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— 200 — wahr und vernichtend für mich, sie richten unerbittlich meine Vergangenheit! Wie jammervoll stand ich vor dem lieblichen Mädchen im traurigen Bewußtsein, daß ich mit einer Lüge auf der Zunge, mit Hinterlist und Berstellung im Herzen im Begriff war, das gastliche Haus ihres Vaters zu betreten, uni diesen zu verderben. Und doch konnte und kann ich nicht zurück. Mein Amtseid bindet mich. Gerade weil hier zum ersten Mal in meinem Leben meine Liebe und meine Pflicht in Konflikt treten, gebietet mir die Ehre, auszuharren mit bluten dem Herzen. Ich werde nicht ruhen und rasten, bis ich meine Aufgabe hier vollendet habe, ich werde morgen wie heut lügen und mich verstellen, werde als Cornelius Steinert das Haus des Herrn von Hciwald besuchen, werde dem Manne, den ich dem Henker überliefern will, freundschaftlich die Hand drücken, ihn mit munteren Scherzen umgarnen und ihn dabei so scharf beobachten, daß mir keines seiner Worte, keiner seiner Blicke entgeht. Tas alles werde ich thun. Wenn es mir dann aber gelungen ist, den Vater zu morden, ein reines, edles Mädchenherz durch meine infamen Jntriguen zu brechen, dann fei verflucht der Judaslohn! Verflucht jede Aussicht auf Be förderung! Verflucht jeder Groschen Blutgeld, den ich noch als Sold für meine Schanddienste nehme! Ich werde wahnsinnig, Julius, wenn ich weiter an die Zukunft dcnke. Fort nach Amerika! Vielleicht werde ich dort die verlorene Herzensruhe wieder finden. * Bemitleide mich, Freund, aber zürne nicht! Auf immer Dein Carl." Brief und Bericht verpackte Werder, und brachte sie zum I Bürgermeister Wurmfer, der sie noch in derselben Nacht mit I einem reitenden Boten nach der Eisenbahnstation Weidenhagen beförderte. 7. Eine neue Spur. Am folgenden Morgen machte Werder in aller Frühe I eine Reihe von Besuchen bei den Kaufleuten von Beutlingen, I auch beim Senator Heiwald. Er war wieder ganz der lebendige Handlungsreifende Cornelius Steinert. Keiner der Kunden konnte ahnen, daß der heitere Reisende eine schlaflose verzweislungsvolle Nacht verbracht, daß er sich nur mit dem Aufgebot feiner ganzen geistigen Kraft gezwungen hatte, die verhaßte Rolle, welche er jetzt fo trefflich durchführte, wieder aufzunehmen. Er zeigte seine Maaren, er pries sie in landesüblicher Weise an, er verkaufte und kaufte, bei jedem Besuch gelang es ihm, für das Haus W. Oldecott n. Co. ein Geschäft zu machen, und doch verlor er niemals den eigentlichen Zweck feiner Reise, die Nachforschungen über das Leben der Brüder Heiwald und ihr Berhältniß zu dem verschwundenen Herrn von Scharnau aus den Augen. Mit der ihm eigenen Geschicklichkeit wußte er stets das Gespräch auf denselben Gegenstand zu leiten; ohne direkt zu fragen, brachte er die ganz unbefangenen Kaufleute dazu, ihm zu erzählen, was sie wußten. Einem Polizeibeamten oder dem Richter gegenüber würden sie sich in ihren Aussagen vorsichtig auf die Beantwortung bestimmter Fragen beschränkt haben, gegen den lebenslustigen und redseligen Reisenden aber äußerten sie sich ohne Scheu. Sie theilten ihm ost ganz unbedeutende Kleinigkeiten, die ihm aber wichtig für die Charakteristik der betreffenden Per sonen waren, mit; sie beschränkten sich nicht aus Thatsachen, sie sprachen sorglos auch ihre Muthmaßungen aus, und diese gingen mit seltener Einstimmigkeit dahin, daß Herr v. Scharnau gemordet und beraubt, daß Herr v. Heiwald der Mörder sei. Truck von Langer L Winterlich in Riesa. Für l Auch den Senator hatten einige im Verdacht als Theilnehmer an dem Verbrechen, andere bestritten dies. Interessante Mittheilungen empfing Werder von mehreren Seiten über das Leben des Herrn von Scharnau in Beut lingen. Der junge Edelmann hatte sich durch sein hochmüthiges, brutales Wesen sehr mißliebig gemacht, sich durch seine Liebe zum Trunk die Achtung der ruhigen Bürger der kleinen Stadt gänzlich verscherzt. Er hatte ost Abends im „Weißen Roß" das große Wort geführt und mehrfach dort ausgesprochen, er werde die schöne Ida von Heiwald heirathen, auch wenn sie mit deni Teufel selbst verwandt wäre. Seine Aeußerungen über Herrn von Heiwald waren stets rücksichtslos gewesen, noch am letzten Abend seiner Anwesenheit in Beutlingen hatte er im „Weißen Roß", nachdem er durch mehrere Flaschen Wein in große Aufregung gerochen war, mit Fluchen erzählt, Herr von Heiwald habe gewagt, ihm einen Korb zu geben, dafür aber solle er, wenn er sich nicht anders besinne, büßen. Den Schuft könne man ja cn den Galgen bringen und dahin falle er kommen! Vater Grawald, der an jenem Abend ebenfalls als Gast in Beutlingen im „Weißen Roß" anwesend gewesen war, hatte sich in seiner Gutmüthigkeit vergeblich bemüht, den Wüthenden zu beruhigen; dieser war immer aufgeregter geworden. Er hatte eine dicke Brieftasche von rothem Leder auf den Tisch geworfen, sie geöffnet, und den Inhalt, viele Tausende von Thalern, meist in Hundertthalerscheinen, herausgezogen. Sein ganzes Vermögen wolle er freudig opfern, hatte er gerufen, wenn es ihm gelinge, sich an dem schuftigen Herrn v. Heiwald zu rächen, diesen an den verdienten Galgen zu bringen. Nur mit äußerster Anstrengung war es endlich Grawald und dem Wirth vom „Weißen Roß" gelungen, den Schwer betrunkenen in sein Zimmer und zu Bett zu bringen. Am folgenden Morgen war er mit Grawald abgereist und in der Diebshaide verschwunden. Ergaben die Mittheilungen, welche Werder von allen Seiten empfing, auch an Thatsachen im Ganzen wenig Neues, so trugen sie doch dazu bei, seinen Verdacht gegen Herrn v. Heiwald mehr und mehr zu bestätigen, ja ihn fast bis zur Gewißheit zu erheben. Der Polizeirach f befand sich daher in keiner besonderen Stimmung, als er gegen elf Uhr den fiir die ganze Zeit seines Aufenthaltes in Beutlingen gemietheten Wagen bestieg, um eine Keine Reise nach der Eisenbahnstatton Weidenhagen anzutreten. Er lehnte sich in die Kissen zurück und überließ sich seinen trüben Gedanken; diesmal schenkte er dem Waldwege wenig Aufmerksamkeit, er erwachte aus seinen Träumereien erst, als der Kutscher alter Gewohnheit nach vor dem Sternkrug hielt. (Fortsetzung folgt.) Denk- und Tinufprüche. AuS den Schmerzen quellen Freuden, AuS der Freude quillt der Schmerz. Wär kein Wechsel von dm Beiden, Folgtm nicht aus Freuden Leiden, Würd' nicht warm ein Menschenherz. Nach den Thrünen stellt im Leben Sich auch oft daS Lachen ein; Thränen haben auch die Reben, Aber trotz der Thränen geben Sie den lust'gcn, goldnen Wein. Kerner. Redaktion verantwortlich: Herm. Schmidt in Mesa. ErMler an der Elbe. Belletrist. Gratisbeilage zu» „Riesaer Tageblatt". Rr. S0. Riesa, den 1« Dezember L804. 17 von beiden Heiwalds jede Geschäftsverbindung abbrechen, auS könne doch nichts Gutes herauskommen." „Wann hat er das gesagt?" „Zwei oder drei Tage nach dem Verschwinden des Herrn Scharnau." „Dann hat er sein Wort schlecht gehalten, deim ich weiß, daß er seitdem noch mehrfach mit den beiden Brüdern verkehrt hat. Cr wird sich inzwischen wohl eines Besseren besonnen, vielleicht eingesehen haben, daß sein Verdacht vor eilig ist. Jedenfalls dürfen wir nichts laut werden lassen, wodurch die Meinung verbreitet wird, es liege gegen Herr« von Heiwald irgend etwas Ernstliches vor. Ich kann mich wohl auf Ihre Diskretion verlassen, Vetter?" „Sicher, Herr Vetter, ganz wie Sie befehlen!" „Nun noch eine Bitte. Ich werde jetzt in meinen Gast hof zurückkehren und einen Bericht über meine bisherig« Nachforschungen an den Herrn Polizei-Direktor in M** schreiben, ich werde selbstverständlich nicht ermangeln, JhrcS Eifers rühmend zu erwähnen. Es liegt mir daran, daß der Bericht noch heute Nacht nach der Station Weiden Hagen kommt, damit er mit dem Nachtzuge befördert werd« kann. Sie haben wohl die Güte, ihn durch ein« reitenden Boden be fördern zu lassen?" „Ich werde sofort dm Befehl geb«, daß einer der Polizeidiener sich reisefertig mache. Der gute Bürgermeister fühlte sich unendlich geschmeichelt. er drückte dem „Vetter Steinert" warm die Hand und ver-' sicherte, daß er ganz zu dessen Diensten stehe; auf Werders Ersuchen erzählte er alles, was er selbst über die beiden Brüder Heiwald, über Herrn von Scharnau und dessen Auf treten in Beutlingen und Gromberg wußte, es war nichts Neues, nur eine Wiederholung dessen, was Werder während der vergangenen beiden Tage von verschied«« ander« Seit« gehört hatte. Der Bürgermeister bestätigte, daß er selbst bis jetzt die gegen die beiden Brüder Heiwald schwebenden Gerüchte nur für falsche und böswillig verbreitete Lüg« gehalt«, und daß er sich nach Kräften bemüht habe, ihn« entgegenzutretm. Seit dem Verschwind« des Herrn von Scharnau aber sei auch Der Sterukrug. Bon Adolf Strecks uh. (Fortsetzung.) Steinert oder vielmehr der Polizeirath Werder, denn wir müssen ihm wohl jetzt seinen rechten, uns durch den Bürgermeister enthüllten Namen und Titel geben, hielt sehr geduldig die ungestüme Begrüßung des kleinen Mannes aus; er nahm auf dem Sofa Platz und ließ den Bürgermeister eine Zeit lang wild durch einander schwatzen, er gewann aus dessen nichtssagenden Plaudereien sojort die Ueberzeugung, daß dieser Mann ihm bei ferneren Nachforschungen von gar keinem Nutzen sein könne. Er wurde durch diese Wahrnehmungen in dessen nicht weiter überrascht, denn er hatte schon vorher gehört, der Bürgermeister sei ein gutmüthiger Schwätzer, ! er irre an seinem früher« Glauben geworden, er könne ein ganz brauchbarer Beamter für eine kleine Stadt und ein I nicht umhin, zuzugeben, daß ein schwerer Verdacht auf Herm redlicher Mann, aber für jeden Dienst, der Schärfe des Ver- I von Heiwald ruhe, der aber dennoch kaum genügend sei, um standes, Muth und Charakterkraft erfordere, gänzlich unbrauchbar. I die Anleitung einer Untersuchung zu rechtfertigen. Nachdem der gute Bürgermeister sich ein wenig beruhigt Er habe aus diesem Grunde auch nicht gewagt, irg«d- hatte, sagte Werder: „Sie sehen mich bereit, Herr Vetter, I wie vorzugehen, obwohl Vater Grawald vom Sternkrug ihn Sie in Ihren Nachforschungen nach dem Schicksal des Herm deshalb der Bosheit, ja der Parteinahme für die Brüder von Scharnau nach Kräften zu unterstützen, oder Ihnen die- I Heiwald in einer persönlich« Unterredung geradezu beschul- selben vielmehr abznnehmen; damit aber meine Bemühungen digt habe. Der alte biedere Grawald könne nicht begreifen, nicht vergeblich werden, muß ich Sie dringend bitten, mich daß man solche Schonung übe, da doch die ganze Gegend von diesem Augenblick an nicht mehr Herr Polizeirath, sondern und vor allem auch der Sternkrug unter der Furcht leide, stets nur Herr Vetter oder Vetter Steinert zu nennen, welche das Verschwinden deS Herm von Scharnau von Neuem Niemand in Beutlingen und Umgegend darf meinen wahren I erweckt habe. Namen und Stand ahnen für Jedermann, außer für Sie, .Hat Vater Grawald Herm von Heiwald direkt beschul- muß tch, wenn ,ch auf Erfolg meiner Forschungen rechnen Werder soll, lediglich ihr ergebener Vetter, der Handluugsreisende ' Direkt, nein! Aber er hat sich so deutlich wie mög- i^Berlln M 9"ßc H«"s W. Oldelott u. Co. ^ch ausgesprochen und sogar noch Mzugcfügt, er werde mit „Gewiß, Herr Polizeirath —" ! „Schon wieder der verbotene Titel!" s „Er soll nicht wieder Vorkommen. Nur hier in meinem Studirzimmer —" „Auch die Wände haben Ohren! Außerdem gewöhnen Sie sich leichter an den Vetter Steinert, wenn Sic an den Polizeirath gar nicht denken. Ich kann Ihnen versichern, daß der Handlungsreisende für W. Oldecott u. Co. in zwei Tagen hier in der Gegend mehr erfahren hat, als der geübteste Polizist in acht Tagen erforscht hätte." „Sie sind also den Mördern auf der Spur? Herr —" „Vetter!" ergänzte Werder lächelnd. „Es wird Ihnen schwer, sich an das unschuldige Wort zu gewöhnen." „Nun ja, es wird schon kommen. Jetzt aber bitte, sagen Sie mir, was haben Sie entdeckt? Ich brenne vor Neugier." „Dann werden Sie schon noch eine Weile brennen müssen, lieber Vetter, denn entdeckt habe ich noch gar nichts! Nur Vermuthungen, allgemeine Vermuthungen wage ich. Vermuthungen, die ich geschöpft habe ans der Unterhaltung mit diesem und jenen, die jeder festen Grundlage entbehren, und die ich daher weder aussprechen kann noch darf. Sobald ich etwas Positives weiß, sind Sie natürlich der Erste, der es erfährt; ich muß ja, um einen Erfolg zu erzielen, vor zugsweise auf Ihre einsichtige Mitwirkung rechnen.