die Pferde geschont würden; er hat diesen Befehl mit der ihm eigenen Brutalität ausgeführt und sich endlich mit dem Beil bewaffnet, nicht um mich anzugreifen, sondern um sich selbst vor dem von mir befürchteten Angriff zu schützen. Diese Deutung hätte ich schon unmittelbar nach dem nächtlichen Abenteuer diesem geben müssen, wäre ich nicht, ich kann nicht umhin, dies zuzugeben, durch die angestrengten, den ganzen Tag über fortgesetzten Nachforschungen in einer das gesunde, ruhige Urtheil trübenden geistigen Aufregung gewesen. Es liegt klar aus der Hand, daß Herr von Heiwald, der genau weiß, daß man ihn in der ganzen Gegend für den Mörder des Herrn von Scharnau hält, sicherlich im gegenwärtigen Augenblick nicht seinem Kutscher den Befehl geben wird, einen Fremden, der seinen eigenen Wagen benutzt, zu berauben und zu erschlagen. Die Entdeckung hätte ja der That auf dem Fuße folgen müssen. Ich habe mich während meines Besuches in Grom berg vollkommen von der Unhaltbarkeit meines ersten Verdachtes überzeugt, Herr von Heiwald weiß nicht einmal, daß es einen Konflikt zwischen mir und seinem Kutscher gegeben hat. Der alte Friedrich ist klug genug gewesen, von demselben zu Hause gar nichts zu erwähnen. Zerfällt somit mein ursprünglicher Glaube, Herr von Heiwald habe einen Angriff gegen mich befohlen, in sich selbst, so bestätigte sich dagegen mein Verdacht, daß er ein Theil- nehmer oder der Urheber des Mordes sei, mehr und mehr. Prüfen wir zuerst die Frage, ob Herr von Scharnau überhaupt todt oder ob er vielleicht, wie das Fräulein von Heiwald glaubt, noch am Leben ist und sich versteckt hält, um den Verdacht seines Mordes gegen Herrn von Heiwald zu verbreiten. Es ist schon an und für sich kaum anzunehmen, daß Herr von Scharnau sein ganzes Gepäck im Stich lassen und sich heimlich entfernen sollte, nur um seinem Feind einen falschen Verdachte auszusetzen; es ist ferner kaum glaublich, daß man ihn in den verflossenen vierzehn Tagen nicht irgendwo gesehen haben sollte. In dem wenig bevölkerten und selten von Reisenden besuchten Landstrich würde überall ein vornehmer, städtisch gekleideter Fremder ausgefallen sein. Sehen wir hiervon aber auch ab, so spricht für die Ermordung und Beraubung des Herrn von Scharnau, daß ich einen, allerdings noch kleinen Theil des Geldes, welches der Verschwundene bei sich getragen hat, bereits aufgefunden habe. Dem Briefe, in welchem er am Tage vor seiner beab sichtigten Abreise diese und seine zu erwartende Ankunft in Berlin seinem Schwager, Herrn von Breßler, Compagnon des Hauses W. Oldecott u. Co. in Berlin, anzeigte, hat er ein Verzeichniß der Nummern der in seinem Besitz befindlichen großen Scheine beigelegt, um diese, wenn sie unterwegs etwa verloren gehen oder gestohlen werden sollten, reklamiren zu können. Er hat die gleiche Vorsichtsmaßregel auch schon bei seiner Abreise von Berlin gebraucht. Sein baares Geld bestand hauptsächlich in Einhundertthalerscheinen, dreizehn von diesen, deren Nummern keinen Zweifel übrig lasten, besitze ich. Fünf trugen den Namen des Herrn von Heiwald, er hat mit ihnen eine Rechnung in Weidenhagen bezahlt, acht habe ich vom Sternkrugwirth Grawald, und dieser hat sie seiner, allerdings vom Senator Heiwald in Abrede gestellten Angabe nach, von diesem erhalten. »Für die Ermordung des Herrn von Scharnau sprechen ferner meine Wahrnehmungen in der Diebeshaide. Der gütige Zufall hat mir auch etwas von der Kleidung der Mörder verrathen, das blaue Wollhaar zeigt mir, daß der eine Schuhe und blauwollene Strümpfe getragen hat, die drei Proben von grau und schwarzgefleckten Wollfäden sprechen untrüglich von einem grauen Rock aus Wollzeug, der am Schoß etwas defekt sein muß. Wer aber sind die Mörder? Ich fühle die schwere Verantwortung, welche ich auf mich nehme, indem ich behaupte, daß hoher Wahrscheinlichkeit nach Herr von Heiwald einer 199 der Theilnehmer des Verbrechens ist, für den von anderer Seite geäußerten Verdacht, daß der Senator Heiwald der zweite Mörder sei, fehlen mir bis jetzt noch alle Anhaltspunkte. Ich habe zuförderst alle Verdachtsgründe gegen Herrn von Heiwald zu rechtfertigen, ehe ich die Anträge, welche ich an dieselben knüpfe, motivire. Ich sehe davon ab, daß die öffentliche Meinung ganz bestimmt und allgemein die beiden Brüder des Mordes und auch der früher in der Diebeshaide begangenen Verbrechen beschuldigt. Die öffentliche Meinung ist oft trügerisch; gerade weil sie sich schon früher gegen die Brüder entschieden hat, bürdet sie ihnen naturgemäß auch das neue Verbrechen auf. Inwiefern früher die Volksstimme richtig oder unrichtig geur- theilt hat, kann ich gar nicht ermessen, da ich es absichtlich vermieden habe, Nachforschungen zu halten, um nicht die Fäden der neuen Untersuchung zu verwirren, die öffentliche Meinung hat daher für mich nur insofern einen Werth, als sie zuerst meine Aufinersamkeit auf Herrn von Heiwald gelenkt hat, gegen diesen aber häufen sich jetzt die ernstesten Ver dachtsgründe so sehr, daß ein Vorgehen gegen ihn nicht mehr abzuweisen sein wird." Die Darstellung aller der unseren Lesern bereits bekannten Thatsachen folgte der Bericht noch einmal. Werder legte ein besonderes Gewicht auf die Nummern der unzweifelhaft von Herrn von Heiwalv herrührenden Einhundertthalerscheine, auf den Anzug den derselbe im Garten getragen habe, die Schuhe, blauwollenen Strümpfe und den grau und schwarz gefleckten, am Rockfchoße geflickten alten Jagdrock, sowie auf die Uebereinstimmung der Fußspur. Er schloß seinen Bericht: „Aus allen diesen Verdachtsgründen sehe ich mich zu dem gehorsamen Anträge genöthigt, daß gegen Herrn von Heiwald die Untersuchung wegen Ermordung und Beraubung des Herrn von Scharnau, eventuell wegen Theilnahme an diesem Verbrechen, eingeleitet und seine Verhaftung verfügt werde. Auch die Verhaftung des Senators Heiwald dürfte im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt als gerechtfertigt er scheinen, obgleich die gegen ihn vorliegenden Verdachtsmomente, wenn sie nicht in Verbindung gebracht werden mit den gegen den Bruder erhobenen, an und für sich nicht genügen werden, um gegen ihn ein Einschreiten zu gestatten. Im Interesse der Untersuchung erscheint indessen diese Verhaftung, sowie die genaueste Haussuchung bei beiden Brüdern geboten; erst nachdem sie erfolgt ist, wird es mir möglich sein, hierorts weitere Schritte zu thun, und besonders die Aufsuchung der Leiche des Herrn von Scharnau zu ver anlassen. Eine Untersuchung des Sumpfloches vor der Ver haftung. der wahrscheinlichen Mörder würde deren Aufmerk samkeit auf sich ziehen und könnte leicht zu Verdunkelungen des Thatbestandes führen. / Ich füge schließlich die gehorsame Bitte hinzu, daß die Verhaftung der beiden Brüder und die Haussuchung bei denselben weder mir, noch dem Polizei-Kommissarius Ewald, noch den hiesigen Behörden übertragen, sondern daß zu diesem Zwecke von M** ein zuverlässiger und diskreter Beamter hierher geschickt werde. Es würde meine fernere Thätigkeit, sowie die zu erwartende des Herrn Ewald erschweren, wenn wir schon jetzt hier als Polizei-Beanite erkannt würden; die hiesigen Beamten sind aber sämmtlich für eine schwierige Kriminal-Untersuchung ungeeignet." Nachdem Werder seinen langen und ausführlichen offiziellen Bericht geendet hatte, schrieb er noch einen Privat brief, den er dem Bericht beilegte. Der Brief trug die Adresse: An den Hern» Polizei-Direktor von Soltau Hochwohlgeboren in M** (Privatim.) Er lautete: „Mein lieber Julius! Dem hohen Vorgesetzten schicke ich den beifolgenden Bericht, dem Freund und Schwager diese Zeilen. Julius, bist Du mein guter oder mein böser Engel? Alles Glück und Unglück des Lebens scheint mir von Dir zu kommen! So oft ich vom Schicksal derb herumgezaust worden bin, immer warst Du die schuldige oder unschuldige Veran lassung. Daß ich nicht Dich, den theuersten Freund und künftigen Schwager, wegen einer im Rausch mir zugefügten Beleidigung todtschießen wollte, zwang mich, den bunten Rock auszuziehen und gab meinen, Schicksal, wie dem Deinigen eine ungeahnte Wendung. — Du hast Dich gut dabei befunden, bist ein vor nehmer Mann, der Polizei-Direktor von M** geworden, ich aber mußte mich erst als Schollenjunkcr, dann als Handlungs- . diener in der Welt umhertreiben. Ein unbedachtes Wort von Dir, die Schilderung der reizenden Jagd in den amerikanischen Urwäldern, die Dir der zurückkehrende Semrau gemacht hatte, trieb mich nach dem fernen Westen zu den Squattern und Indianen,, in das abenteuerliche Leben des Wildnißjägers; dann wieder rief Deine Mahnung, die Schilderung, welche Du mir in Deinen Briefen vom Kummer der guten, alten Mutter machtest, mich in die Heimath zurück. Wieder warst Du es, der mein Schicksal bestimmte; bin ich doch fast der Spielball Deiner Laune gewesen! Du hast mich zum Polizisten gemacht, durch Deine Empfehlung bin ich angestellt rind befördert worden, unter Deiner Anleitung habe ich mir einen — soll ich sagen berühmten oder berüchtigten — Namen als der kühnste und scharfsinnigste Aufspürer der verborgensten Verbrechen gemacht. Und damit nicht genug! Du endlich bist es gewesen, der in der freundlichen Sorge für eine glänzende Staatslaufbahn mich hierher geschickt hat. Meiner Besonnenheit und meinem Scharssinn, — so hast Du gütig in dem Bericht an den Minister gesagt, — werde es sicher gelingen, diese unglückliche Gegend von der Mvrdcrbande, die sie unsicher macht, zu befreien. Julius, Du hast für mein Glück sorgen wollen, und hast mich namenlos unglücklich gemacht! Tu wirst cs be greifen, wenn ich Dir, nachdem Tu meinen Bericht gelesen host, sage: „Ich liebe Ida von Heiwald, ich liebe sie bis zum Wahn sinnigwerden, und dennoch muß ich ihren Vater, den Mörder, bis zum Blutgericht verfolgen!" Liebe und Pflicht! Tiefer Konflikt bringt mich zur Ver zweiflung; aber sorge nicht, wie gewiß auch mein Lebensglück durch die Erfüllung der Pflicht zertrümmert wird, — ich wanke nicht! Der Bericht giebt Dir den Beweis. Ich führe die Ausgabe, welche Du mir ertheilt hast, durch. Ich werde die Verbrecher entlarven und dem Gericht zur Strafe übergeben, mit dieser That aber schließt meine B*- amtenlaufbahn als Polizist. Wie stolz war ich bisher auf die glänzenden Erfolge meines Scharfsinns und meiner Be- amtenthätigkeit, wie stolz noch heute Morgen! Wenige Worte eines einfältigen Landmädchens haben meinen geistigen Hoch muth vernichtet, das stolze Truggebäude meines übermäßigen Selbstgefühls zertrümmert und mir gezeigt, wie meine viel gerühmte Schlauheit nichts ist, als eitel Lug und Trug. „Jede Verstellung, jede Hinterlist und Lüge erscheint inir verwerflich, und niemals sollte ein Ehrenmann sich damit be flecken!" Dies sind die einfachen Mädchenworte; aber sie sind