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1« Unterhaltungsstoff. Selwyn war ein gewandter Erzähler, voll Weltkenntntß und scharfer Beobachtungsgabe, der seinem aufmerksam zuhörenden Wirth mancherlei von dem europäischen Leben berichtete, wofür dieser seine oft recht schauerlich klin gende» Abenteuer zum Besten gab. Eines Abends hatten sie sich nach längerem Gespräch zur Ruhe begeben, Thüre und Fenster weit offen lassend, um die erstickend schwüle Luft, die drinnen herrschte, zu mildern. Tie Atmosphäre glühte und eS war jene unheimlich bedrückende Stille eingetreten, welche gewöhnlich einem gewaltsamen Aus bruch der Naturelemente vorhergeht. „ES sieht nach einem Erdbeben auS," meinte Selwyn. „Oder einem tüchtigen Gewitter," fiel sein Genosse ein. „Mr würden uns auch mit diesem zufrieden geben." Bald waren Beide eingeschlafen nnd Selwyn hatte einen seltsamen Traum. Er sah sich mitten in der Nacht in einer tiefen, felsigen Schlucht, — dem Orte wo sich Fanning's Schatz befand. Und da war eS auch, da- kostbare „Auge der Nacht"; eS funkelte in der Dunkelheit und sein Blick war wie der «ine- Basilisken. Aber Selwyn empfand weder Freude noch Triumph, daß er sein Ziel erreicht; anstatt nach dem glitzernden Stein zu greifen, dachte er nur daran zu ent fliehen. Doch er vermochte kein Glied zu rühren; er war wie sestgewachsrn an den Boden, — zitternd, von Todesfurcht ergriffen stand er da. Näher und näher kam das funkelnde Auge. Und jetzt blitzte ein zweites daneben auf. Zwei Augen die glühend auf ihn gerichtet waren! Vor ihnen be wegten sich schattenhafte Hände, die einen Bogen hielten, — ihn spannten, — auf ihn zielten mit — mit dem vergifteten Pfeil! Und er konnte sich nicht bewegen, nicht fliehen! Ent setzlich! Mit einem schrillen Pfeifen schwirrte der Pfeil durch die Luft. Ein lautes Wischen und dann war die ganze Schlucht von blendendem Licht erfüllt und „DaS nenne ich mit knapper Noth entronnen, Kamerad!" rief eine laute Stimme. Der Bann war gebrochen, — schweiß gebadet fuhr Selwyn in die Höhe, doch der Anblick, der sich ihm bot, machte ihn recht erschauern. Mitten im Widerschein eines flammenden Blitzstrahles stand William Fanning, eine riesige Schlange am Schwanz emporhebend. Sie war todt, aber der Körper wandt sich noch in konvulsivischen Zuckungen. Ein mächtiger Donnerschlag erschütterte daS HauS und dann herrschte plötzlich ägyptische Finsterniß. „Zündet ein Licht an," rief Fanning, „doch kommt mir nicht zu nahe! DaS Reptil könnte selbst jetzt noch gefährlich sein." Wie im Traum gehorchte Selwyn. „Was bedeutet denn daS?" fragte er dann sich die Augen reibend. „Das bedeutet, daß ihr um ein Haar in die Unterwelt gefahren wäret," war die Antwort. „Ihr verdankt Euer Leben nur dem Gewitter. Ich erwachte durch den Donner und stand auf, um nach dem Wetter zu sehen. Ein greller Blitz, der daS ganze Zimmer erhellte, ließ mich die Schlange bemerke», die sich quer über Eure Beine gelegt hatte. Ohne eine Sekunde zu zögern packte ich sie am Schwanz und zer schmetterte ihr den Kopf an der harten Tischkante. Da liegt sie nun." Sprachlos starrte Selwyn erst auf den kühnen Schlangen- tödter und dann auf das greuliche Ungetüm. „Wahrhaftig, Fanning," ries er endlich auS, daS war eine behexte That! Auf jeden Fall sind wir jetzt quitt! Gespürt habe ich aber die Nähe des giftigen Reptils, denn mir lag's wie ein Alp auf der Brust." Und er dachte an den beklem menden Traum den er gehabt hatte. „'S ist ein« Eobraschlange," bemerkte Fanning, daS todte Thier zum Fenster hinauSschleudernd. „Wahrscheinlich spürte sie, daß Regen im Anzuge war und suchte hier ein schützen des Obbdach. Und nun, Kamerad, ich denke schlafen können wir doch nicht mehr, also rauchen wir lieber eine Pfeife." Mit elementarer Gewalt brach der Sturm loS; flam mende Blitze zuckten am Himmel auf und krachend rollte der Donner durch die wafserschweren Wolken. Und dann strömte der seit Monaten so heiß ersehnte Regen herab, stetig, unauf haltsam, ein echter Landregen. Die Dürre war zu Ende, aber — zu spät, denn nach dem Gewitter folgte eine schroffe Abkühlung, die besonders den Schafen und Ziegen (die Angora ziege ist bekanntlich sehr empfindlich gegen Witterungswechsel) verderblich wurde. Zwar brachte Fanning die Heerde schleu nigst in die Ställe und Hütten, um sie warm zu halten. Doch die entkräfteten Thiere starben wie die Fliegen hin und ehe der Tag vorüber war, besaß der Famer kaum noch rin halbes Dutzend Schafe — er war ein ruinirter Mann. 7. Kapitel. Die Fremde. „Noch immer nichts von Fanning gehört?" rief Christoph Selkrk seiner Frau zu, als er eines Nachmittags von einem Ritt durch die Felder ermüdet nach Hause kam. „Nicht ein Wort," entgegnete Hilda, die mit einer Näh arbeit beschäftigt war. Wann hast Du ihm denn geschrieben?" „Vor 14 Tagen." „Hm, allerdings eine gute Weile her. Sie sollen aber drunten im Lande starke Regengüsse gehabt haben; da wirds wohl nicht an Ueberschwemmungen und unpassirbaren Wegen fehlen und das mag die Post verzögern. „Meinst Du, dies sei der einzige Grund für sein Still schweigen?" fragte Hilda besorgt. „Ich hoffe eS wenigstens. Er war ja sehr krank, doch schon in der Besserung als er uns schrieb. Er wird sicher kommen, sobald er kann und gewiß auch seinen Freund mit bringen. Für die Mädchen wäre mir der Besuch recht lieb, denn ich fürchte, Violet empfindet sehr, hier Niemand zu haben, der ihr den Hof macht." „Ach da Du gerade von Violet sprichst," bemerkte Hilda, die Arbeit ruhend lassend, „ist es Dir nie in den Sinn ge kommen, daß sie den armen Fanning bei seinem letzten Besuch in ihr Netz gelockt hat?" Mit verdutzter Miene schaute Selkirk zu der Sprecherin hinüber. „Den in's Netz gelockt?" lachte er dann hell auf. „Daran habe ich wahrhaftig nicht gedacht. So'n alter Jung geselle, der längst über solche Thorheiten hinweg sein müßte. Cr ist ja nur einige Jahre jünger als ich." „Nun, was macht das aus?" gab die kleine Frau mit kühler Ueberlegenheit zurück. „Hältst Du ihn etwa schon für einen Methusalem? Männer wie er, die ein so freudloses Leben führen, verlieben sich ost Hals über Kopf bei erster Gelegenheit." Selkirk strich sich nachdenklich den Bart. „Hm, wenn das wirklich der Fall wäre, so sehe ich allerdings nicht ein, warum er das Mädchen nicht gewinnnen sollte." „Als ob Violet jemals einwilligen würde, sich in der Wüstenöde des Veldt zu begraben!" fiel Hilda ein. „Kennst Du sie so wenig um das zu glauben?" „Hm, dahin ginge sie vielleicht nicht — hätte eS aber auch gor nicht nöthig. Willem könnte recht gut hier eine Farm übernehmen. Er ist ein tüchtiger Kerl und versteht seine Sache. Daß er jetzt so herunter, liegt nur an dem miserablen Boden dort. Hier würde er sich wieder ganz ordentlich herausbrißen und so mag er getrost um das Mäd chen freien." „Zu solchem Handel gehören aber Zwei," bemerkte Hilda, über seinen Eifer lächelnd. „Willst Du damit sagen, daß Violet sich nicht- auS ihm macht?" fragte er verwundert. „Soviel ich beobachtet habe, ist er ihr ziemlich gleich gültig." „So, dann spielt-sie nur mit ihm?" „DaS will ich nicht gerade behaupten. Du weißt, sie ist von Jugend auf an Bewunderung gewöhnt und hat etwas sehr Gewinnendes in ihrem Wesen. Möglich also, daß Fanning sein Herz ohne ihr Zuthun verloren." „Na, für so dumm halte ich ihn eigentlich nicht," be zweifelte Selkirk. „Aber ihr Frauen versteht nun mal Alle daS Koquettiren." Mit dieser, das gesammte weibliche Geschlecht verur- theilenden Bemerkung streckte er sich behaglich auS und war nach fünf Minuten fest eingeschlafen. Seine Frau störte ihn nicht; sie arbeitete füll weiter und überließ sich ihren Gedanken, die sich zum größten Theil mit Violet beschäftigten. So kam es, daß sie das Heranrollen eines Wagens völlig ühcrhörte und erst als sie eine ihr wohlbekannte Stimme vor der Hausthüre vernahm, fuhr sie überrascht in die Höhe. „Fanning!" rief sie in freudigem Erschrecken. „Christoph, wache auf!" schüttelte sie den schlafenden Gatten. „Willem ist da!" „Wer? was?" rief dieser, sich rasch ermunternd und aufspringend. „Fanning sagst Du? Das ist ja eine famose Ueberraschung!" Und mit dem Ausdruck hellster Freude auf seinem gutmüthigen Gesicht eilte er dem langjährigen Freunde entgegen, ihn mit brüderlicher Herzlichkeit begrüßend. „Allamaghtag! (Allmächtiger! — Ein beliebter AuSruf der Buren) Willem, daß Fieber hat Dich ja arg mitgenommen!" rief er, den jungen Farmer scharf anblickend. „Na, das wird sich wohl wieder geben. Freut mich, Sie zu sehen, mein Herr!" wandte er sich dann zu Selwyn, den Fanning ihm vor stellte. Gleich darauf erschien Marian, deren Augen freu dig aufleuchteten, als sie den willkommenen Gast erkannte, und auch die Kinder kamen auS dem Garten gerannt, den „Onkel Willem", wie sie ihn nannten, lärmend und jubelnd umdrängend. Dem kaum von schwerer Krankheit erstandenen, einsamen Manne that dieser herzliche Empfang unendlich wohl; dennoch aber fühlte er sich nicht ganz zufrieden, denn er vermißte in dem Kreise Jemand, der ihm theurer war als sein Leben. Violets Zimmer lag nach der Rückseite des Hauses, so daß sie nur schwach das Geräusch vernommen hatte, welches durch die Ankunft der Gäste hervorgerufen wurde. Instinktiv ahnte sie, wer es war, allein es lag nicht in ihrer Art, sich irgend eines Mannes wegen stören zu lassen, — sie würde nicht eine Minute früher erscheinen, alS es ihr beliebte. Sie ordnete ihre Toilette noch etwas sorgfältiger, und schritt dann gemächlich in den Salon hinunter. Kaum war sie dort, so öffnete sich die Thüre und Sel kirk führte den Engländer herein, so daßIsich Violet plötzlich Auge in Auge mit diesem befand. Ein leiser Ausruf entfuhr Selwyn'S Lippen, als er das schöne Mädchen sah, daß bei seinem Anblick jäh erbleichte und einen Schritt zurücktrat. Schon wollte er ihr die Hand entgegenstrecken, doch der war nende Ausdruck ihrer Augen ließ ihn an sich halten. „Fräulein Avory!" stellte Selkirk, der den kleinen Zwischenfall nicht bemerkt hatte, seine Cousine vor. „Herr hm, ich bitte um Verzeihung, — habe Ihren Namen vorhin nicht so recht verstanden und Fanning erwähnte ihn auch nicht in seinem Briefe." ri - „Selwyn," ergänzte der Andere. „Beim Zeus! Die Hälfte unseres Namen- ist ja die Gleiche," bemerke Selkirk. „ Wir sangen Beide mit „Sel" an; dann freilich zweigen wir unS ab." ES war eine ganz unbedeutende, harmlose Bemerkung, ebenso rasch vergessen wie ausgesprochen, aber Selkirk sollte sich ihr eines Tages in einer Weise erinnern, die ihm nicht nur peinlich war. sondern auch wichtige Folgen hatte. Mit der Miene einer Königin nahm Violet die Vor stellung an und sich dann der Thüre zuwendend, fragte sie ihren Vetter: „Wo ist Herr Fanning? Ich muß ihm doch Guten Tag! sagen." „Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte sie zu Selwyn- geheimen Aerger in den Hof hinab, wo Fanning noch in eifrigem Gespräch mit Hilda und Marian stand. Violet be grüßte ihn voll gewinnender Höflichkeit, fragte theilnehmend nach seinem Befinden, und seinen Reiseerlebnissen und wußte ihr Opfer so zu umstricken, daß derselbe vor Entzücken über ihre Liebenswürdigkeit hätte laut ausjubeln mögen. „Nun, wie gefällt Ihnen unser Land, Herr Selwyn?" war die unver meidliche Frage, die Frau Hilda an den Engländer richtete, als die ganze Familie im Wohnzimmer vereinigt war. „Was halten Sie davon?" „O, ich denke, einige Theile des Landes sind sehr schön," war die diplomattische Antwort, „und in einer dreispännigen Kalesche recht bequem zu durchreisen. Andere Theile hinge gen, besonders jenes Gebiet, in dem Freund Fanning haust, erinnern mich an die Antwort, die ein Amerikaner gab, als man ihm die gleiche Frage stellte." „Und was sagte der?" „Er reiste gerade während einer Dürre durch das Karoo- land und da meinte er, wenn ihm ein Stück davon gehörte, so ließe er sich einen großen Farbentopf kommen und streiche es grün an. „Na, das hätte er von unserer Gegend nicht sagen können," bemerke Selkrk stolz. „Nein, gewiß nicht!" stimmte der Engländer bei. „ES ist hier ein wahres Paradies, dessen Schönheit sich in Worten gar nicht auSdrücken läßt." „Das ist eine hübsche Lobrede!" sagte Frau Hilda lächelnd. „Sind Sie Jagdliebhaber, Herr Selwyn?" „Und wie!" fiel Fanning hier ein. „Den ganzen Weg enttang stöhnte er dieser Passion, und hat sich ein Dutzend Buren auf den Hals gehetzt, weil er ihnen unter ihren Augen die Böcke wegschoß, ohne die Herren erst um Erlaubntß zu fragen. „Nun bei uns können Sie nach Herzenslust jagen," er kälte Selkrk. „In den Bergen wimmelt es von Wild, und außerdem haben wir große Schaaren Wachteln, Rebhühner, Wildenten und andere Waffervögel. Hallo!"- unterbrach er sich, auf die Uhr sehend, „es ist Zeit, daß die Heerde einge bracht wird. Wollen Sie mich begleiten, meine Herren?" Selwyn und Fanning schlossen sich ihm an, um die In spektion der Thiere vorzunehmen, die jeden Abend in den Kraal getrieben wurden; Frau Hilda überwachte die Herrich tung des Abendbrotes, die Kinder tummelten sich im Garten und nur die beiden Cousinen blieben zusammen. „Nun, Violet, wie gefällt Dir der Fremde?" fragte Marian. „O, er scheint ein ganz netter Mensch zu sein, war die in nachlässigem Ton gegebene Antwort. „Ich denke, für ein Weilchen ihn recht gut als Spielzeug zu gebrauchen." „Ja, in Deinen Händen, Du loser Schelm!" lachte Marian.