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— 38 — .Rein, wahrhaftig nicht, Jungfer Holdermanu! Ich thue er eben auch nur auS reiner Chrlsteultrbe," versicherte Jette, legte dar Album wieder auf die Kommode und ging nach der niedrigen Stubenthür, sie etwaigem Besuche zu öffnen; indeß über die Schwelle kam sie nicht. »Ach, Du meine Tüte, di« Lori!" schrie die Kranke plötzlich auf, und als Jette sich erschrocken umwandte, lachte ihr von draußen durch das geöffnete Fenster rin herziges, junges, von weißem Schleierhütchrn beschattetes Gesicht ent gegen. .Ja, Tante Adel, Du liegst ja mit der Staatshaube zu Bett; ist daS mir zu Ehren oder erwartest Du andere Gäste?- tönte «S fröhlich herein statt des Gruße-. Die Tante Adel schluchzte vor Rührung — denn Niemand, Niemand seit der Mutter Tode hatte sie wieder mit diesem Kosenamen angerrdet. .Ach, Du herrliches Kind! Nein, zu mir kommt sonst Irin Besuch, und wie hätte ich es wissen können, daß ich solch eine Freude erleben Wörde! Guck, wrun ich gleich alt bin und krank, ein wenig Eitelkeit habe ich mir doch noch erhalte». O, Du grundgütiger Gott, so ein Glück! Schnell, schnell, Jette, sühnen Sie die gnädige Gräfin Herrin in mein armseliges Gcloß." .Bitte, bleiben Sie nur, Frau oder Fräulein Jette! Die gnädige Gräfin kommt schon allein." Mt diesen Worten verschwand der Mädchenkopf am Fenster und noch während Jungfer Holdermann ihrer Haus hälterin hastige Befehle für eine möglichst gute Bewirthung der vornehmen Richte gab, erschien diese vor dem Kranken lager in einfach grauem Reisrlleide, den Hut am Arm und einen barfüßigen Jungen, mit Tasche und Handkoffer beladen, neben sich. .Guten Tag, Tante Adel. Da bin ich mit Sack und Pack! Ich will bei Dir bleiben und Dich pflegen, wenn Du eS rämlich erlaubst; für uns Zwei wird eS schon reichen, denn ich mache keine Ansprüche; ich bin von jetzt ab keine Gräfin mehr, sondern ein ganz armes Mädchen, einfach die Lori Holdermann, wie einst Mama und Urgroßmutter ge rufen wurden.- Die Kranke richtete sich, jäh erröthrnd, in den Kiffen aus und machte eine ängstlich abwehrende Bewegung nach der Haushälterin hin, die horchend, mit langem Gesicht auf der Thärschwrlle zögerte. „Hier wohnen wollte die Gräfin? Und arm? Hrtte sie recht gehört? Nun, da sollte meine- Bleiben- nicht lange sein in der verwünschten Woldhütte-, dachte die Horcherin. An, eine Erbschaft war unter diesen Verhältnissen nicht zu denke»; wozu sollte sich die virlbegehrte Jette in Einsam keit und Strapazen stürzen und wohl gar noch die verwöhnte Nichte, die Bettelpiinzeffin bedienen? Nimmermehr! Und der Kaffee brauchte nun auch nicht so übermäßig stark zu sein. Honigbrot und Ziegenmilch gab es dazu, wie sonst; aber keine Waffeln, keine Sahne, der Weg in die Försterei hin über blieb ihr dadurch erspart. Viel lieber sprang sie nach her einmal in dos Dorf, die Neuigkeit, so schnell eS anging, herumzubringen. Mit dirsim Entschluß trat sie hinaus in die kleine Küche und brrüte sich unter rücksichtslosem Poltern und Hantirrn um so mehr, daS kärgliche Gebräu auf den Tisch zu bringen. Freilich machte Jungfer Holdermann ängstliche Augen, als weder Waffeln noch daS befohlene .gute Kaffeeservice- aus dem Tablet standen; doch Jette lächelte sie so heuchlerisch harmlos an und Lori rückte, nachdem sie dem Jungen die Sachen abgenommen, ihn bezahlt und wrggeschickt hatte, ihren Stuhl und da- Rähtischchen mit der gehäkelten schneeweißen Decke so nah an das Bett, daß gar kein Scheltwort, keine Frage oder Thräne aufkommen konnte bei der empörten Alten. .DaS wird urgrmüthlich, Tantchen-, lachte daS junge Mädchen, nahm der impertinent dreinschauenden Jette das Kaffeebret ab, strich — etwa- unbeholfen zwar — Honig auf die Brotschnitten und schenkte für Tante und sich selbst die Taffen voll auS der irdenen Kanne, ohne die Haus hälterin noch eine- Blickes zu würdigen. - .Na, Jungfer Holdermann, da kann ich ja wohl wieder gehen und brauche meine Habseligkeiten gar nicht erst herbei- zuschaffen?- fragte Jette daher. Die Kranke sah ihre schöne Nichte erschreckt und rath los an; aber Lori nickte ihr schelmisch zwinkernd zu und ant wortete statt ihrer! .Ja, ja, Frau Jette, gehen Sie nur, wenn es Ihnen so gefällt. Tante sagt mir schon, was ich zu thun habe, und an mir soll eS nicht fehlen. - .Und die Ziegen? Und die Hühner? Und Spitz?" .Ei, darum regen Sie sich nicht auf, gute Frau. Die paar Hausgenossen versorge ich auch. Ich bin ja nun ein armes Mädchen und muß jede Arbeit lernen, mit gutem Willen vollbringt man auch das Schwerste. - . Fräulein, der gute Wille allein thut es nicht und so kleine verwöhnte Händchen! Daß die arbeiten und hart und häßlich werden sollen, daS leidet schon die Tante nicht. Aber mir kann es recht sein, sehen Sie zu, wie Sie fertig werden, Jungfer Holdermann. Meine besten Wünsche und — Gott besohlrn auch!- Spöttisch grüßend neigte sich Jettens tuchumwundener Kopf; nicht einmal die Hand reichte sie der Kranken hinüber, sondern schritt hinaus wie jede Fremde auf Nimmerwiedersehen. Ein Beben ging durch Jungfer Holdermann- Gesicht und sie klagte: .Aber Kindchen, wie konntest Du auch so unvorsichtig sein! Solche Leute stellen einem gleich d.n Stuhl vor die Thür, wenn man sie nicht mit Handschuhen anfaßt. Und ihnen gegenüber muß man schweigen wie da- Grab über seine persönlichen Angelegenheiten; zumal da. wo nicht alles Gold ist, was glänzt, sonst ist eS gleich Matthäi am letzten mit dem bischen Respekt und Ansehen. Kleine, Kleine! WaS soll denn nun werden aus unS beiden? Ich mit meinem siechem Körper, kann ja nichts, gar nichts mehr leisten nicht einmal einen Schlitt allein gehen. Ach Gott, lieber Gott! Und Du kannst noch lachen?" .Aber Tantchen, freilich! Freue Dich doch mit! So allein auf mich angewiesen, lerne ich die Hauswirthschaft am besten; ich glaube auch gar nicht, daß es so mühsam ist. Ich habe unseren Leuten oft zugesehen, von klein auf, und weiß, wie Alles gethan wird, und was ich nicht kann, lehrst Du mich; Herzenstantchen, ich bin gar nicht schwer von Be griffen. Nicht wahr, die Honigbröochen habe ich schon ganz gut gestrichen? und eS ist doch daS erste Mal in meinem Leben. Aber Du genießest ja nichts, darf ich Dir dir Taffe halten?- .Danke, mein Herzchen, danke. Mir ist so bang: in einer Stunde müssen die Hühner vensorgt werden und —- .Und die Ziegen und Spitz — o, ich weiß da- wohl! Zuerst muß mein liebe- Tantchen an die herrlich sonnige Frühlingsluft in den Wald hinaus — oder kannst Du gar nicht gehen, Du Armr?" .Doch, doch. Aber wie! Nicht zum Ansehen.- .EI, wenn e» nur da- ist!" .Und eS wird mir schwer, ach so schwer." .Auch, wenn ich Dich führe?" - 3» - Auch dann, Du gutes Kind." .Da muß rin bequemer Fahrstuhl «»geschafft werden, sofort! Tante, VMst Du Wohl ein Stündchen «klein bleiben, wenn ich Dich rinschließe und Dir alles Nöthige hier neben Dich auf daS Tischchen stelle? Ich laufe Nur eben an die Station, einen Brief wrgzutragen und «ine Aufwärterin für unS zu engagiren, denn weißt Du, die ganz groben Arbeiten und die Wege in daS Dorf, die mag ich natürlich nicht über nehmen. ES ist auch nicht nöthig; so weit reicht eS schon, wenn wir uns tüchtig einschränken: Mittags nur drei Gänge und Abends einen einfachen Braten mit Eowpot. Bier statt deS Weine-, daS genügt doch? Meinst Du nicht?" Jungfer Holdermann, keines Wortes mächtig, knüpfte mit zitternden Händen die Penser-Haubenbänder auf und schluckte wie an verhaltenen Thränen, und als sie endlich der verwundert dreinblickettden Nichte antwortete, klang ihre Stimme heiser und wankend: .Ach, gutes Kind, eS ist nicht möglich so, absolut nicht. Schlag cs Dir doch doch auS dem Sinn, daS Wirtschaften. Vielleicht kommt die Jette wieder, wenn wir sie recht schön bitten — und — aber daS wird auch nicht mehr gehen, nun, wo doch — die — die Rente weg — Wegfällen muß. Und ein Fahrstuhl? Nein, solch rin Möbel ist viel zu theuer für meine Verhältnisse, selbst wenn — der Herr Vormund die — Zahlung noch leisten könnte. Wie ist den« nur alle- so plötzlich gekommen Lorchen? Hast Du große Geldverluste gehabt? Ich dachte — dachte, Du wärest unmenschlich reich, und da habe ich alte Thörin gemeint, die schöne Rente ohne Gewissensbisse annehmen zu können. Nein, wie ich mich schäme! So kindisch zu sein!" Ein Kuß der jugendlichen Lippen schloß der Selbst- Anklägerin den Mund und die weichen Mädchenarme legten sich zärtlich um ihren Halr. .Laß mich auSruben und stark werden hier bet Dir, Tantchen, und mache Dir keine unnützen Gedanken; ich rede und handle immer wie rin Kind recht in- Blaue hinein. .Majorin CerbrruS" hat ganz recht, mich unbedacht zu heißen: Dich so zu ängstigen. Dich, eine Kranke! Aber jetzt will ich beichten; freilich nur Dir, und gelt. Du gelobst «S mir in die Hand, mein kleine- Geheimniß bewahren zu wollen?" Leichenblaß vor Aufregung und nicht imstande zu ant worten, vollzog Tante Holdermann den stillen Schwur. Lori kniete vor dem Lager nieder, stützte da- Köpfchen auf die linke Hand und streichelte mit der Rechten manchmal über Tante Adel- Gesicht, zu welchem sie ftomm und ernsthaft aussah, einen Ausdruck den noch Keiner zuvor an der kleinen Gräfin gekannt hatte, selbst Gesellschafterinnen und Vormund nicht." .Sieh, Tantchen, Du wirst es nicht glauben, aber eS ist doch so: mich hat dieser .unmenschliche" Reichthum unsäglich »lend gemacht", sagte sie mit wrichrr Stimme, .und da habe ich alle- dortgelaffen, in der großen Stadt: LuxuS, Rang, und Namen, und bin meiner Sehnsucht nachgezogen zu Dir, zu Einfachheit und Wahrheit, in den stillen, grünen, einsamen Wald. Genug, übergenug habe ich mitgrbracht für uns Bride, wir können fürstlich leben, wenn wir wollen. Aber wir wollen eS nicht, gelt? So bescheiden und anspruchslos al» nur möglich will ich werden, will arbeiten lernen und nur eine treue Seele glücklich machen, Dich, meine gute Tante Adel. Aber weißt Du, daß Deine famose Jette und der kleine Gepäckträger daS Brkenntniß meiner Armuth anhören mußten, daS habe ich extra so ringesädrlt, ganz sein, denn hier herum will ich sein, waS ich nicht bin und doch so gern wäre, die arme, hetmath- und namenlos« Lore Holder mann. — Willst Du mich unter sothanen kjerhÜtttckfsa, be halten und lieb haben?" Der athemlo» Lauschenden strömt«, schon längst Thrüuea der Rührung über da» gute, alte Gesicht, wie segnend «hob sie ihre Hände und schluchzte: .Ob ich will? Ach, Du gutes, llebe-Kind! Freilich, freilich! Bon ganzem Herzen, wem, ich Dir nicht zu gering bla, und ich will Dir helfen. Dich ekazulebea in die klein«, engen Kreise meine» Standes, wenn ich Dich nach nicht so ganz versteh« mit «einen altmodischen Ansichten, ich kam, e» mir schon denken, wa» Du suchst, und der gütige Herrgott wird eS Dir finden lassen, das Glück! — Ja, jetzt gehe nur, Lorchen, ich haspele mich verweile ein wenig ans, und wen» Du wieder da bist von der Station, dann wollen wir eg in Gotte» Namen einmal probtren, ob die Füße Noch auf da» Waldbodea gehen können, nur eia paar Schrittcha,; ich noch doch wieder spüren, wie e» ist, wenn die Liebe Ein«, führt. .Lieber Gott, noch so viel Jahr«,! So gehe da«, Lori, und — verirre Dich nicht. Wirst Du den W-g auch wird« find«,? Dort rechts ab, an dem See vorbei —" .Weiß schon, Tantchen!" jubelte die kleine Gräfin, in dem sie ihr Hütchen ergriff und aufstülpte. Noch eine Um armung und ein lustige» .Auf Wiedersehen!" Zu spätestens einer Stunde bin ich Wied« da." .Und der Vries?" erinnerte Tante Adel. .Den schreibe ich a^f dem Bahnhof«, meine Schrelbmoppe nebst Zubehör liegt noch elngepockt aus den, Güterschuppen, und bei Dir finde ich onch nicht gleich Tinte, Fed« und Papi«." .Könnt»st auch lange suchen danach. Lorchen! Außer der letzten Quittung üb« die Rente habe ich seit Monate» keine Zelle geschrieben, ich weiß nicht etuural, wo Lisette mit ihren Hetrath-gedanken do» Schreibzeug htugebtitcht chat." .Run denn, ade, ade!" Gräfin Lori winkte »och einmal grüßend durch daS jetzt geschlossene Fenster, al» sie schon draußen stand, da» glückliche Lächeln aus dem Leidensgepcht ,r»r ihr bereits eine rasch «blühte Frrudeublmue aus dem neubetretenen, ungewohnten Lebenswege. tDb fie'lhu wohl so weiter gehen konnte? Ganz so zuversichtlich »ar ihr sch«, nicht mehr um da» Herz seit den Hmckgschuitteu und der plötzlichen Entlassung JettenS, die zarten Hände schmerzte» noch, sie hatte da» plumpe Messer wohl ungeschickt angrsaßl! Und nun sollt« sie -ar Ziegen füttern üud Hühn« und einen so plebejischen Hund! Jedenfalls durfte die neu zu engagirrnd« Aufwärterin nicht allzu unerfahren sei». Die Bahnstation war in ein« gut«, Btertelstunde z» »«eichen, und fern im Dorfe schlug es eben Drei. Sie zähtte die Schläge und nahm sich vor, punkt Bi« spätestens wie»« zurück zu sein. „Will «S Gott," hätte sie hluzusetza, soll«,, dem, mit des Geschicke- Mächten ist kein «rüg« Bund zu flechte«, zumal wem, ein so jugendlich« Mädchrnkopf aus Natur stützte» «ms« geht. Da war zuerst ein Kranz goldig«, taugender Lichte^ durch Tanneugeäst aus den moosigen, nadelglattrn Bode» niednstrahleud, der bewundert werden mußte, daun da» Eon» cert der nie so nahe gehörten Saldcapelle, laut« Mai- und Liebeslied«, uad die verstand Lori gar wohl, ikne Sehn sucht ohne Gleichen «faßte sie: Wonach? Sie hatte doch nun, was sie wollte, die alte Laut» imd einen Wirkungskreis! Reheu ihr rauschw et» frtscher,glltz«»- der Bach, schon von Halme«, "Gänse- und vatterbtume» be grüßt, ab« so eilig, als habe « es versäumt nutz müsse »m,