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62 hcraufbeschworen hatte — die schwache Lebensflamme war erloschen. Der Freiherr trug Sorge für ein anständiges Begräbnis; und ordnete die Hinterlassenschaft Melinens, die nur aus ei nigen Schmuckstücken und eleganten Roben bestand; Alles, was sie an Geld und Werthpapieren besaß, hatte sie dem grünen Tische geopfert. Nachdem Gerhard von Linden die sterblichen Reste seiner Cousine zu ihrer letzten Ruhestätte geleitet hatte, kehrte er in seine deutsche Heimath zurück. Doch zuvor begab er sich noch in das Pensionat, iu welchen, die Baronin ihre Tochter untergebracht hatte, um Viola selbst die Nachricht von den, Tode der Mutter zu überbringen. Ein Gefühl tiefen Mitleids beschlich sein Herz, als das hochaufgeschossene, schmächtige Mädchen vor ihm stand, in dessen unreifen, kindlichen Zügen keine Spur von der märchenhaften Schönheit der Mutter zu sehen war. So schonend als möglich theilte er ihr die Trauerbotschaft mit; Viola blieb eine Welle unbeweglich stehen, dann brach sie in ein krampfhaftes Schluchzen aus. Gerhard wollte tröstend ihre Hand erfassen, aber sie wich scheu vor ihm zurück. »So bin ich nun ganz allein und verlassen," schluchzte sie. »Richt doch, Viola, nicht doch," sagte er weich; »Sie sollen bei mir inimer eine Heimath finden. Meine Schwester ist gut, und Sie werden sie gewiß auch lieben lernen. Ten Bestimmungen Ihrer Mutter gemäß müssen Sie bis zu Ihrem siebzehnten Jahre hier bleiben —" »Noch zwei lange Jahre," unterbrach sie ihn schmerzlich. »Tie Zeit wird rasch vorübergehen," tröstete der Frei herr; »lernen Sie unterdessen fleißig, Viola, das wird Ihnen über die schweren Stunden hinweg helfen. Biola gab keine Antwort, sondern starrte schweigend vor sich hin. Gerhard bemühte sich vergebens, ihr ein freundliches Wort zu entlocken. Mit einem Seufzer gab er endlich jede Bemühung auf und verabschiedete sich von seinem Mündel, die nun, finster und verschlossen, kaum ein Wort des Abschieds für ihn hatte. »Wie wenig gleicht sie ihrer schönen, lebhaften Mutter," dachte Gerhard bei sich, als er das Pensionatsgebäude glücklich hinter sich hatte, wollte Gott, daß sie ihr auch in andern Dingen ungleich wäre; das excentrische Wesen dieser Frau hat viel Unglück über ihren armen Gatten gebracht!" Nun ging es rasch heimwärts nach seinem Schlosse; er sehnte sich, wieder daheim in der gewohnten Umgebung zu sein und in das klare Auge seiner treuen Schwester zu blicken, die mit inniger Zärtlichkeit an dem geliebten Bruder hing. Gut Lindenhain war ein stattlicher Besitz in einer schönen, fruchtbaren Gegend. Tas Schloß war wohl mehr bequem als imposant gebaut, allein der daran schließende Park mit seinen zahlreichen Gruppen prächtiger Lindenbäume, welcher dem Gute den Namen Linden hain cingebracht, war von sehenswerther Schönheit und von jeher der Stolz der Freiherren von Linden gewesen. Bon der Rückseite des Schlosses führte eine breite, steinerne Freitreppe in das geschmackvoll arrangirte Blumcnparterrc hinab, das, von mächtigen Lindenbäumcn umgränzt, einen reizenden Anblick bot. Unter einem rotb und weiß gestreiften Zelt knapp beim Eingang in den P..»t stand eia gedeckter Tisch; eine hohe Frauengestalt war damit beschäftigt, Flaschen und Gläser auf demselben zierlich zu ordnen und einen Strauß süß duftender Rosen zwischen diese zu placiren. Jetzt war sie fertig; noch ein prüfender Blick und die Dame trat befriedigt zurück. Langsam schritt sie nun zwischen den Blumenbeeten hin und her, zuweilen einen Blick der Ungeduld aus ihre kleine, goldene Uhr werfend, deren feiger heute nicht von der Stelle zu kommen schienen. Die Abendsonne warf ihre leuchtenden Strahlen »och einmal über das Blumenpcnterre und küßte mit ihrem zitternden Schimmer die Wipfel der hohen Lindenbäume, ehe sie langsam im Westen untersank. Tie Dame blieb stehen und sah sinnend zu dem klaren Firmament empor, auf dessen tiefblauem Gruudc kleine, rosige Wöltcipn ihr neckisches Spiel trieben, um dann plötzlich wie von Geisterhand zertheilt im Acther spurlos zu verschwinden. Tie Dame war Magda von Linden, die Schwester des Freiherrn, des Besitzers von Lindenhain. Magda von Linden mochte ungefähr achtundzwanzig Jahre zählen. Groß und mehr kräftig als schön gebaut, repräsentirtc sic mit ihrer strammen, geraden Haltung und dem blühenden, vollen Gesicht den echten Typus eines Landedelfräuleins. Die klaren, hellblauen Augen verriethen mehr Gutmüthig- keit als Geist, und hinter der etwas niederen, von dichten, natürlichen Wellen lichtblonden Haares umsäumten Stirn bargen sich wohl vcrnüslige, aber immer auf das Praktische gerichtete Gedanken, denen der kühne Flug der Phantasie stets ein fremdes Feld geblieben. Magda war eine durch und durch nüchterne Natur, schon frühzeitig darauf angewiesen, die kränkelnde Mutter als Haus frau zu ersetzen, hatte sie nie einen anderen Ehrgeiz gekannt, als daS besteingerichtete Hauswesen zu besitzen, die hohen, altcrthümlichcn Wäscheschränke voll des feinsten Linnen zu haben, und was Güte und Solidität in Küche und Keller an belangt, als ein Muster für alle Hausfrauen der ganzen Gegend dazustehen. Magda war auch thätig von früh bis spät, und nichts entging dem scharfen Blick ihrer blauen Augen, mit denen sie sofort den kleinsten Fehler erkannte. Magda war von allen ihren Tienstleuten mehr geliebt als gefürchtet, denn so energisch sie auch war, so hatte sie doch eine eigene Gabe, Befehle und Rügen nie in einem verletzenden Ton zu ertheilen, dazu war sie mild und gutherzig und half, wo sie nur konnte; nur in einem blieb sic unerbittlich: wenn sie Jemand auf einer Lüge ertappte, der wurde ohne Gnade aus dem Hause gejagt. Ihrer offenen Natur war jede Heuchelei und Verstellung so zuwider, daß sie lieber ein derbes, aber ehrlich gemeintes Wort in den Kauf nahm, als eine kriechende Schmeichelei. Magda war kaum zwanzig Jahre alt gewesen, als ihre Eltern lurz hintereinander starben; sie hatte ihren um sieben Jahre älteren Bruder Gerhard immer zärtlich geliebt, und nach dem Tode der Ellern schlossen sich die Geschwister noch inniger aneinander, obschon sie in ihrem Denken und Fühlen himmelweit verschieden waren. Magda sorgte für die Bedürfnisse ihres Bruders mit mütterlicher Zärtlichkeit, und cs machte ihr große Freude, wenn man ihr die Versicherung gab,, ihr Bruder sei einer der besten. Landlvirthe und sein Gut eine Art vou Musterwirthschast, wie weit und breit nicht zu finden sei. „ Es hatte Wohl in früheren Jahren nicht an Bewerbern gefehlt, denn Magda war im Grunde genommen leine so schlechte Parthie; das ihr zulvmmcnde Erbtheil bestand aus einem ziemlich großen Feldtvmplcxe und einer ansehnlichen Summe Geldes, und ihre vorzüglichen Haussraueneigenschaften 63 machten sie so manchen! praktisch denkenden Gutsbesitzer zu einer begehrcnswerthen Frau. Allein Magda schlug konsequent jeden noch so Vortheil hasten Antrag aus; in ihrer ruhigen und bestimmten Weise erklärte sie, sich nicht von ihrem Bruder trennen zu wollen, wenigstens so lange nicht, bis er eine Fran ins Haus gebracht, und im Stillen gab sie sich der Hoffnung hin, daß dies nie geschehen würde, denn sie wußte es ja doch, kein» andere konnte so gut sür Gerhard sorgen, als eben nur sic allein. Mit einer Art von Eifersucht beobachtete sie daher alle jungen Damen, mit welchen Gerhard in Gesellschaften zu Ver kehren pflegte; allein zu ihrer großen Befriedigung bemerkte sic, daß ihm alle vollkommen gleichgiltig blieben. Artig und zuvorkommend war er immer, aber rin be sonderes Interesse hatte er noch nie für irgend ein weibliches Wesen gezeigt. Ach und wie froh war Magda dessen! Wenn ihr Ger hard so ein geschniegeltes, gebügeltes, zierliches Dämchen ins Haus gebracht hätte, welches sich stets nur nach der letzten Mode kleidete und keine Idee davon hatte, wie man eine trästige Si ppe bereitet und das Linnenzeug am besten verwahrt, welch Unglück wäre das für sic gewesen! Eines jener Geschöpfe, das bis spät am Morgen im Bette lag, französische Romane las und zur Noch allenfalls eine Tapisseriearbeit in die Hand nahm! Nein, nein, so etwas war für ihren Gerhard nichts und heut zu Tage hatten ja leider Gottes die meisten Mädchen solch eine verschrobene Erziehung erhalten, die nur darauf be rechnet war, in der Gesellschaft Furore zu machen und den Männern Sand in die Augen zu streuen. Wenn so ein junges Mädchen mit gelehrten Brocken um sich warf, sich die Finger beim Klavier verrenkte und mit dünner Stimme einige beliebte Arien sang, dann sagte man allgemein, das sei eine gebildete junge Dame; ob sie cs auch verstand, ein Hauswesen zu leiten und überall nach dem Rechten zu sehen, darum kümmerte sich Niemand. Da war cs denn auch kein Wunder, wenn cs so viel unglückliche Ehen gab und der Mann außer Hause die Be haglichkeit suchte, die er daheim mehr fand. Vor solch einem Schicksal sollte der geliebte Bruder be wahrt bleiben, und Magda dankte täglich dem Himmel, daß er Gerhard ein jo kaltes, unempfindliches Herz gegeben, das ihn ruhig und unberührt an all den hübschen jungen Mädchen Vorbeigehen ließ, deren es in Lindenheim's Nähe nach Magda's Ermessen, in viel zu großer Menge gab. So standen die Tinge auf dem Schlosse des Freiherrn, als ihn Melio.cn's Telegramm eilig an ihr Sterbebett berief. Ter Gatte der Baronin war ein Verwandter des Frei herrn gewesen und dieser auch zugleich der einzige, mit dem Meline nach dem Tode des Barons in Verkehr geblieben war. Magda hatte die Baronin Buchseld nie gesehen; sie wußte nur von ihr, daß sie sehr schön und sehr gefallsüchtig war und daß ihre Ehe mit dem Baron eine sehr unglückliche gewesen. So wenig sympathisch ihr diese Frau auch sonst war, so fühlte sie doch Mitleid, als ihr Gerhard von Monte Carlo aus den Tod der einst so gefeierten Schönheit meldete. So einsam und verlassen zu sterben, das mußte doch schrecklich sein! Und selbst jetzt, da Magda niit sreudigcr Erwartung der Ankunst ihres Bruders entgcgcnsah, dachte sie mit einem Ge fühl der Wehmuth an die junge Frau, die sie in fremder Erde, fern von der deulschen Heimath, eingescharrt hatten, ohne daß sie mehr ihr einziges Kind wiederoefchen. Tas Rollen eines Wogens entriß Magda ihren Betrachtungen. Eine Helle Röthe flog über ihre Wangen und ihre blauen Augen blitzten freudig aus. Raschen Schrittes ging sie die Freitreppe hinaus, den langen, breiten Korridor entlang, nnd als der Wagen vorfnhr, trat sie gerade aus dem Portale des Schlosses, um den ge liebten Bruder zu empfangen. Gerhard sprang aus dem Wagen und eilte in die geöffneten Arme seiner Schwester. Es konnte keinen größeren Gegensatz geben, als dieses Gcschwisterpaar, das jetzt, zärtlich aneinander gelehnt, sich mit einem warmen kräftigen Händedruck begrüßte. Magda war nur um weniges kleiner als ihr Bruder; wie sie sich in inniger Umarmung eng an ihn schmiegte, mischten sich ihre blonden Haarwellcn mit dem dichten, dunkele» Gc- lock Gerhard s, der ihr lächelnd in die treuen, blauen Augen sah. Ein echtes Bild von Kraft und Männlichkeit stand er da; die hohe, schar fgemeißclte Stirn zeugte von Geist und Verstand, aus den etwas tiefliegenden, schwarzen Augen sprühte es wie von unterdrückter Leidenschaftlichkeit. Der weiche, halblange Vvllbart Gerhard's umgab gebräunte, edelgeschnittcne Züge, und um den männlich schönen Mund spielte jetzt ein herzgewinnendes Lächeln, als er mit seiner tiefen, wohlklingenden Stimme sagte: „Nun bin ich wieder daheim, Schwesterchen! ist Dir die Zeit lang geworden?" „Ich konnte Deine Ankunft kaum erwarten," erwiderte Magda, ihren Arm in den des Bruders schiebend; „dem Himmel sei Dank, daß Tu wieder da bist! Auch Rotteck wird sich freuen, daß nun wieder Alles ins alte Geleise kommt." „War er hier?" fragte Gerhard, mit der Schwester ins Haus tretend. „Heute früh für einige Minuten; er ist gestern von seiner Geschäftsreise zurückgckehrt. Doch Du wirst müde und hungrig sein, Gerhard," versetzte die Schwester, deren praktischer Sinn sich nie verleugnete. „Geh' auf Tein Zimmer und mache cs Dir bequem, der Tisch steht schon gedeckt im Blumen parterre; ich will sogleich sür olles Nöthige Sorge tragen. Sie nickte dem Bruder freundlich zu und verschwand in dem zur Küche führenden Gange, um selbst das Anrichten der Speisen zu überwachen. Eine Viertelstunde später saßen die Geschwister bei dem wohlbesetztcn Tische, und Magda legte dem Bruder seine Lieblingsspcisen vor, die sie heute hatte eigens für ihn bereiten lassen. „Nennenswerthes ist nichts vorgcfallen während Deiner Abwesenheit," sagte sie, ihm ein Glas Rothwein einschenlend, „ein Jedes Ivar Ivie sonst aus seinem Platze, und ich hoffe, Du wirst zufrieden sein." „Ich habe das nicht anders erwartet," meinte Gerhard, „ich kenne ja meine thatkrästige Schwester, bei der Alles am Schnürchen gehen muß. Was nun meine traurige Reise an belangt Seine Miene war mit einem Male ernst, fast finster ge worden, allein Magda ließ ihn nicht ausreden. „Jetzt nicht," sagte sie bittend, ihre Hand aus seinen Arm legend, „später sollst Du mir Alles ausführlich erzählen. Du weißt, ich kann diese kurzen, unterbrochenen Berichte nicht leiden, ich muß immer klar bis aus den Grund schen, mit halben Andeutungen begnüge ich mich nie." „Du hast recht," versetzte Gerhard, „das Ganze ist auch zu tcaurig, um jetzt erörtert zu werden." Von gleichgiltigen Dingen sprechend, beendeten die Ge schwister ihr Mahl, dann machten sie eine kurze Promenade in den Park, doch nicht bevor noch Magda dem alten Diener