Volltext Seite (XML)
I. Beilage znm „Riesaer Tageblatt". Rotationsdruck und Brrlag von Langer L Winterlich in Riesz. — Für dir Redaktion verantwortlich: Arthur Hähne! in Riesa. 242. Sonnavrnv, 17. Oktober litt4, avends. 67. Jahrg. Die 88. Brigade im Felde. ID« öS. Brigade sind auch die Feldartillerie-Regimenter 82 und es sowie Teil« des Pionierbataillons 22 zugeteilt.). II. Forsetzung au« gestriger Nummer. - Aber die Verfolgung ging weiter! Ueber den DebungSplatz des Lager- von ChalonS mar schierten wir bei großer Hitze, ohne irgendwelches Was ser auf dieser öden Strecke zu finden- Der nächste Tag ckb« brachte den Lohn. Die 88. Jnfanterie-Brigade voran, marschierten wir mit klingendem Spiel in Cha lonS «in. — Die Stadt wuroe zunächst noch von feinv- lichen Nachzüglern besetzt gehalten. Die 19. Husaren, die als Borhut vorauSgingen, trafen auf Barrikaden. Um die Stadt zu schonen, wuroe zunächst ein Offizier zum Bürgermeister unter Bedeckung einer Gruppe 181 ec ent sandt, und zwar war dies dec als Dolmetsch dem Bri- gädestabe zugeteilte Leutnant d. R. Dr. Müller, Infan terie-Regiment Nr. 181. Der Vizebürgermeister, ein sehr elegant angezogener Herr, kam mit einem Beamten her aus und versprach- daß sich die Bürgerschaft ruhig be nehmen und keinerlei Gewaltstreiche gegen die Truppen begehen würde. Es wuroe eine Kaution für das Ord nung halten — wie ich hörte, von 250000 Ares. — gestellt, und dann in die Stadt eingerückt. — Auf alle Fälle aber hatte die Vorhut — unsere Brigade — drei Kolonnen zu je 1 Bataillon und 1 Batterie gegen die verschiedenen Stadteingänge vorgeschoben. Es war nicht erforderlich, gewaltsam zu werden. Die Brigade rückte durch ChabonS durch und ging über die Marne, wo sie sich über verschiedene Ortschaften als Vorposten ver teilte. — Die Einwohnerschaft von Chalons war wäh rend des Durchmarsches sehr würdig, ernst und zurück haltend. Alle Geschäfte schienen geschlossen zu fein. Wie ich am nächsten Tage — dem einzigen Rasttag seit Ueber- schreiten der belgischen Grenze — zu einer Besprechung wieder in der Stadt war, fand ich, daß viel Volk auf den Straßen sichtbar war, auch waren auf Veranlas sung des Ortskommandanten, Generalleutnant v. Sehdc- witz, die größte Zahl der Läden geöffnet. Die.Preise sollen sehr unverschämt gewesen sein, aber man hat sich auch nicht geniert, einfach dem Werte nach tax weise zu bezahlen. Am 6. September begann der weitere Vormarsch auf Vitry lr Francois. Tie Brigade war, durch Felo- artillerie 68 verstärkt, die rechte Seitendeckung des Armeekorps 19. und marschierte auf . . . . . los. Da bei traf sie auf starke.französische Kavallerie mit Ar tillerie uno Maschinengewehren. Diese wurden vertrieben uno dann am Abend der Marsch bis Fertbe. Ferm? fort gesetzt. Wir kamen in tiefstem Dunkel zum Biwakieren. Ich nahm oie Artillerie in die Mitte und ließ die ge samte Infanterie sich um diese eingraben, weil mir die Lage sehr unsicher vorkam. ES passierte aber nichts! Gegen 1lr/r Uhr kam der Befehl, daß die verstärkte Bri gade am folgenden Tage zur Weiterverfolgung auf Somsois marschieren solle. Ich brach um 5 Uhr auf. Es war gerade Büchsenlicht geworden. Beim Vortrupp reiteno erhielten wir plötzlich von allen Seiten Feuer. Runter vom Wege, hinein in ein Gebüsch, abgesprnngen von oen Pferden, die Befehls zum Entwickeln der,Bri- gaoe rufend, die Vorhut-Batterie auffahren lasseno. war das Werk der nächsten Augenblicke!! Unsere Lönte waren sofort in Schützenlinien und stürzten vorwärts zum An greifen. Die Batterie, die in offene Stellung gehen mutzte, verlor sofort eine große Zahl Pferde und Leuts; es prasselte Granat- und Schrapnellfeuer um uns herum. Daß überhaupt nicht ein jeder sofort getroffen wurde, war ganz eigenartig! — Der Brigadestab mit dem Füh rer der Vorhut, Oberstleutnant Schack, Führer des 181. Regiments, befand sich auf einer kleinen Lichtung, dicht auf der Erde liegend, als ich plötzlich einen Schlag an der rechten Hand spürte — ich sah, wie mein ganz neuer Handschuh durchschlagen War, und daß ich stark blu tete. Etwa 50 Meter rückwärts sah ich einen Arzt, zu deni ich kroch und der mir liegend die Hand verbind. Dann begab ich mich mit meinem Stabe etwas nach rechts, wo ein Erdabschlag dicht an dem nach Somsois führenden Wege lag, und führte den Befehl ruhig weiter. Die französischen Stellungen lagen aus dem Artillerie- Schießplatz von Maily. Jede Entfernung, das gesamte Gelände, auch wieder genau bekannt. — Die Masse meiner Batterien war dicht nordöstlich eines Tunnels «»'gefahren, der hier unter dem Gelände hindurchgehh er gehört zur Bahn nach Vitrh le Francois, andere Batterien standen weiter zurück an der Straße La Perthe Ferme—Maisons en Champagne. Der Rücken die ser letzteren Artillerie schien dauernd bedroht von feind licher in den dortigen Wäldern versteckt liegender In fanterie. Ich ließ zur Sicherheit den Hauptmann Beyer, Infanterie-Regiment 106, welches Regiment mir vom Ge neralkommando noch zugeteilt worden War, dorthin mit dem 3. Bataillon abgehen, konnte aber nicht verhindern» daß der Kommandeur der 1. Feldartillerie SS, Major Dietel> von einem Baumschützen getötet wurde. Ten ganzen Tag dauerte der Kampf. Meine In fanterie, sowie die links von mir kämpfenden 17Ser gewannen allmählich Boden. Jeder Schritt mußte er lauft werden. Die Artillerie half nach Kräften. Beson ders wertvoll war für mich die Unterstützung, die unS das neue Chemnitzer Artillerie-Regiment Nr. 6S unter seinem so überaus tapferen Kommandeur, Oberst leutnant Niep er, Lot. Gegen 4 Uhr erhielt ich noch einen zweiten Zchräp- nellschnß an vcn rechten Oberarm; — da aber nur eint Art Schwäche oen Arm befiel, störte eS mich nicht wei- weiter. V26 Uhr begann oas Feuer erneut besonder- hef tig zu weroen! Dicht über unser» Köpfen und lang ge streckt daliegenden Körpern fuhren die Granaten und Schrapnellgefchosse hin; — etwa vier Schritt entf-rnt fielen ca. 10 Pferde einer dort in scheinbarer Deckung haltenden Maschinengewehrkompagnie zum Opfer. Da wurde der BrigadeaDjutant, Hauptmann Exner, an der linken Stirn tödlich getroffen! Er lag etwa Vi Schritt von inir entfernt und schien plötzlich zu schlafen. Er wurde unter schwierigsten Umständen nach La Perths Ferme gebracht und ist flm nächsten Tage seiner schweren Verletzung erlegen. Mit neun Soldaten, die auf dem Verbandplatz starben, liegt er, von Ebereschen um geben, nun in französischer Erde. ES war ein.sehr schwerer Verlust für mich, diesen hervorragend befähig ten, energischen- zielbewüßten Gehilfen verloren zu Haden. Nun habe ich an Hauptmann Boltz«, Infanterie- Regiment 181, eine ne6e Stütze gewonnen. Der Kampf um die Gegend von La Perthe dauerte fünf Tage. Da die oberste Heeresleitung e- für ange zeigt hielt, dem Feinde an dieser Stelle auszuweichen- wurde in der Nacht zum 13. der Abmckrsch,e»ge treten. Sic werden in den Zeitungen vom Loslösen vom Feinde gelesen haben. Jedenfalls hat unsere Brigade l 8ov»1»K V»» 11 vlir vormittags dis Ldvlläs SoöSust. 1 Ksukkaus Qvi-mvi*, Kina, ^sttinepsti-. 33. ü II 1^ HI Ä1^ 1^ «n»MvHL1 vMttliM Angebote In «ollen-, vsmsn- unb KInael-KoMIIen Komteß Jutta. Roman von Willy Scharlau. 44 „von mir sollst Du es erfahren, nicht von andern. Nur noch eine kurze Unterbrechung. Ich muß noch diesen Brief besor gen, von dem viel für mich abhängt. Erlaube!" Jutta trat schnell zum Schreibtisch, machte den Brief an Grete Hartmann zur Abfertigung fertig und klingelte dann. Als Anna eintrat, sagte sie: „Ich möchte, daß der Brief hi« sofort besorgt wird. ES sind ja nut fünf Minuten bis zur Postagentur im Dors. Wolle» Sie so gut sein, mir ihn dorthin zu besorgen ?" „Sofort, Komtesse, ich trage ihn selbst hin. Die Posttasche Ist schon abgefertigt." DaS Mädchen verließ das Zimmer, und Jutta wendete sich »u der Tante zurück, welche immer noch still auf dem kleinen Sofa saß. „Ich will Dir sagen, an wen der Brief gerichtet ist und waS er enthält, denn ich ,nächte nicht, Du könntest nachher von mir sagen, ich hätte mit irgend etwas hinter dem Berg gehalten. Auch Bodo gegenüber bin ich durchaus offen und ehr lich zu Werke gegangen. Ich suchte ihn auf, nicht er mich. Ich beabsichtige in Berlin das Abiturientenexamen zu machen oder mich dort wenigstens auf dasselbe vorzubereiten, um dann zu studieren. Der Brief ist an meine Freundin Fräu lein Doktor Hartmann und enthält „reine Bitte, mich für einer» Tag bei sich aufnehmen zu wollen, sowie die Nachricht, daß ich jedenfalls übermorgen kommen werde." „Aber Kind, das ist doch unmöglich! Allein reisen, und bann nachher womöglich noch allein wohnen. Unter keinen Umständen geht das." „Unmöglich ist nichts, Tante — gar nichts. Ich werde eben allein reisen und dann auch allein wohnen. Gefahren, welche daher kommen könnten, bestehe» nur in der Einbildung. Wenn ich mir keine Gefahr bereite, von anderen wird sie mir nicht kommen." Tante Ernestine rang fassungslos die Hände. Schließlich begann sie zu weinen und sprach schluchzend: „Wenn ich nur begreifen könnte, wozu das alles. Und gerade Dir — so ebn aesitteteS, wohlerzogenes Mädchen. Und Du bist so emanzipiert. Ach mein armer Kops. Ich kann das alles nicht be greifen." Nun war die Reihe an Jutta, Tränen zu trocknen. Sie setzte sich neben die alte Gräfin und tröstete, so gut sie es ver mochte. Sie war der Harrte herzlich gut und dankbar für deren Liebe. „Es geht wirklich nicht anders, Tantchen," sagte sie dann. „ES geht nicht anders, denn es muß sein. Ich bin nun einmal so, daß ich mich nicht als Mensch zweiter Klasse betrachte» und behandeln lasse. Das wollen die Männer mit uns Frauen im allgemeinen und Bodo mit mir im besonderen. Ich aber lasse rnir das nicht gefallen." Sie beachtete den schwachen Versuch der Taute, ihr diese Idee auszureden, gar nicht, sondern sagte weiter: „Üud mor gen muß ich nach Berlin. Du wirst nach allem wohl begreifen, daß ich gar nichts weiter kann. Verzeihe, daß ich so kurz und hart sprach. Aber ich wollte mich felbstnichtweich machen." Gräfin Ernestine stand auf und sah das so ruhig und selbst bewußt vor ihr stehende Mädchen unverwandt an. Aber sie vermochte nichts hervorzubringen als em: „O, das ist schreck lich." „Glaube nur nicht, Tantchen, daß ich Dir dadurch verlo ren gehen werde. Sobald Du nach Berlin zurückkehren wirst, bin ich dre erste, welche Dich aufsuche» wird. Aber selbst, wenn Du jetzt mit mir zurückwolltest, könnte ich nicht bei Dir bleiben. Ich darf durch nichts von meinem Studiunr ab gehalten werden. Daß mir Bodo hier noch für meins Abreise am morgigen Tage kein Hindernis iir den Weg legen wird, setze ich als selbstverständlich voraus. Es würde das »richt nur nnnötig, sondern ein Fehler sein, denn er würde unser Zer würfnis, das ich selbst schmerzlich empfinde, in den Mund der Leute bringen. Denn fahren würde ich doch." Gräfin Ernestine strich ihr grauseidenes Haar zurecht und wischte sich über die Augen. Sie schüttelte den Kopf und mur melte einige nur halb verständliche Worte von Emanzipation und moderner Frau. Auf Juttas Bitte, sie möge dem Bruder den Schluß ihrer Unterhaltung mitteilen, da sie selbst »rach dein, waS vorgegangen, keinerlei Verlangen spüre, mit Bodo noch weiteres mündlich zu verhandeln, hatte sie nur ein kurzes „Ja! ja!« Langsam ging sie zur Zimmertiir. Plötzlich drehte sie sich noch einmal um und schloß die schöne Nichte in ihre Arme, sie zärtlich immer wieder küssend. Dann schob sie dieselbe von sich und verließ mit einem halblauten „O, eS ist ganz furcht» bar schrecklich" das Zimmer. Als Jutta am nächsten Vormittag beim Haushofmeister sich den Wagen zur Fahrt nach dem Bahnhof bestellte, wurde ihrem Wunsche sofort Rechnung getragen. Als sie dann um drei Uhr die große Treppe hinabstieg, um abzureisen, hielt der Diererzug in der gewölbten Tor halle, der Haushofmeister stand am Fuße der Treppe, der Diener am Wagenschlag. Tante nnd Bruder hatte sie nicht wieder gesehen. Erstere lag an Migräne im dunklen Zimmer, unfähig Besuch emp fangen zu können, letzterer war zu Pferde auf dem Weg« zu Lobris. Ei» schwerer Abschied war's, dieser Abschied vom Vater- Hause, aber Jutta biß die Zähne aufeinander, daß sie ihr wehtaten, und niemand konnte merken, wie schwer sie eS empfand. — Aber durch Kampf zum Sieg. Wie anders war der Empfang in Berlin. Zu früher Stunde kam sie an, aber Grete Hartmann empfing sie auf dem Bahn hof, umarmte und küßte sie stürmisch. Bescheiden stand noch je mand im Hintergründe, der zu den ersten gehören wollte, welche Jutta in Berlin begrüßten. Da sah sieden Freund, und hell leuchtete eS in ihren Augen auf. „Wie lieb von Ihnen, daß Sie gekommen sind," sagte sie und streckte ihm beide Hände entgegen. „O diese köstlichen Rosen! Ich danke Ihnen von ganzem Herzen. Wie mir da wohl tut.« . „Welche Freude, Sie wiederzusehen," sagte Walt« Herz, lich. „Ich konnte mir doch nicht versagen, Sie zu begrüßen, auch namens meiner Mutter. Seien Sie versichert. Fräulein Jutta, »vir werden alles tun. Ihnen in Ihrem Kampf beizu stehen, alles, waS in unfern Kräften steht." Sie drückte ihm wortlos die Hand. Er brachte die Damen in eine Droschke und verabschiedet« sich dann. „Merkwürdig!" sagte Fräulein Doktor. „Wai inden Mann gefahren ist, begreife ich nicht.«