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und sie verspeiste» es. Tas Bildchen aber steckte sie in die Tasche. - „Schenken Sie mir doch Ihr Porträt," bat er. „O vein," sagte sie scherzend, „dazn kennen wir nnS noch nicht lange genug." Und doch war es ihr, als hätte sie ihn seit Jahren gekannt. „Ta geht die Straße ins heilige römische Reich deutscher Nation hinaussagte er, auf die breite staubige Lankkst«aße deutend, die sich durch die Häuser der Dorstadt vor ihnen hinzog. „Tu geht cs nach Ratzeburg," flüsterte sie. „Wollen wir hingehcn?" fragte er lächelnd. Sie sah ihn nur mit großen traurigen Augen an. Ta ward er auch still und ernsthaft. Sie bogen jetzt seitwärts ab und schritten zwischen blühenden Gärten hin. Ter Meder duftete, und die Lögel jubilierten. Klärchen atmete tief. „Ach," sagte sie, „wie schön ist es hier draußen!" „Nicht wahr," pflichtete er bei, „wunderschön," und seine Augen glänzten wieder fröhlich „Hören Sie, das ist die Nachtigall." Sie standen still und lauschten. „Und nun sind wir da," sagte er und deutete auf ein ansehnliches Haus, das aus den blühenden Bäumen und Mischen auftauchte. „Wie schade!" rief Klärchen unwillkürlich, dann aber errötete sie. „Ja, wirklich/' erwiderte er unbefangen, „es war so hübich zu wandern." „Wissen Sie," meinte sie zutraulich, „ich fürchte mich immer vor all de» fremden Menschen." Ta lachte er. „Warum denn? Im Grunde sind sie alle gar nichts Besonderes, man muß sie nicht zu wichtig nehmen. Wir wollen tüchtig tanzen und sehr vergnügt sein, denke ich" Und seine Fröhlichkeit sreckte sie an. Es ging ihr sonderbar, aber sie hatte ein ^'o sicheres Gefühl, weil sie wußte, daß Heinz in der Nähe war. Sie kam freilich zuerst ein wenig ins Gedränge, weil sie merkte, daß die fremden Kusinen und Vettern sie mit einer ge wissen Neugierde betrachteten, aber es waren ja auch alles junge Leute, und als mau sich im Garten zer streute und dann später der Tanz begann, taute sie auf. Seit sie in Lübeck war, hatte sie noch nie so ver gnügt sein können. Sie wußte nicht, wie es kam, aber es erschien ihr heute alles so wunderschön. Tie blühen den Sträucher und Blumen im Garten, die singenden Böget, der Sonnenschein, die Musik und der Tanz. Alles war ganz herrlich, und am Ende fand sie, daß Heinz ganz recht hatte. Tie Menschen waren gar nicht zu fürchten, sie waren ja alle so freundlich und schienen ebenso vergnügt wie sie selbst. So flogen die Stunden hin, und endlicy, als dec Mond schon lange am Himmel stand, gingen ,ce in großer Gesellschaft nach Hause. Unterwegs stimmte jemand ein Lied an, und sie zogen durch den köstlichen Tommerabend zwischen den Gärten hin und saugen: „Wend ivird eS wieder, über Wald und Feld Säuselt Friesen nieder, und eS ruht die Welt." Sie hörte, daß Heinz dicht hinter ihr ging, sie kannte ja seine Stimme. TaS Stadttor war schon geschlossen, aber sie zahlten Sperrgelo, und der schläfrige Wächter schloß ihnen auf. Rur die letzte Strecke gingen Klär chen und Heinz wieder allein. Sie waren beide still. Und als sich dann die schwere, alte Haustür hinter ihnen schloß uns Heinz „Gute Nacht" sagte, war cs Klärchen, als erwache sie aus einem schönen Traum, > und es legte sich wie eine schwere Last auf ihr fröh liches Herz. Und dann sah sie tagelang nichts von ihrem neuen Freunde, nur bei den Mahlzeiten ein flüchtiger Gruß, ein lächelndes Blicken hinüber und herüber, und doch freute sie sich immer auf diese Zeichen stillen Ver stehens. Oft besag sie das bunte Bildchen von denk Pfefferkuchenherzen und dachte an den herrlichen Nachmittag oraußen im Grünen. Ter Großmutter erzählte sie davon, und wenn sie ihr zu Füßen saß und die bemalten Wände mit den sonderbaren Gärten und den blauen Bergen vor sich sah, wandelte »ich das altertümliche Bild, und sie durchschritt im Geiste wieder die blühende Sommerwelt draußen, und Heinz ging nebenher und sang:. Ich hört ein Bächlein rauschen Wohl aus dem Felsenguell, Hinab zum Tale rauschen. So frisch und wunderhell. -- Und dann ging alles wieder seinen gewohnten Gang. Aber es war doch nicht wie zuvor. Es war alles so öde und trüb und schwer, Märchen wurde blaß, sie konnte des Abends oft vor Herzklopfen nicht einschlafen, und manchmal lag sie mit einer dumpfen Angst, die sie beklemmt nnd ihren Atem stocken machte, ohne daß sie recht wußte, weshalb. Frau Henriette beachtete es nicht, daß das Mädchen oft so müde aussah, sic war so sehr beschäftigt, und cs kam ihr ziemlich ungelegen, als ihr Gatte eines Tages erklärtem er habe die Träger für den Transport der notwendigen Sacyen bestellt, und Klärchen solle mit der Großmutter mm endlich in das Gartenhaus ziehen. Tas Boot sei auch fertig und das Wetter so schön, cs wäre die höchjre Zeit. Frau Henriette murmelte etwas davon? daß sie nun die ganze Last allein zn tragen habe, daß sie cs ganz überflüssig finde, wo im Haus alle Hände voll zu tun seien, noch so unnötige Arbeit zu machen, aber es half ihr nichts, der Herr und Gebieter befahl, nnd eS geschah. . So fand sich Klärchen plötzlich aus dem großen Haus und dem engen Gärtchen in die herrliche freie sommerliche Natur draußen versetzt. Sie atmete auf, und als sie am ersten Nachmittag allein mit der Groß mutter in der Laube saß? die Vögel sangen, die Rosen dufteten und der bläue Himmel sich über ihr wölbte,- war sie ganz glücklich, alle Schwere schien ihr abge streift, sie legte der Greisin einen vollen? duftenden Zentifolienstrauch in den Schoß und rief einnral über das andere: „Großmutter, hörst Du den Buchfinken? Großmutter? merkst Du, wie die Rosen riechen? Groß mutter, höre doch, das ist, glaube ich, der Kuckuck. „Kuckuck, wie lange lebe ich noch?" O Großmutter ec ist ganz still! Wer nun — da — da ruft er wieder eins — zwei — drei —" sie zählte und lachte? weil das Rufen kein Ende nehmen wollte. Und die Frau freute sich mit ihr. Auch ihr tat es wohl, die freie, frische Luit zu atmen und den Gesang der Vögel zu hören. (Fortsetzung folgt.) Druks «ud Linusprüche. Rufe nicht vnxang'ne Tage, Nicht verschwund'ne Zeit zurück; Leb' der Gegenwart und klage Nimmer um enischwnnd'nes Glück. Weh dem Manne, der verzagend Auf verfloss'ne Stunden schaut, Der, die Gegenwart verklagend. Nicht der eig'nen Kraft vertraut; Der mit Wehmut und voll Bangen Rückwärts hält den Blick gewandt; Glänzend liegt, du mußt'« erlangen, Vor dir das gelobte Land. Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan, Nnd keinen Tag soll man verpassen; DaS Mögliche soll der Entschluß Beherzt sogleich beim Schopfe fasten; Er will cs dann nicht fahren lassen Und wirket weiter, weil er muß. Goethe. Nicht der schöne Aermel, sondern der starke Arm schlägt den Feind. Druck uiü» Verlag von Langer L Winterlich, Riesa. — Für die Redaktion verantwortlich: Arthur Hähnel, Riesa. «es«. He- 28. Vktuber IstU 43 stieg in dem Gesicht dcS Mädchens 7MWWWWW Klara. Eine Geschichte au« der Biedermeierzeit von H. von Krause. Fortsetzung. August war ein sehr rücksichtsvÄler Bräutigam, über allzu große Zärtlichkeit konnte sich Klärchen nicht beklagen, und das war ganz nach ihrem Helfen, denn solange er die Stelle eines guten Freundes, ja eines wohlwollenden Gebieters spielte, fand sic sich durchaus Willig, ja freudig in ihre Lage, sobald er aber doch ein mal den Bräutigam herauskehrte, sie küßte oder mit ihrem blonden Haare spielte, mußte sie sich stets Ge walt antun, um ihn nicht von sich zu stoßen. Tas aber merkte er nicht. Er war ja so überzeugt, daß sie glück-, selig sein müsse, das arme, kleine Mädchen, als die Brant eines Lüders? daß er keinen Augenblick etwas anderes, als vollste Hingebung bei ihr annahm. In einem Punkte waren die beiden so ganz verschiedenen Menschen einig? nämlich in dem Wunsche, daß diese Festlichkeiten, Besuche, Gegenbesuche und Gratula tionen bald ein Ende haben möchten, sie waren ihnen beiden? freilich aus verschiedenen Gründen, höchst un- shmpathisch. Während des Berlobungsfestes fand sich die Rügend z». allerlei Spielen zusammen. In einer Pause sprach man davon, daß es nun bald Frühling Und Sommer würde, und Märchen hörte? wie die jungen Mädchen sich fast alle freuten, nun bald in die Landhäuser und Gärten zu ziehen , die die meisten Lübecker Familien draußen vor den Toren der Stadt besaßen. Juliane rühmte bejönders die Schönheit ihres Gartens. - j „Lüders haben ja wohl gar kein Landhaus, Fräulein Heindorf?" wandte sie sich an Klstrchen. „Nein, leider nicht," erwiderte diese, unwillkürlich daran denkend, wie schade es sei, daß sie nicht auch in einen Garten ziehen könne, und wie schrecklich schwer «S ihr schon im Winter gewesen wär, gar nicht recht »US. Freie zu kommen. „Na, das ist aber auch sehr traurig für Sie," sagte Mliaue etwas von oben herab? und, ihren stolzen Kopf erhebend? „da beklage ich Sie; den ganzen 'Sommer in der Stadt sitzen, das hielte ich nicht aus, Vie Aermste!" i August, der mit einigen jungen Herren sprach, hörte nur mit halbem Ohre, wovon die Rede war, der Ton in dem die hochmütige Juliane zu Märchen sprach, ärgerte ihn, und cr wandte sich rasch an seine Braut: r,Liebes Klärchen? weshalb lverden Sie beklagt?" fragte er. > —. „Weil sie den ganzen schönen Sommer in der 'Stadt sitzen muß, in den engen, heißen, staubigen Straßen? Sic haben doch keinen Garten? Herr Lüders," entgegnete Juliane, Märchen die Antwort abnehmend. „Mochten Sie einen Garten haben, meine Liebe?" fragte er Klärchen. Ein Helles Rot äuf: „Ach," sagte sie, „das wäre zn schön! Aber," fügte sie sogleich im Gefühle der Unbescheidenheit eines solchen Wunsches hinzu? „wir haben ja den Neinen Garten im Hof." Tie Hochzeit sollte im Herbste sein. ' August mußte im Sommer eine Reise für das Geschäft unternehmen, die ihn mehrere Monate sernhalteu würde; der nach Trankreich entsandte Reisende hatte sich unzuverlässig —W— Juliane lachte. „Ein schöner Park," sagte sie, »Hari, sitzt man ja wie im Gefängnis." „Sie sollen den schönste» Garten und das beste Landhaus von ganz Lübeck habe»," rief August, de» die Weise JuliunenS empört«. ,,Gestern ist mir zu Ohren gekommen, baß das große Hanemäusche Grund stück an der Trave verkauft werden sokk,^ich werd« e» kaufen." Klärchen ergriff seine Hand, und zu« ersten Male seit ihrer Verladung schlug ihm ihr Herz bräutlich »an» entgegen. „O, ich danke, ich freue mich so sehr," stam melte sie, „aber Sie sollten eS meinetwegen nicht tu», lieber August," fügte sie bescheiden hinzu. Z „Erst recht Ihretwegen, liebe Klara!" sagte er «it einem triumphierenden BUS auf Juliane, „weine Braut kann sich solche Wünsche erlauben." Und er hielt »ort, August Silber» hielt immer Wort. Schon nach einigen Tagen brachte er den Pla» - des erworbenen Grundstücke», und dann führte er Märchen hinaus. Sie war -auz glückselig. Da» trau liche Hau» mit dem gebrochenen Ziegeldach, unter der alte» Linde inmitten eine» großen Garte«», Her an die Trave stieß! Noch nie hatte August sie s* leb haft gesehen. * „Sie können hier machen, was Sie wollen," sagte er gleichgültig, al» sie ihm mit Eifer 'ihre Pläne für Anlage und Pflege des etwa» wüsten Garten» dar- legte. „Ich mache uuir nicht» au» Blume« rnw sche nicht gern im Freien, man hat bestaubte Weiber und kann nichts Vernünftiges vornehmen. Ah werde 1» der Stadt bleiben." Märchens Freude war gedämpft. „Ach wie schache!" sagte sie niedergeschlagen. „Soll ich den» ganz allein hier draußen ivohnen?" „Mutter wird nicht hat unser altes Garten! entschließen konnte, hinaur-uzichen. Frage« Sie Großmutter, die war immer gern drauß«. Sie hat zwar nichts mehr davon, aber sie ist doch ei» bißchen sonderbar, sie sagte, «S fei ihr leid, daß sie nicht «ehr hinauskönne." „Ach ja, Großmutter," rief Klärcheu e suchte sogleich nach einem recht geschützte» für die Greisin und pflückte Äne ganze Haud voll Veilchen, um sie ihr mitzunehmeu. „Und dann, nicht wahr, da»« kommen Sie gege» Wend oder schon des Nachmittag» heran»?" bat st^ in dem Gefühl, ihn doch an ihmr Freude teSstchtue» zu lassen. „Tie andern Damen sagten, dcch die Her«« > das immer täten. Tann können wir ans der Trave Boot fahren, nicht wahr?- ES wird WNß-erschD» werden." » r „Ich glaube nicht, daß ich viel Zeit haben wnbe zu solchen Tingen," meinte er etwa» verächtlich „ES wird besser sein,^ daß Sie öfter» hereiUkvulmen «G nach dem Rechten in unserer Wohnung sehen? LieNst- boten sind stets' unzuverlässig." G CrMer an der Mr. Bellet», Gratisbeilage za» „Riesaer Tageblatt"^^ an dem Garten. Eine rastlose Tätigkeit nahm sie nun auch gauziu Anspruch. Krau Henriette besorgte mit g«ch« Uuchcht und Freigebigkeit die Aussteuer. Natürllch Märchen fleißig helfe«, «vor «ßrgeu wurde Leinwand zugeschaitwn, Bette» -