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1. Beilage ;«m „Riesaer Tageblatt". Rotationsdruck und Verlag von Langer L vlnterltch in Riesa. — Für die Redaktion verantwort««-, Arthur Hühnel in Riesa, n " Ton«,send, 2. Rirj 1912, abeudS. «s. Aahrg. vkl MS v« iie «Mt klnitenq TAB. In Nr. 49 deS „Tag" veröffentlicht Karl Peter» (London) einen Aufsatz, der in weitesten Kreisen berech tigte» Aufsehen erregen dürfte, zeigt er doch, wie denr nahen Beschauer der englischen Politik Dorgänge er scheinen, die in Deutschland die Urteilskraft so mancher Zeitungsleser zu verwirren vermochten. Wir greisen aus seinen Ausführungen baS Wichtigste heraus: Lord Haldane reist nach Berlin. Was für Vorschläge er hinüberbrachte, ist weder hier noch drüben gemeldet. Deutschland und Großbritannien sollen gleiche Interessen in Persien und China haben. Ties ist am Ende eine Phrase, um die der Kriegsminister sich nicht nach Berlin zu bemühen brauchte. Beide Staaten wollen gegenseitige Spionage verbieten. Tas werden am Ende zu jeder Zeit höfliche Staatsmänner irgend zweier Länder sich erklären. Lord Haldane wolle einen Vorschlag machen, die Walfisch bucht gegen eine Grenzregulierung, also wohl am „Ca- privizipfel", auszutauschen. Tas kommt ein wenig zu spät- nachdem Deutschland an hundert Millionen aus Swakopmund und die Bahnen von dort ins Innere verwendet hat. Recht banale Kombinationen! Arrange ments über den Flottenbau ließen sich zwischen zwei Großmächten nicht verabreden, belehrt bei dieser Ge legenheit die Londoner Presse. Vor einigen Jahren, plau dert die „Pall Mall Gazette" aus, habe man in der Tat eine Vereinbarung in dieser Richtung getroffen. Wirk lich habe die deutsche Admiralität die authentischen Zif fern des kommenden JähresbudgetS an die Admiralty in London übersandt. Lord Macnamara habe diesen Ziffern entsprechend auch nur vier Dreadnoughts be stellt. Aber er habe die deutschen Angaben für unwahr gehalten und deshalb neben diesen offiziellen gleich vier geheime Kiele legen lassen. So seien es acht geworden. Am Ende des Jahres aber habe er sich überzeugen müs sen, daß die deutschen Ziffern doch wahr gewesen seien. Eine rührende Geschichte! Mit solcher Kenntnis berührte hier recht wunder bar die Aufnahme, die der englische Abgesandte in Ber lin sand.. Anstatt ihn. kühl und höflich an sich kommen zu lassen, riß sich die höchste Gesellschaft des Deutschen Reiches geradezu um ihn. Cs schien, daß man cS nicht eilig genug haben konnte, den imponierenden Eindruck, den die .Haltung des deutschen Volkes im vorigen Herbst hier In der Tat gemacht hatte, so gründlich! wie möglich in Großbritannien zu Verwischen. Man nahm ihn auf, als wenn sein Besuch dringend ersehnt sei. Als ob irgend jemand Eindruck machen könnte in Großbri tannien durch schwächliches Nachrennen! Tatsache ist- daß in diesem Lande die Empfindungen gegen Deutschland gerade in der letzten Zeit ausgespro chen an Kälte und Feindseligkeit durch die ganze Ration zunehmen. Mr. Winston Churchill in Glasgow und nicht Lord Haldane war der wirkliche Offenbarer der britischen öffentlichen Meinung. Zwei britische gegen einen deut schen Kiel und entsprechend mehr Mannschaften» und, wenn Deutschland die Race nicht aufgibt, Vergrößerung dieses Zwischenraumes, daS ist die Politik, welche die liberale Regierung ankündigt und das Land ausführen wird. Weshalb Churchill dies Programm urbi et orbi verkündete, während Haldane in Berlin Friedeusschal- meien blies, weiß er selbst am besten. Mr. Churchill sprach die Meinung aus, daß Deutsch land, mit der Sozialdemokratie als belastendem Mo ment, die angespannte Konkurrenz mit diesem Lande nicht werde durchhalten können. Im großen und gan zen war seine Rede drohend und plump, wie England zu den Zeiten der Väter zu sprechen liebte, und nicht ge eignet, ein stolzes Volk zu gewinnen. Sie wär'eine ver besserte Auflage der Rede Lloyd-Georges vom vorigen Sommer. Daraus antwortet man nicht mit Worten, son dern mit Taten. In diesem Fall mit der Durchführung unseres eigenen FlottenplaneS und einer unbekümmer ten auswärtigen Politik. Ueberhaupt ist Großbritannien dasjenige Land, wo sich höfliche Reden am »venigsten lohnen, das aber rücksichtsloses Handeln sehr schnell versteht. ES ist nämlich für einen Defensivkrieg großen Stils so außerordentlich, schwerfällig vorbereitet. Tas weiß sicherlich auch Winston Churchill, und die Glas gower Rede war einer seiner dreisten Bluffs. Wie es keinem Zweifel unterliegen kann- daß ein gut Teil der Anglophobie in Deutschland dem prätentiösen Auftreten einzelner Engländer drüben zuzuschreiben ist, so muß ich wiederholen, daß eine Ursache für die Gering schätzung, mit welcher unsere Landsleute vielfach von den Engländern eingeschätzt werden, in der Anglomanie von Deutschen besteht. Von solcher Anglomanie gibt mir jeder Besuch in Deutschland neue Beweise. Ceterum censeo! Dies Sich-an-den-Hals-werfen muß den selbstbewußten Bewohnern Albions naturgemäß Verachtung einflvßen. Wenn acht Deutsche zusammen mit einem Engländer am Tisch sitzen, radebrechen sie alle Englisch Sie drängen sich zu seiner Bekanntschaft. Sie zwingen ihn geradezu, unser Volk als eine niedere Rässe zu betrachten, etwa Wie Botokuden oder MänjemaS. Ich kann leider diesen Punkt bei meiner Besprechung des Verhältnisses der bei- den Nationen niemals umgehen. Sollte es wirklich ganz hofsnungslvS sein, hier eine Wendung zu. schaffen? Wenn das der Fall ist, dann nützt auch alle überlegene Leistung im Krieg und Frieden nichts wesentliches. Da Sn« Mc« Mc> ni w Mei. Die Konstantinopeler Blätter widmen her Bermitte- lungsäktion der Mächte in scharfem Tone gehaltene Kommentars und sind sich im allgemeinen darin einig, däß die Tiirkei eine Intervention unter den jetzigen Umständen auf keinen Fall annehmen dürfe. Tas Blatt „Tanin" ist der Ansicht, daß die türkische Regierung energisch alle Vorschläge ablchnen müsse, die aus der Grundlage der Annexion Tripolitaniens und der Cyrc- naika durch Italien beruhen. Tas Blatt „Jeune Ture" erklärt, daß die Aufgabe Tripolitaniens seitens der tür kischen Negierung eine allgemeine Revolution nach sich ziehen- einen Bürgerkrieg heraufbeschwören und ernste Komplikationen verursachen würde. Der offizielle Ausweisungsbefehl der türkischen Ne gierung, der dahin geht, daß nunmehr sämtliche ita lienischen Untertanen aus Syrien und Palästina ausge wiesen werden sollen, ist in Beirut eingctroffcn. Tie dortigen Behörden treffen alle Vorbereitungen, damit die Italiener in vierzehn Tagen das Land verlassen. Enver Bey meldet, daß die Türken und Araber die von den Italienern erbaute Befestigung von Giuliano, eine halbe Stunde Von Benghasi erstürmten und 200 Ita liener töteten. Tagesgeschichte. Die grössten Schiffsgeschütze der Wett von Krupp. Nach Mitteilungen der Kruppschen Werke sind dort, wie der Korrespondenz »Heer und Politik" aus Marine kreisen berichtet wird, zwei neue Schiffsgeschütze fertig gestellt worden, die selbst! die großen 35,6 Zentimeter-Ge- Lvnvdten 8ie, bitt«, meine Lavürmnnätzn-Vekorntion kür Lnnbeo nnä Uäckvkvn vuredsiebt ävs I-sßvrs undväivgt Iviinenä. Kosen und Dornen. Roman von Arthur Zapp. 60 Am andern Morgen war Else, wie immer die erste, die ausstand. In ängstlicher Spannung durchflog sie die Zeitun gen. Es war, wie sie eS nach dem Ausfall der Premiere nicht anders erwartet hatte: Die Zeitungen konstatierten einen hal ben Mißerfolg. Selbst die wohlwollenden Blätter gingen mit dem Autor streng ins Gericht und konstatierten, daß er auf seinen Lorbeeren geschlafen habe, anstatt sich nach seinem ersten, großen, vielversprechenden Erfolg verpflichtet zu fühlen, nun erst recht alle Kräfte anzustrengen und nach dem Höchsten zu streben. Dazir scheine ihm aber der Ehrgeiz zu fehlen, jeden- falls habe" er nachlässig gearbeitet, und anstatt in seinem neuen Werk einen Schritt vorwärts zu tun, sei er zurück gegangen. Einige der Zeitungen, deren Rezensenten sich in schonungslosen, krassen Urteilen gefielen, schlugen eine noch weit schärfere Tonart an, sprachen von Lotterei und Größen wahn, dem jede Selbstkritik abgehe. Else fühlte, wie ihr die Röte heißer Scham in die Wan gen stieg und wie ihr Blick sich dunkelte unter den auf steigenden Tränen. Hastig raffte sie die Blätter mit den gar zu derben Absprechungen zusammen, um sie zu verstecken. Arno schien etwas mißlaunig; als er eintrat, faßte er sich mit schmerzlicher Gebärde an die Stirn. Im übrigen trugen seine Mienen noch immer daS unverwüstliche Selbstbewußtsein zur Schau, das Else in der Nacht bei seiner Heimkehr so sehr überrascht hatte. AIS er die Zeitungen auf dem Tisch erblickte, leuchtete es in seinen Augen. „Na, was sagen sie zu der Premiere?" rief er Else ent gegen, ans die Blätter deutend. „Hoffentlich lesen sie den Neidern und Intriganten ordentlich den Tert?" Else zitterte im stillen. Wieder regte sich das Mitleid in ihr mit dem Ahnungslosen, und sie trat mit impulsiver Be wegung hinter Arnos Stuhl. Er entfaltete ruhig das oberste der Blätter. Als er ein paar Zeilen gelesen hatte, machte er eike Bewegung des Widerwillens und warf das Blatt verächtlich zur Seite. «Auch einer, der mit zu dem Komplott gehört!" meinte er und griff nach der nächsten Zeituna. Mit entschlossener Gebärde trat sie auf ihy zu. „Du bist ungerecht, Arno!" Er drehte sich heftig zu ihr herum. „Ungttecht? Gegen wen? Gegen die Kritikaster etwa?" l^e'bemerkte, wie er zusammenzuckte, wie ihm die Glut des Aergers und der Entrüstung ins Gesicht schlug. „Du machst gemeinschaftliche Sache mit meinen Feinden?" schrie er zornig. „Du stimmst ihnen bei, wenn sie mich her- unterreißen und behaupten, mein Stück sei ein elender Schmar ren? Du, meine Frau? Wirklich köstlich!" Ein gellendes Hohngelächter folgte, und mit bösen, fun kelnden Blicken sah er sie an. Sie erschrak und zuckte innerlich zusammen. Aber sie kämpfte ihr Widerstreben, ihre Furcht tapfer hinunter. „DaS haben sie nicht getan, Arno," entgegnete sie ruhig und fest, wenn auch sanften Tones. „Sie haben nur getadelt, daß Du nicht strenger gegen Dich gewesen und nicht das Beste gegeben, was Du vermagst, daß Du mit Deinem neuen Werk hinter den früheren zurückgeblieben bist." Der Dichter zupfte nervös an seinem Schnurrbart; in sei nen Ziigen wühlte und vibrierte es. „Also Du meinst auch, daß mein neues Schauspiel nichts Sie tat einen tiefen Atemzug und sagte dann entschlossen und ernst: „Ja, Arno, die Empfindung habe ich gehabt, daß es stellenweise matt und wirkungslos war." Sie stand ihm dicht gegenüber, aus ihren Blicken sprach eine innige, beredte Bitte und eine ehrliche Ueberzeugung. Sie erhob die ineinan dergeschlungenen Hände zu ihm: „Sei gut, Arno, komm doch zu Dir! Höre nicht auf die Schmeichler, die Dein Urteil verwirren, und die Dich noch zu Grunde richten werden. Sei doch gerecht und erkenne doch die Gründe Deines gestrigen Miß erfolges !" Ihre Bewegung riß sie hin, noch leidenschaftlicher in ihn zu dringen und einmal alles das, was sie beobachtet und in Stunden stillen Nachdenkens erkannt hatte, zum Aus druck zu bringen. „Sieh, Arno, Dein Beruf ist ein schwerer, und wer sich ihm nicht mit ganzem Herzen, mit allen Sin nen, mit ganzer ungeteilter Kraft hingibt, wird nie da» Höchste erreichen." LS8,2ü Als er alle, so viele ihrer auf dem Tisch von Else zurück gelassen worden waren, durchflogen hatte, sprang er wütend auf. „Solch eine Bande!" schrie er. „Elende Berleumderge- sellschaft! Das Gewürm müßte man — mit dem Fuße müßte man's zertreten. Aeh, pfui! Aber sie werden mich nicht ducken. Das kriegen sie mit all ihrem Gift nicht fertig. DaS Publikum wird sie auSlachen, die Neidgeschwollenen. Absprechen, das ist keine Kunst, das bringt jeder Esel fertig. Aber was Po sitives leisten, produktiv sein, das ist die Sache. Himmel hoch stehe ich doch über den giftigen, über den armseligen, impotenten Kerlen!" Er blieb vor dem großen Pfeilerspiegel sieben, in selbst bewußter, seine stolze Ueberlegenheit auSdrückenber Pose, .die Hand in den Ausschlag seines Rockes gesteckt. Irr stiller Aufregung sah ihm Else zu. In ihrer Brust rangen widerstreitende Gefühle miteinander. Sollte sie ihn in seinem Wahn lassen, der ihn vor dem beschämenden Bewußt sein der eigenen Schwäche und Unzulänglichkeit zu bewahren schierr und über alle Zweifel, Kämpfe und nieoerziehxnden Empfindungen hinaushob? Aber der Abscheu vor der Lüge, daS angeborene Gefühl der Wahrhaftigkeit widersprach heftig in ihr. Daneben erhob sich ein warnendes Bedenken. Würde ihm nicht die Möglichkeit, sich aufzuraffen und Besseres zu leisten, abgeschnitten, wenn matt ruhig zusah, wie er sich immer tiefer in die Lüge verstrickte, wie er in eitler Ver blendung und Selbstanbetung jede Selbsterkenntnis, jede Selbst kritik und damit ja die Fähigkeit verlor, sich von seinen Fehlem zu befreien und an sich zu arbeiten und sich zu vervoll kommnen? Sollte sie sich zur Mitschuldigen der gewissenlosen Freunde machen, die aus Bequemlichkeit und falscher Rücksichtnahme oder aus Falschheit und egoistischen Motiven ihm einredeten, daß er vollkommen sei, und daß alle, die an ihm Kritik zu üben wagten, von Neid und Mißgunst geleitet seien? War eS nicht gerade ihre heiligste Pflicht, gegen ihn wahr zu sein und ihn auch vor sich selbst zu schützen? Stand ihm einer näher als sie, und war sie als seine Frau nicht dazu berufen, verpflichtet, ihm über sich selbst die Augen zu öffnen, unbe kümmert darum, obste ihm ein augenblickliches Unbehagen und sich selber Verdruß bereitete?