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88 Es war eine wohlgeordnete, gemüthliche Häuslichkeit, in die Viola gebracht worden war, und sie hätte sich darin bald heimisch fühlen können, wenn die drückenden Erinnerungen nicht gewesen wären. Sie zitterte vor einen, Zusammentreffen mit Tonnberg, und um einem solchen zu entgehen, gab sie vor, unpäßlich zu sein und das ihr angewiesene Zimmer nicht verlassen zu können. „Dann muß ich Tonnberg's Einführung hier im Hause noch um einige Tage verschieben," hatte Gerhard ruhig er widert. „Ja, ich bitte darum," versetzte sie, und durch Gerhards Ruhe gereizt, fügte sie hastig hinzu: „Er kann mir ja schreiben, so ost er will." „Das wird ihn wenig entschädigen," gab Gerhard kühl zur Antwort, „er brennt vor Ungeduld, Sie als seine Braut begrüßen zu können." Viola biß sich in die Lippen, daß sie bluteten, allein sic sagte kein Wort. Zwei Tage später zeigte Viola Gerhard an, daß sie be reit sei, Tonnberg zu empfangen, und als der junge Mann kam, trat sie ihm mit freundlicher Liebenswürdigkeit entgegen. Tonnberg ergriff in überströmender Leidenschaftlichkeit ihre beiden Hände, die er stürmisch immer und immer wieder küßte, bis sie ihm dieselben nach einem verstohlenen Blick auf Gerhard entzog. Von nun an kam Tonnberg täglich: seine geschmeidige, einschmeichelnde Art hatte ihm bald das Wohlwollen der Präsi dentin gewonnen, die ihn von früher her nur flüchtig gekannt, und Viola fand sich bald in die Rolle der vergötterten, ange beteten Braut. Ihre Schönheit erregte Aufsehen überall, wo sie hinkam, und wenn sie ihr Glück in der Bewunderung der Welt suchen wollte, so konnte sie vollkommen zufrieden sein. Gerhard blieb drei Wochen in der Residenz; er hatte an Magda geschrieben, daß Viola für einige Zeit noch bei der Präsidentin bleiben werde und er daher allein heimkehre. Gerhards ganzes Betrogen kam Magda sonderbar vor, und sie nahm sich vor, ihn bei seiner Rückkunft offen um Alles zu fragen, denn sie wollte nicht länger jo im Dunkeln umher tappen. Für Viola war die so sehr gefürchtete Abschiedsstunde leichter geworden, als sie cs sich gedacht. Gerhard hatte in Abwesenheit der Präsidentin von ihr Abschied genommen, und dies in einer so raschen, hastigen Weise, daß sie erst zur Besinnung kani, als er schon fort war. Wenige Stunden darauf war sie dann mit der Präsi dentin zu einem Gesellschastsabende gefahren, sie war gefeiert, bewundert worden wie stets, sie hatte die neidischen Blicke der Frauen bemerkt, die an ihr hingen, wenn sie an Tonnbergs Arm durch den Saal schritt. Er liebte seine Braut so leidenschaftlich, daß er für keine andere ein Auge hatte, ec, der sonst einem Schmetterlinge gleich alle die schönen Frauen umflatterte! Sie wußte das, aber cs ließ sie kalt; war sie doch die Schönste unter den Schönen, die Gefeiertste unter den Ge° feierten! Sie hatte gescherzt und gelacht wie sonst, sie war heiter, übermüthig gewesen, vielleicht noch mehr als gewöhnlich, denn warum sollte die Abreise ihres Vormundes betrübend auf sie einwirken? Aber als sie nach dem glänzenden Feste nach Hause kam und dos elegante, blumengeschmückte Kleid von sich streifte, da kani sie sich arm, bettelarm vor! „Was soll mir der Tand!" ries sie bitter, indem sie den kostbaren Schmuck, ein Geschenk ihres Verlobten, achtlos bei Seite warf, „was soll mir der Tand — ich bin dennoch nicht glücklich!" Gerhard war nach Lindenhain znrückgekehrt; eS hatte ihm viel gekostet, seine Schwester zu überzeugen, daß es am besten sei, wenn Viola bis auf Weiteres bei der Präsidentin bliebe. Die Präsidentin hatte sich erboten, das Nöthige für Viola's Aussteuer zu besorgen, und bei solch wichtigen Ein käufen müsse doch auch die Brant zugegen sein. Das half, denn die praktische Magda sah ein, daß bei derlei Dingen doch Viola die erste Stimme haben müsse. Wohl bargen die hohen Schränke im Schlosse gar viel des weißen, ungefälschten Linnens, daß anch Viola im Uebersluß hätte davon haben können, allein die junge Welt will einmal nur das Neueste und Modernste an Fayon haben, und dann die Toiletten; so genügsam wie Magda war ja Viola nicht, sie mußte immer etwas Besonderes, Apartes haben, um ihre ohnehin außergewöhnliche Schönheit noch mehr hervorzuheben. Als Gerhard seine Schwester soweit gebracht hatte, daß sie für Viola's Abwesenheit hinreichende Entschuldigung sand, begann er darauf hinzuwirken, daß Magdas Vermählung mit Rotteck so bald als möglich stattfinde. Der gute Rotteck er leichterte ihm seine Aufgabe nach Kräften und genau zwei Monate nach Gerhard's Heimkunft aus der Residenz fand die Verbindung seiner Schwester mit Rotteck statt. Viola hatte zur Hochzeit kommen wollen und Magda's Anerbieten, bis zu ihrer Vermählung mit Gerhard bei ihr zu wohnen, dankend angenommen. Da, in letzter Stunde, kam ein Brief, Viola sei durch eine leichte Krankheit am Kommen gehindert. Magda that es leid, Gerhard's wegen. Allein Gerhard schien diese getäuschte Hoffnung leicht zu verschmerzen. Das Helle Glück leuchtete aus seinen Augen, als Rotteck Magda zum Altar führte. So waren diese guten, treuen Menschen doch endlich ver einigt, und damit hatte er sein Ziel erreicht. Er wollte gern einsam bleiben, wenn nur die Schwester an der Seite des ge liebten Mannes das Glück sand, das ihm versagt geblieben; und auch sie, die ihn so schwer getäuscht, mochte sie in ihrer Weise glücklich werden; wenn auch die Wunde noch schmerzte, er hatte ihr verziehen, und er wollte Vergessenheit suchen; vergessen, ja, das wollte er, wenn er es konnte. «Fortsetzung folgt.) Pfingsten. Im Schmuck der grünen Maien Prangt festlich jedes Haus, Und Kirchen und Altäre Ziert heut' ein Blumenstrauß. Die Erde ward zum Garten Voll Dust und Sonnenschein: O du, den wir erwarten, Komm, ziehe bei uns ein! Zieh' ein, du Geist des Glaubens, Von Stolz und Härte fern! Beschirme Christi Kirche Zur Ehre ihres Herrn! Mit deinem Hauch beseele Die schöne Frühlingswelt, Daß sie am eignen Fehle In Trümmer nicht zerschellt! Und du, du Geist der Liebe, Entflamme jedes Herz, Daß es in heil'gem Feuer Erglühe himmelwärts! Und Alles, was hinieden Ist edel, groß und gut, Das reis zu Glück und Frieden An dieser reinen Gluth! O heil'ger Geist, du Tröster In allem Kreuz und Leid, Erfüll' mit frohem Hoffen Die Brust uns jeder Zeit! Durch Erdenkampf und Sorgen Leit' uns mit deinem Licht, Bis einst der ew'ge Morgen Durch irdisch Dunkel bricht! Druck von Langer L Winterlich in Riesa. Für die Redaktion verantwortlich: Herm. Sqmtdt in Riesa. Erzähler an -er Elbe. Belletrist. Gratisbeilage M» „Riesaer Taaeilatt". «r. wi »les«, »m I. JmU »«»». >8 S»»» Pflicht «nb Liebe Roman von C. Wild. (Fortsetzung.) Da pochte es leise an ihre Thür. Wie von einem elek trischen Schlage getroffen sprang sie empor. Sollte er? Wenn dies möglich wäre! Beide Hände fest aus das stürmisch klopfende Herz gepreßt, stand sie lauschend da. Ach, es war nur Mag da's Stimme, welche um (Anlaß bat. „Viola, Sie müssen etwas genießen, Sie dürfen nicht so allein bleiben; öffnen Sie, ich gehe nicht früher fort von hier." Langsam ging sie zur Thür und öffnete. Magda trat ein: mit ängstlichen Blicken sah Viola zu ihr auf. Wußte sie schon? — Ach nein, sie wußte nichts; denn sie erzählte ganz unbefangen, daß Gerhard hatte ins Städtchen reiten müssen und erst spät am Abend zurückkehren werde. Der arme Bruder, auch er sehe heute so bleich und an gegriffen aus! Viola wandte ihr Gesicht ab: sie fühlte, daß eine bren nende Röthe ihre Wangen überzog. „Ich habe furchtbaren Kopfschmerz, der mich jedes Ge dankens unfähig macht," sagte sie matt. Magda brachte hilfsbereit ein Hausmittel in Vorschlag, aber Viola lehnte Alles ab. Sie war froh, als Magda sich endlich entfernte, denn es kostete ihr eine übermenschliche An strengung, eine ruhige, gleichgiltige Miene zur Schau zu tragen. Wenige Minuten nach Magda's Entfernung kam die alte Dienerin; sie brachte eine Erfrischung sür Viola und ein Billet von dem Freiherrn, welcher unvermuthet rasch nach Hause gekommen war. Viola erbebte, aber sie zwang sich zur Fassung. Sie kostete etwas von den Speisen und ließ sich dann von der Dienerin bei der Nachttoilette Helsen. „Sie können jetzt gehen," sagte sie dann ruhig, ich brauche für heute nichts mehr." Das Billet lag noch immer unberührt auf der kleinen silbernen Platte, selbst als die Dienerin schon längst das Zimmer verlassen hatte. Endlich, endlich erbrach Viola das Siegel, sie wußte, daß sie keine gute Botschaft erhalten würde. Mit starrer, eisiger Ruhe überflog sie das Billet; bann überlas sie es langsamer noch zwei- — dreimal. Ihre Augen flammten, und auf ihrer weißen Stirn zeigte sich eine düstere Falte, aber kein Laut, kein Seufzer entschlüpfte ihrer Brust. Sie stand langsam auf und suchte den Brief ihrer Mutter hervor. Beide Briefe fest in ihrer Hand ballend, schritt sie zu dem Ösen — eine Sekunde des Zögerns noch — dann hatte sic die Papiere den Flammen übergeben. Der Wiederschein des Feuers breitete eine rosige Gluth über ihr Antlitz, als sie so sinnend dastand, finster in die hoch auflodernden Flammen starrend. „Vorbei," sagte sie mit dumpfer Stimme, als die jähe Gluth mit einem Male erlosch — ein leises Flimmern, ein cises Knistern, das letzte Nestchen Asche sank in sich zusammen l — jede Spur der beiden Briefe war verweht — und mit ihnen das erträumte Glück! Viola richtete sich hastig empor und strich sich da- wirre Gelock von der Stirn. „Und nun will ich ein neues Leben beginnen," sagte sie entschlossen zu ihrem Schreibtisch schreitend. Mit fester Hand ergriff sie die Feder und schrieb die wenigen Worte nieder: „Ich willige in Alle- ein. Geben Sie ihm brieflich mein Jawort — doch will ich ihn erst in der Residenz Wieder sehen. Viola." Sie hatte dennoch ihre Kräfte überschätzt, denn kaum hatte sie das Schreiben geschloffen, al» sie eine plötzllche Schväche über sich kommen fühlte. Wankend erreichte sie ihr Lager, auf welches sie halb ohnmächtig niedersank. So lag sie lange regungslos gleich einer Tobten, dr ein kalter Schauer ihre Glieder erbeben machte. Fröstelnd hüllte sie sich fester in ihre Kiff«, und eine bittere, schmerzliche Thräne rollte langsam über ihre Wangen herab. Sie fühlte es, in dieser Stunde hatte sie ihr Glück be graben. Am nächsten Morgen trat der Freiherr in da- Zimmer seiner Schwester. Magda in ihrem hübschen, einfachen Hausanzuge stand bei dem Blumentisch und ordnete sorgfältig einige Blattpflanzen» die ihr soeben der Gärtner gebracht. „Ah, Gerhard, guten Morgen!" sagte sie freundlich, de« Bruder etwas erstaunt anblickend, denn Gerhard'- Besuch zu dieser Zeit war eine große Seltenheit. „Ich habe mit Dir zu reden, Magda," sagte der Frei herr, indem er sich in eine Ecke des DivanS so setzte, daß Magda sein Gesichtszüge nicht deutlich sehen konnte; „laß Deine Lieblinge und widme mir eine ViertÄftunde." Magda verließ den Blumentisch und nahm an seiner Seite Platz. „Ich höre," sagte sie, ihn aufmerksam anblickeud. „Ich muß Geschäfte halber in die Residenz," begann Gerhard mit ruhiger Stirime. Nur er allein wußte, was ihn diese Ruhe kostete. „Und da habe ich mir denn gedacht, es sei das Beste, Viola mitzunehmen und sie bei der Präsi dentin Eckberg zu lassen; sie soll ihre Mädchenzeit genießen, so lange cs geht, und ich bin überzeugt, daß mein Vorschlag bei ihr volle Billigung finden wird." Magda blickte ihren Bruder forschend au; so viel sie unterscheiden konnte, waren seine GefichtSzüge ruhig, aber in seiner Stimme lag ein kalter Ton, der ihr uicht gefiel. „Du willst Viola für längere Zett in dem Haust der Präsidentin kaffen?" fragte sie nach einer Weile beklommen. „Bewahre! Allein, mein Aufenthalt in der Residenz kann sich vier Wochen ausdehnen, und weshalb sollt« ich ihr da nicht die Freude gönnen, an meiner Sette die Sehenswürdig keiten einer Großstadt kennen zu lernen. Im Uebrigm ist sie ja bei der Präsidentin in dm besten Händen." Der Ton des Freiherrn klang diesmal so harmlos, daß Magda ihre Bedenken schwanden. Und doch! wmn er gesagt hätte: „Viola's Uwgang ist