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98 mit Ihnen sprechen. — Sorge, daß' ich nicht gestört werde, Lilli.' DaS junge Mädchen schlüpfte hinaus, nicht ohne zuvor noch eineu beredten Blick mit dem Assessor gewechselt zu haben. Sartorius deutete nach ihrem Weggange mit ein ladender Handbewegung auf einen Stuhl; aber er selber setzte sich nicht, sondern begann vielmehr mit langen Schritten im Zimmer auf und nieder zu gehen. »WaS ich Ihnen zu sagen habe, ist nicht von ange nehmer Art, mein lieber junger Freund,' begann er endlich mit sichtlicher Selbstüberwindung, »aber es ist immerhin nicht so schwer und schmerzlich, daß ein Mann in Ihren Jahren sich nicht damit abzufinden wüßte. Sie müssen den Gedanken an meine Tochter aufgeben, Hellmuth — von Lillis Verheirathunz kann überhaupt vorläufig nicht mehr die Rede sein!' Berständnißlos starrte der Assessor den Sprechenden an und suchte vergebens nach Worten, die seiner Bestürzung den rechten Ausdruck zu geben vermochten. Abgerissen kam es endlich stammelnd über seine Lippen: »Ich soll Lilli aufgeben — sie soll überhaupt nicht heirathen? Ja, wie ist denn das zu verstehen?' »Auf eine nur zu einfache Art, mein Lieber! Ich stehe vor dem Bankrott.' »Sie? Ah, das ist unmöglich!' »So hätte ich vor acht Tagen auch gedacht; aber im Geschäftsleben ist leider alles möglich, mein lieber Freund! In New-Jork stürzen seit einer Woche die ältesten und soli desten Firmen wie die Baume unter einem Wirbelwind — und eine von ihnen reißt mich eben mit.' Hellmuth Baumgartner machte zwar ein sehr bekümmertes Gesicht; aber es war doch unverkennbar ein Aufathmen der Erleichterung, in welchem seine Brust sich dehnte. »Das ist gewiß ein tief beklagrnswerther Zufall, Herr Sartorius,' sagte er, »indessen —' »Sie dürfen mich nicht falsch verstehen,' fiel ihm der Bankier, offenbar mehr mit seinen eigenen Gedanken als mit den Empfindungen d«S jungen Mannes beschäftigt, ins Wort. »Es wird kein schimpflicher, ehrloser Bankrott sein, wie sie heutzutage so sehr in die Mode gekommen sind; denn ich würde in diesem Fall kaum noch so ruhig hier vor Ihnen stehen. Aber ich werde meine Firma liquidiren müssen, und wenn alle meine Gläubiger befriedigt sind, werde ich wahr scheinlich nicht viel mehr als ein Bettler sein.' »Das ist sehr traurig, Herr Sartorius,' begann Hell muth noch einmal, »um Ihretwillen ist es sehr traurig — und es kann sicherlich niemand innigeren Antheil an Ihrem Mißgeschick nehmen als ich. Jedoch — ' »Sie glauben vielleicht, daß ich übertreibe, und daß sich genug aus dem Schiffbruch retten lassen werde, um diese Heirath dennoch möglich zu machen. Aber es ist meine Pflicht, Ihnen solche Illusionen zu nehmen. Wie ich auch Tag und Nacht gerechnet und überlegt habe, eine Mitgift, die meiner Tochter eine sorgenfreie Zukunft verbürgte, läßt sich nicht wehr herauskalkuliren. Da die Verlobung zum Glück noch nicht öffentlich bekannt gegeben war, können Sie zurücktreten, ohne daß wir allzuviel hämisches Gerede zu befürchten hätten.' »Und einer solche» Niedrigkeit könnten Sie mich im Ernst für fähig halten!' brach Hellmuth nun endlich mit ge röteten Wangen und in einer Erregung, die ihm sehr wohl anstand, loS. »Rein, Herr Sartorius, ich denke nicht daran, zurückzutreten, imd ich bestehe jetzt geradezu darauf, daß mein Verlöbnis mit Lilli sobald als möglich aller Welt mitgetheilt werde! Der Himmel weiß, wie gleichgiltig mir diese Mitgift gavese» ist, deren Verlust Ihne» als ein so gewaltiges Hin dernis unseres Glückes erscheint; ja, es ist mir fast, als ob ich damit einer drückenden Last ledig geworden wäre und mein Haupt höher und freier erheben könnte." Der Bankier trat an seine Seite und legte freundlich die Hand an seine Schulter. »Das sind Worte, die Ihrer Rechtschaffenheit und Ihrem Herzen alle Ehre machen, wenn sie auch den zwingenden Ver hältnissen des wirklichen Lebens viel zu wenig Rechnung tragen, als daß sie meine Ansicht von der Sache zu ändern vermöchten. Daß Sie meine Lilli aufrichtig lieben und nicht an ihr Vermögen dachten, als Sie um sie warben, glaube ich Ihnen ohne jeden Vorbehalt. Aber Sie wissen, was ich Ihnen damals sagte, und ich könnte Ihnen heute nur Wort für Wort dasselbe wiederholen. Auf Zärtlichkeit und Liebe allein läßt sich kein irdisches Hauswesen ausbauen, es muß auch irgend eine solide Grundlage dafür vorhanden sein. Sie sind heute noch unbesoldeter Assessor und werden aller mensch lichen Voraussicht nach vor Ablauf der nächsten zehn Jahre nicht im stände sein, aus eigenen Mitteln eine Familie zu erhalten. Wollen Sie nun im Ernst, daß Lilli so lange und vielleicht noch länger auf Sie warte? Wollen Sie selber eine Kette mit sich Herumschleppen, deren lästiger Druck — glauben Sie das einem erschienen Manne! — schließlich der Tod Ihrer Liebe sein würde? Ich vermöchte meine Zu stimmung dazu nicht zu geben, auch wenn es Ihrem jugend lichen Feuer heute als ein Leichtes erschiene, eine derartige Probe zu bestehen. Ihretwegen sowohl als um meiner Tochter willen muß ich fest bleiben in dem, was ich Ihnen beim Beginn unserer Unterredung sagte." »Ich würde Ihnen kaum widersprechen können, wenn es u irklich keine andere Zukunft für mich gäbe als diejenige eines Amtsrichters oder Staatsanwalts. Aber eine glückliche Fügung des Schicksals hat mich in den Stand gesetzt, aus den weiteren Verfolg dieser Schneckenlausbahn zu verzichten, sobald ich es nur will. Nichts hindert mich daran, mir schon in einem Jahre oder in sechs Monaten den eigenen beschei denen Herd aufzurichten, als ein schwer begreifliches Vorur- thcil, von dem Sie sich bis jetzt nicht loszumachen vermochten und dessen Grundlosigkeit Sie doch bald genug erkannt haben werden." »Was Sie da so leichthin ein Vorurtheil nenne-', junger Freund, ist die Furcht mancher bittern Erfahrung eines langen Menschenlebens — es ist eine tief eingewurzelte, unüberwind liche Abneigung gegen alles haltlose Vagantenthum und gegen alles komödiantische Flitterwerk. Sie haben eine vortreffliche Stimme, und es mag sein, daß die berufsmäßige Ausnützung derselben Ihnen mühelos die Mittel zu einem auskömmlichen Leben gewähren würde. Aber Sie würden damit aus dem gleichmäßigen, klar vorgezeichneten Geleise einer geachteten bürgerlichen Lebensführung hinübergeworfen in die wirren, ziellosen Bahnen eines Berufes, dem noch viel zu viel vom leichtfertigen Zigeunerthum anhastet, als daß ich in ihm irgend eine Gewähr für das Glück meines Kinde-, zu finden vermöchte." (Fortsetzung folgt.) Pflicht und Liebe Roman von C. Wild. (Fortsetzung.) Das hatte der Tochter regstes Mitgefühl wachgerufen und nun? ihre Mutter war auch- ein O)>fer jenes entsetzlichen Lasters gewesen, das jede bessere Regung in dem menschlichen Herzen ertödtet, das stumpf, kalt unk gefühllos macht für alles Andere, außer für das Spiel. Rein, nein, es konnte nicht sein, es durste nicht sein! Tonnberg mußte widerrufen, ihre Mutter war keine Spielerin gewesen! — 99 »Wilhelm," sagte sie matt, »ehre das Andenken der Tobten und verleumde sie nicht!" Ich verleumde nicht, ich kenne ganz genau die Geschichte Deiner Mutter. Sie hat alles bis zum letzten Heller verspielt, und bis zum letzten Athemzuge, könnte man sagen, denn sie stürzte ohnmächtig beim Spieltisch zusammen, und wenige Tage darauf ist sie auch gestorben, der Graf hat mir erst gestern alle Einzelheiten erzählt." Auf den Wangen der jungen Frau war jeder Blutstropfen gewichen; starren, gläsernen Auges blickte sie den Gatten an. So sprach er doch die Wahrheit! »Bist Du überzeugt?" fragte Tonnberg höhnend, »und nun gieb mir den Weg frei, ich muß zur bestimmten Stunde in Monte Carlo eintreffen." Viola raffte ihre ganze Kraft zusammen. »Nein, ich lasse Dich nicht fort, Wilhelm," sagte sie mit halberstickter Stimme, „ein solches Leben ist doch nicht mehr zu ertragen! Raffe Dich auf, kehre um, ehe es ganz zu spät geworden, laß uns ein neues Leben beginnen. Ich will arbeiten, ich will Alles versuchen, nur meide die Spielbank, sage Dich los von dem Grafen, kehre zu mir zurück." „Tolles Geschwätz das — gieb den Weg rief er wild. Sie klammerte sich fest an ihn und versuchte es, ihn mit ihren schwachen Armen zurückzuhalten. »Wilhelm," flehte sie, habe Mitleid mit mir, mit Dir — laß uns nicht noch tiefer sinken." „Gieb mir den Weg frei, Weib, oder —" Sie hörte nicht auf ihn. Mit ihren zarten, kleinen Händen umschlang sie krampf haft seinen Arm. „Ich lasse Dich nicht," stöhnte sie, »ich lasse Dich nicht, Du gehst Deinem Verderben entgegen." Das hagere Antlitz des Spielers färbte sich glühendroth vor Zorn. Ohne weiter ein Wort zu sprechen, packte Tonnberg die ihn fest umklammert haltende Viola rauh beim Arme upd stieß sie heftig von sich, daß sie mit einem leisen Wehruf zu Boden fiel. Ohne sich umzublicken, verließ Tonnberg dann eilig das Zimmer, während Viola halb betäubt am Boden liegen blieb. Minute um Minute verrann, die junge Frau regte sich nicht. Die Dämmerung kam. Viola lag noch immer in derselben Stellung, wie sie die rauhe Hand des Gatten zu Boden ge worfen. Mit geschlossenen Augen, kaum athmend, lag sie so da; wilde, wüste Gedanken zogen durch ihren Sinn, und fast wünschte sie, der Schlag von ihres Gatten Hand wäre ein tödtlicher gewesen. War der Tod nicht besser, tausendmal besser, als ein solches Leben? Sie richtete sich langsam empor und preßte beide Hände an die schmerzenden Schläfe. Ihr Auge war trocken und thränenleer, ach, sie hatte schon so viel geweint, daß sie keine Thränen mehr hatte! Die Dunkelheit verursachte ihr förmlich Angst, sie schlich sich langsam zu dem Tische und machte Licht. Beim fahlen Kerzenschimmer stand sie sinnend da; sie suchte ihre Gedanken zu sammeln, allein es gelang ihr nur schlecht. - - Die Stille und Einsamkeit ihres Zimmers bedrückten sie, sie fürchtete sich vor dem Alleinsein, und sie hatte doch keinen Menschen, an den sie sich wenden konnte. Da mit einem Male richtete sie sich straff empor, welch' ein Gedanke war ihr gekommen. Sie wollte diesen Gedanken abschütteln, vertreiben, er kam immer wieder, immer begehrlicher, immer dringender, bis sie nicht mehr zu widerstehen vermochte. Mit fliegendem Athem zog sie ihre kleine Börse und überzählte die wenigen Geldstücke, welche diese enthielt. Wenig genug war's, aber es mochte immerhin langen, und sie wollte doch auch einmal ihren Mllen haben. Mit eiliger Hand ordnete sie ihr Haar und machte ihre bescheidenen Anzug zurecht. Dann verließ sie, zum Ausgehen gerüstet, festen Schrittes das Zimmer. Sie wollte in jene Hölle, sie wollte sehen' wie eS dort zuging, sie wollte jene Räume sehen, in welchen auch ihre Mutter dem entsetzlichen Laster gehuldigt, und wenn sie auch tausend Qualen dabei litt, — was war ihr das? Sie hatte schon so viel gelitten, daß sie auch das noch ertragen konnte. Und dann, einmal mußte daS Ende doch kommen > viel leicht war es schon nahe, es hing ja nur von ihr ab, ein rascher Entschluß und Alles war vorbei. — Es war zu später Nachtstunde: in den herrliche« Garten anlagen, welche das Spielgebäude umgaben, irrte langsamen Schrittes eine bleiche, junge Frau umher. Aus den hohen Fenstern des Gebäudes quoll ein Meer von Licht der einsam Wandelnden entgegen, allein Mola fand den Muth nicht, einzutreten; sie wußte ja, daß sie ihren Gatten dort finden würde, und ihr graute davor, ihm jetzt gegenüber zu treten. Sie war fest entschlossen, nicht mehr nach Nizza zurück zukehren , sondern hier ihrem Leben ein Ende zu machen. Vielleicht rüttelt ihn das noch aus, vielleicht triä ihn daS noch auf einen besseren Weg zurück. Sie lachte.bitter auf. Er war nicht mehr zu retten, ihr Tod würde ihn kaum berühren, sie wußte das, es war nur eine Wohlthat, die sie gegen sich selbst übte. Wenn sie starb, wer trauerte um sie, wer beweinte sie? Memand! Memand! In ihrem Herzen flüsterte eine leise Stimme: Gerhard — und bei dem Gedanken an diesen edlen Manu wurden ihre Augen feucht. Wie hatte sie an ihm gesündigt, und wie gut war er trotz alledem zu ihr gewesen. Er, ja er würde sie bedauern, bemitleiden, die Liebe war wohl längst in seinem Herzen erloschen, sie hatte es auch nicht anders verdient. Wie anders, wie ganz anders hätte sich ihr Leben ge stalten können, wenn sie damals fest an ihrer Pflicht gehalten hätte. Was sie jetzt litt, das war die gerechte Strafe für ihren Treubnuh, für den Leichtsinn, mit welchem sie mit ihrem eigenen Herzen gespielt. Sie setzte sich auf eine Gartenbank und neigte müde ihr Haupt zurück. Droben am dunkeln Nachthimmel zog hell und klar die Mondscheibe empor; wie in flüssiges Silber ge taucht schimmerten Laub und Blüthen, und der kühle Nacht wind trug der Einsamen den süßen Dust der Blumen zu In halber Betäubung schloß Mola die Augen. Diese Schönheit war nicht für sie, sie durste nichts davon genießen, hinter ihr lauerten Tod und Verderben, das Leben konnte ihr nichts mehr bieten: Vorbei, alle- vorbei! Hatte sie diese Worte laut gedacht oder waren dieselben wirklich an ihr Ohr gedrungen? Die junge Frau sprang empor und starrte mit wett ge öffneten Augen vor sich hin. War es Täuschung ihrer Sinne oder Wirklichkeit? Dort aus jenem Seitenweg kam eiligen Schrittes die dunkle Gestalt eines Mannes.