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3. Beilage znm „Riesaer Tageblatt". «»«a««»«« und B«laa >oa Laaaer » Wtnt.rtt» m «iela. — Kür dl« R-battwa XAMtW-rtttch! «rthnr HLHnel i„ Tanaabend, IS. April lttll, abends. I. 87. -MnlLtkiiile in Wirme r»Ä« lis SMukr Der letzte Abend der Hansabund-Lehrgknge, der am ri. ds. MtS. stattsand, brachte einen Vortrag des Herrn Dr. März über „Volkswirtschaft und Wirt- schaft-organisation", der ein interesscnrte» Bild über die Ausbreitung und die Bedeutung der wirtschaft- Sche» Organisationen im Deutschen Reiche gab. Don der Bedeutung des Organisationsgedankens für das Staats wesen überhaupt ausgehend, wies der Vortragende nach, daß der Gedanke der Organisation zur Erreichung wirt schaftlicher Zwecke bei allen Völkern und zu allen Zeiten ein wichtiges Moment gebildet hat. Bon Deutschland wird vielfach gesagt, daß eS das Land sei, in dem die meisten Organisationen anzutressen wären. Der be kannte Publizist de» „Figaro", Jules Huret, nennt die .Deutschen das ,Molk der Verbände und Vereine". In die ser llebertreibung ist der Gedanke nicht richtig, da bei spielsweise auch in England die Gründung von Vereinen zur Durchführung irgend welcher wirtschaftlicher, kul tureller ^>er sozialer Ziele usw. sehr ost und in sehr bedeutendem Umfange stattfindet. Trotzdem kann man sagen, daß der Deutsche namentlich an solchen Vereinen, die ihm für einen Jahresbeitrag etwas Greifbares zu bieten in der Lage siwd, sich gern beteiligt. Für die Durchführung wirtschaftlicher Organisationen bestehen allerdings gerade in Deutschland mancherlei Hindernisse: so die Eigenbrötelei, die Einseitigkeit bei Verfolgung gewisser Ziele, ost auch gesellschaftliche Vorurteile, namentlich aber auch die konfessionelle Spaltung, die dahin geführt hat, daß die Berufsstände jeweils zu einem bedeutenden Prozentsätze für die katholische und Zentrums-Organisation von vornherein festgelegt find. Der Vortragende ging alsdann zu der Darstellung der heute bestehenden Organisationen der ge werblichen Stände über und zeigte, wie weit in den einzelnen Berufsständen der Organisations-Gedanke vor gedrungen ist. Am stärksten und weitesten ausgebreitet ist die Organisation in der Landwirtschaft und im Hand werk, dann bei den Arbeitern und Privatbeamten. Am geringsten ist der Prozentsatz der Organisierten im Ver hältnis zu der Gesamtzahl der Erwerbstätigen innerhalb der Industrie, wo die Verschiedenheit der Anschauungen, zum Teil auch die verhältnismäßig jurige Entwicklung noch vielfach der Ausbreitung des Organisations-Ge dankens entgegenstehew. Bei genauer Betrachtung der Verhältnisse zeigt sich ferner, daß diejenigen Kreise, »ie verhältnismäßig am ehesten für die Organisation su gewinnen sind, auch am raschesten geneigt sind, die selbe wieder zu verlassen. Tas gilt namentlich bei den Arbeitern, wo der Prozentsatz der Organisierten inner halb der Freien Gewerkschaften sehr verschieden hoch und je nach den Jahren auch sehr schwankend ist. Im Jahre 1907 waren 26 Prozent der Arbeiter in den verschiedenen Gewerkschaften (auch christlichen und sonstigem nicht so zialdemokratischen) organisiert, bet den Privatbeamten etwa SS—30 Prozent, bei den Handwerkern wurde schon 1905 festgestellt, daß etwa in Innungen organisiert war, und dieser Anteil ist LIS heute sicher gestiegen. Leider existieren keine zuverlässigen Angaben über diese Verhältnisse in allen Berufsständen, so wünschenswert und interessant auch solche Feststellungen wären. Vor läufig fehlt es hierzu an ausreichenden und vergleich baren Statistiken. Ueber die Technik der Arbeit der Organisation zeigte der Vortragende, wie für die Erfolge der Arbeit nicht nur die Größe und Stärke der Organisation maßgebend sind, sondern in der Hauptsache ihre Führung und die Stärke und Zugkraft der Ideen, die sie vertreten, und die natürlich oft auch raschem Wandel unterliegen. Ter OrganisationS-Gedanke beruht auf dem Eindringen des demokratischen Elemente» in die politischen und wirt schaftlichen Anschauungen eines Volkes, auf dem Ge danken, daß der Einzelne zur Mitarbeit der Lösung der ihn betreffenden Fragen gewonnen werden soll. Tas gibt der Masse der Organisierten ein sehr starkes Ge wicht, welcher, wie sich dies in der letzten Zeit gerade innerhalb der Freien Gewerkschaften gezeigt hat, bei nicht genügend straffer Organisation und überragender Führung dazu führt, daß die Mehrheit der Organisier ten den Beschlüssen der Führer Widerstand leistet. Ge rade aus gewerkschaftlicher Seite beschäftigt man sich deshalb gegenwärtig mit der Frage, wie der Ueber- spannung des demokratischen Prinzipes unter möglichster Aufrechterhaltung der demokratischen Organisations-Ver fassung entgegengearbeitet werden könnte. Tie Bedeutung der Organisation für die Entwick lung des wirtschaftlichen Lebens liegt in der Hauptsache darin, daß sie die breiten Volkskreise zur Mitarbeit an der Lösung wirtschaftlicher und wirtschaftspolitischer Fragen heranzieht, daß sie auf diese Weise das In teresse am eigenen Stande, bei einer höheren Stufe der Organisations-Entwicklung aber auch das Interesse am Staatsganzen erweckt und fördert. Für die gesunde Entwicklung eines Volkes ist dies aber, wie die Geschichte zeigt, unbedingt erforderlich. Tie Organisationen der Berufsstände geben aber weiterhin der im Volke schlum mernden Intelligenz Gelegenheit, sich zur Geltung zu bringen und gewährleisten einen Ausgleich der einander entgegenstrebenden Interessen dadurch, daß Erfolge ihrer Arbeit dauernd nur auf einer mittleren Linie erwartet werden können. Von diesem Gedanken qusgehend, kann man der weiteren Durchbildung des wirtschaftlichen Or- ganisationswesens einen möglichst raschen Fortgang wün schen. Mit dieser Durchbildung dürsten endlich auch weite Kreise des Volkes reif werden für ein gemeinsames Ar- beiten innerhalb einer Organisation trotz Verschiedenheit bestehender Anschauungen. ' «4 Jahr«. Walfische in der Ostsee. )fk( Kürzlich ging die Nachricht durch die Presse, daß in der Flensburger Förde eins jener Niesentiere des nördlichen Eismeers aufgetaucht sei, das in früheren Zeiten zu den Fischen gerechnet und daher Malfisch genannt wurde, besser aber, da es, wie man längst er kannt hat, ein Säugetier ist; als Wal bezeichnet wird. Am Freitag, den 17. März, wurde der Marinestation in Mürwick mitgeteilt, daß das Tier bei dein Badeort Lang- Lalligau auf einer Sandbank nahe der Küste gestrandet sei. Ein nach der Fundstelle ausgesandtes Damvfboot tötete das Tier durch einige Sprengschüssc. Es hatte eine Länge von 15 Meter und nach vorläufiger Schätzung ein Gewicht von etwa 200 Zentner. Es ist keine häufige Erscheinung,' daß die Wale sich so weit von dem ofsencn Meere, daS ihre Heimat ist> und in so niedrige Breiten mit ihrer milderen Tempera tur begeben, trotzdem sie keineswegs stündige» Aufent halt in einem begrenzten e'.-biet nehmen, sondern weite Wanderungen vollführen. Je nach der Jahreszeit trifft man sic bald in diesem, bald in jenem Meere au: in der Nähe der Küsten und in Meeresbuchten meist nur trächtige Weibchen, die nach dein Gebären daun wieder mit .ihren Jungen abziehen. Ter Grund für die Wan- derungen liegt — wie bei den Zugvögeln und anderen Wandertieren, Lemmingen usw. — darin, daß die Tiere in der kalten Jahreszeit wärmere Gebiete aussnchcn,- oder auch, daß sie ihre Beute, z. B. .Heringsschwärme aus ihren Zügen, verfolgen. Nebrigens ernährt sich der Grönlandwal oder Nordwat nicht von Fischen, abgesehen von kleinen Arten derselben, die sich gelegentlich zu fällig in sein weites Maut verirren und mit hinunter geschluckt werden. Seine eigentliche Nahrung bilden viel mehr niedere Krebstiere und andere niedere Seetiere- die an den olivengrünen Stellen des Meeres massen haft angetrofscn werden. Ein äußerst gefräßiger Fisch vertilger ist dagegen der Finnwal. Um welche, der zahl reichen Arten der Wale es sich bei dem Fang in der Flensburger Förde gehandelt hat, ist in den Zeitungs berichten nicht mitgeteilt. Bei der Jagd aus Walfische bedient man sich heut zutage, während früher nur die einfache, von einem Boot aus geworfene Harpune im Gebrauch war, einer mit einem Sprenggeschoß versehenen Harpune; und statt des schwerfälligeren Walfischfängers, der ein Segelschiff war, durchkreuzen kleine Dampfer das Meer auf der Suche nach Walfischen. Sie haben an Stelle des Bug spriets eine Plattform, auf welcher eine Harpunkanone steht. Aus dieser wird eine schwere, schmiedeeiserne Har pune abgcschossen, die ein starkes Tau mit sich reißt, durch das im Fall eines Treffers der Wal an das Schiff gefesselt wird. Die Harpune enthält in einem Behälter am Schafte eine Sprengladung. Wird das Tau durch die Bewegungen des verwunoeten Wals staff gezogen, so zerbricht ein Glas, das eine Zündmasse einschließt; diese bringt die Sprengladung zur Explosion, durch welche Gesühnt. Roman von G. o. Schlippenbach. 5 „Da» kst aber doch..." Nora unterdrückte den Rest, sie war zu erregt und fürch tet«, die arme Mutter zu kränken. Still setzte sie sich an daS Fenster und blickte hinaus. Sie dachte über das eben Gehörte »ach. Nirn kannte sie da» düstere Geheimnis, da» einen trü ben Schatten über da» Elternhaus geworfen; der Vater war seitdem gelähmt und der stille Mann geworden, der sich von jeder Geselligkeit znrückzog. EbenstedtS waren einst sehr wohlhabend, und so lange der Freiherr selbst das Gut be wirtschaftete, hatte die Familie ihr reichliche» Auskommen gehabt. Langsam ging eS bergab, die schlechten Ernten und ge wissenlosen Verwalter wagen dazu bei, und als der Kranke starb, blieben seine Witwe und Tochter mittellos zurück. Obgleich e» wie ein Schatten über NoraS Jugend ge legen, war sie eine sonnige Natur, immer zum Lachen be reu, die goldbraunen Augen strahlten in steter Heiterkeit, und der rote Mund plauderte und sang den ganzen Tag. Im Winter verlebten Eoenstedt» in den beiden letzten Iah- ren einige Monate in der Stadt, man hielt den alten Train auch dann aufrecht, al» e» schon recht schlimm stand und da» Gut mit Hypotheken belastet war. Obgleich Nora von Ebenstedt recht gesellig lebte, Theater und Bälle mitmachte und sehr gefeiert wurde, fühlte st« sich nicht recht glücklich m der Stadt. Sie konnte es nicht erwarten, bi» sie wieder in ihrem geliebten Mittenhof war. Jeden Fußbreit Erde liebte sie, alle Bauern kannte st«, und ein jeder bekam einen freund lichen Gruß, ein muntere» Wort, wenn da« gnädige Fräu lein auf dem Rücken ihre» braunen Pferdes saß und durch Wald und Flur sprengte. Ein Schluchzen hebt des jungen Mädchens Brust bei der Erinnerung an ihren vierbeinigen Liebling; sie blickt zur Mut ter hinüber. „Gottlob, ste scheint zn schlafen,» denkt Nora, „arme», lieb«» Mutti, wie vi«l hast Du gelitten. Ich darf eS Dir nicht zeigen, wie schwer mir di« Trennung von Mittenhof fällt, ich will mir Mühe geben, mich in die neuen Verhältnisse hinein zufügen.' Abertrotz dieser mutigen Worte sind die Hellen Mädchen augen naß, und e» zuckt um den frischen Mund. Immer weiter rast der Zug durch die Nacht, an den kleinen Stationen hält die Bahn nicht an, weiter und weiter dem Reiseziele zu. Die Gegend hat ein anderes Aussehen, als die liebliche Berg landschaft, in der Mittenhof lag; weite Flächen breiten sich vor dem Auge aus, prächtiger Wald, dann Dörfer, kleine Städte, Fabriken mit hohen Essen, aus denen es feurig empor lohte. „Emil.. Otto, Emil.. Otto," denkt Nora und eS scheint ihr, als höre sie des Bruder» Namen im Rollen der Räder, im Stampfen und Rütteln der Eisenbahn. Der schrille Pfiff der Lokomotive läßt sie zusammenfahren. Ist es nicht der markerschütternde Schrei des Vaters, der des Sohnes Schande erfährt? Nach und nach verwirren sich ihre Gedanken, der Mond erbleicht vor dersanbrechendenTagesdämmerung, bleierne Mü digkeit kommt über daS junge Mädchen, die Lider mit den langen Wimpern decken die Augen, Nora schläft. Ihre Hände liegenfestgeschloffen im Schoß, ans der Stirn liegt eine Schmerzensfalte, bis in den Traum verfolgt des Bruders tragisches Geschick sie, und sie hört immer wieder seinen VerzweiflungSschrei: „Ehrlos, ehrlos!" * * * DaS adlige Fräuleinstift lag mitten im Städtchen, das sieben- bis achthundert Einwohner zählte. Es war früher eine Abtei gewesen, deren linker Flügel durch eine Feuersbrunst vor vielen Jahren zerstört worden war, während der Mittelbau und die rechte Seite erhalten blie ben. Die mannsdicken, festgefügten Mauern trotzten Zeit und Wetter, üppig wuchernder Efeu umrankte sie, und die Bo genfenster mit den kleinen Scheiben blitzten freundlich im Sonnenschein, als die neue Aebtissin, die Freifrau von Eben stedt, mit ihrer Tochter in L. ankam. Sie hatten den Schnell zug verlassen und die Klingelbahn benutzt, die sie einige Stunden später zum Ziel ihrer Reise brachte. Seltsam ge nug erschien den beiden Damen die Kleinstadt mit den alten Häusern unk schlecht gepflasterten Straße». Offenbar wußte man von ihrer Ankunft, denn überall erschienen neugierige Gesichter an den Fenstern, und einige der alten Fräuleins hatten es sich nicht nehmen lassen, auf dem Bahnhof zu er scheinen, um ihr Oberhaupt sofort zu begrüßen. Die Stifterin der wohltätigen Anstalt war eine Freifrau von Anken, geborene Gräfin Nönig gewesen; sie hatte die alte Abtei gekauft und ihr großes Vermögen angelegt, von den Zinsen wurde der Haushalt bestritten. Achtzehn arme adlige Fräuleins im Alter von fünfzig bis achtzig Jahren ivaren die Nießlinge, die Aebtissin mußte Witwe sein; auch sie mußte zum Adel gehören, um die Oberleitung deS Stiftes zu übernehmen. Ein hübscher Garten und Park gehörten zur Abtei, die mit vielem Komfort eingerichtet war. Es fehlte nicht an Dienst boten, jede Stiftsdame hatte zwei Zimmer, die ihr zur Be nutzung übergeben waren; im großen Speisesaale vereinten die Mahlzeiten die Hausgenossinnen, die auch sonst freund schaftlich untereinander verkehrten. Das Wappen der Ankens zierte die schweren silbernen Bestecke, es war auf den hohen Stühlen aus Eichenholz geschnitzt, es prangte oberhalb des Portales in Stein gehauen, es flatterte über dem Metalldach des Stiftes mitten auf der grünen und weißen Fahne. Heute hatten alle die alten Fräuleins große Toilette gemacht, um ihr neues Oberhaupt würdig zn empfangen, mit gespannter Neugier reckten sie die Hälse, und die Frage: „Wie wird sie sein?" beschäftigte alle Gemüter. Die jüngst verstorbene Aebtisssin hatte sich keiner Liebe er" freut; sie war launisch und streng gewesen, hatte ihre be sonderen Schützlinge gehabt und war gegen die minder Be vorzugten oft ungerecht gewesen. Es ist natürlich, daß bei so vielen zusammenlebenden alten Damen zuweilen Meinungs verschiedenheiten entstehen, die Aebtissin ist verpflichtet, nüs- zugleichen und zu schlichten. Gerade Eugeuie von Ebcnstedk mit ihvem freundlichen Wesen und liebenswürdigen Charakter eignete sich für diese nicht leichte Stellung, zu der es viel feinen Takts bedurfte. Als die Freifrau, auf ihre Tochter ge stützt, den kurzen Weg vom Bahnhof bis zur Abtei zu Fuß zurücklegte, gefolgt von den Stiftsfräulein, da flüsterten diese untereinander; sie tauschten ihre Eindrücke über Mutter und Tochter auS. 'H7.20