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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 29.04.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-04-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-192404295
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19240429
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19240429
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Riesaer Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-04
- Tag 1924-04-29
-
Monat
1924-04
-
Jahr
1924
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 29.04.1924
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Rach «rlediounaintnmer.vereinSang^mbeiten »mrde im Echlusi« noch auseitia auf dir groß« Brbeutuna der be- vorstehenden Rrich»taa»w«bl hingewieien und empfohlen, nur solchen Parteien di» Stimme zu geben, di« schon bi«ber bewiesen haben, daß sie sllr di« verzweifelt« Lage der Klein» Zentner Verständnis haben und deren Kandidaten sich au«, irückltch verpflichten, auch ferner für «in« gerechtrr« ve- mndlung dieser Kreise etnzutreten. Bo« »er Vaterlandsliebe. Was heißt Vaterlandsliebe ? Ist sie nur ein Festgewand, das wir höchsten» bet seltenen Feiertagen anzieyen, die Sorgen der mühevollen Alltagsarbeit zu vergessen und für wenige Stunden über unser kleine» Ich hinau-zuwachsen und aufzugeben in dem großen Leben und Sein «inesganzen Volke» mit seiner Geschichte, seinem Werden und Wollen ? Vaterlandsliebe, da» ist die Liebe zu dem Boden, der uns geboren, zu der Sprache, die wir sprechen, zu dem Volke, dessen Glieder wir sind. Dort sind wir zu Haus«. Da» ist die Heimat, die unsere Jugend grüßte, der Nährboden, aus dem wir wachsen und unserer menschlichen Bestimmung entgegenreifen. Das Gefühl des Geb.ngenseins umgibt uns dort, der Sicherheit des Daseins. Eltern und Voreltern waren dort ansässig und bekannt. Und unserer Kinder Land soll es werden und bleiben. Generation auf Generation hat seit Jahrhunderten auf diesem Voden gelebt, in stetiger, nie verzagender Arbeit das Gebäude der Kultur errichtet, in dem wir heute wohnen, und das auszubauen und zu ver schönern unser innigstes Ziel ist. Dunkel und unbewußt ist uns meistens dies Gefühl der Liebe zu dem Lande unserer Later. Selbstverständlich scheint uns dies Verwachsensein mit der heimatlichen Scholle. Man lernt ein Gut ja erst schützen, wenn sein Besitz bedroht ist! Zeiten der Not sind es, die die glimmende Glut zu Hellem Brande entfachen. Menn der Feind an den Grenzen steht, wenn Unglück und Unheil über ein Land, ein ganzes Volk hereinbrcchen, dann wird dem einzelnen jäh bewußt, daß er ein Glied dieser Gemein schaft, daß er nur durch sie ist und lebt, daß es das kost barste Unterpfand des Daseins zu verteidigen gilt. Gibt es etwas Größeres und Wunderbareres als diese heilige Leidenschaft eines Volkes, um Heim und Herd zu kämpfen, sei es gegen Menschen und Naturgewalten? ! Da wird der einzelne zum Helden, da fallen alle die Unterschiede von Mensch zu Mensch, die sonst uns trennen, da gilt das Leben, mein Leben nichts, das Leben der Nation alles! Vater landsliebe, das ist das große völkererhaltende Prinzip, das erst eine menschliche Geschichte möglich macht. Es schafft und trägt die endlose Kette derer, die vor uns waren, und derer,! die nach uns kommen werden. Wie die Zelle im Organis mus des menschlichen Körpers nur lebt im Zusammenhang mit allen übrigen Zellen, so auch der Mensch nur im Ver bände der Familie und die Familie nur im Verbände der Nation. » In den Zeiten des Glücks ist's leicht und billig, sein Vaterland zu lieben, ihm zu dienen. Da verlangt dies Die nen vom Volke keine großen Opfer, keine bitteren Ent sagungen. Aber wie der wahre Freund sich erst im Unglück zeigt, so erkennt sein Land seine treuesten Söhne erst in der Not. Dann gilt es, das eigene Ich bewußt zurückzustellen, Entbehrungen auf sich zu nehmen, die Selbstsucht zu unter drücken, um dem großen Ganzen zu dienen in selbstloser Hingabe bis zum Opfer des Todes. Ist's nicht so, daß eine Mutter gerade das Kind am innigsten liebt, dt» ihr am meisten Sorge und Kummer bereitet hat? Nicht anders - mit der Liebe des Menschen zu seinem Vaterlands! Weil er mit ihm durchs tiefste Elend gegegangen ist, weil er mit ihm seine tiefsten Stunden menschlicher Erkenntnis durchlebt hat, weil er alles dafür hingab, darum liebt er um so heißer den Boden, der sein Lebensblut getrunken, das Volk, dessen Kampf auch sein Kampf ist, mit dem er siegt oder fällt. Sein Vaterland lieben, das Unsterbliche in sich lieben, heißt das Ich zum All erweitern! Niemals aber hgt ein Volk der Erde so der Liebe bedurft, niemals hat es aber auch so auf diese Liebe Anspruch gehabt, wie unser grotzes^ Der erste Tchulgaug. Au» dem Jungen, der mit seiner dreisten Originalität Großmütter und Tanten entzückte, wird ein mehr al» mäßiger Gymnasiast, und da» Töchterchen, da» so hübsch Verse aufsagen und ihren Willen Mädchen und Bonne gegenüber in so treffliche Worte kleiden konnte, entpuppt sich a» eine Schülerin, der man drö „Fräulein Doktor" doch nicht so ohne wettere» au« den Blättern threS Zeugnisbuchs zu prophezeien wagt. vom ersten Sckulgang kehren Freude, Vertrauen und Hoffnung sehr ost nur alS flüchtige Gäste ins Elternhaus zurück. Muß daS so sein? Liegt der Fehler wirklich in dem „Zuviel", wa» unsere Schule» fordern? Oder liegt es an einer Stelle, die von den meisten nicht gefunden und beachtet wird, weil sie zu weit in die Jugend de» Kinde» und die vier Pfätzle der Kinderstube zurückführt? Nach meiner Ansicht ist diese lebte Frage mit einem ganz entschiedenen „Ja!" zu beantworten. Was an der Erziehung unserer Kinder vom ersten Tage an versäumt wird, rächt sich für jeden erkennbar, sobald ein Kind seinen ersten Schulgang tut. Und naturgemäß trifft die Strafe am schwersten das Herz derjenigen, die wissentlich oder unwissentlich am meisten gesündigt hat: das Herz der Mutter. ES ist etne allgemein verbreitete Ansicht, daß die er- folgreiche Erziehung eines Kindes erst dann beginnen kann, wenn eS „zur Vernunft" gekommen ist, und daß die Schule nicht nur oie Aufgabe, sondern auch die Kraft besitzt, die>e Erziehung tn die Hand zu nehmen. Wie kleine Fohlen im Roßgirten wachsen unsere Kinder auf bis zu dem ominöicn 6. Jahr, mit dem, nach dem Gesetz, ihre Dressur zur Bildung beginnt. Sie haben keine Pflichten, keine Arbeit, keine Verantwortung- Sie hören nicht, sie sehen nicht, sie besitzen weder Urteil noch Ge dächtnis. Niemand braucht sich tn ihrer Gegenwart Zwang avfzuerlegen. Sie sind zu klein, zu dumm, um vernünftig belehrt und vernünftig bestraft zu werden. Nur wenn ihre Wildheit die Nerven ihrer Umgebung be lästigt, geht man von dem Grundsatz einer lächerlichen Dul dung und zärtlichen Beschönigung ab und spart weder mit übellaunigem Tadel noch mit planlosen Züchtigungen. Ich meine aber: bis zum 6. Jahr muß ein Kind im gewissen Sinn erzogen sein. Wenigstens dürfen Schläge, soweit sie überhaupt nötig waren, nicht mehr zu seinem täglichen Brot gehören. DaS Kind jenseits dieser Alters grenze muß gelernt haben, zu gehorchen und sich zu schämen. Ten Gehorsam wird die zielbewußte Mutter von langer Hand vorbereiten. Er beginnt mit der strengen Gewöhnung zur Regelmäßigkeit im Schlafen und Trinken, mit der konsequentesten Erziehung zur Anspruchslosigkeit, die weder ein Fahren noch ein Tragen noch ein Beruhigen deS Säuglings gestattet, der den Beweis seines Dasein» liefert, indem er grundlos schreit. Und er wird weiter ausgebildet durch ein unerbittliches Anhalten zur Erfül lung kleiner Pflichten, zur Leistung kleiner Dienste, mit anderen Worten durch eine Erziehung Schritt für Schritt, ohne Strafe und ohne Zorn, durch die Erziehung zur Ver antwortung und zum Opfer. Der Aufgabe der Mutter al» Erzieherin klein« und kleinster Kinder gebührt etn eigene» Kapitel. Dahin gehört auch die Beantwortung der Fragen über Ernährung und Körperpflege, die einem nervösen und rhachttischen Ge schlecht zur Gesundheit und Leistungsfähigkeit auch « der Schule helfen sollen. Kennen wir unsere Kinder denn auf jeden Fall? Ast e» nicht etn neue» Leben, daS sich vor uns entwickelt, «in fremde» komplizierte» Dasein, zu dem die Eltern «IM gleich den Schlüssel mitbekommen, sondern ihn sich erst mit Mühe, Liebe und Verständnis suchen müssen? Ich glaube, alle Eltern haben die Kinder, die sie verdienen. Und die Mutter ist durchaus im Recht, die sich nicht vor zeitig durch den ersten Schulgang nehmen lassen will, was nicht wieder zurückzugeben ist: den Blick tn eine klein« Seele und den Weg zum Herzen ihre- Kinde»! Vrebi Die Fran im Wahlkampf. Bon Ilse Hamel. Unser Volk steht unter dem Wetterleuchten de» Wahl kampf». Täglich erleben wir, daß die hohe Spannung zwt- schen den entgegengesetzten Polen sich in den unerfreulichsten, ja wüstesten Szenen entlädt. Besonders die Jugendlichen der ganz radikalen Kreise scheinen wenig Zntraucn zu ihren geistigen Waffen zu haben, oder wenig in ihrem Gebrauch ge- übt zu sein, denn sie ziehen häufig Stuhlbeine und Gummi knüppel vor. Mit wenigen Ausnahme» sehen die Frauen aller Barteten dieses Schauspiel mit Abneigung, sa mit Wi derwillen und verurteilen eS. Selbstverständlich haben auch sie, alS Glieder ihres BolkeS, das stärkste Interesse an dem AuSgang dieser Wahlen, und sic wissen auch, daß Im Wahl- kampf zwischen den Parteien Abrechnung gehalten und die Lage geklärt werden muß, damit wirklich der Wille deS Vol ke» zum Ausdruck kommt. Aber die meisten Frauen, soweit sie zum Bewußtsein ihrer Volksverantwortung gelangt sind, wissen sehr wohl, baß sie auch hier wieder, wie überall im öffentlichen Leben, etne ganz besondere Ausgabe zu erfüll"'! haben, die den Hauptwcrt ihrer Beteiligung am voli^chcn Leben über haupt und an den Wahlen ansmackn. haben auch hier der bindende Kitt in unserem Vvlksköipcr zu sein, haben verbindend, ansglelchend und festigend zu wirken. Nicht, daß ich damit der Kompromißlerei und unklarer, verwash.'ner Stellungnahme daS Wort reden will. Nein, die Frau muß sich ebenso gründlich und unbeirrt wie der Mann darüber klar werden, welche Ziele und Entwicklungswege ihr für unser Nolk als wünschenswert erscheinen und welche Partei ihr die Errichtung derselben zu gewährleisten scheint, aber sie wird dabei nicht nur die unnötig rohen Formen dieser Aus einandersetzungen verurteilen und häutig schon durch ihre Gegenwart zu verhindern willen, sondern sie wird häullg auch einen freieren Blick und sicheres Erfühl für daS, wo» nnlerm Volk not tut, beweisen, alS der Mann. DaS macht, sie wur zelt tiefer und fester in unferm VolkStnm und fühlt, daß eS bet den Schicksalsfragen unteres Volkes um Wichtigeres und TiekereS als um Wirtschastskämpse und Machtgruppie- rungen geht. Sie ist nicht so befangen in Parteibogmen wie der Mann, sondern spürt bi« lebendigen Kräfte unserer Zeit und ihr Znm-Licht-Ningen. Sie weiß, daß Gewesene», UeberlebteS nicht wieder kommt, aber sie hat ein klare» Ge fühl für die die Generationen verbindende Entwicklung». ltnie ihres Volke» und will dem Gesunde«, dem sittlich Starken zum Siege verhelfen. Sie fühlt sich aber auch al» Kulturbewabrerin und will die unS überkommene« unver gänglichen Werte erhalten und vererben. Die meisten Frauen haben daher die sichere rekigivS-sitt. Nch« Grundlage wiedergefuuden, die allein einem Volk zu einer gewißen Stabilität auch tn schicksalsschweren Zeise« verhilft. Sie wollen Gesundung, Vftlichkeit, Ordnung und Arbeit, und viele von ihnen wissen auch schon, bah unser« wirtschaftliche Gesundung nur durch Sparsamkeit ft» alle« Kreisen und Mehrarbeit zu erreichen ist, bah bavo« auch bi» Wertbestänbtgkeit der Rrntenmark abhängt. Sir haben aber auch tiefe» Verständnis für die Versklavung unsere» Volke», die Leiden der Volksgenosse« ft» der Pfalz, an RHei», Ruh«. Saar und in der Ostmark und wolle«, auch unter -röhre» Opfer«, Deutschlaub» Befreiung. Dem» bi« natürlich emp findende Fra« ist friedliebend, wen« anch nicht paziftstiich in» Sklavensim««. Darum will sie auch, bah wir zu einer volk^ Vertretung gelangen, bte kräftig für di« Nicht-Schuko Deutschland« am Weltkrieg« rirrtritt. «» aeht ihr ede» u» da» Wesentlich«, um Deutschland» Selbftbehauptuug. Dafttt fetzt sich die groß« Mehrzahl der Frauen mit alle« Kräfte« ein. Immer aber werden sie e» auch al» ein« ihrer Haupt aufgabe» betracht««, uuuötig scharf« Konroftormeu und Ord- «ungsstöruugrn tu der Wahlpest durch ihres Stufluß W mildern ober zu verhindern. Mt Ae/r/e's Krnöerme-l HeH/ keine wuitee /e-/. dem Herrn Vicomte vielleicht weniger gut bekannt sind als mir, und auf die ich Ei« gern aufmerksam aemacht hätte.- In dem Klang seiner Worte und vielleicht noch «»ehr tn dem Blick, den er dabei auf Sylvia richtete, mußt« etwa» gewesen sein, das einen starken Eindruck auf sie machte und ihre schon gefaßten Entschlüsse wieder in» Wanken brachte. Sie sah unschlüssig aus: aber die Baronin, der die drohende Gefahr nicht entging, beeilte sich, ihr vorzubeugen. »Sie hören doch, daß wir «n» ander» entschiede« haben, Westenholtz! Ich bin mit meiner Korrespondenz noch nicht fertig, und ich kann Miß Pendleton unmöglich zumuten, auf mich zu warten. Da der Herr Vicomte versprochen hat, ein mäßiges Tempo innezuhalten, wird e« uns nicht allzu schwer fallen, di« Herrschaften haldweg» wieder einzuholen." «Gewiß, meine Gnädigste," versicherte Marigny mit geschmeidigem Lächeln. „Es ist ganz unmöglich, daß wir uns verfehlen. Darf ich bitten, Miß Pendleton? Ich brenne darauf, Ihnen zu zeigen, einen wie wunderbar sanften Gang mein du Ballon hat." Sylvia erhob keinen weiteren Einwand, und Hoi- ningen sah ein, daß auch er verurteilt war, zu schweigen, wenn er nicht geradezu einen Skandal heraufbeschworen wollte. Und dazu hatte er doch am Ende weder ein Recht noch auch nur einen Vorwand. Denn alle diese Ding« waren ja scheinbar so harmlos und unverfänglich, daß er sich in Sylvia» Augen vermutlich unrettbar lächerlich ge macht hätte, wenn er sie vor einer Gefahr warnte, die er nicht zu bezeichnen vermochte. Er mußte also zusehen, wie der Vicomte der Amerikanerin in den Wagen half, um dann an ihrer Seite Platz zu nehmen, während die Führung de» Gefährt» dem Chauffeur überlassen blieb. Als der du Ballon an ihm vorbeischnurrte, warf der wackere Schmidt seinem Kollegen einen bedeutsamen Blick zu und um sein« Lippen spielte «in ironisches Lächeln. Sylvia aber befand sich bereit» in angelegentlicher Unterhaltung mit ihrem Begleiter, und sie gönnte Hoinlngen nicht für den flüchtigsten Moment den Anblick ihres Gesichts. Der Graf preßte die Lippen zusammen, während er den Enteilenden nachblickte: dann sah er auf seine Uhr. „Ich werde der eifrigen Briefschreiberin wohl gezählt« zehn Minuten Zeit lassen," versprach er sich selbst. „Dann aber wird sie keine weichmütige Rücksichtnahme auf ihre zarten Nerven mehr von mir zu erwarten haben." Er gelobte sich's, und er hielt Wort. Die Minuten vergingen ihm langsam genug, aber als endlich die neunte um war, schob er die Uhr mit einer energischen Bewegung in di« Tasche und sah sich nach irgendeinem dienstbare» Geist um, dessen er sich als Boten bedienen konnte. Glück licherweise tauchte eben seine Freundin aus der Garage, das niedliche Stubenmädchen, im Garten auf, und sie be» allzu schwer gefallen fein, den mitteilsamen Burschen zum Reden zu bringen. Aber er hatte die dunkle Empfindung, daß er mit weiteren Fragen möglicherweise eine große Ungeschicklichkeit begehen würde. Und am Ende brauchte er ja auch nur die Augen offen zu halten, um das Unheil zu verhüten, das da im Anzuge war. Er nahm seinen Sitz ein, nachdem er den Motor angekurbelt hatte und machte sich bereit, die Garage zu verlassen. „Ich nehme an, daß der Bicomte meinem Wagen den Vorrang lassen wird," sagte er. „Das ist ja ein einfaches Gebot der Höflichkeit, und ich kenne den Weg so gut, daß ich keinen Schrittmacher brauche." Schmidt horchte sehr angelegentlich auf da» gleich mäßige Arbeiten des Motors. „Großartig — Ihre Maschine," erwiderte er, ohne auf die letzten Worte Hoiningens einzugehen. „Sie geht wie eine Uhr." „Und nicht viel lauter, so daß Sie doch wohl ge hört hoben müssen, was ich eben sagte." „Hören und antworten ist zweierlei, mein Lieber! Neben ist eine gute Sache, aber manchmal ist es doch noch besser, wenn man den Mund zu halten versteht." „Eine gute Lehre, nach der du schon viel früher hättest handeln müssen, mein Bester," dachte Hoinlngen; aber er sagte nichts weiter, sondern verließ die Garage, um seinen Wagen vor dem Hoteleingang zum Halten zu bringen. Nach einer kleinen Weile sah er Sylvia und den Vicomte vom Rathaus« her kommen, und in dem selben Augenblick trat auch die Baronin au» dem Hotel, um sich den beiden zuzugesellen. Al» sie sich dem Wagen näherten, lüftete er seine Mütze. „Darf ich fragen. Miß Pendleton, ob Sie auch den Diebsturm am Neckar besichtigt haben, tn dem einst Götz von Berlichingen gefangen saß?" Sie wandte sich ihm zu, und noch nie seit dem ersten Augenblick ihrer Bekanntschaft hatte er einen ähnlichen Ausdruck abweisender Kälte auf ihrem schönen Gesicht gesehen. „Nein," erwiderte sie, „und ich denke auch darauf zu verzichten. Wir haben beschlossen, jetzt zu fahren. Der Herr Vicomte will mich in seinem Wagen mitnehmen, und Sie werden un» später mit der Frau Baronin folgen." Es traf Hoinlngen wie ein Schlag. Darauf also war es abgesehen, und Sylvia stand wirklich im Begriff in die Falle zu gehen, die man ihrer Ahnungslosigkeit gestellt hatte. Er war in seiner Erregung sehr nahe daran, irgendeine Unklugheit zu begehen, ober im letzten Moment wußte er sich doch noch zu beherrschen. In dem bescheidensten Ton, den er sich abzuzwingen versuchte, sagte er: „Ich hatte gehofft, Miß Pendleton, daß ich gerade auf dieser Strecke das Vergnügen haben würde, Sie zu zu xedteu«^ Frdulet» ?" " " " '' „Warum nicht?" lLcheft« sld. „Da ist es. Suchen Sie so schnell «W «WH Rd älter« Dam« auf, di« zu meiner Parti« gehört — sie muß Aendwo drinnen im Haus« fitzen, u«d sagen Sie ihr, daU Westenholtz nicht länger warten kann und nicht länge» warten will. Sagen Sie ihr das, bitt«, urft denseibep Worten. Und beeilen Eie sich, so sehr Ei« können." Da» kleine Zimmermädchen gehörte offenbar nicht z» den unzuverlässigen Leuten, di« e» mtt der Geg«ul«istu»tz nicht mehr allzu genau nehme«, sobald sie den Lohn t» der Tasche haben. Sie mußte ihren Auftrag sehr schnell und sehr gewissenhaft ausgerichtet haben, denn es waren noch nicht zwei Minuten verflossen, als die Baronin Ried berg in der Eingangstür de» Hotel» erschien, dunkelrot tm Gesicht und gewappnet mit all der unnahbare» Hoheit ihrer bevorzugten gesellschaftlichen Stellung. „Was soll das heißen, Westenholtz?" fragt« sie i» einem Ton, der bestimmt schien, den unglücklichen Chauffeur vollständig zu vernichten. „Ich kann die» Mädchen doch wohl unmöglich richtig verstanden haben." „Wenn sie Ihnen gesagt hat, daß ich nicht länger auf Sie warten kann und will, so haben Sie sie durch- au» richtig verstanden. Ich kann Ihnen nur die Wahl lassen, gnädige Frau, entweder sofort einzustcigen, oder hier in Heilbronn zu bleiben, bis sich Ihnen eine andere Beförderungsgelegenheit bietet. Denn ich werde in diesem Fall ohne Sie nach Bruchsal oder anderswohin fahren." Außer sich vor Entrüstung rang die würdige Dame mühsam nach Atem. „Oder anderswohin? Was wollen Sie damit sagen?" „Ich will damit sagen, daß ich nicht gesonnen bin, Miß Pendleton ihrem Schicksal zu überlassen, und daß ich sie erreicht haben will, bevor die Dunkelheit bereit bricht." „Wie können Sie sich unterstehen, in einem solchen Ton mit mir zu reden. Sie — Sie gewöhnlicher Mensch l" Hoiningen legte seine Hand an den Hebel. „Ich sagte .sofort', Frau Baronin —und ich wiederhole «» — aber zum letzten Male." Die Farbe ging und kam auf dem Antlitz der „ehr würdigen" Matrone. Sie hatte jedenfalls die fürchterlichsten und niederschmetterndsten Worte auf der Zunge; aber sie brachte merkwürdigerweise nicht eines von ihnen übcr die Lippen. Sie war den Augen des jungen Mannes be gegnet, die kalt und blank wie gezückte Dolchklingen auf sie gerichtet waren, und sie mochte sich in einem vielbewegte» Leben doch Menschenkenntnis genug erworben haben, um sich zu sagen, daß dieser Mensch genau das tun würde, was er ihr als seinen Entschluß angekündigt. Es war eine schreckliche Demütigung, die ihr da augesonnen wurde, aber sie entschied sich nichtsdestoweniger dafür, sie aus sich zu
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