Volltext Seite (XML)
Beilage zum „Riesaer Tageblatt". D«ck «d »«la, v« Langer L wt»t«rttch bi Riesa. — Mir di« «edactüm vermckvortüch: Har«. «chmtdt b. Mesa. »IS«. Saaaavend, 1. Juni 1888, Meads. 48. Jahrg. Vermischt««. Aus dem Schmollwinkel de« Hygieinikers« Die kleine Trude ist ein Wildfang. Raum schlägt sie am Morgen die Lugen auf, so geht auch der lkrakehl los, sie will auf den Spielplatz oder auf die Straße, mag es nun regnen oder stürmen, wag e» schneien oder die Sonne glühend niederstrahlen. Das vierjährige Ding möchte am Liebsten im Nachthemdchen gleich hinunterspringen, und es be- darf der ganzen mütterlichen Autorität, um den SckreihalS zu beruhigen. Hat er endlich seinen Willen durckgesetzt, so schlägt ihm die Mama vorsorglich zwei wollene Tücher um Hals und Brust, zieht ihm auch beim sonnigsten Frühlings- weiter eine wollene Capuze über die Ohren, womöglich noch Gamaschen über die Strümpfe, und mit einem zärtlichen Blick voll Sorge und Angst läßt sie ihn hinunter. Dann gebt es los, dato am Borderfenster, bald am Himerfenstcr: l „Trudchen, renn' nicht so! Du wirst Dich erhitzen." „Trud- chen, geh' aus dem Zug!" „Trudchen, komm 'rauf, es windet ! zu sehr." — Trudchen kommt mit Hochrothen Backen und . blitzenden Aeuglein. „Aber Kind, Du schwitzest ja! Schnell, schnell! Du mußt ins Bett, sonst bekommst Du Fieber." Das Kind wird hübsch'eingepackr, und ob es heult und strampelt, es muß im Bett bleiben, damit es sich ja nicht .erkälte. Aus dem vierjährigen Wildsang ist ein hochaufgeschossenes, bleiches Mädchen geworden, das als engbrüstiger Backfisch in Sivckelschuhen und Corsct zur Tanzstunde trippelt und fein si lsam vor jeder unschicklichen Bewegung behütet wird. Wohl blitzt in dem Auge manchmal noch der kindliche Lebensmuts, und ein sehnsüchtiger Blick trifft die Kinder, die so ungenirr und von keiner Etikette in Fesseln gelegt sich an ihren über- müthigen Spielen vergnügen. Wenn die Erinnerung an die köstlichen Kraflausbrüche der Kindheit sie beschleicht, dann packt sie wohl der alte Uebermuth, und wenn sie gerade in der Tanzstunde ist, dann rast sie dahin in heißer Sehnsucht nach einem ungezügelten Ausleben ihres Kraftgefühls, unbe kümmert um die heiße, dampfige, staubige Atmosphäre, bis die müde Lunge, die gequälte, gefolterte, von innen und außen mißhandelte, ihren Dienst versagt. Auf weißen Linnen ruht ein bleiches Weib. Die fieberflackernden Augen suchen unstät und wirr in dem Zimmer herum, die fieberkebenden Hände tanzen unruhig über die Decke. Ein scheuer, nach Bewußtsein ringender Blick gleitet von Zeit zu Zeit nach der kleinen Wiege hinüber, die an der Seite steht, und so oft der bleiche Mann am Fußende des Bettes mit dem trostlosen Gesicht voll Verzweiflung den Blick erhascht, schüttelt ihn von Neuem der Jammer. Vor einigen Minuten hat er den Arzt hinausbegleitet, und so sehr sich dieser auch zu bemeistern sucht: er hat sich verrathen — und es giebt keine Hoffnung mehr. „Die Constitution Ihrer Frau ist zu schwach, ich fürchte, sie hält es nicht aus. Machen Sie sich auf das Aergste gefaßt." (Hallische Ztg.) Nachdruck verboten, ö ' P e t e r 1. Ol>:'ba»nsche Ho-lchmds luze von I. Haydn. „Jetzt is er do!" rief die alte Großmagd, die Kathl, indem sie etwas verzagt durch die halbosfene Thüre in die Stube und nach dem Bauern schaute, der seine Pfeife rauchend, verdrießlich am Tische saß. „Moanst viellei i hätt' den Schpektak'l nit gehört? Saxendi, loß' mir mei Ruah!" schrie er. „Aber so hör' do Bauer! s'Peterl is jo komm'n." „Was scheer'n mi and're Leut' ihre Bälger, mei Rnah will i hob'n!" polterte er und schlug auf den Tisch, daß der Maßkrug zu wackeln anfing. „Aber Bauer, —" wollte sie wieder beginnen als er dunkelroth im Gesichte, mit rollenden Augen auf sie zulief. „Jetzt machst aber g'lei daß Du ausi kimmst Kath'l, sonst kannst was d'erleb'n!" Und es schien als wollte er schon seinen Worten die That folgen lassen. Aber die alte Kathel fürchtete sich nicht, selbst dann nicht, wenn die hohe knochige Gestalt ihres Herrn auch noch so drohend dastand, wenn sein, von weißen Haaren um rahmte«, eingefallenes Gesicht noch so böse d'reinschante. Sie diente ihm ja schon seit 20 Jahren, sie wußte ja daß sein Gemüth verbittert, daß sein Leben ein verfehltes, und daß dies den noch in den besten Jahren stehenden Mann frühzeitig alt und herb gemacht hatte. „Aber Lindenbauer!" sagte sie nun energisch, indem sie muthig in's Zimmer trat, „kannst Du'S denn über Dei Herz bring'» das arme Tröpfr'l vor der Thüre steh'n zu lass'» und bei so aan Hund'swetter?" Er trat an's Fenster um das Gewitter zu beobachten. Der Wind brauste, der Regen prasselte hernieder, und bei jedem Äufflackern der grellen Blitze zeigten sich die Schneehäupter der Berge, und der Thurm der am See gelegenen Dorfkirche. „Sorg' Di nit," schrie er barsch, „I wär den Bub'u scho wo untr,bring'», i selber kann ihn nit brauch'«." „IS dös Dei letztes Wort Lindenbauer?" frug sie hocherregt. Als sie keine Antwort erhielt rief sie: „So sag' i Dir, muß dös Büberl fort, so geh' i mit dem arm'n Kerl! Ja» ja, i geh' mit! I bleib' a mol nit länger öci so aan hartherzig'» Bauer'n überauaud'r!" Nun wan te er sich um und starrte sie an. Fort wollte sie! Fort! Die einzige Person die für ihn sorgte, die seine Launen so geduldig ertrug, die, wenn die Andere» kein gutes Haar an ihm ließen, ihn immer so warm in Schutz nahm! Dann ließ er sich brummend vernehmen-: „Dös iS do g'wiß, daß Alles nach Dei'm Schädel geh'n muß, Du rechthab'rifcheS WeibSke.lt' Du! So laß'» halt eiui!" Gleich darauf stand ein sechsjähriges Bürscherl mitten m der Stube und guckte den Bauer aus blauäugigem Gesichter! halb furchtsam und halb neugierig an. „Jessus Maria!" stammelt der Bauer, „die Ang'n! dieselb'n Schelmenai'gen wie sei Muatter, Gott hab sie fertig !" Und mit Allgewalt überkam ihm die Erinnerung au seine Jugendzeit, an jenen Tag, dessen Gedenken er immer mit Gewalt von sich fern zu halten suchte. Aber jetzt unter der Macht dieser blauen Kiuderaugen packte cs ihn wieder, und ließ lhn nicht los. Wieder sah er das Annerl leibhaftig vor sich, wie sie ihm vor 20 Jahren die Hand zum Abschied gab, tief sah er damals in ihre dunkelblauen hellfunkelnden Augen, die es ihm, dem stattlichen Bauern angethan. Hätte er ihr damals seine Liebe eingestanden! Wie wäre Alles anders gekommen! Das wurmt und frißt noch heute an seinem Herzen! Aber er wollte es ihr erst sagen, wenn er aus dem Kriege, in welchem es gegen die Nothhofen ging, znrückgekehrr wäre. So zog er fort anno 1870. Von Schlacht zu Schlacht begleiteten ihn ihre blauen Sterne, herrlich malte er sich die Heimkehr, die Zukunft aus, und in jedem Briefe an den Loisl, feinen Vetter, der so rechtschaffen seinen Hof verwaltete, standen Grüße an die Sennin, an's Annerl. Als es wieder heimwärts ging, und er jnbelnden Heizens mit seinen! Regiment in München einzog, da war auch s'Annerl aus den Bergen gekommen. An der Seite des Lois'ls stand sie. Sie warf ihm einen Buschen Edelweiß zu, winkte mit ihrem Sacktücherl, und der Vetter schrie mit seiner Bärenstimme, daß er es, trotz der schal lenden Musik, deutlich verstand: „Do bleib'n mir steh'n, daher kumm Peter." Keiner war glücklicher, als die Kaserne erreicht war, als er, — keiner betete inbrünstiger als der Offizier commandirte, aber auch Keiner warf fchn ller seinen „Schießprügel" weg und lief eiliger aus der Kaserne, als der Peter vom Lindenhof. Bauer wollte er wieder sein, und s'Annerl seine Herzallerliebste, sollte seine Bäu'rin werden. Längstens bis zum Herbste wollte er sie heim führen, und dann tauschte er mit Niemanden ans der Welt, nicht einmal mit dem schönen, jungen König, der ihnen heute entgegenzogen war. Voll von diesen Gedanken eilte er durch die Straßen der Residenz. Er sah nicht die festlich geschmückten Häuser, er hörte nicht die wogenden Menschenmassen, er hatte nur das eine Ziel: zu ihr! Heute wollte er es ihr sagen! Heute war der Tag! Da stand das Annerl! Er könnte heute noch das Fleckerl Erde in dem großen München finden, ans dem sie. gestanden! Aber als er glückstrahlend ihre Hand erfaßte, und in ihre Augen blickte, da war es ihm plötzlich als wäre sie eine Andere, etwas so Eigenes, so Fremdes war in ihrem Blick! „Gelt Du schreckst' Di Peter?" sagte lachend der Lois'l, „gelt s'Annerl is a bisserl magerer wor'n? Woaßt denn nit, daß d'Liab' zehrt? Ja ja Peter, s'Annerl und i, Ham uns z'samm'ng'sprochen und um Martini Ham mir d'Hochzeit!" Dunkelroth schoß'es ihm auf, dann drängte sich wieder das Blut zu seinem Herzen, so daß er kreideweiß dastand und es ihm die Sprache verschlug. So starrte er die Beiden eine Weile an, dann stieß er endlich die Worte hervor: „I muß glei wied'r in die Kasern, i muß bei'm Verlef'n drinn sei, Pfüat Enk Gott!" Er lief und lief, er wußte nicht wie er plötzlich auf seinem Bette lag, kalt und sinnlos, dann wieder fiebern, heiß, — und wie er nicht mehr denken, nicht mehr leben.! nur sterben, sterben wollte! Eine Schlacht wünschte eg sich herbei, so eine wie bei Sedan und alle Mitraillenseu der Franzosen auf sich allein gerichtet! Und dennoch erlag er nicht unter der Last seines Jammers! Er blieb bei Sinne» und kurze Zeit darauf arbeitete er wieder auf seinem Hof. Aber ein Anderer war er geworden. Finster, jähzornig, ungerecht und am meisten gegen den Loisl, der so rechtschaffen während des KriegS- jahreS seinen Hof verwaltet hatte. Und als sich bei einem entsetzlichen Streite der Lois'l zur Wehr setzte, sich an hm vergriff und dann in's Gefänaniß kam, da rieb er sich chadenfroh die Hände und frohlockte, daß nun s'Annerl o schnell nicht zum Heirath'n käme. Die Zeit flog dahin. Der Bauer blieb einsam, finster und verschlossen. Er ging den Menschen aus dem Weg. Er schaffte mit übermenschlicher Kraft, und er schrie und zankte, er sparte und häufte Geld auf Geld, und mit teuflischer Freude sah er, wie sich der Lois'l nach verbüßter Strafe abquälte, aber eS doch zu nichts brachte und wie Jahre vergingen bis er daS Annerl heimführen konnte. Er sah wie sie sich kümmerlich fortbrachten, wie ihnen bis auf den Jüngsten die Kinder wegstarben. Dann — wie sie den Lois'l hinaus auf den Kirchhof trugen, und vorige Woche daS Annerl denselben Weg ge tragen wurde! Und jetzt! Jetzt halste man ihm ihr Büberl auf, weil der Lois'l sein nächster Blutsverwandter war! — Da stand der Knirps, — mitten in seiner Stube und kaute mit vollen Backen an einem Apfel, den ihm die Kathel gegeben, hg stand er und schaute ihn noch immer so neugierig an. Der Apfel mußte dem Kleinen vortrefflich gemundet haben, denn jetzt schleckte er sich die zehn Finger ab. „Die Hand 'runt'r!" brüllte der Lindenbauer. Das Kind fuhr zusammen, sein kirschrother Mund verzog sich, die Hellen Thränen standen in seinen Augen. „Außi möcht i, i fürcht' mi!" schluchzte es und lief zur Thüre. Dieser Ausruf wirkte auf den Alten wie ein Schlag' in's Gesicht. „A Kinderschreck'n bin i scho! Hab's weitgebracht!" murmelte er, und lief auf das Kind zu, das sich um die Thürklinke zu erreichen, größer streckte. „Bleib' do Kloaner, i friß Di nit, brauchst Di nit z'fürcht'n!" War es der jetzt so warme Ton seiner Stimme, aus )em das Mitleid herausklang, — das Kind folgte ihn: zu seinem Stuhle und stellte sich vor ihm hin. S jeder strahlten ihm die tiefblauen Augen entgegen, wieder er- veckten sie Erinnerungen, die unter Thränen begraben ägen. „Also Peterl hoaßt Du?" srug er- „Ja Peterl, mei'm Muatterl, die jetzt im Himmel rob'n is, ihr liab's Peterl!" „So so, Deiner Muatter ihr liab's Peterl! Gelt die hat Di g'wiß recht viel gern g'habt!" „Freili! Freili! Auf ihr'n Schoß hat's mi g'setzt, hundert Busserl'n hat's mir geb'n und g'streich'lt hat's mi, siehgst so!" Und ehe sich der Lindenhofer versah, saß auch schon das Büberl auf seinem Knie und streichelte seine Wangen. „Du traust Di aber viel Peterl, fürchst Di denn jetzt nit mehr vor'm Vetter?" „Na na, Du sollst jo nur so bös ausschau'n, aber do a guat's Herz hab'n — hat mei Muatterl alle weil g'sagt, wenn D' bei uns vorbei ganga bist!" „So, so, und was Hot denn Dein Muatt'r no Alles g'sagt?" Der Kleine lächelte verschmitzt, senkte seine großen Augen und gab keine Antwort. „No Peterl schnell erzähl', was hat's denn Alles g'sagt?" „Mei Muatt'rl hat g'sagt, daß wenn der Herr Vetter lach'n müßt, er schnell nunter in Keller laufet, damit's koa Mensch siehgt!" Es war, als wollte der Bauer diesen Ausspruch zu Schanden machen, denn er lachte jetzt so herzlich, wie er seit jenem Unglückstage nicht mehr gelacht hatte. „So g'freust nn!" jauchzte das Kind, „so mag i Di, Vetter, so, wennst lachst dann will i Di liab hab'n, so viel liab!" Bei diesen Worten stellte sich das Peterl kerzeng'rad ruf des Vetters Knie auf, und hob seine Aermchen hoch. „So viel lieb!" versicherte es und streckte sich größer. „Dös is ja schreckst viel Liab!" lachte der Alte. Und die schenk' i Dir allemit'nand'r, aber nit mehr io schrei'n darfst, und nit so bös schau'n, gelt?" „Und der Knabe spielte nun mit des Alten Schnurr bart, zwickte ihn am Ohrläppchen, kitzelte ihn an der Nase und als der Vetter niesen mußte, da lachte das Peterl mit seinem silbernen Kinderstimmchen, in das sich ein kräftiger Baß mischte, und sie lachten daß es bis hinaus zur Kathel schallte, die gerade am Herd stand, und das Nachtessen zubereitete. Sie traute kaum ihren Ohren, sie lief herbei und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Lauf Kath'l" schrie der Lindenbauer, „lauf was d'kannst zum Kramer 'nüber und hol' das Schönst' und Best' was d'find'st!" Immer noch blieb die Grobmagd stehen und paßte. „No, wird's bald Kath'l? Laus' — denn woaßt der kloane Kerl do, will mi stab Ham, so hoch liab!" „Aber Peterl, — do bleibt jo für mi nix übrig!" meinte die Kath'l, aber sie lief rasch davon. Als sie hoch beladen zurückkam, da wußte sie nicht, wer mehr Freude an den guten Sachen hatte, der Alte oder das Kind. Aus her großen Düte reichte ihm der Lindenbaucr die Herrlichkeiten hin. Nun hielt daS Peterl in dem einen seiner allerliebsten Grübchenhände, einen schweren Reiter aus Marzipan, in dem andern einen königlich bayrischen Infanteristen aus '.ornblumenblauem Zucker. Wie das Kind so dastand, in den engen verwachsenen