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Sa fang Ellen am Klavier. La der Gesang nicht dir zu dem Zimmer de-VaterS dringen konnte, ließ Unna die Schwester gewähren. Sie lauschte dem silberhellen Sopran und den meisterhaften Begleitung. Ellen war fehr musibalisch und nahm treffliche Unter- richtrpunde» tu Berlin. „Tu könntest Dein Brot mit Deiner Musik ver diene»", hatte Buna einmal scherzend geäußert. Ellen hatte erwidert: ,Aa, wenn einmal die Not wendigkeit an Mich herantrifte, so wäre eS mir die liebste Art, Schwesterchen. Und Tu mit Deinem Sinn für alle« Praktische könntest ebensogut auf eigenen FKß-u stehen.« Tran- lümmelte sich im Lehnstuhl und rauchte heimlich. En hatte «ine Zigarre des Vater- stibitzt. „Hast M Deine lateinische Aufgabe gemacht?" fragte Wnna. „Da- hat noch Zeit," lautete die Antwort. .„Nein, Du gehst sofort auf Dein Zimmer, Junge, und arbeitest." Gehr energisch ergriff die ältere Schwester den Unn de« lkiabea - und ihr Gesicht wurde streng. „Vorwärts — keine Widerrede l" Sie schob ihn zur Tür hinaus, und brummend gehorchte der Gymnasiast. Venn er vor jemand Respekt hatte- st» war eS vor Anna. Die schwache Mutter zählte nicht mit, und der Batcr war so be- schäftigt, daß er sich wenig um ihn kümmern konnte. Anna setzte sich still an- Fenster und besserte Wäsche au«, ihre fleißigen Hände waren nie müßig. Auch ihr war e- nicht entgangen, daß Ettern sich Ellen in einer Art näherte, aiiS der man den: Schluß ziehen nmßte- daß er ernste Absichten hegte, das jubelnde Lied: „Die Widmung" von Schumann verriet ihr, daß dwd tzer- de- jungen Mädchens nicht mehr frei war. Mina hatte trotz ihrer fünfundzwanzig Jahre noch nie für eilten Mann ein wärmere- Gefühl empfunden. Ihr »scheinbare« Neußere, ihre Bescheidenheit und ihr etwa- hau-backeneS Wesen wurden von den Herren nicht geschätzt- die «in schöne- Gesicht und selbst bewußte- Auftreten vorziehen. So fühlte die älteste Tochter des Obersten sich schon jetzt zur alten Jungfer bestimmt- und ihr tiefer christlicher Sinn gab ihr jenen Triebe« und jene Ausgeglichenheit- die so wohltuend wirk«. Eie fühlte sich berufen, dem Hause de»« Vater» vorzustehen; etwa- Herrschsucht lag abe; in ihrem Charakter, und so ordneten sich die Ihrigen ihr »ter. Nur die Stiefmutter revoltierte zuweilen dagegen, wenn Anna sie zu beeinflussen suchte. — Tran von Werdenstätt war mit ihren sechsund dreißig Jahren noch eine ausfallend hübsche Erscheinung von mädchenhaft zierlicher Gestalt und rosigem frischem Gesichtchen. Sie hätte ä!» die Tochter de- so Uich ältere» Manne- gelten können. Ganz ohne Ver mögen- aber trotzdem von den Eltern verwöhnt, hatte sie Werdenstätt au- Berechn»- geheiratet - um der Enge der kleinen süddeutschen Stadt zu entfliehen »d al« Gattin de- damaligen Major» eine Rolle z« spiele«. Al-i jmge- Mädchen war lie einmal in Berlin gewesen; sie schwärmte für die Großstadt, g» Berlin hatte sie Werdenstätt kennen gelernt, und al- den Witwer »läßlich einer Reise später bei ihren Elter« Besuch «achte, verlobten sie sich. Freilich »ar e» ihr nicht angenehm, daß er schon zwei Kinder au» erster Ehr besaß. Anna zählte damal- erft sieben Jahre. Da- stille, wenig hübsche Mädchen Mit de« flachsblonden Zöpfen und den forschenden blauen Augen war der jungen Krau »bequem. Der um zwei Jahre jüngere Götz, ein allerliebster, auf geweckter J»g«, gefiel Krau Amalie besser, und er schloß sich auch der Stiefmutter schneller an. Anna hielt e« «ft de« Baler- z« 1h« eilte da» einsame Kind »ft seinem volle« Herze«. Später gab man sie in Mensio», »dM den Ferien, »wo» lie heimkehrte. pflegte und wartete sie die kleinen Geschwister. Werden- - stätt nannte seine älteste Tochter dann: „das Mütter chen", und sie verdiente den Namen. Auf ihren Wunsch machte sie eine Hau-Haltungsschule durch, da ihr, wie sie sagte - alle Talente fehlten. Jetzt kam ihr dies zu gute. Anna horchte auf. Fetzt sang Ellen das Redwitzsche Lied: „Es muß 'was Wunderbares sein Ums Lieben zweier Seelen." Welche Innigkeit lag in der schönen Stimme, wie ergreifend eillang das Lied. Annas fleißige Hände ruhten im Schoße, träumerisch blickte sie in den blühen den Garten hinaus. ,Kch werde die Liebe nie kennen lernen," dachte sie ergeben, „wer sollte mich lieben?" Zur bestimmten Stunde ging sie den Vater wecken. -Ach habe prächtig geschlafen," sagte er, sich reckend. Bald darauf trat er im Waffenrock auf die Veranda und verabschiedete sich von seinen Kindern, um ins Kasino zu gehen. Er sah wieder frisch und wohl aus. Anna blickte ihm nach- wie er hochaufgerichtet über den Kiesweg des Gartens schritt. An der Pforte wandte er den Kops und winkte ihnen freundlich zu. Co hat Anna ihn im Gedächtnis behalten in den Fahren des Kampfes, nachdem sie und die Ihrigen aus der Bahn geschleudert waren. Die Geschwister machten einen Spaziergang nach dem Pfingstbergs. Während Ellen und Franz weiter gingen, blieb Anna stehe» und freute sich über die Aussicht. Hier war sie gern. Immer meinte sie Gott näher zu sein, wenn der Friede des herrlichen Aussichts punktes sie umgab und der Himmel sich wie «ine Riesen kuppel um Stadt und Land wölbte. Unwillkürlich faltete sie die Hände- und ein stummes Gebet drang empor. — Gegen 8 Uhr waren sie daheim. „Fritz, ist Mama noch nicht zu Hause?" fragte Ellen den Burschen. „Rein, gnädiges Fräulein, Frau Baronin tele phonierte eben, sie käme später, der junge Herr Baron möge sie um 11 Uhr von der Bahn abholen, gnädige Frau ginge ins Theater." Nach dem einfachen Abendbrot, bei dem Franz einen waren Wolfshunger entwickelt hatte, begab dieser sich zu seinem Freunde Hugo von Böben. Er wollte dann später die Mutter abholen. Zwei Zigarren steckte der hoffnungsvolle Sekundaner noch ein. „Bummele nicht," ermahnte ihn Anna, „der Böben ist ein flotter Bursche. Ich wünsche ost, Papa verböte Dir diesen Umgang. Gutes wirst Du von ihm nicht lernen, Franz." „Ach so schweige doch, alte Moralpredigerin, das verstehst Du nicht." Mit diesen Worten entfernte der Gemaßregelte sich- - „Ich fürchte, Franz macht unS noch Sorge," meinte Anna, indem sie das Geschirr abräumte. Ellen beachtete die Worte nicht. Eie ging zur Laube. Dort setzte sie sich auf eine Bank und dachte an die Szene, die sich hier am Nachmittag abgespielt hatte. Tas Bild Eckerns stieg vor ihrem Geist auf. „Er, der Herrlichste von allen," summte sie leise, und da» ganze selige Glück .froher, zitternder Er wartung kam über sie. (Fortsetzung folgt.) l? Allerseelen. Skizze von Els« «rafft. Er war bereit» in Hut und Mantel auf der Treppe^ als ihm die Wirtschafterin nachlief« > r.Tjen Schirm, Herr Geheimrat, «S regnet kV MKM Dl« Buchdrucker»! von Langer zMterN «icsP vaetheftraße Nr. öS hält sich zur Anfertigung nach stehender Drucksachen bei sauberer Ausführung und billigster Preis stellung besten» empfohlen. Avise ALreff- un» Geschäfts» karten Briefköpfe, vriesleisten Bestellzettel Broschüren, BtlletS Deklarationen LanksagungS» an» Einladungsbriefe Einlaßkarten Etiketten aller Art Fakturen, Flugblätter Formulare in »tv. 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Mt schweren Schritten stieg er die Treppe hinunter. Auf der Straße wehte ihm der Sturm große, wässe rige Schneeflocken in» Gesicht, doch vergaß er, den Schirm zu öffnen. Ihm wär dieses naßkalte Wetter gerade recht in seiner Stimmung. WaS konnte matt auch vom No vember anderes verlangen, als grau in grau die ganze Welt? Er schritt schneller aus. Obwohl es erst Nachmittag war- die Dunkelheit würde früh hereinbrechen, und man wollte doch noch aus dem Friedhof sehen, ob der Gärtner die bestellten Blumen auf der Mutter Grab gelegt hatte. Tie Kinder hatten ihn nicht abgeholt, er würde deshalb bei ihnen mit vorgehn ... ja. -.. In der Wohnung des verheirateten Sohnes öffnete ihm das Mädchen. Und in: Korridor kam ihm lachend und elegant wie immer die Schwiegertochter entgegen. „Tos ist aber mal nett von Dir, Papachen, daß Tu heute den Kaffee bei uns trinken willst. Artur wäre sonst zu Dir gekommen." „So?" fragte der alte Herr, wollte er wirklich?" Tie junge Frau lachte. „Sei doch nicht so unglällbig, Papachen. Komm hier hinein in mein Zimmer, da ist's am wärmsten, Ta darfst Du sogar rauchen. Artur hat doch schon alles vollgequalmt." Fetzt ivar der Hausherr auch da. Er hatte die Zigarre noch im Munde, als er den Vater begrüßte. ,Kst ja famos, alter Herr, daß Tu mal so früh kommst. Nu» spare ich den Weg. Ta.. . er hielt ihm die geöffnete Zigarrenkiste hin- „greif zu . .." „Danke, ich rauche heute nicht," sagte der Geheim rat, indenr er steif mitten in dem behaglichen Raume stehen blieb. „Was wolltest Tu denn heute bei mir?" Ter Assessor lächelte und streifte die Zigarrenasche ab. -,Ach... ich wollte Dich mal fragen, Papa. Wir haben doch am zehnten die erste große Gesellschaft in diesem Winter. Betti hat Dir ja neulich schon davon gesprochen. Na ja . . und unser Klavier sieht in der neuen Wohnung eigentlich recht jämmerlich im Salon aus. Wenn da Mamas Flügel stände . . ." „Er paßt so wundervoll zu meinen Möbeln, Papa chen," setzte die Schwiegertochter hinzu, als sie das un durchdringliche Gesicht des alten Herrn sah. >,Und Tu spielst ja nicht darauf. . ." „Nein, ich spiele nicht," sagte der Geheimrat. „Wei ter wolltest Tu heute nichts?" „Aber natürlich, Papa, Dich noch persönlich einladen zu unserer Gesellschaft; eS wird großartig diesmal." Tie junge Frau hatte den alten Herrn auf einen der feinen Sessel gedrückt. „Tu kriegst den Ehrenplatz neben der alten Exzellenz Brinkmann, die Haff Tu doch so gern, was? Bloß unser Tischservice reicht mal wieder nicht, Papachen. Kannst Tu uns nicht mit Deinem aushelfen? Du gibst ja leine Gesellschaften mehr, und das'kostbare Silberzeug steht ganz unbenutzt in Deinem Büfett. . ." „Ein Fammer," setzte der Assessor hinzu. Ter alte Herr hatte den schmeichelnden grauenarm, der vor ihm war, vvn sich fortgeschoben. „Und das ist alles?" fragte er hartnäckige -A - . . ja, ist doch genug!" lachte die Hausfrau. >,Wünschest Tu Tee oder Kaffee, Papachen?" „Gar nichts," sagte der alte Herr. Deshalb bin ich heute nicht gekommen, Ihr wißt wohl gar nicht, was heute ist?" 7,Heute? Warte mal-., Geburtstag kannst Tu nicht haben. Was ist beim heute für ei» Natu«, Arturs. „Ter -weite November," sagte der Assessor gleich- gültig. „Ach soo ..setzte er gleich darauf hinzu, „TU meinst Allerseelen, Papa? Du lieber Gott- man kann doch die Kalendertage nicht immer im Kopf haben! Willst Du etwa zum Friedhof heute?" >La..." r,Bei dem furchtbaren Wetter?" ,Fa," sagte der Geheimrat- „und Euch wollte ich dazu abholen." Ter Assessor sah seine Frau an, und die junge Frau verzog den Mund. „Wir waren doch erst neulich da und haben einen Kranz hingebracht. Man braucht sich doch nicht so peinlich an die offiziellen Gedenktage der Toten zu halten als moderner Mansch..." „ToS finde ich auch," sagte der Hausherr. -,Wir sind beide erkaltet, und auf dem Friedhof ist nichts wie Rässe und Schmutz. Tu holst Dir da bloß was weg, Papa, und die Lebenden gehen doch schließlich vor." „Tas sehe ich," sagte der alte Herr lakonisch. ,Hch will Euch nicht zwingen -um Mitgehen zu Mutters Grab. . Nur ... ivcnn Tu erkältet bist, würde ich das Rauchen lassen, mein Sohn." „Wir können ja morgen oder übermorgen gehen," lenkte die junge Frau ein. „Wenn das Wetter besser ist; man ruiniert sich ja heute seine ganze Garderobe, Papa chen. Bleib doch heute hier ..." „Nein," sagte der Geheimrat. Er ivar schon zur Tür gegangen. Ec hörte gar nicht mehr zu, was das Ehe- paar noch an Entschuldigungen hatte. Er ließ sich wieder in den Mantel helfen, nahm Hut und Schirm und stieg die Treppe hinunter. Freilich, da oben, in den geschmückten Räumen, war es wärmer, als hier unten im Novembersturm. Eigent lich viel behaglicher, als zu Hause in seinem verwaisten Heini, aus dem der Sohn und die Schwiegertochter sich ein Stück nach dem anderen geholt hatten. Und nun würde der Flügel, an dem seine Frau so oft und gern gesessen, wohl auch bald folgen, uni» das Silberzeug. Ter alte Herr kämpfte sich durch den Sturm vor wärts, um zum Friedhof zu gelangen. „Sie können am Allerseelentage nicht zu dir kommen weil daS Wetter zu schlecht ist, Mamachen," sagte er beinahe laut vor sich hin. „Sie können nur von dir nehmen, weiter nichts als nehmen in ihrer selbstsüchtigen, verwöhnten Art." Ääm ihm diese Erkenntnis -um ersten Male? Er hatte ihn wohl immer zu lieb gehabt, den feinen, strebsamen und hübschen Jungen, der nur die besten Zensuren mit nach Hause gebracht hatte. Und in dieser großen Liebe hatte er nie empfunden, daß er als Vater immer nur der Gebende geblieben war. Sein Sorgen kind war nur Kurt, der Jüngere, gewesen, das Naturkind, der keine Formen und Lehren anerkennen wollte, der in allem das Gegenteil von dem gewandten und fleißigen Bruder war. Wäre die Mutter mit ihrer immerwähren den Güte und Geduld nicht stet» dazwischen gekommen, der Sechzehnjährige wäre wohl schon früher au- dem Hause gelaufen. Drei Jahre war seine Frau n» schon tot, und beinahe ebensolange war Kurt fort, auf eigenen Wegen ... ein Enterbter, AuSgestoßener, Vergessener.-. Ter Geheimrat ging ungewohnt rasch. ES war so, als müsse er vor Bildern fliehen, die plötzlich gleich Verfolgern hinter ihm her waren. War der Friedhof immer so weit gewesen? Es wurdo bereits dunkel unter den entlaubten Bäumen -er Vorstadt. Tie großen Flocken, die vorhin noch in der Luft gewesen, hatten sich ganz zu Wasser verwandelt, ein feiner, eiskalter Regen sprühte hernieder. > Ter moderne Sohn und die lebensfrohe Schwieger tochter hatten vielleicht recht, wenn sie an solchem Tage ihre kostbare Gesundheit hüteten. Kinde-pfllcht unk» Pietät hielten dagegen nicht stand. Wo war heute sein großer Laterstolz für diel«« Sohn,,., wo Lie Zinst« aller Liebe? » -»