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64 befohlen hatte, den Tisch abzuräumen, die Windlichtcr anzu zünden und eine Flasche Wein und das Zigarrenkästchen für den Freiherni bereit zu stellen. Ter alte Fritz war jahrelang im Hause und kannte die Hausordnung nur zu wohl, allein Magda würde geglaubt habe», in der Sorge gegen den Bruder zu fehlen, wenn sie nicht immer alles zu seiner Bequemlichkeit Nöthige selbst ange ordnet hätte. Als die Geschwister zurück kamen, stand schon Alles be reit; vor dem Sitze des Frecheren befanden sich die Zigarren und der Wein, an Magda's Platze stand das zierliche Körb chen von Silberdraht, mit dem unvermeidlichen Strickstrnmpfe, denn das Freifräulein von Linden strickte ihre Strümpfe selbst, und sie würde es sehr übel ausgenommen haben, wenn ihr dies irgend Jemand verargt hätte. „Eine Frau muß in allen weiblichen Handarbeiten be wandert sein," pflegte sie zu sagen, „sonst ist sie keine echte Hausfrau, und wo man Alles außerm Haus zu machen giebt, da ist es eine schlechte Wirthschaft, wo es nimmer ein Gedeihen geben kann." Die Geschwister setzten sich. Ter Freiherr zündete sich eine Zigarre an, und Magda griff nach dem Strickstrumpfe. Ter volle Schein der Wind lichter fiel auf ihr gutes, rothes Gesicht, wie sie so dasaß mit dem Strickstrumvfe in der Hand, die leibhaftige Prosa in Gestalt. Unwillkürlich stellte Gerhard Vergleiche zwischen ihr und der schönen Baronin an, wie sie, schon mit dem Tode ringend, in ihrem koketten, spitzenbesetztcn Negligo vor ihm ge legen, nmhüllt von dem gelösten, goldbraunen Haar; ein rei zendes Bild trotz aller Verwüstung, welche Krankheit und ein aufreibendes Leben in dem schönen Gesicht eingerichtet. Dort Tod und Vernichtung noch in ein bestrickendes Ge wand gehüllt, ein poetisches, duftumflossencs Sterben, zwischen Spitzen und Blumen, den letzten Hauch ausathmend, hier das nüchterne, prosaische Leben, gesund, ehrlich und praktisch. Tort wilde, verheerende Leidenschaften, hier Ruhe und stiller Friede; ein Uebermaß der Gefühle, keine stürmische Sehnsucht nach Glück, hier war die Pflicht das höchste Glück, dort wurde sie ganz einfach als unnützer Ballast über Bord geworfen. Welche von den beiden Frauen war die begehrcnswcrthere, die am meisten beglückende? O, diese schöne, verführerische Sünde hatte so manches für sich! Nn eigener Reiz umgab diese unter Blumen drohende Gefahr; selbst wenn man nur vom Glück träumte, mußte dieser Traum die höchste Seligkeit in sich schließen — wie heiß, wie verlangend hatte noch die Sterbende gerufen: „Mein ganzes Leben war ein Suchen und ein Niemals-Finden. Wenn sie am Leben geblieben wäre, wenn sie das gesuchte geträumte Glück gefunden hätte, in wessen Armen und an westen Brust ? Ein heißer Schauer durchrieselte seine Glieder. Er sah die brechenden Augen des sterbenden Weibes auf sich gerichtet, er hörte sie mit angstvoller Stimme ihre letzten Worte stammeln: „Nicht, nicht!" „Nicht," wiederholte er entschlossen bei sich, sich plötzlich straff cmporrichtend. „Magda," sagte er mit leiser Stimme. Sie ließ die emsigen Hände ruhen und sah mit ihren guten, ehrlichen Augen zu ihm auf. Ja, hier war Wahrheit! Wahrheit und jene echte Herzens- Druck von Langer L Winterlich in Riesa. Für die güte, welche weder durch Schönheit, noch durch scharfen Ver stand ersetzt werden kann — all das Glänzende, Sinnberückende war nur ein Traum, ein Traum. „Wirst Du nun bald beginnen?" fragte Magda freundlich. Der Freiherr schenkte das Glas voll und leerte es aus einen Zug. Eine dunkle Röthe auf seinem Gesicht warf ihren Widerschein auf seine hohe Stirn bis in das dichte Gelock. „Ich muß für Jahre zurückgehen," begann er endlich mit voller, klarer Stimme, „damit Du die Verhältnisse kennen lernst, um Dir ein klares Bild von dem Ganzen machen zn können, denn Du liebst doch Klarheit vor allen Dingen." „Gewiß," versetzte sie bestimmt, „und ich bilde mir auch niemals ein fertiges Urtheil über einen Menschen, bevor ich ihn nicht gründlich kennen gelernt." „Darüber ließe sich streiten! Es giebt Menschen, die man eigentlich nie so recht kennen lernt." „Denen gehe ich aus dem Wege," sagte Magda ruhig; „mit unergründlichen Charakteren gebe ich mich nicht ab." Ein leises Lächeln verschönte Gerhard's ernste Züge. „Daran erkenne ich meine praktische Schwester; wo sic des Erfolges nicht sicher ist, giebt sie sich keine Mühe." Es lag in den Worten ein leiser Spott, der ihr nicht entging. „Nicht so, Gerhard," sprach sie erröthend, „auf solche Weise will ich mir nicht eine billige Unfehlbarkeit sichern: ich niag nur nicht das Unmögliche erstreben. Sinn- und zwecklose Grübeleien waren mir stets verhaßt." Gerhard gab keine Antwort; sinnend blickte er vor sich hin, in die stille, duftgeschwängerte Sommernacht hinein, dann begann er: „Wie Tu weißt, war Baron Buchfeld nicht nur mein Vetter, sondern auch mein lieber Freund. Es war keine jener überschwenglichen Jugendfreundschaften, die meist im reiferen Alter jählings erkalten, sondern eine stille, ruhige Zuneigung, die uns mit einander verband, gegründet auf gewisse überein stimmende Ansichten, die uns vom Anfang unserer Bekanntschaft an mit einander vereinigt hatten. Der Baron zählte einige Jahre mehr als ich und führte trotz feines Reichthums ein ziemlich eingezogenes Leben. Ich war damals meiner Studien wegen in der Residenz und brachte einen großen Theil meiner freien Zeit bei Buchseld zu. Bei eineni Ballfestc lernte er Meline von Lottum kennen; sie war zu jener Zeit kaum sechzehn Jahre u.i, schön wie eine Fee und bewundert und gefeiert, wo sie sich nur zeigte. (Fortsetzung folgt.) Denk- und Sinnsprüche. Durch Streit zum Sieg! Und wenn im Speergemenge Auch tausend Tode dich umdräu'n, Getrost, getrost! Auf heißes Schiachtgedränge Folgt Siegsgeschrei und Friedensreih'n. Durch Kreuz zum Heil! Und wenn des Lebens- Plagen Auch stark wie Riesen dich bedräu'n, Getrost, getrost! Aus jammervolles Klagen Soll Friede Gottes dich erfreu'» Durch Weh' zur Wann'! Und weinst du auch am Morgen Und weinst du auch um Mitternacht, Getrost, getrost! Und laß den Vater sorgen, Der über dir im Himmel wacht. Hosegarten. Redaktion verantwortllcy: Herrn. Lü,midt in Riesa. Erzähler an der Elbe. Belletrist. Gratisbeilage zu« „Riesaer Tageblatt*. Rr. 16. Riesa, den 20. April 18SS. 18. Jahrz. Pflicht «ab Liebe. Roman ron C. Wild. (Fortsetzung.) Sie hatte den Kopf tief in die Kissen gedrückt und die Augen fest geschlossen, damit er die Thränc nicht sehen sollte, die ihr wider Willen die langen, dunklen Wimpern netzte. Sic wollte nicht weich werden, nicht weinen, und doch fühlte sic, wie ihr ein Thräncnstrvm die bedrängte Brust erleichtern würde; o wie schwach, wie energielos sie doch während ihrer letzten Krankheit geworden war. „Das ist zu spät, Gerhard," sagte die Kranke jetzt, ihn voll und klar ansehend, „meine Stunden sind gezählt, und wenn dem auch nicht so wäre, das Alles ist wider meine Statur; ich liebe Viola, o ja, allein sie hätte nie mein ganzes Glück ausmachcn können. Sehen Sic mich nicht so entsetzlich an, Gerhard, ich will mich nicht bester machen als ich bin. Ich war eine schlechte Gattin, und bin auch keine gute Mutter geworden, und doch, die Schuld liegt nicht allein an mir; hätte man mir einen Gatten gegeben, der mich verstanden hätte, vielleicht wäre ich dann eine andere geworden, aber dieser schwache, gutmüthigc Mann, der in einem fort aubetend zu meinen Füßen lag, der sich von Eifersucht verzehrt fühlte, und doch mir gegenüber kein Wort des Tadels wagte, der glücklich war, wenn ich ihn nur mit einem freundlichen Blick streifte, nein, dieser Mann konnte nie und nimmer etwas sür mich sein — selbst wenn — " Sie brach ab und griff hastig nach dem Herzen. Eine jähe Röthe überfluthete ihr Antlitz, um sofort einer tiefen Blässe wieder Platz zu machen. Erschreckt wollte Gerhard nach Hilfe rufen, allein sie hielt ihn zurück. „E-. ist schon vorüber," sagte sie matt, „bleiben Sie, ich habe Ihnen noch viel zu sagen." „Nein, nein, jetzt dürfen Sie nicht mehr sprechen." „Ich will und ich muß," versetzte sie, ihre Kräfte zu sammenraffend; „die Zeit ist karg bemessen; Sie sollen nicht umsonst hierher gekommen sein." Sie nahm unter ihrem Kopfkissen den vor zwei Tagen geschriebenen Brief hervor und reichte ihn Gerhard. „Für Viola," sagte sie; „geben sie ihr das Schreiben an dem Tage, da sie Ihre Schwelle übertritt; lassen sic Viola noch zwei Jahre in der Pension, dann nehmen Sic sie zu sich; Sie sind ihr Vormund und werden gewiß aus's Beste für das Mädchen sorgen." „Ihr Wunsch soll erfüllt werden," war Gerhard's Ant wort, „doch wollen Sie Viola nicht sehen? Ich könnte—" „Wozu?" unterbrach sie ihn mit einem bitteren Lächeln. „Wir haben uns im Leben fern genug gestanden, die wenigen Stunden würden uns nicht näher bringen. Neunen Sie mich herzlos, Gerhard, wenn Sie wollen, ich thue doch dem Kinde damit nur eine Wohlthat." „Sie hielt inne und fuhr sich mit der Hand flüchtig über die Augen. „Ich habe Ihnen ein Geständniß zu machen," sagte sie nach einer Pause. „Sie wissen, niein verstorbener Gatte ist sehr freigebig gegen mich gewesen? außer dem für Viola I dcponirten Pflichtteil hat er mir sein ganzes Vermögen zur I freien Verfügung hinterlassen; nun — dieses Vermögen habe ich verspielt!" Gerhard wich bestürzt einige Schritte zurück. „Alles?" rief er in entsetztem, fragenden Tone. „Alles! vor zwei Tagen habe ich mein letztes Goldstück auf den grünen Tisch geworfen." Der Freiherr gab keine Antwort. Es widerstrebte ihm, der todtkranken Frau Vorwürfe über ihren Leichtsinn zu machen, er wollte ihr die letzten Stunden nicht verbittern. Mit einem geheimen Grauen betrachtete er das bleiche Gesicht, die tief eingesunkenen Augen, die ihn starr und unbe weglich anblicktcn. Hatte denn die Frau mit den wilden, zügellosen Leiden schaften jemals ein Herz besessen? Sie hatte leidenschaftlich und begehrlich Glück und aber mals Glück verlangt, hatte sie aber je ein solches geboten? Was verstand sie überhaupt unter Glück, sie, die ihre Jugend ihre Schönheit, ihren Reichthum in vollen Zügen genossen, ohne besriedigt worden zu sein? Sie hatte sich um den Gatten nicht gekümmert, sie halte ihr Kind in die Lbhut Fremder ge geben, sic hatte gegen die heiligsten Pflichten gesündigt und zuguterletzt sich selbst zur Bettlerin gemacht. Tas Spiel war sür sie aus, und sic ging, ohne sich um die anderen zu kümmern; was weiter kam, damit hatte sie nichts mehr zu schaffen. „Tic verurtheilen mich, Gerhard," jagte endlich die Baronin, da der Freiherr sie noch immer stumm betrachtete; „ich gebe mein Unrecht zu — doch ach, Sic kennen nicht die Leiden schaft des Spieles; das reißt mit sich fort, das macht die Pulse rascher schlagen und alle Fibern des Herzens beben, das- läßt für Stunden alles Leid vergeßen, das stillt die brennende Sehnsucht der Seele, denn während der Aufregung des Spiels ist man lodt sür alles Andere, lodt, todl!" Tic Baronin richtete sich hastig im Bette auf, daß die dichten Wellen des gelösten Haares sic wie ein langer, dunkler Schleier uiuft.nhetcn. Mit einem unsagbar schmerzlichen Ausdruck sah sie zu dem Freiherrn empor. „Niemand, Niemand hat mich verstanden," stöhnte sie; „auch Sic, Gerhard, verstehen mich nicht"; sie brach jäh ab und sank mit einem leisen Ausschrei in die Kiffen zurück. Gerhard rief erschrocken die Zofe herbei und sandte nach dem Arzt, doch ehe Dieser noch kam, war schon der Todeskampf cingetreten. Immer schwächer wurden die schweren Athemzüge der' Leidenden; starr und regungslos lag sie do, nur in den großen Augen glänzte noch ein Schimmer des entfliehenden Lebens. Ta mit einem Male schien sie von einer qualvollen Erinnerung erfaßt zu werden, ein Ausdruck von Reue malte sich in ihren Zügen, mit flehender Bitte richteten sich ihre Augen aus Gerhard. „Nicht, nicht," stammelte sic mühsam hervor, allein sie konnte nicht mehr vollenden. Tie Worte: „Geben Sie dm Brief nicht meiner Tochter!" erstorben auf ihren Lippen zu einem unartikulirten Laut; der Tod hinderte sie daran, ihre Bitte auszusprechen und daS namenlose Leid zurückzuhalten, das sie selbst über ihr Amd i' . ) '