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de«- Ja, endlich! sie durste eintreten, während die Mut ter zurückblieb. Ter Professor war ein nicht mehr junger Mann mit einem edlen, klugen Gesicht, das immer ernster und immer mitleidiger auf das schöne, junge Wesen vor ihm herab sah, während er eine gründliche Untersuchung vornahm und fragte, was bisher zur Beseitigung des Nebels ge schehen sei. Ella berichtete alles. „Können Sie mir Helsen?" fragte sie endlich, als der Arzt eine ganze Weile schwieg. „ES tut mir leid, mein liebes Fräulein," und man sah, daß es ihm in der Tat leid war, „meine Kunst reicht hier nicht aus. Ich glaube nicht, daß jemand Ihnen jetzt noch helfen kann. Ja, wären Sie früher gekommen, — nun aber ist durch völlig verkehrte Behandlung Ihr an fänglich unbedeutendes Leiden sehr verschlimmert. Ter Arzt, der Sie behandelte, scheint unverantwortlich nach lässig gewesen zu sein, oder er hat die Natur der Krank heit völlig verkannt. . ." „Es ist mein Verlobter," sagte Ella schnell, um allen weiteren Aeußerungen über Rolf zuvorzukommen. „Tann wird man ihm den Vorwurf der Nachlässigkeit wohl nicht machen können. Es stimmt aber nicht ganz selten vor, daß jungen Aerzten gerade von dem dringenden Wunsche, Nahestehenden zu helfen, der klare Blick getrübt wird, so L«aß sie zu unrichtigen Mitteln greifen. Man kann ihnen, will man gerecht sein, kaum einen Vorwurf daraus machen." „Gott weiß, ich tue es nicht. — Aber mein Leiden wird sich wenigstens nicht verschlimmern?" sie sah ihn angstvoll an. Leider! Es ist kaum anders möglich, als daß es nach und nach fortschreitet. Vielleicht, — ich kann Ihnen das nicht verbergen- — wird es auch rasch zunehmen. Es kann sein, daß Sie schon in wenigen Jahren — aber was ist Ihnen? Ihnen ist nichjt wohl?" Ella war in der Dat, als würde sie ohnmächtig. Alles um sie her schwankte. Aber sie bezwang sich getvaltsam. „Es ist nichts. Bitte, sagen Sie alles. Was kann schon nach wenigen Jahren geschehen?" „Sie können nach wenigen Jähren taub sein, mein armes Kind. Aber verlieren Sie nicht den Mut. Ich sage ja nicht, das Schlimmste muß eintreten, es ist nur mög lich, und Aufregung schadet Ihnen mehr als alles andere." Er sagte es väterlich und freundlich Ihr klang es wie Hohn. Nicht den Mut verlieren, sich nicht aufregen, wenn sie in wenigen Jahren taub sein konnte! Sie mußte die Mutter sehen, mußte frische Luft atmen, und dann heim, heim! Frau Franziska sah Ma erschrocken an, als sie mit fest aufeinandergepreßten Lippen, als hielte sie Tränen zurück, sie mit fortzog. Sie begriff, daß sie nichts Gutes könne gehört haben, und fragte deshalb nicht, bis sie ihr Hotel wieder erreicht hatten. Ta fiel ihr Ella schluchzend um den Hals. „Ich werde taub sein. — taub, hörst du, Mutter? in wenig Jahren vielleicht schon. — O Gott, Goth wenn ich jetzt nicht Rolf hätte, ich trüge es nicht, ich verlöre den Verstand! — Hast du gehört, Mutter, — taub, sagte er, würde ich sein, wie das arme Mädchen mit den traurigen Augen! — Ich werde dich nicht mehr hören, und Hanna — und Rolf. O Rolf, Rolf, mein Liebling!" Ms die beiden Tomen spät abends zu Hause ein trafen, waren Herr Wendtland, Hanna und Rolf am Bahn hos. ES war eine schöne Nacht, und man hatte den Wagen nicht bestellt, um zu Fuß zurückzugetzen. Tas Brautpaar blieb hinter den andern zurück. Mas sagte er, Ella?" , „Er sagte, — er sagte nicht viel Gutes, lieber Rolf. Tu wirst vielleicht in wenig Jahren eine taube Frau haben. Es kann auch länger dauern, aber früher oder später wird mich das Unglück erreichen." Sie sagte es anscheinend ganz ruhig; er sah nicht, wie ihre Lippen zitterten. „Es kann nicht wahr sein, Ella, es wäre zu grausam, um wahr zu sein." „Es ist wahr, Rolf. — Sieh, und heute erst habe ich recht empfunden, wie gut Gott es mit mir meinte, als er dich mir gab. Wie sollte ich jetzt leben, ohne an ihm zu verzweifeln, wenn ich dich nicht hätte?" „Mein armes, kleines Mädchen, wie sollen wir dies tragen! — und sagte er nicht," fügte er mit plötzlich er wachtem Argwohn hinzu, „ob ich dir durch meine Behand lung geschadet hätte?" Tas Helle Licht des Mondes fiel eben auf ihr bleiches, verweintes Gesicht. Rolf stand still und nötigte so auch sie, innezuhalten. „Sage mir die Wahrheit, Ella." Sie sah ihn mit den wunderschönen Augen klar und fest an. „Er sagte nichts dergleichen, lieber Rolf." Ties war in ihrem Sinne keine Lüge. Ja, sie hatte recht, sie ejmpsand erst jetzt ganz, wie unentbehrlich er ihr war. Wenn sie seine Hand in der ihren hielt, seine liebe Stimme hörte, schien ihr immer wieder, auch das Schwerste lasse sich tragen, und fest nahm sie sich vor, auch in Zukunft nie den leisesten Gedanken des Argwohns zwischen sich selbst und diejenigen, welche sie liebte, treten zu lassen. Sie wußte, wie unerträglich sich Schwerhörige ihrer Umgebung durch Trübsinn und Mißtrauen oft machen. Sie wollte heiter und freundlich bleiben, immer. Wäre er nur öfter gekommen^ ex hätte ihr die Tage, wo sie sich in allj die neuen, schweren Gedanken erst hinein finden mußte, so erleichtert; aber er schien gerade jetzt sehr beschäftigt, er fand seltener als sonst Zeit, zu kommen, und wenn er kam, war er so wechselnd, so unberechenbar in seinem Wesen, daß sie ihn oft nicht begriff, bald fast kalt und unfreundlich und dann plötzlich ohne Uebergang so heftig u^d leidenschaftlich zärtlich, daß er sie erschreckte. Sie hatte ihn zuerst gefragt, ob er krank sei, ob er ihr zürne, aber sie hatte aus. seinen ausweichenden Antworten gehört, daß ihre Fragen ihn quälten; seitdem schwieg sie. Einmal nur kam ihr ein Gedanke, der ihr den Atem nahm, während sie ihn dachte. Liebte Rolf sie nicht mehr wie früher, seit sie krank war? Mer sie wies den Ver dacht mit Zorn gegen sich selbst zurück. — Also dahin hatte ihre Krankheit sie schpn gebracht, ihm, der ihr tausendmal gesagt hatte, sie gehörten zusammen in Freude und Leid, zu mißtrauen? Sie bat ihm das in ihrem Herzen wieder und wieder ab. So kam der 8. September heran, ihr zwanzigster Ge burtstag. Ter Spätsommer war so schön, man konnte saft den ganzen Tag im Freien zubringen. Tie Eltern und Hanna hatten nach Tisch das Brautpaar allein in dem großen, von der Straße abgelegenen Garten gelassen, aber die beiden sprachen nur wenig miteinander, Rolf wir wie der so seltsam heute. Ta sah der wohlbekannte, alte Postbote schmunzelnd über die Gartenpforte. Er kannte seit lange Ellas Vor liebe, Briefe zu bekommen, winkte ihr darum mit viel sagendem Kopfnicken und reichte ihr eine ganze Anzahl von Briefen über die Pforte zu. Es waren Glückwunsch schreiben von Freundinnen und Cousinen. Ella kannte ihren Inhalt ungefähr schon, ehe sie erbrochen waren. Sie nahm nur einen Brief aus der Zahl heraus, der mit den ihr wohlbekannten, altmodischen Schriftzügen adressiert war, die so bezeichnend für ihre Schwieger mutter waren. VL „ES ist «in Brief Won der Mama gekommen, Rolf, wollen wir ihn zusammen lesen?" Er saß mit beiden Ellenbogen auf den Gartentisch gestützt, die Stirn in die Hände gepreßt, als wäre Ella gar nicht da „Nein," sagte er gleichgültig, beinahe unfreundlich. So las sie denn allein. Tie ersten Seiten enthielten nichts Besonderes, aber dann kam auf der vierten Seite eine Stelle, die sie wieder und' wieder las. Ta stand: „Natürlich ist es dir ein großer Drost, in den schweren Tagen, die die Zukunft dir bringen wird, meinen Rolf zur Seite zu haben. Hast du aber auch be dacht, wie groß das Opfer ist, welches er dir bringt? Ich bin eine alte Frau und verstehe von solchen Tingen nicht viel, aber mir jcbeint fast, du forderst zu Schweres von ihm. Mein Rolf ist so gut und brav, er würde dir das nie sagen, und auch ich schreibe es dir nur, mein Kind, damit du recht einsiehst, was du an ihm hast, und wie dankbar du Gott für ihn sein mußt." Die alte Pastorin hatte wirklich, als sie dies schrieb, keinen andern Zweck gehabt, als Ella Rolfs Vortrefflich keit, die diese ihr immer noch nicht genug zu schätzen schien, recht zum Bewußtsein zu bringen. Sie hatte, ob gleich sie die Verlobung von Anfang an mißbilligte, jetzt nicht die Absicht, störend zwischen die beiden zu treten. Ella las diese Stelle im Brief immer wieder. Sie sah auf Rolf, der, wie in bitteren Gram ver sunken, dasaß, und sie sah »nieder auf den Brief. Ein sonderbares, wehes Gefühl überkam sie. Sie erinnerte sich plötzlich wieder jenes Gesprächs in Treseburg, das der Anblick des Blinden hervorgerufen hatte. Was jagte doch Rolf damals? Es würde ihm den Mut und die Freudigkeit lähmen, wenn ihn ein geliebtes Wesen unaufhörlich an die Unzulänglichkeit seiner Kunst mahnte. War's nicht so? Wie hatte sie doch das ver gessen können! Und sie, sie sollte ein solches Opfer von ihm fordern, sie ihn fürs Leben unglücklich machen? Sie sah ihn »nieder an. Sollte sie ihn fragen, ob seine Mutter recht hätte? — Wenn er dann ja sagte, und sie ihn verlor — für immer! Würde sie dann noch leben können ? Aber er konnte ja nicht Ja sagen, er liebte sie ja! Mit raschem Entschluß trat sie auf ihn zu. „Rolf!" Er ließ die eine Hand sinken und sah zu ihr empor, »vie sie mit dem offenen Brief vor ihm stand. Wie hatten die letzten Wochen sein gutes, fröhliches Gesicht verändert! — es war ihr nie so aufgefallen wie in diesem Augen blick. „Willst du nicht Mutters Brief lesen? Es wäre mir so lieb." Rolf griff gleichgültig nach dem Briefe und las ihn. Er schien ihn nicht zu interessieren, bis er an die Stelle kam, die Ella meinte. Ta zerknitterte er plötzlich das Papier, ballte es zusammen, warf es wie im Ingrimm von sich und ließ mit einen» Aufftöhnen den Kopf wie der in die Hände sinken. Sie legte ihre beider» Hände auf seine Schultern. „Ist es wahr, Rolf, was sie schreibt? Ist das Opfer, das du mir bringen willst, zu groß? Ist es das, was dich die letzte Zeit hindurch gequält hat?" Er schüttelte die leichten, kleinen Hände von sich und stand hastig auf. Wie ein Schmerzensschrei klang, was er antwortete: „Habe Geduld mit mir, Ella, ich arbeite mich durch, aber ich muß Zeit haben! Ich weiß, ich bin ein elender, erbärmlicher Feigling, — aber der Gedanke an die Zu- kunst liegt auf mir wie, ein Alp. — Ich dachte, ich wollte schweigen und mich allein durchkämpfen, aber ich kann'S nicht, da du mich fragst. — Immer wieder, bei Lag euch Nacht, verfolgt mich der Gedanke, wie alles sein wird. EU ist mir zu schwer — zu schwer!" Fortsetzung folgt. , Ki«e mqWMiche Ließe. Lu» dem Tagebuch, rtueS Zukmst»jüug8»g«. Humoreske von Llrl» U'relch. 27. Juli 2000. Gestern bin ich aus dem Pensionats gekommen. Zu Hause fand ich einen sehr feierlichen Empfang. Mama sagte, daß ich jetzt in die Gesellschaft eingefüAt werde. Gleichzeitig muß ich auch die im Pensionate erworbenen Kenntnisse verwerten lernen. Schon von nächster Woche an muß ich kochen! Ach, das ist schrecklich, zu welch Ar beiten man uns junge Männer heranzieht. Kochen war mir von jeher der verhaftetste Gegenstand. 3. August 2000. Gegenwärtig praktiziere ich bei unserer Köchin, einer dummen, dicken Person, die immer von einem Feldwebel schwärmt und kein Verständnis für das moderne Leben hat. O, wie demütigend ist es für einen jungen Mann, stets Belehrungen über die Zusammensetzung einer Dorte oder die Komposition eines Rindsbraten anhören zu müs sen. Dazu drückt sich diese Person noch so unwissenschaft lich aus. Sie sagt immer: Kochsalz statt Natriumchlorid und kann absolut die chemische Formel nicht begreifen. 6. August 2000. Heute besuchte uns Tante Frieda, eine längliche, bos hafte Person, die sich mit der ganzen Wett zankt und über alle Menschen Böses weiß. ,Lieber Karl," sagte sie zu mir, „nun werden Sie wohl bald heiraten. Sie sind schon 25 Jahre vorbei. Ich wüßte eine Partie für Sie — eine reizende junge Dame, die eben ihr Doktorat macht und dann sofort eine bedeutende Anstellung in einer chemischen Fabrik als Direktrice bekommt!" Heiraten — das ist entzückend. Im Pensionate sprachen wir oft heimlich davon, was! wir jeder für eine Frau be kommen werden. Das Leben ist doch wunderschön. 12. Mrgust 2000. Ich widme mich jetzt mit größtem Eifer der Kochkunst. Heute habe ich zum ersten Male allein gekocht. Die Suppe ist angegangen. Aber der Braten, dieser böse Braten — der hatte keinen Geschmack und keine Farbe. Mama, die eben aus der Vorlesung kam, war sehr erzürnt: „Es ist einfach eine Schande, wenn ein junger Mann mit 25 Jahren keinen ordentlichen Braten kochen kann. Wozu warst du solange im Pensionate? Wenn du nicht ordent lich kochen kannst, wirst du nie eine Frau bekommen!" Keine Frau! O soll ich zu so einem entsetzlichen Junggesellenleben verurteilt sein?! Ich habe den ganzen Nachmittag über geweint. 5. September 2000. Komme soeben von meinem ersten Kränzchen nach Hause. Es ist dämmernder Morgen, bald wird die Sonne am Firmament aussteigen, ganz wie eS in den Romanen beschrieben ist. Ich bin auch furchtbar melancholisch ge stimmt. Das Kränzchen war reizend. Die jungen Dame» haben mich geradezu umschwärmt. Jede überschüttete mich mit Artigkeiten. Besonders eine, ein Fräulein Doktor Elsa, bekannte Aerztin von großem Rufe. Sie tanzte i>ie halbe Nacht nur mit mir und warf mir Blicke zu, Blicke, die mein Herz f ofort in Flammen setzten. Im Gedränge der Garderobe flüsterte sie mir zu: „Ach, Herr Kurl sehen heute entzückend aus, die famose Kravatte, äh — aller liebst!" Und biänn fragte sie mich, wo sie mich treffen könnte. Ich wehrte mich anfangs jünglinghast schüchtern dagegen, errötete bis über meinen Schnurrbart, dessen