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V2 kühne Spitzen während des ganzen Abends von den Da men bewandert wurden, und entgegnete: „Wenn ich mor gen Rusikalien eintauschen gehe, um halb sechs 6 Uhr, Ecke deg Theresienplatzes." 15. September 2000. Musikalien eingetauscht. Elsa getroffen, famos unter halten. Der Rathauspark mit seinen angenehmen, lauschig gelegenen Bänken ist eine der großartigsten Einrichtungen. Die Bäter der Stadt haben sich damit die Zuneigung aller Heimlichverliebten erworben. 21. September 2000. Erster poste-restante Brief! Wieder eine der mo dernsten Einrichtungen kennen gelernt. 27. September 2000. Elsa schreibt mir jeden zweiten Tag. Wir haben schon einmal das Postamt gewechselt, weil es bereits dem Fräu lein am Schalter auffallt, daß ich immer Briefe abhole. Rama hat noch keine Ahnung vom Ganzen. 30. September 2000. Der wichtigste Tag meines Lebens. Elsa machte mir heute eine Liebes-Erklärung, worauf ich mit einem verschämten, zögernden „Ja" antwortete. Ach, solch eine Stunde ist doch das Schönste und Angenehmste im Lebe» eines jungen Mannes. 2. Oktober 2000. Heute alles der Mama gestanden. Anfangs zürnte sie ein wenig, weil ich sie nicht früher in meine Herzens- Angelegenheit eingeweiht hatte, schließlich besänftigte sie sich und meinte: Elsa sei eine ganz gute Partie. Ihre Hftaxis mache es ihr leicht möSich, einen Mann zu er- 5. Oktober 2000. Tante Frieda ist bereits bestrebt, die Mitteilung »einer bevorstehenden Verlobung durch Anvertrauen un ter dem Siegel der Verschwiegenheit in den weitesten Kreisen bekannt zu machen. Wie werden sich meine Pen- fio-natSfreunde ärgern, wenn sie davon hören. „Das ist ein Stück!" sagte Papa heute abend. „Wahr- Hastig, ein Glück, daß du so rasch eine hübsche Braut ge- knndeu hast, denn es gibt nichts Schrecklicheres für einen pmgen Mann, als fitzen zu bleiben!" 11. Oktober 2000. Heute stellte sich Elsa meinen Eltern vor. Allerseits Vollkommene Zufriedenheit. Die öffentliche Verlobung Wnrde auf nächste Woche anberaumt. O, wie werden sich »eine Freunde aus dem Pensionate ärgern, wenn sie Hören werden, daß ich mich verlobt habe. 21. Oktober 2000. Die Verlobung verlief glänzend. Ich sah recht genau die neidischen Blicke meiner Freunde, die mir das Glück Nicht gönnten. Der kleine, dicke Theodor, der schon im Pensionats durch seine dummen Späße berüchtigt war, sandte mir einen Digel — Haarpomade! Unverschämt Nvn dem Menschen. 25. Oktober 2000. AL ich heute mit Elsa im Theater war, erregten wir die allgemeine Aufmerksamkeit. Ich hörte ganz deutlich, Wie jemand neben mir flüsterte: ein reizendes Paar. ALeicks speiste Elsa bei uns. Ich hatte eigenhändig gekocht, oder eigentlich nicht. Bei Tische äußerte sich Nsa beim Servieren des Rehrückens: „Ach, du kochst ganz ausgezeichnet, Karl!" Ich errötete, denn in Wirklichkeit habe nicht ich» sondern Papa den Rehrücken bereitet. Ich tröste mich, daß ich nach der Hochzeit schon die mangeln de» Kenntnisse meiner Kochkunst ergänzen werde. Tie Mehlspeisen wollen mir insbesondere nicht gelingen. Meine Dorten gleichen jezessionistischen Wandgemälden, »an weiß nie, was sie eigentlich vorstellen. 2. November 2000. Es ist alles aus. Die Verlobung ist zurückgegangen. Tie Mädchen von heutzutage sind schrecklich. Äsa be anspruchte eine bedeutende Mitgift, da sie noch Ver bindlichkeiten aus ihrer Studentinnenzeit her hatte. Mama wollte davon nichts wissen — so kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung, die mit der Aufhebung der Verlobung endete. Wer würde aber auch geglaubt haben, daß ein so reizendes Mädchen Schulden hat? Am peinlichsten ist die Sache für mich. Ich bin jetzt unter meinen Freunden schrecklich blamiert. Am Ende bleibe ich gar sitzen! Wie gut hatten es in dieser Be ziehung doch die jungen Männer des Id. Jahrhunderts, die diese Sorgen nicht kannten. " Vermischte». Tas störrische Pendel. Unter dieser Ueber- jchrift bedichtet in der „Uhrmacherztg." E. Gröning einen Fall aus seinem Leben: Es war ein Montag, trüb und naß, Als ich in meiner Werkstatt saß Und mich schon quälte stundenlang Mit einem schlechten Ankergang. Wie mach' ich's nur, dacht ich bei mir, Ta klopft es leise an die Tür! — Herein! — Und in den Laden tritt Ein Mütterchen mit müdem Schritt; Sie zählte wohl schon siebzig Jahr, Krumm war der Rücken, grau das Haar, Und auf der Stirne Falt' an Falte. Ich fragte freundlich nun die Alte, Was sie mir bringe noch so spät. Drauf reicht sie mir ein Kein Paket, In dem als einz'ger Inhalt nur Tas Pendel einer Schwarzwalduhr, Und fragt verlegen mich alsdann, Ob ich zurecht ihn machen kann. Ich nahm das Pendel in die Hand, Doch alles ich in Ordnüng fand. „Ja, Frauchen, wozu brachtet Ihr Tenn dieses Pendel her zu mir?" — „Um sechs Uhr blewt hei emmer stöhn, On well ock nich mehr wieder gohn." — „Ta hättet Ihr vor allen Dingen Mir Eure Uhr doch sollen bringen! Am Pendel kann ich doch nicht sehn. Warum die Uhr nicht mehr will gehn!" — „Te Uhr," sagt drauf die Alte dann, Te Uhr, nee Herr, da fehlt nix dran! Te hätt noch emmer, emmer gohn, De Pendel bloß blewt manchsmal stöhn!" Denk« und Siuusprüche. Niemand bilde sich ein, Gott zu lieben, wenn er seine Gebote nicht hält, niemand aber auch, seine Gebote zu halten, wenn er Gott nicht liebt. * * * Ehe du zürnest und schiltst, bete zuvoi7 ein stilles Vaterunser. Luther. Für viele sind Erdenschätze Dornen, welch« das Wachs tum der Seele ersticken. Darum reißt Gott oft die Dor nen heraus. Joh. Gerhard. Druck ruck Val» do» Lang« ä WMerlich, Riesa; sür dir Redaktion verantwortlich Henmmn Schmidt in Riesa. Erzähler an -er Tldr. velletr. «rstiSveils-e -rr* „Messer TszeVlstt". Nr. »8. Riesa, de« 4. Juni 1»V4. »7. Jahr«. Verarmt. Bon O. Müller. Fortsetzung. Es ließ sich nicht bezweifeln, ihr Gehör hatte aller dings ein wenig gelitten. Sie war natürlich nicht taub, nicht einmal das, was man schwerhörig hätte nennen kön nen; ihr entging nur dann und wann ein leiser oder ent fernter gesprochenes Wort, das war äll!es, und es war auch nur die Angst, aus diesem Wenigen möchte mehr werden, die sie an jenem Morgen so trübe gestimmt hatte. Rolf verordnete, was er für angemessen hielt, und tröstete sie, in kurzer Zeit werde wieder alles sein wie vor her, das Ganze sei eine Folge der Ueberanstrcngung am Krankenbette der Mutter, die sich wieder verlieren werde. Er selbst glaubte, was er sagte, und Ella vertraute ihm stets so gern. Das Leiden schien ja auch noch kaum der Rede wert. Mit rührender Pünktlichkeit folgte sie Rolfs Anordnungen. Aber Woche auf Woche verging, ohne daß die erhoffte Besserung eingetrcten wäre. Tie übrigen Spuren jener Krankheitszeit verschwanden nach und nach, die Farbe kehrte in ihre Wangen, der Glanz in ihre Augen zurück, aber jene kleiuen Ungenauigkeiten im Hören, die doch mitunter störend waren, verloren sich nicht. „Wenn es nur so bleibt, wie es jetzt ist," sagte sie mit einem Keinen Seufzer der Resignation, „so läßt es sich immer noch leicht tragen." „Es wird nicht schlimmer," sagte Rolf, „glaube mir doch, es wird besser werden." „Meinst du?" Ihr selbst war es im Gegenteil, als ob sie jetzt schlechter höre als zu Anfang, immer noch nicht schlecht, aber sie fing doch an zu fürchten, daß es mit dem Besserwerden nicht so ganz unzweifelhaft sei. Sie sprach nie zu Fremden von ihrem Leiden, sie suchte es stets mit d>er Ohrenkranken so oft eigenen Scheu zu verbergen; aber es kam doch schon vor, daß man sich über dies oder jenes Mißverständnis wunderte, und wenn sie in größerer Gesellschaft war, wurde es ihr schwer, dem Gespräch zu folgen, während ihr die Unterhaltung mit wenigen keine Schwierigkeit machte. Langsam und zögernd gestand sie sich ein, daß es vielleicht gut wäre, dem Wunsche der Eltern zu folgen und einen tüchtigen Spezialarzt um Rat zu fragen, aber sie verschob es immer wieder, aus Furcht, Rolf durch diesen scheinbaren Mangel an Vertrauen zu kränken. Endlich kam ihm selbst der Gedanke. Er mußte ja sehen, daß sich unter seiner Behandlung ihr Leiden ver schlimmerte, anstatt sich zu bessern. So riet er ihr selbst, sich an den von Kranken und Aerzten gleich hoch geschätz ten Professor Will in der nahen Universitätsstadt zu wenden. Es war ihm nicht leicht geworden, diesen Vorschlag zu machen. Es kostet wohl der Eitelkeit eines jeden Arztes ein wenig Selbstüberwindung, feine Patienten an eine höhere Autorität zu verweisen. Aber er sagte sich, daß Ellas Lebensglück, so gut wie das seine, aus dem Spiel stände-,--obgleich er kaum wagte, sich den Gedanken, daß sie taub oder auch nur ernstlich schwerhörig werden könne, auszumalen. Auch Ella kam diese Befürchtung kaum. Sie unter nahm die Reise nicht gern, denn sie ängstigte sich vor einer Vielleicht schmerzhaften Untersuchung und einem längeren Aufenthalt in der fremden Stadt, getrennt von den Ihri gen; aber daß ihr zu helfen sei, daran zweifelte sie nicht: Rolf hatte es ja gesagt. 5. Kapitel. So trat denn Ella die Reise nach der etwa eine halbe Tagereise entfernten Universitätsstadt an. Ihr und den Ihrigen war nicht eigentlich angst vor dem, was der Arzt ihr sagen könne; als sie aber mit der Mutter im Vor zimmer des Professors, Stunde auf Stunde wartend, saß, als alle die Ohrenkranken nach und nach hereintraten, die auch hier Hilfe suchten, da wurde ihr doch beklommen zu Mute. Einige brachten ihr Hörrohr mit, durch das allein man sich ihnen verständlich machen konnte, — wie, wenn sie auch so würde wie diese? Würde man auch sie so an schreien? Würde sie sich wohl daran gewöhnen, so mit offenem Munde zu sitzen und den Kopf vvrzustrecken, um zu verstehen? Ein junges Mädchen, nicht älter als sie, mit einem lieblichen, sanften Gesicht, schien fast ganz taub. Sie saß mit gefalteten Händen und blickte teilnahmlos aus dem Fenster hinaus auf die Straße. Sie vernahm wohl weder, was um sie her im Zimmer vorging, noch was draußen geschah. Ella muhte immer wieder das arme Wesen mit den schwermütigen Augen ansehen. Sie preßte der Mutter Hand. O Gott, konnte sie so werden? Nein, es konnte nicht sein, Rolf hatte es ja gesagt! Ein Keines Mädchen in ihrer Nähe rührte sie beson ders. Ta sie Kinder liebte, versuchte sie, mit ihm zu spre- chen, aber es antwortete nicht und sah sie hilflos an. „Es nützt nichts, Fräulein," sagte der danebensitzende Vater, ein einfacher Mann, wie es schien, „meine arme Kleine ist taubstumm." Taubstumm! und das Kind zählte höchstens vier Jahre! Es sollte nun vielleicht noch siebzig Jahre leben und nie ein freundliches Wort, nie den Gesang der Vögel, nie süße Musik vernehmen! Sie zog das arme Ding näher an sich, nahm eins der ausgelegten illustrierten Journale und zeigte ihm die Bilder darin. Es hielt zärtlich ihre Hand fest, und als es gleich darauf mit seinem Vater zur Untersuchung gerufen wurde, bot es ihr die frischen Lip pen zum Kuß. Das tat ihr wohl. Ein paar Damen unterhielten sich in nicht eben leisem Tone über ihre Krankheit und deren Entstehung. „Sind Sie auch schwerhörig, Fräulein?" wandte sich die eine laut an Ella, die fühlte, daß sich Plötzlich alle Augen auf sie richteten. „Ja," sagte sie kurz. „Ach, wirklich! Haben Sie das schon lange, liebes Fräulein?" > ' i „Nein," sagte Ella wieder ebenso kurz und wandte den Kopf ab. Tas Warten wurde ihr zur Qual. Sie horchte auf das Ticken der laut gehenden Uhr; ihr schien es eine Art von Melodie, die, eintönig, immer wiederkehrend, ihr uner träglich wurde. Sie zählte die Blumen, die das Grund muster der Tapete bildeten, und durch alles hindurch ging immer der Gedanke: „Wenn ich nun auch so werde! Hilf, Herr Gott!" und dann wieder: „Cs kann nicht sein, Rolf hat es ja gesagt." Kam denn nie die Reitze an sie, vorgelassen zu wer-