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Lebens hebt, er hört wieder die Worte, die ihm seine alte, treue Wirtin noch scherzend zum Slbschied nach gerufen: „Bringen Sie etwas recht Schönes mit von der Reise, Herr Doktor!" — da wecken ihn Stimmen aus seinem Sinnen und Träumen. Eine kleine Gesellschaft nähert sich ihm, um auch von dieser Stelle aus einen Blick in das Tal hinab zu werfen. Flüchtig schaut er zunächst hin, — offenbar sind es Vater, Mutter und Tochter, dem alten Herrn sieht man den Offizier schon von weitem an, und im Gesicht der Mutter liest er ohne Mühe etwas von Stolz und Unnahbarkeit. Schon will er sich zum Gehen wenden, da wird auch das Gesicht der Tochter seinem Micke frei — und wie gebannt hält er inne. Er meint, noch nie etwas Lieblicheres und Holdseligeres' gesehen zu haben als dies Mädchenantlitz, das vom Sonnenlicht um flutet voller Entzücken in das Tal hinabschaut. Und alH die drei langsam wieder dem Hotel zuwandeln, folgt er in einiger Entfernung wie von unsichtbarer Hand ge zogen. Er findet gerade noch ein Plätzchen, wv er sich nieder lassen und „ihre" Gestalt betrachten kann, ohne daß es? bemerkt wird. Und durch sein Herz geht ein Sturm von Empfindungen, die er bis dahin nie gekannt. Er ist kaum einmal bisher in Tamengesellschast gekommen, und an den jungen Mädchen, die ihm auf der Straße begegnet sind, ist er stets achtlos vorübergegangen. Wie so vieles andere ist ihm auch die süße Tändelei der jungen Herzen, die einander suchen und voreinander verstecken, fremd gel blichen Um so gewaltiger vommt es nun über ihn — wie im Rausch hört er ihre Helle Stimme, ihr frisches Lachen und heiteres Plaudern. Jetzt rüsten sich die drei zum Aufbruch. Ter Kutscher meldet, daß der Wagen fertig sei —- da hört der gespannt Lauschende ein schmeichelndes Bitten der Tochter: „Laßt m:ch doch den Weg zu Fuß machen, liebes Väterchen, ich gehe ja nicht allein, schließe mich Arnstedts an, die wir vorhin getroffen haben. Ich habe ja viel mehr Freude am Gehen als an dem vielen Fahren, und der Fußweg Ins Tal soll so wunderhübsch sein!" Tie Mama erhebt erst Widerspruchs aber der gut gelaunte Papa gibt schließlich die Erlaubnis, und die beiden fahren davon lohne das Töchterchen, das ihnen ver spricht, ganz artig zu sein und sich pünktlich unten im Tale im Hotel einzufinden. Mit einem seltsamen, halb bangen Glücksgefühl hat Tr. Reinhardt das gehört und beobachtet. Wie ein Blitz ist ihm der Gedanke durch den Kops gegangen: So kannst diu sie ja noch eine Weile sehen und auch erfahren, wo sie wohnt, womöglich findest du Gelegenheit, sie anzureden, 7- es schwindelt ihm fast bei solcher Möglichkeit —, aber nun gilt es, die Augen offen halten und scharf aufpassen, daß sie ihm in dem Menschengewühl nicht auf einmal entschwinde. s Mit Schrecken wird er gewahr, daß sie in dem Augen blick, wo er seinen Rucksack geordnet und seine kleine Rechnung beglichen hat, wirklich in hem Gedränge ver schwunden ist. Die Leute sehen ihm verwunderlich wach, wie er davonstürzt und angstvoll suchend sich seinen Weg durch die Menge bahnt, hierhin und dorthin eilt er, seine Augen bohren sich förmlich in die Gruppen hinein, die Ha kommen und gehen. Einmal —> und noch einmal glaubt er sie gefunden zu haben, aber es ist ein Irrtum, und über sein Gesicht legt sich eine Wolke tiefster Nieder geschlagenheit. Auch in „ihrem" Gemüt sah es derweilen nicht rosig vus. Als sie von den Eltern Abschied genommen hatte Und nun die Bekannten aufsuchen wollte, denen sie sich anzuschließen gedachte, sand sie dieselben nicht mehr an ihrem Tische. Vergeblich schritt sie die ganze Länge deck Brüstung «ab, wo dichtgedrängt die Menge stand — lauter fremde Gesichter. So blieb ihr nichts übrig, als sich nach dem Wege ins Bodetal hinunter zu erkundigen und sich 158 — allein auf diesen Weg zu machen, nachdem sie noch ein mal den ganzen Platz durchquert hatte, ohne die Gesuch ten zu finden. Sie war nicht furchtsam — es war ja auch nicht daran zu denken, daß ihr auf dem belebten »Wege etwas zustoßen konnte; aber die ganze Sache war ihr doch sehr peinlich, vor allem um der fiormienstrengen Mama willen, die diesen Gang ohne schützende Begleitung jedenfalls wieder höchst unpassend finden und aufs schärfste tadeln würde, wie ;o manches, was sie mit ihrem raschen Empfinden und ihrem warmiem Herzen tat. Aber diese Sorgen verflogen gar bald, als sic erst den im Zickzack angelegten Weg talabwärts schritt. Wie! wonnig war es doch hier, wo kaum ein Sonnenstrahl das grüne Blätterdach zu durchdringen vermochte, wo zwischen bemoosten Felsblöcken leise plätschernd ein Bächlein sei nen Weg sich bahnte. Wie wohl tat nach dem grellen' Sonnenlicht da oben diese dämmernde Kühle, und nach dem wirren Durcheinander von Menschen diese Stille. Ilse v. Warnow bemerkte auf einmal, als sie auf der Mitte des Weges angelangt war, daß es nicht nur still um sie her geworden, sondern daß sie ganz einsam dahin schritt. Soweit sie den schmalen Pfad über sich und unter sich überblicken konnte, war niemand zu sehen. Es war! wie eine momentane Mbe in dem! sonst so lebhaften Aus- und Niederwogen. Nun beschlich sie doch ein leises Ge fühl der Furcht, sie bereute es nicht wenig, auf ihrem Kopfe bestanden zu haben, und einen Augenblick schwankte sie, ob sic nicht lieber umkehren sollte. Aber sie verwarf diesen Gedanken ebenso schnell, als er gekommen Ivar, sie hatte ja ebenso weit aufwärts zu gehen als ins Tal hinab, und was sollten die Eltern denken, wenn sie wo möglich erst im Dunkeln heimkehrte? So faßte sie sich denn ein Herz u^nd schritt eilig weiter abwärts. Allein sie kam nur nm die nächste Wegcbiegung — wie aus dem Felsen herausgewachsen stand da eine Gestalt vor ihr, ein Mann mit dunklem Bart und stechenden Augen. „Nicht schreien, sonst ist es um Sie geschehen!" zischte er sie an. „Schnell, Ihre Uhr und Ihr Geld!" Mit bebenden Händen tastete sie nach beiden, um es dem Räuber zu reichen. Es ging ihm offenbar nicht schnell genug, er packte die Uhrkette, um sie loszureißen —> und da war es doch vorbei mit ihrer Selbstbeherrschung, ein Angstruf zitterte durch die dämmernde Stille. Mit einem! häßlichen Fluche stieß er die halb Ohnmächtige zurück, noch einmal griff er nach der heraushängenden Uhr —> aber auf einmal ein Poltern von Steinen, ein hastiges Springen, eine zweits Gestalt stürzte sich auf den Wegelagerer, der nun selbst wie erstarrt vor Schrecken dastand, ein kräftiger Hieb! sauste auf seinen Arm, daß er seinen Raub fahren ließ. Da kam Leben in ihn, einen tückischen Blick warf er noch aus den andern, dann war er lautlos wie eine Katze um die nächste Biegung verschwunden. Dr. Reinhardt dachte nicht daran, ihm nachzusetzen. Er hatte sie ja gefunden, die er mit tausend Schmerzen gesucht, um die seit einer Stunde all seine Gedanken kreisten, daß sein armer Kops anfing zu brennen. In trübes Sinnen versunken hatte er nur wenige Schritte! Von der Stätte des Ueberfalles, durch eine knorrige Eiche verdeckt, auf einem vorspringenden Felsen gesessen, da hatte der Hilferuf ihn aufgeschreckt — und nun war sie es, die er von dem Unhold hatte befreien dürfen. Er mußte an sich halten, um nicht laut aufzujauchzen — aber so viel Besinnung hatte er doch noch, um einzusehen, daß dazu nicht der geeignete Augenblick war. Denn das süße Gesichtchen wa" fast so weiß geworden wie ihr schneeiges Gewand, und hätte er die schlanke Gestalt nicht in seinen Armen mifgefangen, so wäre sie zu seinen Füßen hin- xrfnnken. Wenn dich in diesem Moment deine Kollegen gesehen hätten, Doktor der Philosophie Werner-Reinhardt! Siet haben manchmal gespottet.Am Scherze nur,.nicht im Ernst, ISS denn dazu achteten sie dich schon zu hoch und warst du ihnen schon zu lieb), daß deine staunenswerte Gelehrsam keit mit ihrem Zentnergewicht dein Herz zerdrückt hättet daß du an der Schönsten der Schönen kalt vorübergingest und eine verstaubte Urkunde aus dem Jahre 1209 dir köstlicher wäre als das süßeste Lächeln eines zwanzig jährigen Mägdleins. Wenn sie dich nun gesehen hätten^ ein adliges Fräulein im Npm haltend, mit hülfloser Angst auf ihren Atem lauschend — was würden sie dazu sagen, Werner Reinhardt? Ja mit hülfloser Angst lauschte er auf ihren Atem. Wie eine Lähmung kam es über ihn, der fürchterliche Gedanke: der Schrecken wird sie doch nicht getötet haben? Uber nein — sie seufzte tief auf — und da kam ihm! ein kühner Einfall. Mit unendlich zarter Vorsicht trug er sie aus seinen Armen zu diem Sitz, von dem er eben aufge sprungen, die Eiche Hot ittne gute Rückenlehne, und dann suchte er mit zitternden Händen einen Trinkbecher aus seinem Rucksack hervor, füllte ihn mit dem klaren Berg wasser, das unmittelbar neben dem Wege dahinrieselte, und reichte ihr, die eben die Augen aufschlug und wie aus tiefem Schlafe erwachend halb verstört um sich blickte, den kühlen Trunk. „Was ist — wo bin ich denn?" stammelte sie und wollte in neuem Erschrecken die Hände vor das Gesicht schlagen. Aber er beruhigte sie: „Bitte, gnädiges Fräulein, trinken Sie erst einmal und seien Sie ohne alle Sorge, Sie sind völlig in Sicherheit und brauchen nichts mehr zu fürchten." Da nahm sie den Becher und trank ihn mit tiefen Zügen aus. Aufatmend reichte sie ihn zurück und streckte ihm die Hand entgegen: „Jetzt weiß ich wieder alles klar und deutlich. Sie haben Mich von dem schrecklichen! Menschen errettet, haben Sie vielen Dank, Herr .. Sie zögerte einen Augenblick und er neigte das Haupt: „Oberlehrer Dr. Reinhardt jst mein Name." Sie hatte sich erhoben, das Mut kehrte, in die erblaßten Wangen zurück. „Ilse von Warnow," sagte sie und löste in leichter Verlegenheit ihre Hand aus der seinien, die so fest! die ihre umschlossen hielt, als Wollte sie fürs erste sie nicht wieder lassen. Auch er wurde verlegen und un sicher, nachdem er bis dahin zu seiner eigenen Verwunde rung sich so gewandt und sicher benommen hatte, als wäre es für ihn etwas ganz Alltägliches, bedrängte junge Damen aus Räuberhänden zu erretten. „Darf ich mir erlauben, Sie zu begleiten?" fragte er endlich nach einSr Pause des Schweigens mit stockender! Stimme und spürbarem Herzklopfen. Sie hatte mit einigen schnellen Griffen ihr Haar geordnet und den Hut aufs neue befestigt — nun sah sie ihn mit freiem und vertrauendem Blick an. „Gewiß, Herr Doktor — damit würden Sie mir einen großen Gefallen tun. Es ist zwar nicht rühmlich für ein Sol datenkind, wie ich es bin, sich durch solch eine Geschichte aus der Fassung bringen zu lassen, aber ich kann es nicht leugnen. Mir ist der Mut, allein weiter zu gehen, gründ lich abhanden gekommen. Ich will nur hoffen, daß ich Sie damit nicht zu sehr abhalte und Ihnen Ihre Dis positionen durchkreuze." (Fortsetzung folgt.) Leuchtturmtragödien. Von Dr. I. Wiese. )fk( Kürzlich ist der im Jahre 1895 erbaute Leuchttürm Coubrä an der Garonnemündung, der bereits außer Be trieb gesetzt werden Mußte, weil er vom Mjckere unter spült worden war, eingestürzt. Dies ist nicht der erste derartige Fall. Die Chronik der Leuchttürme würde uns von vielen anderen berichten können, die dasselbe Los erlitten haben; denn so fest auch die Leuchttürme gebaut sind- so können sie doch nicht immer dem Anprall der! Wögen widerstehen. Der Leuchtturm von Eddhftvne stürzte zum ersten Male wahrend eines nächtlichen Unwetters am 26. November 1703 in den Abgrund des Meeres. Der neue, mit großer Sorgfalt aufgeführte Turm verbrannte in der Nacht des 1. November 1755. Ein dritter, kurz nachher wieder hergestellter und 1839 und 1865 repa rierter Turm gab zu Besorgnissen wegen der Senkung des Bodens, auf dem er ruhte, Anlaß; man hat ihn durch einen neuen ersetzen müssen. Der auf Pfahlwerk errichtete Turm von Fletwovd wurde im vorigen Jahrhundert durch den furchtbaren Anprall eines Schiffes zerstört. In neue rer Zeit, im Jahre 1877, ist der an den Mündungen des Ganges errichtete Leuchtturm plötzlich verschwunden. Aber nicht das Schicksal der Leuchttürme soll uns hier beschäftigen, sondern vielmehr das Los der Wächter, die auf ihnen ihr schweres Tagewerk im Dienste der Rettung aus Seenot verrichten. In meinem vor einiger Zeit er schienenen Werke „Das Meer" habe ich ein längeres Ka pitel der Anlage, dem Bau, den Einrichtungen der Leucht türme gewidmet und ausführlich das Leben der uner schrockenen Männer geschildert, die, umtost von der brau senden See, auf jenen ein an Gefahren überreiches Leben führen. Gewöhnlich sind zwei, bisweilen auch mehr Wächter auf einem Leuchtturm, die nach strenger Instruktion ihren Dienst verrichten müssen. Unmittelbar nach der Morgen wache sind die Reflektoren und Refraktoren zu polieren und zu reinigen, bis sie sich glänzend zeigen; ferner sind das Glas der Laterne, die Lampengläser, das' Kupfer und Messingwerk, der Boden und Balkon des Leuchtturmes, die Maschinerie und die anderen Apparate, die zur Be leuchtung gehören, die Treppen, Türen und Fenster aufs peinlichste zu säubern. Während der Nacht, nachdem die Feuer angezündet sind, sollen die Wächter in dem Leucht turm regelmäßig und beständig Wache halten. Die erste Wache beginnt mit Sonnenuntergang, die zweite dauert von Mitternacht bis Tagesanbruch. Die Wächter wechseln so, daß jeder einen Tag um den! andern die erste Wache hält. Ter Wächter, der auf Wache ist, braucht nicht wie an Bord aufzubleiben. Auf dem Sofa, das ihm die Ver waltung stellt, darf er sich ausruhen, nähen, träumen, unter der Voraussetzung, daß er aufmerksam nach dem Feuer und den anderen am Horizont sichtbaren Leucht türmen Ausguck hält. Er muß die Witterung, die pas sierenden Schiffe, den Grad der Durchsichtigkeit der Luft, Zwischenfälle aller Art, die die Einförmigkeit seiner Tätig- keit unterbrechen, in das Journalbuch eintragen. Nach der Dienstordnung muß er wegen der Lichthelle eine schwarze Brille tragen. Ist seine Wache zu, Ende, so weckt er den anderen Wächter und begibt sich für den Rest der Nacht zur Ruhe. Auf den Felsklippen des Meeres! ist es! ihm selbst im Sommer nicht möglich, den Turm zu verlassen, der Sturm Und die Brandung Andern es. Oft müssen schon am Mittag Türen und Fenster verrammelt und die Lichter angezündet werden. Das furchtbare Geheul des Sturmes! und die Wut der Wogen Vereinen sich zum Angriff- Wie soll nun der Wächter auf dem engen Raum das unabwendbare Be dürfnis nach Bewegung befriedigen? Es gibt kein ande res Mittel, wenn das Unwetter tage- und wochenlang an hält, als unaufhörlich die Leiter, die zur Laterne führt, aus- und abzuklettern. Die Zimmer sind zu».eng, in ihnen kann man höchstens drei Schritte tun. Dress Art Zellen gefängnis übt auf das Gefühlsleben der Wächter einen bösen Einfluß aus. Um sich herum nur die graue Ein förmigkeit des Meeres! in haben, als! Gefangener sich ganze Wochen zu langweilen, ohne ein Fenster öffnen; zu können, immer mit demselben Gefährten, dessen Manieren, Ge wohnheiten, Gesten, Bewegungen- Art und Weise, zu sprechen, ja, dessen Worte man schon im voraus kennt alles das ist schrecklich, Nansen berichtet von seiner .L- ''r.„«WWW»! hl1,