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— 86 — mir unentbehrlich geworden, ich möchte sie in meiner Nähe wissen,- daS würde viel einfacher, viel natürlicher geklungen haben .Nun, Magda-, unterbrach der Freiherr ihren Gedanken gang, »bist Du nicht einverstanden?- „O, gewiß-, versetzte sie, noch immer zögernd: .ich hätte wohl gedacht, für Viola sei es bester, die Zeit ihres Braut standes in ländlicher Stille zu verleben, indessen wenn es Dein Wille ist — Du wirst jedenfalls das Richtige getroffen haben." Sie hatte erwartet, daß ihr Bruder in sie dringen würde, offen ihres Meinung auszusprechen, ihm ihre Gegengründe dar zulegen; doch nichts von alledem geschah. Ter Freiherr war augenscheinlich froh, diese Angelegen heit so rasch erledigt zu haben; er erhob sich nun und sagte: .Ich gedenke morgen zu reisen, vorher muß ich noch mit Viola Rücksprache nehmen. Ich habe vorher zu ihr gesandt, sie befindet sich wieder wohl und wird an unserem Frühmahle theilnehmen.- ,So rasch willst Du reisen?" fragte Magda, unangenehm überrascht. .Es geht nicht anders, Schwesterchen," sagte der Frei herr, ihr leicht über den welligen Scheitel streifend. .Eine Reise bei dieser Jahreszeit ist nicht sonderlich an genehm, besonders für Damen," wagte sie einzuwenden. .Keine Sorge! Wir Beide werden gesund und wohlbe halten in der Residenz anlangen,- versetzte der Freiherr in ettvas ungeduldigem Tone, .und nun gehe ich, Magda; Du wärest im Stande, mir durch Dein Wenn und Aber mein ganzes Reiseprojekt zu verleiden.- .Jch wollte, dem wäre so,- seufzte Magda bei sich, als sie sich wieder allein sah. .Ich weiß nicht, was es ist, aber eS liegt in Gerhard s ganzem Wesen etwas, was mir Angst und Besorgniß einflößt. Er ist sonst viel offener zu mir ge wesen !- Als Gerhard in das Speisezimmer trat, fand er Viola schon dort. Sie stand am Fenster und sah in die Winter landschaft hinaus. Mit einem langen, traurigen Blick umfaßte Gerhard die schlanke Gestalt des jungen Mädchens, dann sagte er mit kni ster, fester Stimme: .Guten Morgen!- Viola, welche daS Oeffnen der Thür überhört hatte, fuhr hastig vom Fenster zurück. Ein leises Beben ging durch ihren Körper, als sie sich mnwendend, seinen Morgengruß erwiderte. Der Freiherr trat langsam an sie heran. Viola trug »in dunkles Kleid, daS die tiefe Bläffe ihres Gesichts noch mehr hervorhob. Die langen, goldbraunen Locken barg ein Netz von dünner, schwarzer Seide, und das sonst an den Schläfen zierlich ge kräuselte Haar lag jetzt glatt auf der weißen Stirn. Tie großen Augen chatten einen matten, glanzlosen Blick und über das ganze feine Gesicht lag es wie ein düsterer Schleier gebreitet. Des Freiherrn Blick fiel aus ihre Hand; der Ring war von derselben verschwunden. Ueber seine bleichen Züge zuckte es flüchtig wie ein Blitz strahl hin, doch schon in der nächsten Sekunde hatte er seine Fassung wieder gefunden. .Ich habe Ihr Billet erhalten,- sagte er ruhig, .und ich danke Ihnen, daß Sie so rasch auf meine Vorschläge ein gegangen sind. Ich habe die Abreise für morgen festgesetzt — sind Sic damit riuverstauden?- .I« eher, desto besser,- stieß sie hastig hervor. .Und noch eins, — Magda braucht vorläufig von allen Dingen nichts zu wisse». Sie glaubt, daß Sie mit mir in einigen Wochen wiederkehren. Ich mußte sie täuschen, denn, — Sie werden es vielleicht lächerlich finden, aber ich bin über zeugt der arnic Rotteck bekäme einen Korb, wenn sie wüßte, daß meine Verbindung rückgängig geworden ist. Ich muß Magda so lange die Wahi heil verbergen, bis Sie Rotteck's Frau geworden - " er brach ab, denn draußen ward die Helle Stimme des Freifräuleins hörbar. Viola preßte die zarten Hände krampfhaft in einander. Sie war heftig erröthet, als Gerhard gesagt hatte: „Sie werden es vielleicht lächerlich finden," und schon hatte sie die Lippen geöffnet, um ihn zu unterbrechen, aber mit einer ge waltsamen Anstrengung hatte sie sich zurückgehalten. Auch jetzt sprach sie kein Wort; sie neigte blos stumm das Haupt und blieb regungslos stehen. Sie hatte ihm nichts zu sagen! mochte er von ihr denken, was er wollte; zwischen ihnen war Alles vorbei! Magda's Eintritt unterbrach dieses peinliche Zusammen sein. „Ach, Ihr habt gewiß schon Alles verabredet," rief sie, sich zur Heiterkeit zwingend, denn sie wollte ihren Bruder nicht zeige», wie schmerzlich sie diese Reise berührte. „Ihr habt da förmliches Komplott gegen mich geschmiedet, und ich Arme muß mich nun darein ergeben, einsam hier zu herrschen.,, Viola zwang sich zu einem matten Lächeln. „So schlimm ist es wohl nicht," sagte sie leise, „die we nigen Wochen werden bald vergehen, und dann —" Sie hatte hinzusetzen wollen: „und dann kehren wir wieder zurück," allein sie brachte die Lüge nicht über ihre bebenden Lippen. Stumm wandte sie sich ab, uni ihre Erregung zu ver bergen, und der Freiherr schlug rasch ein anderes Thema an, um ihr Zeit zu gebe», sich zu fassen. Man setzte sich zu Tisch, allein es war ein trauriges Frühmahl. Alle Drei waren herzlich froh, als es zu Ende war. Gerhard ging in jein Arbeitszimmer, und Viola eilte in den Park, um frische Luft zu schöpfen, wie sie sagte, in Wahr heit aber, um von allen den ihr lieb gewordenen Plätze» Ab schied zu nehmen, denn sie ging für NimmerivieVerkehr. Dichte Schneemassen deckten die zierlichen Blumeurvndells; an den entblätterten Lindenbäumen hingen lange glänzende Eiszapfen, und müden traurigen Blickes schaute Vwla um sich her. Wie rasch war doch alle Herrlichkeit entschwunden. Alles todt, Alles gestorben, Alles mit einer kalten Schnee decke überzogen, und so mar es auch in Ihrem Herzen. Sie konnte jetzt an Tonnberg denken, ohne daß ihr Herz lebhafter pochte, ohne daß ihr Blut rascher in den Adern pul- sirte — alles wärmere Empfinden für ihn war bloß Schein und Trug gewesen. Was nützte es, daß sie das jetzt erkannte, daß sie sich mit heißem Schmerz sagte, der Mann ihrer Liebe sei einzig und allein Gerhard und werde es auch immer bleibe». Zu spät, zu spät, — so schien es ihr von jedem blätter losen Ast zu winke», aus der ganzen, weiten Schneefläche zu tönen: zu spät, sie hatte ihr Glück verscherzt und konnte es nicht mehr wiedersinden. Gleich einer Nachtwandlerin kehrte sie ins Schloß zurück. Sie ging in ihr Zimmer und gab der Dienerin Befehl, ihre Sachen zu packen. Sie selbst sah nichts an, rührte nichts an. Sie nahm ein Buch und setzte sich in ihrem kleinen Salon an s Fenster. Allein sie las nicht. Ihre Blicke schweiften inimer »nieder über die weite Schneefläche hin. Sie gedachte der Zeit, da Alles grünte und sproßte, da die Rosen und Lindenblüthen so süß geduftet hatte n 87 da für sie langsam eine neue Welt aus dem öden, düsteren Chaos aufgetaucht war. Und die langen, traulichen Herbst- und Winterabende an seiner Seite — diese Stunden süßen ahnungsvollen Glückes — wie köstlich, wie wunderbar schön war doch diese Zeit des Hangens und Bangens gewesen. Und nun? Vorbei, vorbei für immer! Das Buch sank mit lautem Geräusch zu Boden, so daß die Dienerin im Nebenzimmer erschrocken empor fuhr. Viola erhob sich rasch, sie hatte die Augen voll Thränen. Sie trat an das Pianino, und ließ ihre Hände leise über die Tasten gleiten. „Zum letzten Mal," flüsterte sie traurig vor sich hin. Morgen nm diese Zeit war sie schon vielleicht weit — weit! Ein jäher, heftiger Schmerz erfaßte sie bei diesem Gedanken. Einen Augenblick, ja einen Augenblick lang hatte sie die Idee, sich Magda zu Füßen zu werfen, ihr Alles zu gestehen und um ihre Fürsprache bei Gerhard zu bitten. Sie wußte ja, daß sie nach dem Vorgefallenen seine Gat tin nicht mehr werden konnte, sie hatte ja auf dieses Glück verzichtet, allein er sollte sie nur nicht fortsenden, nur hier lassen, daß sie ihn sehen und sprechen könne. Sie wollte gut und geduldig werden und Alles über sich ergehen lassen, nur das Eine nicht, nur das Eine nicht! Sie ließ die Hände von den Tasten sinken und trat von dem Instrument zurück. Nein, nein, so weit war es doch noch nicht mit ihr ge kommen! Was sie verschuldet, das wollte sie muthig tragen, und wie auch das Ende sein mochte, schwach wollte sie sich niemals zeigen! Und mit eiserner Konsequenz führte sie auch diesen Ent schluß durch. Ruhig und unbefangen erschien sic bei der Mittagstafel, und sie brachte es sogar über sich, von der bevorstehenden Abreise zu sprechen. Sie verabredete mit Magda eine eifrige Korrespondenz und sprach davon, in der Residenz mit Gerhard recht oft das Theater besuchen zu wollen. Viola athmete aus tiefster Brust auf, als gegen Abend Rotteck kam und sie sich aus eine Stunde in ihr Zimmer schleichen konnte. Ungesehen, wie sie meinte, allein knapp vor ihrer Thür holte sie der Freiherr ein. „Vor einer Stunde erhielt ich dies für Sie," sagte er, ihr einen Brief überreichend. „Danke," murmelte sie, indem sie die Hand ausstreckte. Für einen flüchtigen Moment berührten seine Finger die ihren. Sie schauderte zusammen; seine Hand war so eisig kalt gewesen! Sie wandte sich hastig ab und öffnete die Thür; nur jetzt keine Schwäche zeigen! Drinnen blieb sie stehen und lauschte mit angehaltenem Athen«. Ruhig und gleichmäßig verhallte«« draußen im Korridor die Schritte des Freiherrn; er hatte nicht eine Sekunde ge zögert, um sich von ihrer Thür zu entfernen. Ein Gefühl der Enttäuschung beschlich Violas Brust. Wie stark er war, und doch hatte er sie so sehr geliebt! Der Brief zitterte in ihrer Hand, als sie an s Fenster trat, um die Aufschrift zu lesen. Doch die Dunkelheit war schon so weit vorgeschritten, daß sie die Schriftzüge nicht mehr unterscheiden konnte. Sie schellte nach Licht und wartete, bis die Dienerin das Zimmer verlassen hatte, dann erbrach sie das nach einem starken Parfüm duftende Schreiben. Es war von Tonnberg und in den glühendsten Aus drücken abgesaßt. Vor einer Woche noch würde sie diese wilde, exaltirte Sprache entzückt haben, heute hatte sie nur ein kaltes Lächeln für dieselbe. Was war aus ihr geworden? Welche Umwälzung war in ihr vorgegangen? Sie war doch für Bewunderung und Schmeichelei em pfänglich gewesen, sie hatte Gerhards tiefe, innige Liebe zu kühl, zu ruhig und besonnen gefundm — und jetzt? Sie war überzeugt, Tonnberg wäre im Stande gewesen, ihretwegen die größten Thorheiten zu begehen, während sie ebensogut wußte, daß Gerhard ihr zu Liebe auch nicht um Haaresbreite vom Wege der Pflicht gewichen wäre, und selt sam, sie fand dies jetzt erklärlich, während sich früher ihr ganzes Sein dagegen empört hatte, daß es für den Mann ihrer Liebe Dinge geben sollte, die ihn« höher stehen könnten, als ihre Gunst. Begriff sie nun, daß echte wahre Liebe nicht deS tändelnden Spieles flüchtiger Schmeicheleien bedarf, um als voll und wahr erkannt zu werden; daß das echte Gefühl sich weniger in Wor ten äußert, daß ein Blick, ein Händedruck genügen muß, um zwei gleichgestimmte Seelen eins werden zu taffen? Die Erkenntniß war ihr zu spät gekommen, und mit ahnungsvollem Bange«« sah sie nun in die Zukunft. Wenn die jetzt so heftig lodernde Flamme der Leidenschaft bei Tonn berg erlosch, was dann? Was kettete sie dann aneinander? Nichts, nichts! Ein leises, bitteres Lachen umspielte Viola's Lippen, als sie sich diese Antwort gab. Ein ganzes langes Leben lag vor ihr, und sie dachte jetzt schon an das Ende; ach, wie wird das Ende sein! Auch so einsam, so schmerzlich, so verbittert, als dasjenige ihrer Mutter? Sie fuhr hastig empor und schüttelte wild die Locken zurück. Die Einsamkeit ihres Zimmers erdrückte sie, sie muß fort unter Menschen — welch' thörichte Gedanken waren ihr da gekommen — an das Ende zu denken blieb ihr noch immer Zeit genug! Jetzt war sie jung und schön und sie wollte genießen, aus vollen Zügen das Leben uud die Gegenwart genießen! Die bittere Abschiedsstunde war vorbei; mit Thränen in den Augen halte Magda die Scheidende in die Arme geschloffen und liebevolle, milde Worte zu ihr gesprochen. Es waren Worte gewesen, die tief in Viola's Seele drangen, allein sie hatte sich vorgenommen, stark zu sein und keine Schwäche zu verrathen. Was sie litt, das brauchte Niemand zu sehen und am allerwenigsten er, der so ruhig und gefaßt dabei stand, als gelte es nicht einen Abschied fürs Leben — o, wenn sie nur eine flüchtige Sekunde lang hätte sehen können, was in seiner Seele vorging, was sein Herz bewegte — allein er verrielh sich nicht, mit keinem Blicke, mit keinem Worte, und selbst die ganze lange Fahrt hindurch blieb er sich gleich und oft überkam sie eine heiße Ungeduld, ihn zu reizen, aus sich herauszulocken, damit sie erkenne, ob und wie viel er ihretwegen litt. Man kam in der Residenz an; die Präsidentin Eckberg, eine stattliche, elegante Dame, empfing Viola freundlich und liebenswürdig. Sie nannte den Freiherrn mit Vorliebe ihren Neffen, obschon der Verwandtschaftsgrad, der sie ihm verband, ein viel zu entfernter war, um auf diese vertrauliche Bezeichnung An spruch zu machen.