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ernannt zu sehen. Er besitzt vielleicht eine gute Dosts Mutterwitz, ähnelt aber mehr einem korrekten Beamten- typuS als einem Pfadfinder, wettausschauenden Vraa- ntsator oder einem auf die Massen suggestiv wirkenden Agitator. Wie er an sich kaum eine markant« Persön lichkeit mit ausgesprochenen Linien und Ecken ist, so besitzt er —> bi» jetzt wenigstens — auch keine ausge sprochene Parteipolitische Physiognomie. Als er vor zwei Aahren auf dem Jenaer Parteitag bet seiner Kandida tur als zweiter Partetvorsitzender von den Revisionisten lebhaft unterstützt wurde, hätte man annehmen können, daß er zum Lager der Revisionisten gehöre. Später aber hat er diese hinweisenden Spuren selber wieder ver wischt und sich gelegentlich den Anschein eine- biedern Radikalen gegeben. Man tut vielleicht gut, ihn vor läufig noch als ein sogenanntes unbeschriebenes Blatt zu betrachten und sich ihm abwartend gegenüberzustel len, Dätz er aber auf dem Führerstuhle der sozial-' demokratischen Partei nur ein schwächlicher Epigone d«S auch von seinen Gegner als Persönlichkeit aner kannten Bebel ist, wird sich vermutlich Herr Ebert selber sagen. In manchem Betracht reicht er auch nicht an den mit einer gewissen Rednergabe ausgestatteten und die Situation gut beherrschenden Scheidemann heran, wenn er vor diesem auch eine gewisse Inner lichkeit voraushaben mag. Erst die Zeit kann lehren, ob er der rechte Mann am rechten Platze ist, ob er auch von den Mässen als ihr Führer anerkannt werden wird. Seine Wahl hat aber für die jetzt in der Führerschaft der Sozialdemokratie herrschende Stimmung etwas Be zeichnendes. Män will weder eine eigenwillige und aus gesprochene Persönlichkeit, noch einen Radikalen noch einen Revisionisten, sondern einen braven DurchschnittS- mann, der weniger die Partei führt, als von ihr ge führt wird. » In der vorgestrigen Sitzung des sozialdemokratischen Parteitages wurde folgendes Programm aufgestellt: 1. Geschäftliches, 2. Bericht der Kontrollkommission, 3. Bericht der Reichstagsfraktion (Genosse Schulze), 4. Ar- beitSlosenfürsorge (Kimme), 5. Maifeier (Ebert), 6. Steuer- fragen (Wurm und Südekum), 7. Anträge, 8. Wahl des Parteivorstandes. IM Geschäftsbericht befürwortete Scheide mann die Gründung einer 14 täglich erscheinenden illu strierten Familienzcitung, die bet mustergültiger Orga nisation finanziell ein großes Unternehmen sei. Zum Stillstand der Partei bemerkt der Redner, dieser sei nicht beängstigend. Die Intensität der Arbeiter inner« halb der Organisation wieg« de« Stillstand reichlich auf. Bom Schwinden des vertrauens der Mässen zur Parteileitung zu reden, sei unverantwortlich. Bet den Protesten gegen die.Steuerpolitik neige die Regierung wenigstens zu halben Konzessionen. Redner hebt hervor, datz der Balkankrieg An last gegeben habe zur energi- schen Bekämpfung des.Imperialismus, wie das im inter nationalen Kongreß von Basel zum Ausdruck gekommen sei. Wie ein Blitz aus heitrem Himmel sei die Wehr vorlage in diese Tätigkeit hineingekommen. Ihre An nahme war von vornherein ohne jeden Zweifel, deshalb blieb nur übrig, die Deckung sozial zu gestalten. Redner hielt einen Massenstreik für ausgeschlossen. Selbst das Volk kenne den ArbeitSmarkt zu gut, um so etwas zu wünschen. Die vielen tausend Vertrauensleute dürften nicht als Brennklötze verdächtigt werden und man dürfe auch nicht die deutschen Verhältnisse durch die russische Brille betrachten. Auf die Straße zu gehen, so führte der Redner aus, sei ein sehr zweideutiger Ausdruck. Der Massenstreik ist eine Ultima ratto, er wird von selbst kommen. Der volle Wind der Demokratie müsse ihm zu Hilfe kommen, sonst ist er eine Dummheit. Nur bet guter Disziplin kann er ohne Blutvergießen vor sich gehen. Die Bourgeoisie sei zu nachgiebig gegen die Junker, sonst hätte sie das preußische Wahlrecht längst verbessern können. — Redner fuhr fort: Der Kassenbericht kon statiert einen Ueberschuß von 394 000 Mark, bis zur nächsten Reichstagswahl verspreche man sich eine Rück lage von 126000 Märk. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, sei der diesmalige Ueberschuß nicht ausrei chend. 61 Wahlkreise haben weniger geleistet, als nach dem Statut ihre Pflicht gewesen wäre. Die Berliner dagegen leisten Beträge über ihre Pflicht hinaus. Der Rückgang der Mitgliederzunahme habe seinen Grund nur in der Wirtschaftskrise. Eine solche habe auch früher stets einen Rückgang gebracht. Durch bessere Organi sation deS Finanzwesens, Hauskassierung usw., lasse sich eine größere Stabilität erzielen. Der Ausbau der Parteigeschäfte hat auch große Summen gefordert. Neu gründungen gegenüber sei strengste Gewissenhaftigkeit Pflicht, die nicht als Aengstlichkeit auszulegen sei. Es müsse kaufmännisch gerechnet werden, was nicht überall begriffen würde. Die guten sich rentierenden Grün dungen sollten mehr an die Hauptkasse abführen. Die Erfolge der Partei in den Parlamenten dürften auch im Geschäftsinteresse nicht verkleinert werben. Die kleinen Funktionäre verdienen neben den größeren Rednern eben falls dankbarste Anerkennung. — Mehrings richtete sich gegen die Erklärungen des Parteivorstandes, daß die Veröffentlichung einiger Artikel von ihm gegen Rosa Luxemburg durch das Pressebureau ein Mißgriff des Bureaus gewesen sei. Genosse Borchardt beschwerte sich über die Zusammensetzung des Schiedsgerichts gegen beide. Beide Beschwerden wurden von der Kontrollkom mission abgewicsen. In der Diskussion über den Geschäftsbericht wurde von verschiedenen Seiten vor Schönfärbereien gewarnt. Das Feuilleton der Zeitungen sei zu hoch. Tie bürger liche Jugendpflege dürfe nicht unterschätzt werden. Man sei sich noch nicht genügend klar über die Behandlung der Jugeno zwischen 14 und 18 Jahren. Spengler-Ham burg will nicht alles nach Zahlen beurteilt wissen. Hetl- mann-Chemnitz schlägt eine Jllustrationszentrale und die Herausgabe eines wöchentlich erscheinenden Bilderblattes vor. Papl-Nürnberg bedauert die schablonenhafte Eintönigkeit der sozialdemokratischen Presse im gan zen Reich. Er findet vielfache Zustimmung. Man solle die Jugend nicht bis zum Ueberdruß bevormunden. Rach Fräulein Grünberg in Nürnberg seien die Artikel der „Arbeiterjugend" nicht geeignet, die Herzen der Jugend zu gewinnen und sie zum selbständigen Denken zu er ziehen. Stückten- Berlin nimmt das Pressebureau in Schutz. — Hiermit schließt der erste Tag deS sozial- demokratischen Parteitages. raze-zeschichte. Deutsche» «et«. Zyankali in Gastwirtschaften. Neuerdings wird das auch zu gewerblichen Zwecken benutzte Zyan kali in Gastwirtschaften zur Reinigung von silbernem Tafelgeschirr verwendet. Die Wissenschaftliche Deputa- tion für das Mediztnalwesen hat gegen die Zulassung einer derartigen Verwendung von Zyankali und anderen Stoffen, die beim Zusammentreffen mit Säuren Blau säure entwickeln, schwerwiegende Bedenken erhoben. Nach ihrem Gutachten besteht zunächst die Befürchtung, daß die mit der Reinigung deS Tafelgeschirrs beschäftigten Personen, die ihrer ganzen Tätigkeit nach an den Umgang mit einem solchen Gift nicht gewöhnt sind, in gesundheitlicher Beziehung stark gefährdet werden. Dann aber liegt bet Betrieben wie Gastwirtschaften die Ge fahr vor, daß durch nicht sorgfältige Aufbewahrung eines so starken GifteS, wie es das Zyankali ist, die Gesundheit weiterer Kreise in höchstem Maße geschä digt werden kann. Auf Grund dieses Gutachtens ist die Verwendung des Zyankalis und ähnlicher Verbindungen zur Reinigung von Metallgeschirr in Hotels, Restau rants, Sanatorien usw. nicht als erlaubter gewerblicher oder wirtschaftlicher Zweck und derjenige, der dieses Gift in solcher Weise verwenden will, nicht als zuver lässig im Sinne des Paragraph 12 der Polizeiverordnung über den Handel mit Giften vom 22. Februar 1906 anzusehen. Die beteiligten Kreise — namentlich die Gift händler — werden durch einen ministeriellen Erlaß hier auf aufmerksam gemacht. Falsche Zweimarkstücke. Nach einem Bericht deS Berliner MünzdirektorS an den Finanzminister sind seit Juli 1910 falsche, aus den verschiedenartigsten Me tallegierungen (Silber, versilbertes Messing oder Neu silber) geprägte Zweimarkstücke mit der Jahreszahl 1876 und dem Münzzeichen C oder U in allen Gegenden Deutschlands aufgetaucht, ohne daß man der Urheber bisher hätte habhaft werden können. Als besonderes Erkennungsmerkmal dieser Falschstücke wird angegeben, daß die Spitze des linken Halsabschnitts nicht, wie bei den echte,: Stücken, auf das erste l des Wortes Wil helm, sondern auf den rechten Balken des Buchstaben H stößt. Außerdem ist der Gesichtsausdruck des Bildnisses fremdartig. In der Besetzung der auswärtigen Sta tionen unsrer Flotte treten im Winter 1Y13/I4 gegen das Sommerhalbjahr mehrfache Veränderungen ein. Es sind bestimmt worden für die ostasiatische Station zwei Panzerkreuzer, drei kleine Kreuzer, vier Kanonenboote, drei Flußkanonenboote und zwei Tor pedoboote; für die Südsee zwei Kanonenboote und ein Spezialschiff ; für die ostpfrikanische Station zwei Kreu- sc/»i« Orram-Ixrmp« MN»» ckw iraAsn. k/edorall 1 Der Kampf um das Majorat. Roman von Ewald Ang. König. ä „Dem Leben, der Freiheit zurückgegeben t" jubelte sie,in des ihre Augen mit Tränen sich füllten. „Wie hast Du da» «rtig gebracht? Lebt mein Schwager nicht mehr? Kann ich nach Eichenhorst zurückkehren?" ' „Einstweilen noch nicht," erwiderte er, „ich bringe Dich kn meine Wohnung, und ich verhehle Dir nicht, datz wir un» ans schwere Kämpfe mit Deinem Schwager gefatzt machen müssen. Wie ich e» fertig gebracht habe, Dich zu befreien? ES war die Aufgabe meines Leben» seit dein Tage, an dem Du mir so plötzlich entrissen wurdest. Du weitzt, ich zählte damals zwölf Jahre, ich wohnte bei Dir in Eichenhorst. Du fuhrst einer Tages zur Stadt und kehrtest nicht zurück." »Ja, ja," nickt« die Baronin, »nein Schwager hatte mir gesagt, unser Justitiarius wünsche meinen Besuch, da ich im Interesse meine» Kinde» einen notariellen Akt unterschrei be» müsse. Die Ausfertigung dieses Akte» währte lange, ich trank «in Gla» Wein, daS mir vorgesetzt wurde, und fühlte mich bald darauf so mild« und schlaftrunken, daß ich kaum noch di« Feder fuhren konnte, um jenen Akt zu unterschrei ben. Wa» ich unterzeichnet habe, weiß ich heute nicht mehr, ich glaube, ich habe e« auch damals nicht gewußt. Der Ba ron brachte mich in den Wagen zurück, ich versank in Schlaf; als ich erwachte, entdeckte ich, daß ich mich nicht in meinem eigenen, sondern in einem fremden Wagen befand. Mein Haus arzt saß neben mir, zwei handfeste Männer mir gegenüber. Der Arzt sagte mir, datz ich krank sei und deshalb in eine Heilanstalt gebracht werden müsse, er hoffe aber zuversicht lich, mich nach einigen Wochen au» jener Anstalt wieder ab- holen zu können. Die beiden Männer gaben sich mir al» Wärter au» jener Anstalt zu erkennen und rieten mir, keinen Lärm zu machen, da dieser für mich nur unangenehm« Fol gt« haben könne. — Wa» wollte ich machen? Der Wagen fuhr mit rasender Geschwindigkeit auf offener Landstratze, der rohen Gewalt mutzte ich mich fügen, und der Genuß jene» Glase» Wei» hatte mich so krank und «lend gemacht, datz mir in j«n«r Stunde alles gleichgültig war. Einige Stuu- HM ivätrr hielt der Wagen vor der Anstalt, ich wurd« hinauSgehoben, da» Tor schloß sich hinter mir, — seitdem war ich eine Gefangene." „Der Justitiar und der HauSarzt waren willig« Werkzeuge Deine» Schwager»," fuhr der Bruder fort, während er nut nachdenklicher Miene die Gläser seiner Brille abrieb. „Es ist möglich, datz der Leiter dieser Anstalt getäuscht wurde, wäre er «in Schurke, so hätte er wohl Mittel und Wege gefun den, Dich für immer verschwinden zu lassen, und der Ba ron würde ihm dafür sicherlich eine große Belohnung ge zahlt haben. Ich "erfuhr am anderen Tage, daß man Dich in eine Anstalt gebracht hatte, Dagobert und ich wurden damit vertröstet, daß wir Dich bald wieder sehen würden, der Baron war voller Aufmerksamkeit gegen uns, aber lange konnte er uns nicht täuschen. Al» ich die Wahrheit erfuhr, ahnte ich aber sogleich, daß an Dir ein Schurkenstreich begangen worden war, es kam dann zu einem heftigen Auftritt zwischen mir und Deinen» Schivager, ich sagte mich los voi» ihm und erklärte ihm, daß ich noch in derselben Stunde sein Haus verlassen und keine Unterstützung mehr von ihm annehmen würde. Ich eilte in die Stadt zu einem Rechtsanwalt, er war ein ehrlicher Mann, er riet mir ab, irgend «inen Schritt zu tun, da dieser schlimme Folge»» für Dich habe» köu»e. Erst bau», wem» ich «in Mann geworden sei, dürfe ich für Dich in die Schranken trete»» und auf Erfolg hoffen. Er riet nur, zu studiere», er bewies mir, daß ich nur al» tüchtiger Jurist Deine Sache erfolgreich ver- trete»» könne, und ich bi» ihm, de»»» edlen, leider verstorben«»» Mann, hente noch dankbar für diesen Rat. Solange ich da» Gymnasium besuchte, unterstützte er mich, ich stand im Be griff, mein Abiturienten-Examen zu machen, al» «in Herz schlag plötzlich sein Leben endete. Nu»» galt e», mit eigener Kraft »veiler zu streben! Ich mußte durch Unterricht mir die Mittel zu»» Studium erwerben, mutzte meine Studien un terbrechen. uin al» Hau»l«hrer mir Existenzmlttel zu ver schaffen, so kämpfte ich auch später noch al» Referendar mit Schwierigkeiten aller Art, bi» ich endlich »nein letzte» Exa men gemacht hatte. Ich ließ »»»ich als RechtSamvalt in un serer Stadt nieder, ich war dort den» Hanse Eichenhorst nahe, dadurch wurden meine Beobachtung«»» mir erleichtert. Gleich wohl verhielt ich mich auch jetzt noch ruhig und scheinbar 1eilnah>n»lo», ich wollte vor all«»» Dina,,» Praxis und eine gesicherte Existenz haben, uin mir ein Heim bieten zu können. Nun, ich darf sagen, daß da» Glück mich begün stigte, gleich zu Anfang wurden mir schwierige Prozess« an- vertraut, die ich mit Glanz durchführte, unterdessen zog ich nach alle,» Sette»» Erkundigungen ein, und al» ich mich hin länglich gerüstet glaubte, begann ich mit der Lösung meiner Aufgabe. Sie ist mir leichter geworden, al» ich glaubte. Dok tor Graumann mochte wohl sofort erkennen, daß er einer» Manne gegenüberstand, mit den, er nicht spaßen konnte. Hätte er meiner Forderung nicht nachgegeben, so wäre ich mit dem Staatsanwalt und einem Arzt zurllckgekehrt, und e» würde dadurch «in Eklat hervorgerufen worden sein, der seiner An stalt nur schaden konnte. Was nun weiter geschehen soll, um Dich in Deine Rechte wieder einzusetzen, das wollen wir während der Reis« beraten, ich muß gestehen, datz ich dar über noch nicht ernstlich nachgedacht habe." Baronin Adelgund« hatte während dieser Mitteilungen ihre Garderobe u»n> die Habseligkeiten zusammenaesucht und in «in Bündel gepackt, jetzt sta»w sie vor dem Bruder, und ihr Blick hing voll ungeduldiger Erwartung an seine», Lip pen. „Hab' Dank, lausend Dank!" sagt« sie mit zitternder Stimme, mährend sie mit der schmalen Hand Uber ihre Gttrne strich, „möge ein Leben voll Glück und Liebe Dich für dies« Aufopferung belohnen, ich kann e» nicht. Nur da» wünsche ich noch zu wissen, bevor wir dieses Haus verlassen; wa» ist au» Dagobert, meinem Sohn geworden?" «WaS weitzt Tu von ihm?" fragte er, an seiner Brille rük- kend. „Nicht viel, ober doch genug, um da» schlimmste befürch ten zu müssen." „Mein Schwager ließ mir vor etwa elf Jahren die Mit teilung machen, Dagobert hab« eine» Verbrechen» wegen die Heimat heimlich verlassen müssen, er sei nach Amerika ge flüchtet. Seitdem soll er verschollen sein, wie Doktor Grau mann hente morgen noch behauptete. Nun sage mir die Wahr heit, Hermann, nimm keine Rücksicht auf die Warnung de» Arzte», ich bin nie geisteskrank gewesen und in diesem Au genblick auf di« schlimmste Botschaft gefaßt." 814,80