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Riesaer K Tageblatt und Anzeiger (Lll>etl<ü M Aijtigrr). Lcle-ramm-U-rrfs« ,r«>ebl«tt-, Ales«. Awtsötatt -er König!. Amtshauptmannschaft Großenhain, des König!. Amtsgerichts 8*»spr«chst«Ie Hk. »0 und des Stadtraths zu Riesa. 11. Montag, 14. Januar 18SS, AvendS. 48. Jahrg — >>. - > »-> > - — ! > .... > «WMM Das Riesaer Tageblatt erschein« jeden Tag Abends mit Ausnahme der Sonn- und Festtage. Vierteljährlicher Bezugspreis bet Abholung in den Expeditionen in Riesa und Strehla, de« AusDaheGMA sowie ym Schalter der kaijrrt. Postanstalten 1 Mart 25 Ps., durch die Träger srei in» Haus I Mark 50 Ps., durch den Briefträger frei tu» Hau» 1 Mart SS Ps. Anzrigm Annahnee flir -t» Mmmm des Ausgabetages bis Vormittag S Uhr ohne Gewähr. Druck und Verlag von Langer A Winterlich in Riesa. — Geschäftsstelle: Kattauieustraße vv. — Für bte Redartio« vewuttuwrUlch: -ar» Schmidt t» Rias«. Freibank Riesa, Kastanienstraße 29 im Hofe. Das Fleisch eines Kalbes gelangt morgen zum Berkaus. Der Preis beträgt 40 Pfg. pro r/jj Lg. Riesa, den 14. Januar 1895. Der Staötvath. Klötzer. Die Umsturzvorlage im Reichstage. Am Sonnabend endlich ist die erste Berathung der Umsturzvorlage szu Ende gekommen. Zunächst ergriff noch Abg. Lerno (C.) das Wort und erklärte gegenüber dem Abg. Dr. Sigl, cs sei unwahr, daß in Bayern über diese Vorlage große Mißstimmung herrsche. Unzufriedenheit be stehe über die allgemeine Misere, durch die Handel und Wandel darniederliege. Für eine weitere Beschränkung der Preßfreiheit im Sinne der Vorlage werde das Volk nicht zu haben sein. Bei einem künftigen Preßgesetz sei er für die Forderung des Befähigungsnachweises und für einen Ehrenrath für Journaltsten. Der Präsident ruft den Abg. Lerno nachträglich zur Ordnung wegen der Ausdrücke „Grobheit" und „hämisch". Abg. Hahn (C.) bekämpft die Vorlage als Ausnahme, gkfltz uNd verwahrt das Centrum energisch gegen die Unter, sttllung, daß es mit seiner Haltung gegenüber der Vorlage eine Uo-ub-Uss-Politik treiben wolle. In den schranken- losen Freiheiten für Ha del und Gewerbe uns in dem Kultur- , kampf lägen die starken Wurzeln der Svcialdemokratie. Das ' Gesetz werde nur den ersten Schritt bilden und andere Schrite > nach sich ziehen. (Während dieser Rede haben der Reichs- s kanzler, sowie die Minister Dr. v. Boetticher, Frhr. v. Mar- ! schall und v. Köller den Saal betreten. Der Reichskanzler wurdp u. A. von dem Abg. Grafen Herbert v. Bismarck begrüßt, mit dem er sich längere Zeit unterhielt wie auch mit dem Abg. Dr. v. Bennigsen.) Abg. Hahn geht schließlich auf einzelne Bestimmungen des Entwurfs ein. - Reichskanzler Fürst zuHohenlohe glaubt annehmen zu können, daß der Reichstag den Entwurf deswegen an eine Kommission verweise, weil er die ernsten Gefahren erkenne und Abhilfe schaffen wolle. Die Regierung habe bei der Erfüllung ihrer heiligen Pflicht zwei Wege gesehen, um einen Scbutzwall für die heiligsten Güter zu schaffen: Ausnahme, gesetz oder Abänderung des gemeinen Rechts. Man habe wegen der früheren Erfahrungen einen gewissen mittleren Weg cingeschlazen. Die Vorlage gelte nicht dem Kampfe der Meinungen, sondern der Methode des Kampfes. Man habe früher geglaubt, daß das Uebel in gewissen socialen Schäden liege und daß es durch Abhilfe derselben möglich sei, dem Umstürze vorzubeugkn. Dem sei jedoch nicht so. Die Fürsorge des Reiches für die Bevölkerung und die Host- nungen der Socialdemokratie hätten keine Berührung mit einander. Seit dem Bestehen des Reichstages sei keine Session vergangen, wo nicht die Regierungen gemeinsam mit dem Reichstage für das Wohl der arbeitenden Klassen rhätig gewesen und unablässig bemüht gewesen seien, auf dem Fun damente des christlichen Volkslebens weiter zu bauen. Darin sind wir von keinem anderen Lande der Welt übertroffen. Dieser Weg werde nie verlassen werden. Die Regierungen seien überzeugt, daß sie hierin auf den Reick «lag rechnen können. Aber mit dem Kampfe gegen den Umsturz sei es anders ; dieser Kampf richte sich gegen internationale und sociale Verbrechen. In diesem Kampfe würden die Regierungen die Unterstützung der Ration und, wie er hoffe, auch die that- kräftige Mitwirkung der Mehrheit des Reichstages finden. Lebhafter Beifall rechts.)', Abg. Leuschner (Reichsp.) führt aus, die Reichspartei verharre auf dem von dem Freiherrn v. Stumm bereits dargelegten Standpunkte. Es sei die höchste Zeit, daß auf allen Seiten den zerstörenden Einflüssen mit Energie entgegengetreten werde. Abg. Frohme (Soc.) erklärt, die Gocialdemokratie sei allerdings eine revolutionäre Partei, aber die Gegner unter ließen anzugeben, was die Socialdemokratie unter Revolution verstehe. Er bestreite die Glorificirüng anarchistischer Thaten durch die Socialdemokraten. (Oho k und Unruhe rechts.) Die ganze Kirchengeschichte bis in die neuere Zett sei voller Be weise von hierarchisch«« Anarchismus. Eine anarchistische That reihe sich an die andere. Der Anarchismus sei da« legitime Kindader Autorität. Die Erfinder neuer Maschinen zu Massenmorden seien die wahren Anarchisten der Propaganda der That. Auf den socialdemokratischen Kalendern, denen man vorwerfe, daß sie die Attentate verzeichnen, stünde auch Heinrich VIII., der seine Weiber hinrichten ließ, die Ziren-- meuchelcien und ähnliche Gewaltthaten. Dic Vorschläge des Freiherrn v. Stumm zur Bekämpfung des Umsturzes hätten die Socialdemokraten nicht überrascht. Die Aussaat der Unzufriedenheit sollen die Socialdemokraten besorgen ; aber auch Andere säen Unzufriedenheit. Zeuge etwa das Programm der Agrarier von Zufriedenheit? Oder zeugen die Anträge auf Erhöhung der Civillisten einzelner Fürsten von Zufrieden heit? Statt von dem socialdemokratischen Staate im Staate hätte Freiherr v. Stumm von dem absoluten Königreiche im Staate reden sollen. Herrn v. Stumm seien alle Diejenigen" unbequcm, welche die Nolhwendigkeit socialer Reformen an erkennen. Wer es wage, dem Arbeiter zu sagen, er habe Recht, der werde in Ach» und Bann gethan. Dem Vorwürfe, daß die Arbeiter sich Untreue zu schulden kommen lassen, könne cr andere Namen der herrschenden Klassen entgegen setzen. Steuerhinterziehungen, Schienenfälschungen, der Bank räuber Jerusalem, die Bankiers Maaß, Hirschfeld und Wolff, ferner vom Heede, der Landesdirektor Wehr. Haben Sie unter den Socialdemokraten solche gefunden, welche wegen , Diebstahls oder anderer entehrender Verbrechen Gefängniß gehabt? Nein! Also kehren Sie vor Ihrer Thür. Von selbst hätten die herrschenden Klassen nichts für die Arbeiter gethan; sie hätten sich Alles abnngen lassen. Die Furcht vor der Socialdemokratie sei das Motiv für die social reformatorischen Maßnahmen. Ebenso würden die reaktionären Parteien Alles thun, um die Arbeiter um ihre wohlerworbenen Rechte zu bringen. Die Vorlage sei ein Ausnahmegesetz und der Vorläufer noch viel strengerer Gesetze, die schon kommen würden. Der Centrumsredner habe gesagt, eine barmherzige Schwester thue in einem Monat mehr, als die ganze Social- demokralie. Aber das praktische Christenthnm habe für die Arbeiter bis jetzt nichts gethan. Die Wohlthätigkeits-Ein richtungen cxislirten schon zur Zeit der Zünfte; unabhängig von Kirche und Arbeiterunterstützungskassen hätten sie doch weit mehr Segen gestiftet, als das Christenthum. Es sei auch ganz unrecht, wenn die Unternehmer sich weigerten, zu den Lebeiterversicherungen Beiträge aus ihrer Tasche zu zahlen, denn sie verdienten doch nur durch der Hände Arbeit ihrer Arbeiter ihr Geld. Weiler sei der Vorwurf Unsinn, die Socialdemokraten wollten das Eigenthum abschasien. Nein, sie wollten nur dem Mißbrauche desselben Vorbeugen; sie sagten nicht, wie Herr von Stumm behaupte: „Nieder mit dem Kapital!" sondern: „Her mit dem Kapital!" (Große Heiterkeit. Aha! rechts.) Es sei ein Frevel, welche Verwüstungen der Kapitalismus anrichte in der Welt; der Anarchismus sei nichts dagegen. Man werfe den So zialdemokraten die Vernichtung von Treu und Glauben vor. Er srage dagegen: Wie man ihnen gegenüber die Gesetze ausleze, daß sie werthlos würden, heiße das Treu und Glauben? Wie man die Wahlfreiheit beschränke, wenn man die Arbeiter zwinge, so zu stimmen, wie der Arbeitgeber will. Dadurch hibe man bewirkt, daß das Volk anfange, über die Sozialdemokratie nachzudenken. Die Mahnung des Abg. v. Bennigsen an die Einigkeit aller Parteien wider die Sozialdemokratie werde wirkungslos bleiben wegen der Un versöhnlichkeit der Gegensätze. Er erinnere daran, daß der Minister Miquel, den sich die Rechte jetzt als Finanzminister gewählt, einst gesagt habe, wie Rudolf Meyer im „Eman- zipationSkampfe des vierten Standes aussührt, e« sei Z'it, daß man sich zusammenthue, um den Junkern die Köpfe ein zuschlagen. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Die Monarchie sei nicht al« Grundlage von Staat und Gesell schaft anzusehen. Staat und Gesellschaft werden bleiben ; es werde aber die Zeit kommen, wo die Zeiten de« GotteS- gnadenthums vorüber seien. Die liberale Richtung habe einen großen Theil ihrer Macht gewonnen durch den Konfti- tutionalismus. Der bürgerliche Staat sei im Versinken und Verfaulen. Das Königthum wolle aber nicht mit fallen, sondern em sogenanntes soziales Königsthum werden. Lorenz v. Stein sage, wenn das KönigSthum das wolle, müsse es zuerst die liberale Bourgeosie vernichten. Der Liberalismus habe nicht gehalten, was er versprochen; er müsse deshalb für immer auf die Führerschaft verzichten. Sie haben den Arbeitern politische Freiheit versprochen, aber nicht gehalten, und zwar aus Furcht. Die Rede Bennigsens zeige, wohin der Liberalismus gekommen sei. ES werde die Zeit kommen, wo selbst von Rudimenten Ihrer Partei nichts mehr übrig ist. Er müsse gegen den in der Rede des KriegSministcrs enthaltenen Vorwurf 7er Feigheit protestiren. 'Es gebe - Sozialdemokraten, die mehr Muth hätten als mancher rnilss ßloriosus, mehr, als mancher Offizier im Duell zeige oder wenn er einen wehrlosen Sozialisten niederschießen gehe. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Dre Rede des Ministers von Köller sollte eine Berurtheilung der Sozial, demokraten sein. Er müsse sagen: im Berhältniß zu seinem hohen Gehalt habe der Herr Minister eigentlich eine recht schlechte Rede gehalten. (Große Heiterkeit, worin Minister v. Köller einstimmt.) Er protestire gegen die Zurückweisung des Ministers, daß es keine Spitzel und keine AesrAs provocntsurs gebe. Es sei vor Gericht festgestellt, daß die Altonaer Polizisten auf Geheiß des Polizeikommissars „Die Freiheit" eingeführt haben. Die Fälle, die Herr von Köller für die Unwirksamkeit des gegenwärtigen Strafgesetzes angeführt habe, seien deshalb nicht verfolgt worden, weil jene Aeußerungen aus dem Zusammenhang gerissen waren, weil sie im Texte, aber ganz unschuldig, standen. Herr v. Köller solle doch mit seinen Kollegen dahin wirken, daß der elende Polizeianarchismus einmal ein Ende nimmt. (Heiterkeit.) Er komme zum Schluß. (Bravo!) Sie haben allerdings Ursache, sich zu freuen, wenn das Strafgericht über Sie zu Ende ist. (Große Heiterkeit.) Greifen Sie nach oben, wie sie wollen, katzbalgen Sie sich um die größten Brocken: die Sozialdemo, kratie werden Sie durch solche Gesetze nicht unterkriegen! (Beifall bei den Sozialdemokraten.) Kriegsminister Bronsart v. Schellendorff kon- statirte, daß die Sozialdemokraten sich durch seine Worte getroffen gefühlt. Der Redner habe auch nicht versucht, ihn sachlich zu widerlege», er habe einfach die Version gemacht, ihn — den Kriegsminister — anzugreifen. An mich können Sie nicht heran; mir reichen Sie nicht einmal an die Spitze meines Fußes; ich brauche nicht einmal die symbolische Ge- berde der Abwehr zu machen. (Oho! Ruf: Unverschämt, was der Präsident energisch rügt, mit dem Hinzufügen, die Sozialdemokraten brächten den Ton des Hauses herunter. Lebhafter Beifall.) Die Sozialdemokraten sollten endlich die Angriffe gegen die Armee Unterlasten. Sie würfen den Offizieren vor, daß sie nur der Kaution wegen heiratheten. Das ist im gewöhnlichen Leben eine Beleidigung! Was . würden Sie sagen, wenn ich Ihnen vorwürfe, Sie handelt.» nicht aus Ueberzeugung, sondern um Geld? Wer lärmt dann? Wenn Sie Angriffe gegen die Armee richten, so können Sie nicht verlangen, daß ich mit Ihnen als Zere- monienmcister verhandle (Beifall); ich werde es stets energisch zurückweis.n, wie am Donnerstag. Wenn Sie meine Person angreifen, dann bitte höflich! (Beifall.) Minister v. Köller wies wiederholt den Vorwurf der Existenz von Spitzeln und ^ssots provoontsui-8 zurück; dazu werde er niemals die Hand bieten. Wenn der Abg. Frohme von einem Polizeianarchismus gesprochen habe, so protestire er gegen die Beleidigung dieses ehrenhaften Standes auf das energischste, den er stets in seinem schweren Amte gegen solche Angriffe schützen werde. (Beifall rechts.) Abg. v. Buchka (kons.) vertrat den Standpunkt der Konservativen. Mit der Vorlage allein sei es nicht gethan; es müßten auch positivere Maßregeln zur Besserung der Lage ergriffen werden; namentlich wüste der Landwirthschaft geholfen werden. Bei der weiteren Ausführung dieses Gedankens rief der Vizepräsident Frhr. von Buol wiederholt den Redner zur Sache. Redner führte denselben Gedanken bezüglich des Handwerkerstandes au- unter wiederholten Rufen aus dem