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Gold und Silber Und Von brasilianischen Hausern, aus denen ein Mädchenkopf herausschaute, bald schön wie eine Fee, bald häßlich wie ein Ungeheuer. IN Nizza angekommen, beschloß er, den halben Tag, den er noch für sich allein hatte, auszunutzen und Montecarlo zu besuchen- um sich zu zerstreuen und die durch die un geduldige Erwartung verursachte Langeweile zu ver treiben. Tas Spiel war im vollsten Gange, besonders an dem Tische in der Mitte, von welchem von Zeit zu Zeit laute Rufe und Helles Lachen erschallten, die die näselnde und monotone Stimme des Croupiers über tönten. Gleichsam wider Willen von dem für ihn neuen Schauspiel angezogen, erhob sich Georg von seinem Sitze und näherte sich den Spielern. Aus dem Benehmen und den Blicken der andern erkannte er bald, daß sich das Hauptinteresse des Spiels auf eine anmutige junge Dame konzentrierte, die, in einen perlgrauen Rcisemantel cingehüllt, sich durch die Verwegenheit und das Glück ihres Spiels bemerkbar machte. i Georg näherte sich ihr. „Rouge!" sagte soeben der Croupier, und die schöne Fremde strich von neuem einen Haufen glänzender Goldstücke ein. AIS sie bemerkte, daß Georg sie neu gierig beobachtete, wandte sie sich lächelnd an ihn mit den Worten: „Es ist bereits das vierte Mal, daß ich auf Rot gewinne!" ! „Ter beste Grund, das Spiel abzubrechen und sich davonzumachen," erwiderte Georg. „Nur noch ein einziges Mal! Ich bin gerade so sehr vom Glück begünstigt." Tas Rouletts drehte sich. „Noir!" rief der Croupier. Verloren! Tie Tarne nahm die Geldstücke, die ihr übrig geblieben, und ging der Türe zu. Nach kurzem Zögern folgte ihr Georg; die Tame übte einen sonder baren Reiz auf ihn aus. „Ich habe Ihnen Unglück gebracht," sagte er, „und muß Sie um Verzeihung bitten." „Jin Gegenteil," antwortete sie lächelnd. „Sie haben mir einen guten Rat gegeben, und ich habe ihn nicht befolgt. Nun bin ich dafür bestraft. Uebrigens," fuhr sie mit leichtem Achselzucken fort, „ist es immer so bei mir: die ersten Male gewinne ich und verliere beim Schluß." Sie schritten nebeneinander durch eine der Alleen des prächtigen Parks. „Spielen Sie oft?" fragte Georg. „In Montecarlo habe ich noch nie gespielt, aber in Brasilien sehr oft. Tort spielen alle." "Georg blickte sie mit lebhafter Verwunderung an. „Sie kommen aus Brasilien?" „Ja, aus Rio de Janeiro," bestätigte sie. „Und »roher kommen Sie?" „Aus Rouen," sagte er. Diesmal war es die junge Dame, welche ihn an scheinend mit großem Interesse anblickte. „Sie spielten in Rio de Janeiro!" fuhr Georg fort. „Sic spielen wohl gern?" „O ja," erwiderte sie, und gleichsam für sich fügte sie hinzu: >,Schade, daß dieser alte Blanchard mich nicht hingehen läßt, zu spielen, wo ich will." Blondin kam es vor, als ob er träumte. Brasilien, Rio de Janeiro, Blanchard und diese da! Und sie nannte ihn den alten Blanchard". Eine schöne Kindesliebe! „Bleiben Sie längere Zeit in Montecarlo?" fragte seine Begleiterin. - -Za oder vielmehr nein!" antwortete er ganz ver wirrt. Bor ihnt begann ein Bild aufzutauchen und Gestalt zu gewinnen: seine Cousine n-ar hübsch, geistreich, sie gefiel ihm." Ohste Zögern würde er dem Willen seines Onkels gehorchen. Mer hier muß diplomatisch vorgegangen werden, dachte er bei sich Ich mache ihr den .Hof, suche, mich chr angenehm zu machen, und erkläre ihr schließlich meine Liebe. So wird es statt einer Vernunftheirat eine .Neigungsheirat. Sie wird glücklich sein, der Onkel zu friedengestellt, und ich mache nicht die jämmerliche Figur- mich aus den Befehl eines andern zu verheiraten. -Mein Fräulein!" fuhr er fort. >,Sie sprechen für eine Brasilianerin ausgezeichnet französisch Und sagen Sie, sind denn alle Brasianerinnen so hübsch wie Sie?" Tiefe Frage war von einem eigentümlichen Blicke begleitet. -,Mer," sagte sie errötend, „ich weiß wirklich nicht.." -,Jä- Ihr Anblick flößt mir Vertrauen ein," unter brach er sie. „Ich muß Ihnen etwas bekennen: Es mag Ihnen sonderbar erscheinen, aber ich habe immer eine gewisse Vorliebe für die Brasilianerinnen gehabt. Anfangs hielt ich das für eine fixe Idee, aber heute" — und dabei warf er ihr wieder einen eigentümlichen Blick zu — -.heute werde ich gewahr, daß ich recht hatte." Auf dieses Kompliment sagte die Tame ohne weite res: „Wollen Sie mir Ihren Arm reichen? Ta Sie so nett sind, erlaube ich Ihnen, mich bis zu meinem Hotel zu begleiten." „Greis zu!" dachte Georg freudestrahlend. „Nur Mut, und wir sind am Ziel!" Sie gingen einige Schritte weiter. -Mein Fräulein," begann er darauf, „ich habe noch nie ein weibliches Wesen kennen gelernt, für das ich größere Sympathie gehabt hätte als für Sie. Gestatten Sie, daß ich Ihnen nicht nur meinen Arm, sonvcrn auch mein Herz und meine Hand anbiete. Mein Fräulein, ich — liebe Sie!" -,Wie?" sagte sie, sich plötzlich seinem Arme ent windend und ihn mit einem halb erstaunten, halb lächeln den Blicke anschauend. „Aber, mein Herr, ich kenne Sie ja nicht einmal. Sagen Sie mir wenigstens, wer Sie sind- und erlauben Sie, daß auch ich mich Ihnen vorstelle. Ich bin . . ." -.Ist nicht nötig!" rief Blondin triumphierend. „Ich kenne Sie bereits, mein verehrtes Fräulein, Sie sind Fräulein Lucie Blanchard!" Langsam, fast zögernd kam die Antwort: „Ich? Ich — Fräulein Lucie? Nein, mein Herr, Sie irren sich,- ich bin ihre Kammerjungfer!" Welche Gefühle bei dieser Erklärung Georgs Herz durchbcbten, darüber decken wir lieber mitleidig den Mantel der christlichen Liebe. Nur das wollen wir noch verraten, daß die Fortsetzung von Georgs Abenteuer weniger unangenehm war als sein Anfang. Er ließ sich von dem netten Kammerkätzchen in aller Form absolutes Stillschweigen über ihre sonderbare Begegnung geloben und reiste sofort nach Nizza- wo er in Onkel Policarp einen liebenswürdigen alten Herrn kennen lernte und in der echten Lucie eine Braut sand, lieb licher und verführerischer noch als jene in Montecarlo. Denk- uvd Sirrns-rüche. Ein wahrhaft gebildeter, feinfühlender Mensch wird nie einen Unglücklichen von seinem Unglück unterhalten. Ein großes Unglück trägt der Mann mit Stolz, doch uner träglich ist das kleine Elend. Badenstedt. Nicht Genießen und Erringen ist der Zweck des Lebens, son dern Nützen und Vollbringen. Wilhelmine von Hillern. Wahrhaft große Männer sind immer einfach — ihr Betragen ist immer ohne Kunst und ohne Schminke. Dieweil das Leben kurz, so ist Nicht Zeit zum Fürchten und zum Weinen! Der Arbeit viel — di« Stund« rinnt So schnell dahin, o eile, eile! Was man dem Leben abgewinnt Verkürzt dem Tod« seine Teile. Für die Redaktion verantwortlich: Arthur Hähne!, Riesa. ErMler an der Elbe. Belletr. Gratisbeilage ;«m „Riesaer Tageblatt". Nr. 9 Mein, Lea 2. MSr; 1912 8». A-Hr» Ostprciitzischc Sauerkirschen. Erzählung von Käthe Becker. Fortsetzung. „Wort reden? Nein- ich bin nur gerecht. Alle Menschen müssen sterben, selbst die größten. Und das da war ein alter Mann, der sich, ehrlich gesagt, nun doch schon ein bißchen überlebt hatte." Huh! Alle fuhren sie aus den unbedachten Redner los. Ter Assessor blickte in die Rnnde. Dieser einmütige Angriff gegen ihn wegen seiner Bemerkung über Bismarck setzte ihn doch ein wenig in Erstaunen. Sein Schwiegervater in spe saß wie eine drohende Gewitter wolke da. Er färbte in dieser Stimmung auf seine ganze Umgebung ab, sogar Frau Renniger stand diesmal voll kommen auf seiner Seite. Es war also klüger, der augenblicklichen allgemeinen Empfindung Rechnung zu tragen und alle Kritik schweigen zu lassen. -,Tie Herrschaften nehmen immer alles zu persön lich," lenkte er mild verweisend ein. -Ich selbst empfinde natürlich das Hinscheiden des großen Mannes auch schmerzlich." In diesem Augenblicke trat mit etwas lärmend lautem Gruß ein stattlicher, älterer Herr an den Tisch und entpuppte sich als einstiger Regimentskamerad und früherer Gutsnachbar von Grabenthiens, der gestern hier angekommcn, und durch die Kurliste auf die Spur des Jugendfreundes geleitet war. Darüber gab es dann ein Freuen und Erinnern und Reden. Am Abend dieses schicksalsschweren Tages nahm Friedrich Otto die Mutter beiseite, drückte ihr leiden schaftlich die Hand und sagte mit von-himmlischem Jubel durchbebter Stimme: „Mutti, sieh mich mal an, wie komme ich Tir vor?" - . Frau von Grabcnthien erschrak, lächelte dann und seufzte: „Wie jemand, der viel zu früh und ohne die Zustimmung seiner Eltern sein Schicksal entschieden und sich nicht nur verliebt, sondern auch verlobt hat." „Mutter, Du bist eine großartig klar blickende Frai^ Trauteste Mutter, ich bin grenzenlos glücklich!" „I", ja, mein Jungchen, das pflegt man in diesem Fall immer zu beteuern, und Tu hast eigentlich auch viel Veranlassung dazu, ivenn Du nur erst im Besitz allseitiger Anerkennung und Einwilligung wärst." „Ach Mutti, meine holde Wonne hat cingewilligt, und das ist doch die Hauptsache!" „Hm, die Einwilligung einer jungen, verliebten Wonne ist unter Umständen am leichtesten zu er reichen," lächelte die Mutter. „Tu, und Deine habe ich doch auch. Kannst Tu Dir eine bessere Schwiegertochter wünschen?" „Nein, ich nichk, aber vielleicht wünscht Jvonnes Mutter sich einen älteren nnd gediegeneren Schwieger sohn." ! „Aelter? Pah, das werde ich schon noch werden, und gediegener? Muttchen, ich bin so gediegen wie — nun, mit Vater zu sprechen, wie nur ein Ostpreuße cs sein kann." „Ja, Junge, Vater, wie denkst Tu Tir das mit Vater? Ein Grabenthien, sogar einer, der das Stamm gut übernehmen soll, und keine ostpreußijche Frau?" „I was, Vater hat heute eigenmündig meine Wonne für würdig befunden, eine Ostpreußin und seine Tochter zu sein. Seitdem bin ich ohne alle Sorgen. Damit hat er mir Mut zu meiner Werbung gemacht, mich direkt aufgestachelt, ja, ja. Ohnedem hätte ich gar nicht da ran gedacht, meinem süßen Mädchen von Liebe zn sprechen." „Na, na!" -.Wirklich, Muttchen, Vater hat es allein verschuldet." „Tann komm nur gleich mit zum Bat«. Wir »vollen die Sonne nicht über seinen Worte« unter gehen lassen, er könnte sie sonst vergessen. Und waS durchgefochten werden muß, sei lieber gleich durch gefochten." Herr von Grabenthien war wie aus den Wolke« gefallen und bäumte sich auf vor der Ungeheuerlich keit des Gedankens, die Tochter ein« Französin mA eines Nassauers in seine durch Jahrhunderte rein ost preußisch erhaltene Familie aufzunehmen. Niemals! Stammutter der künftigen Grabenthiens eine Aus länderin! Ta siel aber die ganze Familie über ihn her. Jvonne sei eine Deutsch«, keine Ausländerin, eine so echte Deutsche, wie selbst eine Ostpreußin es nicht besser sein könne. Seine eigenen Worte wurden ihm in vier facher Auflage drohend vor das Gewissen geführt. Wenn er das geahnt hätte, wären sie nie über seine Lippe« gekommen, wehrte er stirnrunzelnd ab. „Väterchen, und das sagst Tu heute, gm Sterbetage Bismarcks, der nicht nach Ostpreußen und Pommern, überhaupt nicht nach Preußen, Sachsen, Bayern oder sonst welchen Partikularisten fragte, sondern ein einiges deut sches Volk schuf?" Tie Maus sagte das, und ihre Augen blitzten. „Willst Tu, daß der Astcssor recht behält, wenn er Dich kleinlich und engherzig nennt? Wir sind Ost preußen, ja, aber wir sind in Bismarcks Geist vor allen Dingen Teutsche und können das Andenken des großen Mannes 'nicht besser hochhalten, als wenn »vir uns als solche benehmen." Die Mutter und Friedrich Otto, »venngleich sie auch mit Staunen auf die Redegewandtheit der MauS gehört hatten, warfen sich doch einen verständnisvollen Blick zu. Sie ahnten, aus welcher Wunderquclle die Kleine schöpfte, und daß sie mehr im eigenen als in des Bruders Interesse kämpfte, aber der ahnungslose Vater saß ganz betäubt und beschämt vor dieser Ge wissenspredigt seiner Jüngsten. Wie das Lind redete! Und alles Hand und Fuß! Deutsche, Deutschs! Ja, ja, eS lag doch etwas darin, Teutsche waren sie alle, gerade heute am Sterbetage des großen Mannes hatte es sich recht gezeigt. In der Liebe zn ihm waren sie alle ver einigt gewesen. Und die kleine Jvonne besaß eine« eigenhändigen Bismarckbrief — der galt fast so viel wie ein ostpreußischer Adelsbrief. Der alte Herr von Grabenthien aus dem alten Geschlechte von Grabcnthien- Zollnikow seufzte schwer. . -.Vater und sich mal, die Frau nimmt doch stets die Nationalität ihres Mannes an. Wenn ich meine Wonne heirate, »vir- sie ja Lstpreußin," wagte Friedrich schüchtern zu scherzen. -.Nein, Fritz, Vas sollst Ty nicht anführen. Für s» kleinlich darfst Du Väterchen nicht halten, daß Du ihn mit solchen Ideen bestechen willst," fichr die Man» aufgeregt dazwischen. Sie dachte an die künftige Nutz anwendung -.solcher Ideen"- die ihrem Bayern einen derben Stein in den Weg legen konnten. ^Jvonne Ist eine Deutsche Tas hat sie hente durch ihre Begeisterung für Bismarck am besten bewiesen, und das muß Väter chen anerkennen. W« Bismarck ebenso liebt und verehr^ wie wir es tun, der gehört zn uns, und den 7ann lväter-